Читать книгу Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 40/41 - Hanno Plass, Thomas Jung - Страница 9

»… über den Begriff durch den Begriff hinauszugelangen« 1

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Konstellationsbildung durch Begriffstranszendenz?

Sprachphilosophische Überlegungen zu einem Motiv

Theodor W. Adornos

»Jeder Begriff besitzt Komponenten und definiert sich durch sie […]. Er ist eine Mannigfaltigkeit, wenngleich nicht jede Mannigfaltigkeit begrifflich ist.«

Gilles Deleuze und Félix Guattari

1. Updating: Theodor W. Adorno

Bis zum Modischen sind die Schriften Adornos zwischen den 1960er und 1980er Jahren aktuell gewesen. In der Erinnerung an seine philosophischen Texte wird aber klar, was vergangen, was heute kaum mehr als philosophische Diktion salonfähig ist: die immense Verführungskraft der adornitischen Sprache, ihre unnachahmliche Expressivität im Ausdruck sowie die Konstruktion kontrapunktischer Satzgebilde, in denen negativdialektisches Denken zur Darstellung kommt. Was den Expressionismus des Stils betrifft, kann nur noch Nietzsches Zarathustra mithalten. An die Ausdruckskraft Adornos reicht die heutige Philosophensprache nicht mehr heran; Anschlussfähigkeit an standardisierte Diskurse ist der intellektuelle Leitwert geworden. In den gegenwärtigen Philosophiedebatten haben die Schriften Adornos nur noch marginale Präsenz, allenfalls werden sie als Rückblicke auf eine Kritiktradition behandelt, die mit dem Namen ›Kritische Theorie‹ verbunden ist und ihre generationsspezifische Resonanz hatte. Die Marginalität hat auch damit zu tun, dass eine radikale, eminent gesellschaftsbezogene Kritik nur noch mit spitzen Fingern berührt wird. Kritik, die geschichtliche und gesellschaftskonstitutive Inhalte im Spiegel einer Zerfallslogik thematisiert, ist nicht mehr en vogue. Sie wäre anrüchig, geradezu konsensstörend – weil eben zu intransigent im Denken. Radikale Kritik im Denkgestus Adornos findet in der Konjunktur des Anerkennungsdenkens, die Kritik versöhnlich hält, keinen Platz mehr. Diese Kritik ist weit von dem entfernt, was die Schriften Adornos leitmotivisch ausmachte: der unversöhnliche Anspruch auf ›rettende Kritik‹2.

Rekurriert man auf den ›frame of reference‹ der gegenwärtigen Philosophiediskurse, so muss festgestellt werden, dass die Philosophie Adornos »unterdessen [von] einer Furie des Verschwindens«3 heimgesucht worden ist. Abgelöst wurde sie durch unterschiedliche Konzepte, die sich heute als philosophischer Mainstream darstellen. Diese Konzepte sind im Einzelnen:

Zum Ersten die sprachtheoretische Wende, der linguistic turn in der Philosophie, der die alte Subjekt-Objekt-Relation als epistemologische Grundlage der Welterfahrung aufgekündigt hat, um nunmehr die Sprache, ihre Weltdarstellungsfunktion als letztbegründende Bedingung für Welterkenntnis vorauszusetzen. Adorno hat die sprachtheoretische Wende, diesen epistemologischen Wechsel von der Bewusstseins- zur Sprachphilosophie, nicht mitvollzogen. Gleichwohl hat er sich gegen jeden nachidealistischen Vorrang einer erkenntniskonstitutiven Subjektivität starkgemacht, weil sie »vom Einheitsprinzip und der Allherrschaft des übergeordneten Begriffs«4 ausgeht. Er ist niemals einem Sprachdenken gefolgt, das einer freien, der Autonomie und Spontaneität des Subjekts folgenden signifizierenden Zuordnung von Sprachzeichen zu ihren realen Sachverhalten das Wort geredet hat. Was er als eine Form der philosophischen Sprache entworfen hat, ist vielmehr eine nichtrepräsentative, auf sprachlich erzeugte Konfigurationen zielende Ausdruckssprache, die man als eine kritisch-sprachproduktive Neuanordnung philosophischer Termini bezeichnen kann, um deren tradierte »trügende Ontologie«5 zu entlarven.

Zum Zweiten der Radikale Konstruktivismus, der alle Welterfahrung als konstruktive Leistung aus einer vorausgesetzten Beobachterperspektive begründet. Erkenntnisse sind danach nichts anderes als wahrnehmungszentrierte Konstruktionen eines Welttatsachen erst konstruierenden Beobachters. Dass diesen konstruktiven Leistungen begriffliche Operationen zugrundeliegen, die nicht aus der konstruktiven Schöpfung des Beobachters resultieren, sondern ihrerseits ein begriffsgeschichtliches Sediment besitzen, wäre für Adorno sicherlich der begriffskritische Einwand gewesen.

Zum Dritten der Dekonstruktivismus, der sich im Sinne Derridas als ›penser autrement‹ versteht, um etablierte, das heißt bereits kanonisierte Philosopheme der Philosophie aus den Angeln zu heben. Dort geht es gewissermaßen um eine Neuschöpfung auf dem Gebiet der Philosophiegeschichte, die nicht bei deren verschwiegener Intertextualität ansetzt, sondern die Identität philosophischer Begriffe destruierend entgrenzt. In der Zerstörung der fraglosen Identität überkommener philosophischer Termini liegt die bis heute nicht ausgelotete Übereinstimmung des Dekonstruktivismus mit der Begriffskritik Adornos.6

Zum Vierten der Neonaturalismus, der – John Searle zufolge – Bewusstseinsphänomene auf neuronale Verursachungen zurückführt; also »den biologischen Charakter mentaler Zustände betont«7. Das Substrat lebensweltlicher Erfahrungen philosophisch so zu erklären ist jenseits dessen, was Adorno als »den Primat inhaltlichen Denkens« einforderte, um so zu konkretem Philosophieren »bündig zu gelangen«8. Adorno hätte vermutlich gegen diese neue Geistphilosophie eingewandt, was er dem Empirismus ins Stammbuch geschrieben hat: »ein konsequenzloser Zusammenhang bloßer Dies-da-Bestimmungen«, der »keinerlei kritisches Maß mehr hergibt«9. Und mit Blick auf das, was philosophisches Denken über ein reduktionistisches Erklären hinaus sein will, sagt er: »Die Denkformen wollen weiter als das, was bloß vorhanden, ›gegeben ist‹«10. Die philosophische Reflexion inhaltlicher Welterfahrung ist nicht das Spiegelbild, das die neuronale Matrix als Abbild auf den ›Monitor‹ des Geistes wirft; sie ist eine gedanklich-figurative Übersetzung von Welterfahrungen im Darstellungsmedium philosophischer Sprache – mehr nicht, aber auch nicht weniger.

Aufs Ganze gesehen kann man folgern, dass Adorno »zum Kronzeugen dieser neuesten Paradigmenwechsel kaum […] geeignet«11 ist. Ausgehend von der Nicht-mehr-Aktualität der Schriften Adornos muss die Frage beantwortet werden: Warum noch Adorno lesen, speziell seinen philosophischen Schlüsseltext, die Negative Dialektik? Eine erste Antwort kann nur lauten: weil sie, die Negative Dialektik, »den scheinbar fest gefügten ›frame of reference‹ philosophischer Debatten [immer noch, T. J.] in Frage zu stellen«12 vermag; weil die gedankliche Subversivität dieses Werkes unweigerlich »eine kritische Denkbewegung« inauguriert, »die eingespielte Begriffsverwendungen untergräbt«13; und weil sie – gegen den gegenwärtigen Mainstream, Adornos Denkens zu vergessen – zu den philosophischen Klassikern des 20. Jahrhunderts zählt. Ein philosophischer Klassiker zu sein stellt keine posthume Nobilitierung des Autors dar. Klassisch ist dann ein Werk, wenn es zum »Wiederlesen« auffordert, wenn es »die Macht hat, einen Samen [des Nachdenkens] zu hinterlassen« und schließlich, wenn es sich derart »als unvergesslich behaupten« kann, sodass es »unablässig eine Staubwolke kritischer Reden über sich selbst hervorruft«14. Die bis heute ungebrochene Rezeptionsgeschichte der Negativen Dialektik beweist, dass dieses Werk zweifelsfrei ein philosophischer Klassiker ist.

Die nachfolgenden Überlegungen konzentrieren sich auf eine Kernfrage, die sich auf einen Leitgedanken der Negativen Dialektik bezieht: Wie kann konstellatives Denken sprachtheoretisch, genauer begriffstheoretisch, begründet werden? Konkreter gefragt: Wie ist der rätselhafte Satz in der Negativen Dialektik: »An ihr ist die Anstrengung, über den Begriff durch den Begriff hinauszulangen«, aufzulösen? Zielt diese Formulierung nur auf ein methodologisches Verfahrensmodell? Oder ist sein kryptisch wie paradox klingender Satz vielleicht dadurch aufzuhellen, dass man sich auf eine andere, ebenso rätselhafte Formulierung Adornos stützt, die da lautet: »Sprache als Organon des Denkens wäre der Versuch, das rhetorische Moment kritisch zu retten«15? Es geht darum, diese zwei Stellen aus der Negativen Dialektik systematisch so aufeinander zu beziehen, dass sie das Begriffslose, das Adorno als das Nichtidentische gekennzeichnet hat, begreifbar machen. Positiv gefragt: Ist das semantische »Mehr«16, das nicht in prädikativen Urteilssätzen aufgeht, vielleicht nur in Form semantischer Konfigurationsbildungen, ergo durch rhetorische Begriffsfigurationen einholbar?

