Читать книгу Fides. Chronik eines Frauenlebens. - Hanns Sedlmayr - Страница 5
Vom Scheitern der Liebe
ОглавлениеFür den Roman “Stiller“ von Max Frisch entwickle ich eine wahre Leidenschaft. Ich schreibe Fides lange Briefe über das Buch, weil sie im Café immer so gelangweilt schaut, wenn ich über den Roman doziere.
Es war das Liebespaar Julika/Stiller das mich so stark berührt hat. Vermutlich war es das von Anfang an absehbare Scheitern der Beziehung.
Ich übertrug dieses Scheitern auf unsere Beziehung und litt unter der Angst, die dieses befürchtete Scheitern bei mir verursachte.
Auch die seitenlangen Briefe führen nicht dazu, dass meine Freundin sich für den Roman interessiert.
Ich versuche sie fast zwanghaft dazu bewegen den Roman zu lesen, ohne Erfolg.
Ich hatte gehofft von ihr einen Hinweis zu erhalten, dass unsere Beziehung nicht scheitert.
Mit meinem Freund Hans Schuster, er ist ein paar Jahre älter und studiert Germanistik und Englisch, diskutiere ich nächtelang über das „Rätsel Weib“. Wir machen nur sehr geringe Fortschritte in der Erkenntnis über dieses Phänomen. Hans hatte noch weniger praktische Erfahrung hinsichtlich unseres Untersuchungsgegenstandes als ich, hat aber ein breites literarisches und philosophisches Wissen zu diesem Thema.
Neben dem Rätsel Weib diskutieren wir auch über das Rätsel Liebe.
Hier eine Auswahl der Zitate die Hans gerne anführte:
Schopenhauer:
„Liebe ist Objektwahl, wobei nicht das Individuum im Vordergrund steht, sondern die Spezies. Also eine übergeordnete über dem individuellen Rahmen hinausgreifende Instanz. Es geht um die Zusammensetzung der neuen Generation“.
Ortega y Gasset:
„Liebe ist eine Form des Strebens, eine Begierde, sie ist eine ewige Unbefriedigtheit, ein Strömen aus Seelenmaterie, ein Fluss, der ohne Unterbrechung, wie aus einer Quelle hervorsprudelt, erotisches Gefühl regt sich in uns nur beim Anblick von etwas, was uns als Vollkommenheit gilt. Individualität zu zweit. Liebe ist ihrem eigenen Wesen nach Wahl. Und da sie aus dem Kern der Person, aus der Seelentiefe aufsteigt, sind die Auswahlprinzipien, die über sie entscheiden, zugleich die innersten und geheimsten Wertungen, die unseren individuellen Charakter formen“.
von Keyserling:
„Wie wir nichts sehen können, das einem Menschenantlitz im entferntesten ähnlich ist, ohne auch einen Ausdruck zu sehen, so können wir nicht den Körper begehren, ohne auch das Seelische, von dem er durchtränkt ist, dessen Regungen er in jedem Augenblick ausdrückt, zu begehren.“
Das Zitat von Keyserling stammt aus einem Aufsatz mit den Titel „Über die Liebe“ den Hans mir zum Lesen gab und der mich sehr bewegt hat.
Der Aufsatz öffnete mir das Verständnis für die Wechselwirkung von Körper und Geist in der Liebe. Ich war bewegt von der körperlichen Schönheit von Fides. Gleichzeit war ich auch berührt von der Skepsis, der Klarheit und Ehrlichkeit mit der sie ihre Gefühle zum Ausdruck brachte.
Bei unseren Café Besuchen und auf Spaziergängen berichte ich Fides über den jeweiligen Stand der Erkenntnisse von Hans und von mir zum Thema Liebe und Frauen. Sie belächelt unsere Gespräche und ich bin oft eingeschnappt, weil sie unsere Gespräche nicht ernst nimmt. Unsere Treffen laufen nach einem fast unveränderten Schema ab. Zu Beginn berichte ich emotional bewegt von literarischen und philosophischen Erfahrungen die ich gemacht habe. Fides hört eher uninteressiert zu. Mein Elan stirbt ab. Ich beginne zu schmollen. Fides lenkt unser Gespräch auf praktische Dinge die für das Abitur hilfreich sein könnten. Etwas wiederwillig folge ich ihr. An Abenden schmusen wir zum Abschluss an den leeren Ständen des Viktualienmarkts oder gehen in