Der Weg zur Beantwortung dieser Frage wird folgender sein: Zunächst soll ein Kerngedanke, ein Grundmotiv der Negativen Dialektik dargestellt werden, damit die Grundidee der Begriffskritik Adornos deutlich wird. Um den philosophiegeschichtlichen Hintergrund der Argumentationsstruktur Adornos zu verdeutlichen, werden die philosophischen Referenzen benannt, von denen sich die Negative Dialektik kritisch abstößt, indem sie diese verarbeitet. Diese sollen nur umrissen, angezeigt bzw. skizziert werden, um die bezeichnete Kernfrage angehen zu können. Diese wird in drei Argumentationsschritten aufgelöst: Erstens sollen die Lesarten des Begriffs ›Nichtidentisches‹ bzw. ›Begriffsloses‹ rekonstruiert und befragt werden, zweitens soll der Terminus ›Nichtidentisches‹ im Hinblick auf die Kategorie Sprachtranszendenz bezogen werden, und drittens soll einer der zentralen Begriffe der Negativen Dialektik, die Konstellationsbildung, als ein begriffstranszendierendes Verfahren auf der Basis rhetorischer Kategorien ausgelegt werden. Diese rhetorischen Kategorien sind solche des figuralen und nicht des persuasiven Sinngehalts. Das Verfahren selbst stützt sich auf den Terminus Begriffstranszendenz, der vom Begriff der Sprachtranszendenz abgehoben wird. Mit dieser Auslegung bzw. Interpretation einer Schlüsselkategorie Adornos wird abgesehen von Rezeptionsweisen, die die Negative Dialektik bisher traktiert haben: etwa die gesellschaftskritischen, die erkenntniskritischen, die messianischen, die praxisorientierten und letztlich die philosophiegeschichtlichen Lesarten. Der Impuls, sich nochmals des Konstellationsbegriffs anzunehmen, diesen im Lichte einer sprach- wie begriffskritischen Argumentation zu interpretieren, vermutet etwas Ungedachtes im Werk der Negativen Dialektik. Für dieses Ungedachte gilt die Anweisung Heideggers: »Je größer das Denkwerk eines Denkers ist, das sich keineswegs mit dem Umfang und der Anzahl seiner Schriften deckt, um so reicher ist das in diesem Denkwerk Ungedachte«17. Diese Unabgeschlossenheit, diese potenziell unbegrenzte Deutbarkeit liegt im Werk Adornos vor; sie ist es auch, die eine Reaktualisierung der Negativen Dialektik immer wieder antreibt.

2. Die Grundidee der Begriffskritik

Aufs Ganze gesehen ist die Negative Dialektik ein Schwarzbuch des tradierten philosophischen Denkens – weil sie dessen Zwang zum System aufkündigt, aber auch, weil sie dem katastrophalen Ereignis des 20. Jahrhunderts philosophisch Rechnung trägt. Wie? Indem sie der Willkür des begrifflichen Identifizierens, dem Identifikationszwang im Denken das widerständige Motiv des Nichtidentischen entgegensetzt. Entgegen jeder philosophischen Ontologisierung des Seienden insistiert sie auf der Singularität des Seienden, bevor es im identifizierenden Begriff seine Eigenart, seine Individualität verliert. Epistemologisch gesehen ist die Negative Dialektik eine radikale Erkenntniskritik: Sie will die begriffliche Subsumtion des Einzelnen, seine Singularität unter ein Erkenntnisschema, aufgehoben wissen. Mit anderen Worten: »Adorno will zeigen, daß Erkenntnis, die diesen Namen verdient, mehr ist als nur regelgeleitete Unterordnung von Sinnen- und Gedankenmaterial unter die logische Systematik«18. Im argumentativen Zentrum dieser radikalen Erkenntniskritik steht zwar eine Kritik des identifizierenden Denkens, aber die eigentliche Stoßrichtung seiner Kritik geht auf das Begriffsdenken, das den konstitutionellen Schein einer Identität von Denken und Inhalten aufrecht erhält. In nuce ist deshalb die Negative Dialektik eine ›philosophische Begriffskritik‹, um die problemlose Abschattung von qualitativen, das heißt sinnlichen Erfahrungsmomenten durch den identifizierenden Begriff kenntlich zu machen. Adornos Einforderung der konkret faktischen Erfahrung, ihrer sinnlichen Qualitäten setzt aber nicht etwa bei einer phänomenalen Konkretion an, so als wäre dies der Königsweg einer ungeschmälerten Erkenntnisweise. Das Credo seiner Begriffskritik lautet deshalb: »Beim Begriff anzuheben, nicht bei der bloßen Gegebenheit«19. Gerade das argumentative Ausspielen des Nichtbegrifflichen gegen das Begriffliche ist – neben anderen Motiven der radikalen Kritik – eine zentrale Idee der Negativen Dialektik, denn »philosophische Reflexion versichert sich des Nichtbegrifflichen im Begriff«20.

Mit dieser Grundidee korrespondiert eine alternative Denkform, die Adorno dem philosophischen Denken gewissermaßen als ein Therapeutikum vorschlägt: das Denken in begrifflichen Kohärenzen, in konstellativen Begriffsanordnungen, die, so die Vorstellung Adornos, »um die zu erkennende Sache sich versammeln«, damit es der eigentlichen »Intention des Begriffs, das Gemeinte ganz auszudrücken«21, endlich zum Ausdruck verhilft. Einher geht damit, dass sich der Begriff der Philosophie sachlich ändern muss. Konkret heißt dies: Die Philosophie soll nicht mehr idealistisch oder materialistisch, schon gar nicht seinsontologisch sein; sie soll gegen den Strom des philosophischen Mainstreams eine Philosophie der Nichtidentität im Namen eines bisher unterdrückten Rechts des Begriffslosen, des im Erkenntnisprozess als subaltern Abgewiesenen sein: »Philosophie hat, nach dem geschichtlichen Stande, ihr wahres Interesse dort, wo Hegel, einig mit der Tradition, sein Desinteressement bekundete: beim Begriffslosen, Einzelnen und Besonderen«22. In dieser veränderten Philosophie ist die exakte Darstellung philosophischer Erfahrung an eine Ausdruckskompetenz gebunden, die das Unbegriffliche, das Inkommensurable, sprachlich zu verobjektivieren versucht – mithin eine sprachästhetische Produktionsweise, deren Analogon in der Kunstproduktion angelegt ist.

3. Philosophische Referenzen

Die hier vorgenommene kurze Skizzierung der Grundidee der Negativen Dialektik spart notwendigerweise weitere Denkmotive aus, die dieses Werk durchziehen. Der adornitische »Geist des notwendig Nichtidentischen«23 setzt vorwiegend an der Abbreviatur philosophischer Begriffssystematik an, um deren Logik puristischer Bedeutungssprache ins Schwimmen zu bringen. Im Rahmen dieser Abhandlung können die philosophischen Referenzen, auf die Adorno rekurriert, um sie einerseits zu kritisieren, andererseits aber argumentativ gewendet für die Grundintention der Negativen Dialektik in Beschlag zu nehmen, nicht in Gänze referiert bzw. reinterpretiert werden. Nur zwei maßgebliche philosophische Bezüge sollen hier dargestellt und verhandelt werden: derjenige, der sich auf Kant, und derjenige, der sich auf die Dialektikkonzeption von Hegel bezieht. An beiden Referenzphilosophen arbeitet Adorno die Kritik ab, die er in seiner Frühschrift Die Aktualität der Philosophie als »Krise des Idealismus«24 gekennzeichnet hat.

Der Idealismus vertrat die unerschütterliche Idee, dass das Sein sich im Denken völlig abzubilden habe. Dies heißt nichts anderes, als dass alles Seiende im Sinne eines Totalitätsanspruchs erfassbar wäre. Ausgehend von den nachidealistischen Philosophien konstatiert Adorno: »Die Angemessenheit von Denken an Sein als Totalität aber hat sich zersetzt, und damit ist die Idee des Seienden selber unerfragbar geworden, die einzig über einer runden und geschlossenen Wirklichkeit als Stern in klarer Transparenz stehen könnte«25. Und bezogen auf die Erkenntnisprämisse des Idealismus heißt es: »Die autonome ratio – das war die Thesis aller idealistischen Systeme – sollte fähig sein, den Begriff der Wirklichkeit und alle Wirklichkeit selber aus sich heraus zu entwickeln. Diese Thesis hat sich aufgelöst«26. Wenn diese Thesis sich aufgelöst hat, so wäre dies – und Adorno folgert so – nicht nur eine Liquidation der genuin philosophischen Erfahrungsbegründung, sondern mehr noch »die Auflösung der Philosophie in Einzelwissenschaft« bzw. die Umwandlung der Philosophie in wissenschaftstheoretische Legitimationsarbeit.27 Da aber Philosophie keine Forschungsanleitung ist, vielmehr Deutungsarbeit, um die »Rätselfiguren des Seienden«28 zu dechiffrieren, bleibt die philosophische Durchdringung der phänomenalen Welt immer noch zu leisten. Nicht etwa, um »die Wirklichkeit sinnvoll darzutun und zu rechtfertigen«, sondern deren »Rätselgestalt blitzhaft zu erhellen und aufzuheben«. Dies heißt konkret, die Rätselfiguren des Wirklichen als konstellative »Antwort« auf die philosophische Deutungsfrage »lesbar« zu machen.29

Die Quintessenz von Adornos Kritik am Totalitätsdenken des Idealismus ist nicht dessen völlige Liquidation. Gemessen an den Vorgaben Kants und Hegels, die er für die Negative Dialektik reklamiert, ergibt sich eine argumentative Doppelstrategie: »Mit Kant gegen Kant, aber auch mit Hegel gegen Hegel, dies macht eines der Hauptmotive des Adornoschen Denkens aus«30. Substanziell bedeutet dies:

»Indem Adorno der Hegelschen Dialektik in ihrem wesentlichsten Punkt – der Geistkonzeption – nicht folgt, indem er aber gleichwohl an einem Verständnis von Dialektik festhält, demzufolge letztere nicht nur ein methodisches Instrument darstellt, sondern etwas mit der Sache selbst zu tun hat, ist er Nicht-Hegelianer und Hegelianer zugleich. Insofern Adorno andererseits Kant dahin gehend folgt, dass auch für ihn alles Erkennen vorgängig an Begriffe gebunden ist, über die das erkennende Subjekt nicht frei verfügt, die ihm vielmehr erst einmal vorgegeben sind, weshalb das ›Ding an sich‹ in der Tat (erst einmal) nicht zu erfassen ist, ist er Kantianer. Zugleich aber ist er auch Nicht-Kantianer, denn: Die alle Erkenntnis vorgängig bestimmenden Begriffe versteht Adorno nicht als Begriffe, die dem Subjekt transzendental und damit nicht hintergehbar vorgegeben sind, sondern er versteht sie als historisch entwickelte und deshalb als sehr wohl hintergehbare«31.

Die Auseinandersetzung mit Kant und Hegel ist für die Negative Dialektik elementar, denn Kants numinos bleibendes ›Ding an sich‹ konstituiert sich erst durch die subjektiven Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung, mithin durch subjektive Begriffsbildungskompetenz. Damit wird aber erschlichen, dass alles Seiende unter eine begriffliche Subsumtion fällt, die auf das Vermögen eines transzendental operierenden Subjekts zurückweist. Zwar ist das ›Ding an sich‹ bei Kant unbestimmt, das heißt begrifflos unbegriffen, jedoch ohne es gäbe es keine verstandeskategoriale Abbreviatur durch einen dieses ›Ding an sich‹ bezeichnenden Begriff. Die Crux, die Adorno an Kant festmacht, ist die, dass dieser »mit dem Ding-an-sich an der ›Idee der Andersheit‹ festhalte«32, aber die Vermitteltheit von Subjekt und Objekt ausblende. Die Rehabilitierung der Andersheit, die alles einzelne Seiende für sich hat, ist aber der systematische Ansatzpunkt, den Adorno in der Auseinandersetzung mit Kant reklamiert. Die Negative Dialektik setzt, indem sie den kantischen Vorrang des erkennenden Subjekts und damit dessen begriffliches Subsumtionsbegehren durchstreicht, auf die Erfahrbarkeit der »Verflochtenheit« mit dem Seienden; denn nur so kann ersichtlich werden, »daß alles mehr sei, als es ist«33. In der Auseinandersetzung mit Kant wird der Begriff in seiner Erkenntnisfunktion zurückverwiesen auf das, was ihm unbegrifflich zugrunde liegt: Referenz auf materiale-sinnliche Erfahrungen. Ob diese konstellativ-begrifflich einzuholen sind, bleibt die Kernfrage dieser Abhandlung.

Adornos Kritik an Heideggers Seinsdenken zeigt dessen Leugnung jedes dialektischen Denkens auf. Wird das Seiende in den umfassenden Begriff des Seins völlig eingezogen, verschwindet nicht nur jede Differenz von Sein und Seiendem, es kann auch die Vermittlung von Sein und Seiendem nicht begriffen werden. Das Urteil lautet: »Die Dialektik von Sein und Seiendem: daß kein Sein gedacht werden kann ohne Seiendes und kein Seiendes ohne Vermittlung, wird von Heidegger unterdrückt: die Momente, die nicht sind, ohne daß das eine vermittelt wäre durch das andere, sind ihm unvermittelt das Eine, und dies Eine positives Sein«34. Die Differenz aber, und hier nimmt Adorno das dialektische Denken Hegels ernst, wird ausgetragen, wenn man das Seiende, seine vorgängige Nichtbegrifflichkeit, nicht zugunsten einer identitätsstiftenden Vermittlung aufhebt. Dies jedoch wird durch die positiv bestimmte Dialektik Hegels konterkariert: »Hegel beutet aus, daß das Nichtidentische seinerseits nur als Begriff zu bestimmen sei; damit ist es ihm dialektisch weggeräumt, zur Identität gebracht«35. Während Heidegger die Differenz von Sein und Seiendem ontologisch wieder glättet, indem das Sein das ›mythisch‹ Umfangene ist, geht Hegel zunächst von der Nichtidentität, von der Andersartigkeit des Seienden aus: Es ist unbestimmt und in dieser Unbestimmtheit konstituierendes Moment seiner begrifflichen Identifizierung. Gerade weil das einzelne Seiende (als Einzelnes) eine Negation des umfassenden Ganzen ist, dieses jedoch wiederum – weil das einzelne Seiende Teil des Ganzen ist – eine Negation der Negation bildet, wird das Nichtidentische konstitutives Moment einer Dialektik von Identität; so das hegelsche Diktum: »Wahrhaft ist ohne Nichtidentisches keine Identität«36. Die Dialektik – so Adorno – »trägt die Dialektik des Nichtidentischen nicht aus«; Hegel »eilt darüber […] hinweg«, weil »sein eigener Begriff des Nichtidentischen bei ihm Vehikel« wird, »es zum Identischen, zur Sichselbstgleichheit zu machen«37. Indem das Nichtidentische in seiner dialektischen Verwiesenheit zum Identitätsmoment im identifizierenden Begriff aufgehoben wird, verliert es, was ihm zukommt: seine Unbestimmtheit, seine Bestimmungslosigkeit. Hegel hat zwar die Dialektik von Identität und Nichtidentität entfaltet, jedoch alles Nichtidentische in die Totalität des Identischen zurückgesetzt: eben weil das »Totale bei ihm doch den ontologischen Vorrang an sich reißt. Dazu hilft die Erhebung der Vermitteltheit des Nichtidentischen zu dessen absolut begrifflichem Sein«38. Die Konsequenz ist die begriffliche Zurüstung alles Wirklichen, ist der Denkzwang durch identifizierende Allgemeinbegriffe, »alles qualitativ Verschiedene«39 einzuebnen. Dem anfänglich Widersprüchlichen, Gegensätzlichen, das zwischen dem begrifflichen Denken und den Gegenständen bzw. den Sachverhalten der Welt besteht, wird durch eine Identitätsdialektik der Stachel gezogen. Erst wenn die Dialektik nicht mehr »im Bann des Gesetzes, das auch das Nichtidentische affiziert« steht, wenn sie vielmehr »die vom Allgemeinen diktierte Differenz des Besonderen vom Allgemeinen entfaltet«, dann »gäbe [diese] das Nichtidentische frei, entledigte es noch des vergeistigten Zwanges, eröffnete erst die Vielheit des Verschiedenen, über die Dialektik keine Macht mehr hätte«40. Im kritischen Durchgang durch die Dialektikkonzeption Hegels gewinnt Adorno die Gestalt der Negativen Dialektik, weil in ihr der Begriff des Nichtidentischen zum Angelpunkt wird für den »Nachweis der Insuffizienz einer begrifflichen Bestimmung angesichts des von ihr erfaßten Gegenstandes«41. Zugleich wird das Nichtidentische zum Platzhalter für das Inkommensurable, den unbegrifflichen Rest, der durch die hegelsche »Logik der Denkbestimmungen« ausradiert wird; letztlich »um sie den Sachen überzustülpen«42. Da die hegelsche Begriffslogik die Erkenntnis als begriffliche Fixierung des Realen, des Objektiven, versteht, muss die Programmatik der Kritik der Negativen Dialektik ihre identitätslogische Entsprechung aufbrechen. Nicht, um fälschlicherweise zur reinen Anschauung, zur konkreten Unmittelbarkeit, zurückzukehren, sondern um das Bewusstsein von Nichtidentität, die als referentieller Schatten jeder Begriffsbildung wirkt, in Begriffen gegen den Begriff selbst auszuspielen. Mit der Umwidmung der Begriffsdialektik von Hegel zu einer negativen Dialektik des Begriffs bewegt Adorno sich im kritischen Fahrwasser dessen, was er an der hegelschen Konzeption gewinnt: dass die Negation der Negation nicht zugunsten seiner Positivität gedacht werden muss, sondern als prinzipielle Differenz, die die »absolute Einheit des reinen Begriffs und seiner Realität«43 sprengt. Die Rettung des einzelnen Seienden vor seiner ontologischen Einebnung ins umfassende Seinsgeschick oder seine Glättung durch die Aufhebung seiner Negationskraft qua identifizierenden Begriffs sind die Einsprüche, die Adorno gegen Heidegger und vor allem gegen Hegel formuliert. Dass er dabei nicht beim Gegenstand ansetzt, sondern bei dem Begriff, der diesen zu erfassen sucht, ist der argumentative Ausgang seines kritischen Durchgangs durch die beiden philosophischen Referenztheorien.

Will man einen zentralen Argumentationstopos der Negativen Dialektik herausstellen, um die Idee der konstellativen Begriffsbildung zu verhandeln, so ist es der Doppelaspekt, den Adorno am Begriff festmacht: Einerseits die Begriffskritik als Destruktion der Falschheit der Begriffsfunktion, ihrer Logik der Identitätsstiftung, andererseits dasjenige, was durch diese Logik wegfällt, weggeschnitten wird: das ›Mehr‹ am Begriff, das nur in einer Transzendierung seiner selbst zu begründen ist. Man kann diesen Doppelaspekt des Begriffs auch als Paradoxon seiner Bestimmung auffassen, und dann ergibt sich, was der Titel dieser Abhandlung programmatisch verspricht: »die Anstrengung, über den Begriff durch den Begriff hinauszugelangen«44. Wie aber ist diese Transzendierung mit und durch den Begriff zu leisten, ohne in einer Aporie erkenntnistheoretischer Art stecken zu bleiben? Meines Erachtens nur, indem man dieses begriffliche Transzendieren sprachtheoretisch entfaltet; nicht aber, wie Adorno meinte, durch eine erkenntnistheoretische und seinstheoretische Kritik allein.45

4. Die Lesarten des Nichtidentischen

Das Nichtidentische, der durch keine positive Vermittlung zu identifizierende Rest des Seienden, ist in den Werkinterpretationen der Negativen Dialektik in verschiedener Weise interpretiert, gekennzeichnet bzw. in seiner begrifflichen Aporetik verhandelt worden. Meines Erachtens lassen sich vier Lesarten auseinanderhalten, die jeweils eine andere Interpretation des Begriffs des Nichtidentischen vorlegen.

Erstens gibt es Reinterpretationen, die mehr oder weniger begriffliche Analogisierungen vornehmen, indem das Nichtidentische anhand der vorgegebenen Terminologie Adornos begrifflich variiert wird. Danach ist das Nichtidentische das Begriffslose, das Partikulare, das Besondere, das Individuelle, das Qualitative am Objekt, das unmittelbar Gegebene, das Andere, das Unentstellte, das Gewordene usw. Alle diese Termini kreisen zwar um einen identischen Bedeutungsgehalt, bringen aber außer einem Bündel lexikalischer Differenzen keine befriedigende Erklärung. Im Grunde können keine divergenten Merkmale des Begriffs des Nichtidentischen ausgemacht werden, sondern nur synonyme Bedeutungsüberschneidungen. Die Konsequenz solcher Unmöglichkeit, das Nichtidentische zu erklären, führt dann dazu, es als methodologischen Grenzbegriff auszuweisen, wobei dieser nur zu einer besonderen Erkenntnishaltung gegenüber den Objekten des Denkens verpflichtet ist: »Nichtidentisches wird nicht als das der Sache Anderes wahrgenommen, sondern bezeichnet einen anderen Blick auf die Sache; den, der sich ins Detail versenkt, sich des Besonderen, Individuellen in ihr annimmt«46. Gleiches gilt, wenn man für die Erfahrung des Nichtidentischen eine besondere epistemologische Einstellung einfordert: diejenige, die »gegenüber dem Objekt eine größere Aufmerksamkeit intellektuell aufbringt«47. Alle diese Versuche sind Verlegenheitsversuche, die die begriffskritische Reflexion der Negativen Dialektik entschärfen.

Zweitens wird aus einer genetischen bzw. genealogischen Perspektive, letzteres unter Berufung auf die Leibphilosophie Nietzsches, die Adorno in die Negative Dialektik hat einfließen lassen,48 das Nichtidentische als sinnlich-somatisches Moment bezeichnet. Dieses Moment ist – so die Vorstellung – gleichsam unterschwellig, besser noch: subkutan im Begriff aufgespeichert. Unterhalb der abstraktiven Leistung des Begriffs ruhen Leib- bzw. Empfindungserfahrungen, die in die Begriffsbildung konstitutiv eingeflossen sind, aber im fixierenden, abstraktiven Begriff nicht mehr offen präsentierbar sind. Die genuine Unsinnlichkeit des Begriffs vermag die sinnlichen Qualitäten der Erfahrungsobjekte nicht direkt auszudrücken, allenfalls indirekt. Als Erfahrungsrudiment »schwingt […] die subjektive Empfindung im gewählten Begriff noch mit«, weil »der Gegenstand« dem »Subjekt eine affektive Reaktion aufzwingt«, wenn er »in der engsten Fühlung erlebt wird«49. Die These ist also, dass allein in der expressiven Schicht der Sprache die ursprünglich affektive Reaktion noch zu detektieren ist. Dies mag im Vermögen des sprachlichen Ausdrucks, seiner expressiven Natur, insbesondere dort, wo sie keine epistemologische Funktion, sondern nur poetische Darstellungswirkung haben soll, noch angehen – aber auch im philosophischen Begriff?

Zudem gibt es einen sprachtheoretischen Einwand. Zwar stehen erkennende Subjekte in einem sinnlichen Verhältnis zur Objektwelt; die Umformung zur Objekterkenntnis, zu deren begrifflicher Erschließung, ist jedoch nur im Medium der Sprache möglich. Die Restitution eines subjektiven Empfindungsvermögens in die Welterschließungsfunktion der Sprache bedeutet nichts anderes als ein Repräsentationsdenken, das die sinnliche Erfahrung durch die Begriffssprache – wenn auch hintergründig – abbildbar machen soll. Außerdem: Wenn Adorno das Nichtidentische auch als das Intentionslose bezeichnet hat, so beruht jede sprachliche Ausdrucksgestaltung von Empfindungen letztlich auf intentionalen Akten, die wiederum nur Bewusstseinsintentionen eines Subjekts sein können. Die argumentative Rückführung des Nichtidentischen auf sinnlich-somatische Erlebnisqualitäten kappt eine zentrale Pointe der negativ-dialektischen Kritik am Begriff: dass das Nichtidentische sich nur negativ bestimmen lässt und nicht in der Ausspielung des Sinnlichen gegen das Begriffliche. Der gewählte Umweg über die Reklamation eines subjektiven Empfindens, das vorrangig in die Begriffsbildung eingeht, unterschlägt dessen sprachtheoretische Klärung. Der Weg orientiert sich bei der Genese der Begriffsbildung immer noch kantianisch an der Synthese von Sinnlichkeit und Begrifflichkeit. Letztlich ist fragend anzumerken: Hat Adorno den Ausdruck ›Empfindung‹ nicht für alles unbegriffliche Denken, für falsch verstandene Konkretionen eines nur diffus erfahrbaren ›Unmittelbaren‹, reserviert?

Drittens existiert eine Lesart, die das Nichtidentische von den ethischen Implikationen her, die in der Negativen Dialektik argumentativ ausgestreut sind, bestimmt. Das Nichtidentische wird dadurch nicht mehr zum Verhandlungsterminus für eine negativ-dialektische Begriffskritik, sondern vielmehr dafür, was letztlich das Motiv adornoschen Denkens ist: rettende Kritik durch den Bruch mit der Identitätsdialektik. Erst nach dem Freiwerden vom tradierten Denken, das die Welt der Objekte begrifflich unter sich subsumiert, stellt sich ein, was die Programmatik negativdialektisch impliziert, wenn auch im kontrafaktischen Zustand. Diese Lesart schließt insofern an Adorno an, als dieser betont hat, negative Dialektik

»gäbe das Nichtidentische frei, entledigte es noch des vergeistigten Zwanges, eröffnete erst die Vielheit des Verschiedenen, über die Dialektik keine Macht mehr hätte. Versöhnung wäre das Eingedenken des nicht länger feindseligen Vielen, wie es subjektiver Vernunft anathema ist. Der Versöhnung dient Dialektik«.50

Das Nichtidentische wird so zum Leitbegriff eines Versöhnungsdenkens in geschichtsphilosophischer Reichweite. Die epistemologische Korrektur, die erkenntnisreflexive Maxime der Negativen Dialektik wird eingebettet in einen Wahrheitsanspruch, den Begriffe einlösen sollen: »Das Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen, ist Bedingung aller Wahrheit«51. Vom Standpunkt der philosophischen Referenz heißt dies:

»Die Adornosche negative Dialektik will nichts anderes. Materialistisch sucht sie, noch das Leiden in sich hineinzunehmen […], um einem veränderten Begriff von Erkenntnis den Weg zu bahnen. Genügen würde ihm erst eine solche, welche dem Leiden, das in ihren ›Begriffen sich sedimentierte‹, zum Eingedenken verhülfe«52.

Der Terminus ›materialistisch‹ gemahnt freilich an ein marxistisches Widerspiegelungstheorem in der Erkenntnisbegründung, dem Adorno vehement widersprochen hat: »Hinter jener These [des Materialismus] steht die Verachtung des Geistes zugunsten der Vormacht materieller Verhältnisse als des Einzigen, das da zähle«53. Zudem bleibt die aporetische Frage, die unterhalb einer ethischen Forderung an die Erkenntnis virulent ist, ungelöst: Wenn Leiden, zumal geschichtliches Leiden, in »Begriffen sich sedimentierte«, wie drückt sich diese Sedimentierung im Begriff aus? Und wie ist die Erfahrungsgeschichte in geschichtlichen Begriffen aufbewahrt, sodass sie als beredtes Leiden sich erneut artikulieren kann? Die Crux solcher Fragen liegt darin begründet, dass Begriffe, zumal die philosophischen Termini, aus diskursiven Praktiken stammen, diese aber nie selber direkte Übersetzungen erlebter Leidensprozesse sind. Zwar mögen sich diese diskursiven Praktiken, ihre semantischen Haushalte, durchaus aufgrund von realgeschichtlichen Ereignissen verändern bzw. umcodieren, jedoch sind sie keine kollektiven Gedächtnisbehälter, in denen geschichtliches Leiden eingelagert ist. Wäre dem so, hieße dies, dass geschichtliche Begriffe, zumal auf der Ebene philosophischer Terminologie, ihre semantischen Veränderungen direkt von diesen geschichtlichen Leidenserfahrungen erhalten, die sie widerspiegeln. Dies würde aber den diskursiven Veränderungspraktiken philosophischer Termini widersprechen, die gerade im Prozess intertextueller Auseinandersetzungen ihre originären Bedeutungsfestlegungen wie Wandlungen vollziehen. Der philosophische Begriff ›Freiheit‹ hat zum Beispiel seine eigene Geschichte von Bedeutungsverschiebungen, die aus den philosophischen Abarbeitungen seiner textuellen Auslegungspraktiken stammen, ist aber niemals ein direktes Sediment geschichtlicher Leidenserfahrungen. Zu meinen, dass in philosophischen Begriffen Leidenssedimente enthalten sind, macht diese Begriffe tendenziell zu Widerspiegelungsvokabularien von gesellschaftlichgeschichtlichen Leidensereignissen. Dies umgeht aber die begriffsgeschichtliche Deutungsmaxime, dass historische Begriffe nur der Niederschlag von vergangenen Artikulationspraktiken sind.54 Diese entwerfen niemals eine expressiv-sinnliche Textur geschichtlicher Leidenserfahrung selbst. Leidensgeschichten müssen ›erzählt‹ werden; dies ist ihre Beredsamkeit aus dem erlittenen Schmerz und Protest. Sie finden sich unter Umständen im historischen Quellenmaterial erzählend angezeigt, sedimentieren sich aber nicht im Schatten philosophischer Begriffe, die sich auf das Sinnganze der historischen Erfahrung auslegen.

Daher gilt: Historische Begriffe referieren auf eine vorgegebene textuelle Deutungspraxis, Leidenserzählungen referieren hingegen auf erlebte Geschichtsereignisse, die expressiv ›beredt‹ sein wollen. Die Hermeneutik philosophischer Begriffe ist nicht auf eine Resurrektion von Leidensartikulationen ausgelegt – ihr Ingenium ist es gerade, diese vergessen zu lassen. An historisch-philosophischen Begriffen kann nachträglich negativdialektisch nichts zum ›Eingedenken‹ gebracht werden. Es sei denn, man überdehnt sie in ihrer Bedeutsamkeit, sodass sie zu emphatischen Statthaltern einer ethischen Sollensforderung werden. Bei aller Sympathie dafür bleibt aber der Einspruch, dass ethische Forderungen nicht erkenntniskritische Bedenken und Reflexionen ersetzen können. Dies wäre auch für Adorno unzulässig. Das Fazit lautet daher: Der Begriff des Nichtbegrifflichen, der das Nichtidentische ausmachen soll, kann nicht dadurch gerettet werden, dass er zum materialistischen Schattensubstrat geschichtlicher Philosopheme erklärt wird. Die epistemologische Begriffskritik ist immer noch das Herzstück der Negativen Dialektik, auch wenn in ihr Appelle an die zivilisatorische Leidensgeschichte enthalten sind. Diese ist jedoch primär in der Dialektik der Aufklärung nacherzählt und geschichtsphilosophisch gedeutet.

Viertens gibt es Argumentationsweisen, die das Nichtidentische – ganz im Sinne der Intention der Negativen Dialektik – nicht fixieren, nicht versuchen, es begrifflich einzuholen. Für sie gilt, was der negative Reflexionsmodus der Negativen Dialektik intendiert: keine Klassifikation, keine Substantivierung durch den Begriff, um dem Begriffslosen endlich habhaft zu werden. Das Nichtidentische – und die paradoxale Formulierung muss hier sein – ist dasjenige, was nur im Abweisungsmodus kritisch-reflexiven Denkens sich als ein Entziehendes, als ein Nichtfassbares, als ein Unaussprechliches dem Begreifen widerständig zeigt. Der Terminus ›Nichtidentisches‹ ist eine Grenzmarkierung, ein Argumentationstopos, der sich der Identifikationsgewalt allen begrifflichen Denkens negativ-reflexiv inne wird: »Negative Dialektik ist nicht Reflexion auf die Sache unmittelbar, sondern Reflexion dessen, was daran hindert, der Sache selbst inne zu werden«55. Auch wenn das Nichtidentische gern zum Platzhalter für alle Begrifflichkeiten des Residualen herangezogen wird, so geht es in dieser Lesart nicht um so etwas wie das Übriggebliebene, wenn der Begriff versagt. Vielmehr wird ein negativ-kritischer Reflexionsmodus ins Spiel gebracht, der das Nichtbegriffliche gerade nicht benennt, es aber als selbstreflexives Widerspruchsmoment des begrifflichen Denkens rehabilitiert.

Solchermaßen geht vom Nichtidentischen der Odem des Unvollkommenen aus, das dem Begriff zu eigen ist. Unvollkommenheit ist aber, wie Rosenkranz’ Ästhetik des Häßlichen besagt, nicht bloß das Schlechte, sondern in ästhetischer Hinsicht etwas, was sich erst noch herzustellen hat: »Das Unvollkommene im positiven Sinn entbehrt nur der weiteren Gestaltung, sich ganz als das zu zeigen, was es an sich schon ist«56. Was Adorno als Signifikationsfähigkeit des Begriffs kritisch detektiert, ist das Bestreben des Begriffs nach Vollkommenheit, wenn er zu seinem systematischen Abschluss strebt. Seine qualitative Unvollkommenheit jedoch, die sich als Erfahrungsnegation anzeigt, ist sein konstitutiver Mangel an sprachlicher Ausdruckskraft, an sprachlicher Poiesis. Die begriffliche Funktionalität der Welterschließung schattet ab, dass die Sprache in ihrer Vollkommenheit einen Mehrwert hat, der über den Begriff hinausgeht. Begriffssprache ist eben nicht alles, was die Sprache leistet.

Will man dieses »Mehr«57, dieses den Begriff Übersteigende, das sich erkenntnisreflexiv am Nichtidentischen anzeigt, kenntlich machen, das heißt versuchen zu erklären, so muss dieser Versuch sprachtheoretisch vorgehen. Dies klammert aus, was in der Negativen Dialektik »als untilgbare Differenz von Begriff und Realität […] bekräftigt«58 ist; denn sie ist das Mal, »das die unaufhebbare Nichtidentität von Subjekt und Objekt in der Erkenntnis hinterläßt«.59 Adornos Begriffskritik stützt sich immer noch darauf, dass die Begriffsbedeutung im referentiellen Bezug zu ihrer Sache steht, und zwar so, dass diese als das Andere, als das durch den Begriff Nichtaufhebbare, gedacht wird. Die referentielle Abwesenheit der Sache im Begriff wird so zur Bestimmung des Nichtidentischen. Wenn aber der begriffliche Verweisungssinn der Begriffe auf die stumme Sache nicht mehr federführend ist, also der Einbezug der Objektreferenz ausgeklammert wird, müsste das Begriffslose, der andere Name für das Nichtidentische, auch für eine Interpretation offenstehen, die sich – sprachtheoretisch gewendet – als Reflexion der Begriffstranszendenz auslegt. Gerade weil sich »der Begriff des Nichtidentischen […] durch keine erkenntnistheoretische Aufklärung wegargumentieren läßt«60, müsste ein Versuch über die Sprachtheorie hilfreich sein. Die Begriffstheorie Adornos, die sich am Ausdruckscharakter der Sprache, an ihrer ästhetischen Darstellungsform orientiert, hätte ernst zu nehmen, was im Auseinandertreten von Ausdruck und Sache einzig Sache des Ausdrucks ist: »Sprache wird zur Instanz von Wahrheit nur am Bewußtsein der Unidentität des Ausdrucks mit dem Gemeinten«61. Die Sache des Ausdrucks ist aber die Sache der Rhetorik.

5. Sprachtranszendenz und/​oder Begriffstranszendenz?

Eine Grundmaxime der Negativen Dialektik, die das Nichtidentische im Begriff, und zwar nur in diesem selber, zu detektieren sucht, lautet: »Philosophische Reflexion versichert sich des Nichtbegrifflichen im Begriff«62. Die sprachkritische Pointe, das Nichtidentische im Begriff zu denken, bezieht ihre kritische Volte aus einem Versagen der prädikativen Sprache, weil diese nicht identisch ist mit der semantischen Fülle der Sprache sowie ihrer sinnlichen Ausdrucksqualitäten.

Wenn Adorno das Unausdrückbare einfordert, um das sich die Philosophie zu bemühen habe, so liegt dies nicht im Jenseits, nicht im Übernatürlichen; auch nicht in einer existenzphilosophisch fabulierten Transzendenzerfahrung, für die Jaspers den Grenzbegriff ›Chiffre‹ reservierte. Schon gar nicht ist es mit dem religiös konnotierten Wort des ›göttlich Numinosen‹ zu vereinbaren. Der Transzendenzbegriff Adornos, dies zeigt sein Kunstverständnis, war immer innerweltlich bestimmt. Kunstwerke, so Adorno, »produzieren eine Transzendenz sui generis […]. Ihre Transzendenz ist ihr Sprechendes oder ihre Schrift, aber eine ohne Bedeutung oder, genauer, eine mit gekappter oder zugehängter Bedeutung«63. Das Unausdrückbare, für das der ästhetische Transzendenzbegriff einsteht, ist nicht durch eine Aufkündigung des Weltbezugs zu haben; er ist an die sprachliche Ausdruckskreativität geknüpft, die sich im Kunstwerk realisiert. Übertragen auf die Begriffstheorie der Negativen Dialektik heißt dies, dass die negativ-kritische Interpretation des Unausdrückbaren einzig sprachtheoretisch auszuweisen ist, indem das Ineinander, die wechselseitige Verwiesenheit von Begrifflichem und Unbegrifflichem aus ihrem ›internen Negationsverhältnis‹64 erklärbar wird. Dies gelingt nur, wenn erfasst wird, was über die urteilslogische Ist-Funktion der Sprache sprachlich ›hinausweist‹ bzw. diese transzendiert. Solchermaßen ist das Transzendente, das Adorno als die Sprachähnlichkeit der Kunstwerke bezeichnet, eine Ausdruckform, die das Unsagbare, mithin das Begriffslose, als ein sprachliches Transzendieren kennzeichnet. Folglich ist das Nichtidentische sprachtranszendent zu bestimmen.

Dies darzulegen, hat Glauner versucht.65 Sein Gedankengang, von dem es sich hier letztlich abzusetzen gilt, ist dabei folgender: Es gibt das sprachtheoretische Paradox, »daß wir den Gebrauch eines Zeichen zwar beschreiben, damit jedoch nicht seine Bedeutsamkeit erklären können«66. Was heißt dies genau? Die Erklärung kann durch die Kritik am gebrauchsorientierten Sprachverständnis, so wie es von der analytischen Sprachphilosophie verwendet wird, erfolgen. Die Bedeutung, also die Semantizität der Zeichen, ergibt sich durch die faktische Gebrauchsfunktion der Zeichen im Sinne von urteilslogischen Prädikationen, die den Sprache-Weltbezug auf diese Weise festlegen. Man kann also lebensweltliche Funktionen der Zeichenbedeutungen zeigen, das heißt beschreiben, nicht aber eigentlich die Bedeutsamkeit der Bedeutung im Sprache-Weltbezug selber. Anders formuliert: Man kann die sprachpragmatische Funktion der Semantizität aufzeigen, nicht aber die Bedeutung der Semantizität der Zeichen erklären. Es gibt also – wie Glauner konstatiert – so etwas wie eine »Unterbestimmtheit des Sprache-Weltbezugs«, die aussagt, dass letztlich das genuin Semantische nicht »im Sinn einer Letztbegründung objektiviert und so begründet werden«67 kann. Die Sprachkritik Adornos (wie auch die Heideggers) setzt hier an, indem sie einerseits die urteilslogische Identifikationsfunktion der Sprache als Verkürzung der Sprache selbst hervorhebt und andererseits auf einer ›Mehr‹-Qualität der Sprache insistiert. Das Urteil lautet deshalb: »Nicht zielt er auf Überhöhung der Unsagbarkeit zur Eigentlichkeit [wie etwa Heidegger, T. J.], sondern er versucht in der Reflexion des urteilstranszendenten Mehr des Gegebenen ›zu sagen, was sich nicht sagen lässt‹«68. Zu sagen versuchen, was sich nicht sagen lässt, heißt für Adorno, das »›Surplus des Materialen‹ in der Sprache aufzusuchen«69. Hier wie auch in anderen Lesarten des Nichtidentischen, mithin des Begriffslosen, dominiert die Frage der semantischen Transzendenz bei Adorno ›allein‹ im Sprache-Weltbezug, also auf der Ebene einer referentiellen Bezugnahme der Zeichen bzw. der Begriffe. Für Adorno ist die Sprachtranszendenz daran gebunden, und die Negative Dialektik liefert hierfür mehr als eine Belegstelle, dass das Überschreitende der urteilslogischen Sprachfunktion in der Verwiesenheit des Sprache-Weltbezugs auf ein Materielles begründet ist. Anders formuliert: Der sich in der Sprache anzeigende Mehrbestand resultiert nicht aus einem ›Innerhalb‹, sondern einzig aus einem ›Außerhalb‹ der Sprache. Die Semantizität bleibt am Referenzbezug kleben. Bei Adorno nimmt die Semantizität zudem noch das geschichtlich-materiale Moment des Sprache-Weltbezugs in sich auf. Die Crux dieser Konzeption der Sprachtranszendenz liegt nicht so sehr im Überschreitungsmodus einer urteilslogischen Sprache, auch nicht in der Annahme eines expressiven Mehrgehalts, das die Sprachtranszendenz ins Spiel bringt; sie liegt im Verständnis des Transzendenzbegriffs selbst. Entweder wird er so definiert, dass ein Sprachtranszendentes die Negation der urteilslogischen Identifizierungspraxis ist, also das Entzugsmoment; oder es wird durch ihn etwas bezeichnet, das jenseits der objektsprachlichen Bezugnahme allein und ausschließlich aus dem offenen Procedere von semantischen Ausweitungen des Begrifflichen besteht. Wenn man so will: eine Begriffstranszendenz, die sich aus der Polysemie von Begriffen konstellativ bilden lässt. Man muss also die Sprachtranszendenz, die Adorno für das Nichtidentische der Sprache einklagt, abgrenzen von einer Begriffstranszendenz, die das Nichtidentische der Begriffssprache aus dem gegenseitigen Verweisungszusammenhang, in dem Begriffe ständig stehen, herleitet. Auch dafür gibt es in der Negativen Dialektik eine argumentative Intonation, freilich schwächer und eher implizit angesprochen. Die Begriffstheorie Adornos ist nicht identisch mit seiner Sprachtheorie, gleichwohl haben sie in dem Grundprinzip des Transzendierens von bestehenden wie fixierten Bedeutungsinskriptionen ihre Gemeinsamkeit. Die Differenz beider aber liegt darin, dass die Sprachtranszendenz bei Adorno – so zeigt es jedenfalls Glauner auf – das ›Mehr‹ der Bedeutung auf ein materielles Moment des Sprache-Weltbezugs zurückführt, während die Begriffstranszendenz – so die These hier – allein das Überschreiten fixierter Bedeutungen anvisiert: »Die Begriffe einer Sprache haben ihre Bedeutung nicht aus dem Bezug auf einzelne Sachen« – also ihrem referentiellen Bezug –, »sondern wesentlich aus ihrer Beziehung zueinander; nur indem sie implizit aufeinander verweisen, können sie auf etwas an ihren Objekten verweisen«70. Bleibt der letzte Halbsatz gestrichen, hat man die Grundidee der Konstellationsbildung von Begriffen, die sich ausschließlich der Begriffstranszendenz verdankt.

6. Begriffstranszendenz durch Konfigurationsbildung

Adorno benutzt zwar den Terminus Konstellationsbildung, für eine sprachtheoretisch-rhetorisch reklamierte Begriffstranszendenz wird hier jedoch der Terminus Konfigurationsbildung gewählt. Figurationsbildung meint jetzt die begrifflichen Konstellationen durch Begriffstranszendenz. Zudem weist der Terminus Konfigurationsbildung nachdrücklich auf »das rhetorische Moment« hin, das Adorno, »entgegen der vulgären Ansicht«, für das dialektische Denken »kritisch zu erretten«71 trachtet.

Wir müssen nicht nochmals im Einzelnen auf die gängigen Lesarten des Konstellationsbegriffs bei Adorno eingehen. Festzuhalten bleibt, dass der Gebrauch dieses Begriffs eine gewisse Bedeutungsinkonsistenz aufweist. Federführend wird er dafür exponiert, dass die begriffliche Konstellation den Erkenntniszugang zum Singulären, zum Besonderen ermöglicht: gleichsam ein Universalschlüssel, besser noch eine »Nummernkombination«72, die »das Spezifische des Gegenstandes [belichtet], das dem klassifikatorischen Verfahren gleichgültig ist«73. Der Konstellationsbegriff fungiert als eine ›repräsentative Modellanordnung‹ für die Sache, die der Begriff zwar meint, die aber erst durch seine Begriffskonstellation erreichbar ist. Nicht umsonst formuliert Adorno, dass die Konstellation »von außen«, dasjenige repräsentiert, »was der Begriff im Innern weggeschnitten hat«74. Die Hypothek, die dieser Konstellationsbegriff auf sich nimmt, besteht darin, dass die Konstellation erkenntnistheoretisch ersetzen soll, was der klassifikatorische Begriff nicht einlöst: Die Besonderheit der Sache, die Singularität des Objekts erfahrbar zu machen.75 Nicht, dass die Sache selbst sich durch die Konstellation direkt abbilden würde – ein Gedanke, den Adorno gänzlich von sich weisen würde. Doch steht die Herstellung einer reflexiven Versuchsanordnung, also die Konstellationsbildung, ganz im Zeichen einer Aufschlüsselung dessen, was die Sache selbst ist. Anders ausgedrückt: Die durch den Begriff verursachte Abspaltung des sinnlich Materiellen soll durch die Konstellationsbildung rückgängig gemacht werden. Die für den Konstellationsbegriff leitenden Topoi sind deshalb auch bezeichnend: ›Vorrang des Objekts‹ und ›materialistischer Erfahrungsbezug‹.

Der Konstellationsbegriff wird somit systematisch und begründungstheoretisch in die vorausgesetzte Dialektik von Subjekt und Objekt zurückgebunden, und zwar so, dass sie erkenntniskritisch die Präsupposition des erkennenden Subjekts zugunsten eines Widerspruchscharakters des Objekts zurücknimmt. Der Konstellationsbegriff ist fundiert in einer rein erkenntnistheoretischen Kritik, die weniger sprachtheoretischer denn bewusstseinstheoretischer Natur ist. Das Begriffstranszendierende, das Nichtidentische oder auch Begriffslose wird als ein eigentlich sprachlich Immanentes, dadurch nicht mehr ausreichend, reklamierbar. Der Konstellationsbegriff wird auf eine reine referentielle Bezugnahme auf ein Erkenntnisobjekt ausgerichtet. Dies heißt aber, dass das Phantasma einer Objektrepräsentation, auch wenn sie nur modellhaft sprachlich sich darstellt, weiterhin gewahrt bleibt; was im Kern einem Repräsentationsdenken folgt. Das Versprechen der Konstellationsbildung lautete: Indem sich das Objekt »einer monadologischen Insistenz« öffnet, besteht »die Möglichkeit zur Versenkung ins Innere«; die jedoch »bedarf des Äußeren«76, also dessen, was durch Begriffe von ihm getrennt wird. Trügerisch ist diese konstellativ verfahrende Objektöffnung allemal, denn sie verlangt ein »Kommunizieren mit dem, wovon der Begriff es trennte«77. Dabei soll doch die Konstellation den »Begriff umkreisen, den er [der theoretische Gedanke, T. J.] öffnen möchte«78. Wenn die Konstellationsbildung nicht an das Objekt adressiert ist, sondern – wie Adorno sagt – einzig »lesbar als Zeichen der Objektivität: des geistigen Gehalts«79, dann erlaubt sie, worin sich der geistige Gehalt von Begriffen austobt: die philosophische Darstellung dessen, was die fixierten Begriffe verflüssigt, worauf sie in ihrem sprachlichem Mehrgehalt anspielen, wenn sie aus ihrem klassifikatorischen Identitätszwang befreit sind.

Der Konstellationsbegriff bei Adorno wird ein anderer, wenn er die konfigurative Kraft entbindet, die den Begriffen innewohnt und die die Begriffe über sich ›hinausgelangen‹ lässt. Diese andere Bestimmung des Konstellationsbegriffs geht einher mit dem, was Adorno in Analogie zum musikalischen Komponieren angeführt hat: Es gewinnt seine Objektivität durch einen musikästhetischen Zusammenhang, in dem einzelne Töne zu einem Gesamtwerk werden. Man muss noch einmal zurückgehen auf das, was Adorno früh schon in seiner Studie zu Kierkegaard als den Grundgedanken der philosophischen Konstellationsbildung vorwegnahm: »Kunstwerke gehorchen nicht der Macht der Allgemeinheit von Ideen. Ihr Zentrum ist das Zeitliche und Besondere, auf welches hin sie als dessen Figur sich ausrichten: was sie mehr bedeuten, bedeuten sie einzig in der Figur«80. Konstellationsbildung muss man in diesem Sinne begreifen: als Figuration, die sich durch sprachkreatives Konfigurieren von Begriffstranszendenzen herausbildet.

Diese etwas andere Bestimmung des Konstellationsbegriffs bei Adorno kann man auch an seiner Adaption des Terminus Konstellation festmachen, wie er von Benjamin in Analogie zur Sternenkunde beschrieben wurde, derzufolge Sternenkonstellationen eine Figuration am Himmel bilden, die als Sternenbilder bezeichnet werden. Diese sind aber Gestaltungen, die mit der Materialität der Sterne und den Prozessen ihrer Kreisbahnen nicht zu identifizieren sind. Als Bilder stellen sie eine konfigurative Anordnung von Einzelsternen da, die niemals durch diese selber erzeugt werden können; erst ihre internen Verweisungsbezüge stiften jenes Sternenbild, das sich als Kompositionsbildung am Himmel sprachlich benennen lässt. Übertragen heißt dies: Konfigurationsbildungen sind herstellbar aus den gegenseitigen Verweisungen von begrifflichen Transzendierungen. Diese stammen aus den semantischen Feldern der einst designativ verwendeten Begriffe. Negativ formuliert lautet dies: Die Begriffe sind nicht mehr die, die sie denotativ bedeuten. Ihre semantischen Transzendierungen verhalten sich zu diesen wie das Andere ihrer selbst. Die Konfigurationsbildung ist dann das Auffinden und Anordnen ihrer internen semantischen Verweisungszusammenhänge, nachdem die Begriffe in ihrer Bedeutung transzendiert worden sind.

Vergleicht man die beiden Bestimmungen des Konstellationsbegriffs bei Adorno, so kann als Fazit gelten: Die erste Bestimmung ist die der konstellativen Anordnung, in der das Denken und die Objekterfahrung in der Art und Weise einer begrifflichen Konstellation ausgedrückt werden. In dieser Konstellation soll die »Spur der Bestimmtheit der Objekte an sich«81 ansichtig werden. Ihre Sachlichkeit bleibt durch das »Einzelmoment in seinem immanenten Zusammenhang mit anderen gewahr[t]«82. Die zweite Bestimmung ist die der begrifflichen Transzendenz, und zwar so: »daß der Begriff den Begriff, das Zurüstende und Abschneidende übersteigen und dadurch ans Begriffslose heranreichen könne«83. Konstellativ wird gebildet, was sich durch begriffliche Transzendierungen als kohärente Figurationen sprachlich-rhetorisch finden bzw. erzeugen lässt. Rhetorisch übersetzt bedeutet dies: ›Inventio‹, also Auffinden, und ›Dispositio‹, also Anordnung, sind gleichermaßen Akte der Konfigurationsbildung. Beide bilden kein Seiendes ab, sondern fügen dem »Rätsel des Seienden«84 eine weitere philosophische, textuelle Deutungsmöglichkeit zu.

Wie ist nun die Konfigurationsbildung im Einzelnen zu verstehen bzw. zu erklären? Zunächst ist der philosophische Begriff von seiner designativen Bezeichnungsfunktion zu lösen. Begriffstheoretisch wird nicht mehr nach dem referentiellen Bezug, sondern einzig nach der möglichen Veränderbarkeit des Verhältnisses von Begriff (zeichentheoretisch: der Signifikant) und seiner Bedeutung (zeichentheoretisch: das Signifikat) gefragt. Die semantische Transzendierung des Begriffs beruht allein darauf, den geläufigen, das heißt denotativen Verweisungszusammenhang zwischen dem Begriff und seiner Inhaltsbedeutung aufzubrechen. Ausgehend davon, dass der Begriff ›mehr‹ bedeutet als das, was für seine eindeutig denotative Bedeutung festgelegt ist, muss folglich nach seiner Mehrdeutigkeit gesucht werden. Die Brücke, um dieser Mehrdeutigkeit habhaft zu werden, besteht in der Möglichkeit, den Begriff ›wie eine Metapher für sein Anderes‹ anzusehen. Dieses Andere ist nach Aristoteles zunächst das Ergebnis einer reinen Übertragung eines Wortes von einer Sache auf eine andere bzw. die Ersetzung oder Substitution eines Wortes durch ein anderes Wort. Wenn man aber die Übertragung nicht nur als eine wörtliche Ersetzung ansieht, erhält die Metapher oder die Metaphorisierung einen alternativen Sinngehalt. Es steht dann nicht semantische Deckungsgleichheit zwischen Originalwort und Ersetzungswort im Vordergrund, also die reine semantische Analogisierung, sondern Übertragung im Sinne von sprachlichen Erweiterungsmöglichkeiten. So betrachtet hat die Metapher die sprachliche Funktion einer semantischen Ausweitung der zugrundeliegenden Lexeme. Auf diese Weise wird das Bedeutungsspektrum des Begriffs aufgefächert, und zwar so, dass ein ›Mehr‹ des ursprünglich denotativ festgelegten Begriffs zur Verfügung steht. Der Prozess der Metaphorisierung eines Begriffes inauguriert also ›neben‹ einer reinen Ersetzung von Begriff zu Begriff zugleich eine Veränderung der Bedeutungsinhalte der zugrundeliegenden Begriffe. Die Begriffe werden auf eine Polysemie ihrer Bedeutungen hin ›geöffnet‹, die die bisherigen Sinngehalte transzendiert.

Eine treffende Veranschaulichung für eine metaphorische Überschreitung findet sich bei Adorno selbst. In seinem Text Der Essay als Form heißt es bezüglich der Eigennatur des Essays: »Er verläßt die Heerstraße zu den Ursprüngen«85. Zunächst besteht auf lexikalischer Ebene kein identischer Bedeutungsgehalt. Erst die Metaphorisierung generiert eine wechselseitige Ähnlichkeitsübertragung, die in dem einfachen antonymen Verhältnis zwischen den Lexemen ›Heerstraße‹ und ›Ursprünge‹ so nicht angelegt ist. Nur die metaphorische Übertragung erlaubt eine semantisch aufschlussreiche Konnexion. Die stichwortartige Übersetzung dieser semantischen Konnexion lautet in etwa so: ›Heerstraße‹ ist ein Begriff des Militärs, er steht für ein gewaltsames Vorgehen, das keine Abwege, keine Verzweigungen kennt, sondern Ausdruck eines militär-strategischen Vorwärts-Denkens ist. Die Übertragung auf den Terminus ›Ursprung‹ verändert dessen denotativen Bedeutungsgehalt. Der Begriff ›Ursprung‹ bzw. seine Bedeutung der Ursprünglichkeit verliert seine Positivität; er wird zum Statthalter eines Denkens, das das Gegebene auf eine fixierbare Abkünftigkeit, auf eine genealogische Herkunft festlegt, die wie eine ›Heerstraße‹ jedes Andere, jedes Fremde ausmerzt. Auf diese Weise wird reines Ursprungsdenken semantisch mit der Gewalt militärischen Denkens parallelisiert: Der Weg zu den Ursprüngen gleicht der Kartographie militärischer Schneisen, die man ins Feindesland treibt. Nun kann man fragen, wie Adorno zu einer solchen Metaphorisierung kommt. Den Hintergrund bildet seine Kritik des Identitätsdenkens, denn jede Form des Ursprungsdenken legt fest, fixiert und bindet Seiendes an eine Abkünftigkeit, die nichts öffnet, nichts alternierend denkt und zulässt, hingegen alles gleichschaltet. In der Metaphorisierung werden semantische Potenzen der Begriffe freigesetzt, die in ihrer denotativen Semantik (das heißt der üblichen Sprachbedeutung) nicht zum Tragen kommt. Bezogen auf die konkret genannte Metapher heißt dies: Der Begriff ›Ursprung‹ erhält durch die Bildlichkeit des Begriffs ›Heerstraße‹ ein Surplus inhaltlicher Bestimmung, die geradezu das Negativum zur gewöhnlichen Denotation des Begriffs bildet. Man kann auch im Tenor Adornos sagen, dass die Metaphorisierung ein Moment des Nichtidentischen im Begriff ›Ursprung‹ aufzeigt. Begriffskritisch gewendet heißt dies: Jedem Begriff ist eine tranzendierende Semantisierbarkeit inhärent, die erst mittels der Metaphorisierung des zugrundeliegenden Begriffs zum Ausdruck gelangen kann.

Gleichwohl ist aber deutlich, dass erst durch die Bildung eines Satzes, eines Aussagesatzes, eine Metaphorisierung vollständig wird und nicht etwa durch bloße Wort-durch-Wort-Ersetzungen. Es gilt der Satz von Ricœur, dass »die Metapher als Teil eines Satzes«86 anzusehen ist und nicht als nominales Theorem. Letztlich steht kein Satz in seinem explikativen Sinn für sich; er strebt von sich aus zur Gestaltung eines Textes, dessen semantischen Teilaspekt er vertritt. Von daher kann man folgern, dass die Metaphorisierung eines Begriffs eine vorausweisende Sinnspur für eine Satzaussage produziert, so, wie die Satzaussage das Gleiche für einen Text bewirkt. In dieser einen Sinn produzierenden Transzendierung (›vom Begriff zur Metapher, von der Metapher zum Satz, von diesem zum Text‹) liegt das schöpferische Ingenium der Sprache. Ermöglicht wird dies zuallererst dadurch, dass es auf der Ebene der Begriffstranszendenz zu einer Parallelisierung der jeweiligen Bedeutungsfelder kommt, die den betreffenden Begriffen (hier ›Heerstraße‹ und ›Ursprünge‹) zugehörig sind. Konkret heißt dies: Die semantischen Felder können konfiguriert werden, weil es Bedeutungsähnlichkeiten gibt, die gegenseitig wie wechselseitig aufeinander verweisen, die aber selbst nicht in der semantischen Reichweite der jeweiligen Einzelbegriffe aufzufinden sind. Man kann dies als eine gestiftete Begriffsmimesis ›zwischen‹ Termini bezeichnen.

Für Adorno war die Mimesis, als ein ursprünglich archaisches Überlebensmoment des Menschen, ein rudimentäres Erfahrungsmoment, das sich dem begrifflichen Identifikationszwang entgegenstellt. Die Mimesis bewahrt etwas im Begriff, das ihm fremd ist, das er gleichwohl nicht ganz abstoßen kann: »Nicht anders vermag der Begriff die Sache dessen zu vertreten, was er verdrängte, der Mimesis, als indem er in seinen eigenen Verhaltensweisen etwas von dieser sich zueignet, ohne an sie sich zu verlieren«87. Begriffstheoretisch wird diese Zueignung jetzt nicht mehr – wie bei Adorno – als archaisches Moment einer ersten Rationalisierungsphase des Geistes gegenüber der Angst machenden Natur verstanden. Diese Zueignung soll kein anthropologisches Residuum sein, sondern ein sprachästhetisches Ingenium, das die reine Zeichenhaftigkeit des Begriffs sprachlich verbildlicht, das heißt konfiguriert.

Den Übergang von der Konfiguration begriffstranszendenter Verweisungssemantiken zu einem Text führt nicht über die Metapher allein, denn diese ist bezogen auf die Satzaussage. Was in den vorgenannten Transzendierungsstufen noch fehlt, ist das Zwischenglied, die Allegorie; zumal diejenige Allegorie, die sich zum philosophischen Text ausweitet. Zwar geht die Allegorie aus der Konfiguration von Begriffsmetaphern hervor, zeichnet sich aber dadurch aus, dass sie, ausgehend von der satzförmigen Metaphernfiguration, diese zu einer geistigen Rede bzw. Erzählung transformiert. Anders ausgedrückt: Aus den anfänglich metaphorischen Begriffstranszendenzen wird eine geistige Erzählung generierbar, die sich als eine Sinn konstituierende Form letztlich zu einem Text auslegt. Das angeführte Beispiel ›Heerstraße zu den Ursprüngen‹ kann auf diese Weise zu einer Stiftungsallegorie für einen Text werden, der sich – ausgehend von der metaphorischen Transzendenz beider Begriffe – zu einem Text generiert, der sich über die identitätsfixierende Gewalt des Ursprungsdenken auslässt. Die Referenz dieses Textes wäre nicht mehr die Natürlichkeit eines Ursprünglichkeitsdenkens, sondern dasjenige, was ausgehend von der tradierten Bedeutung des Begriffs ›Ursprung‹ diese alternierend bedeutsam (das heißt negativ-kritisch) transzendiert. Die Herkunft dieser Referenz wäre damit in der sprachlich-rhetorischen Genealogie zu suchen, die Adorno kryptisch so bezeichnet hat: »An ihr [der Negation] ist die Anstrengung, über den Begriff durch den Begriff hinauszugelangen«88. Diese Anstrengung ist das Erfordernis, die Begriffskritik Adornos sprachtheoretisch anzugehen – und nicht etwa mit Kategorien aus der Bewusstseins- oder Subjekt-Objektphilosophie.89

Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 40/41

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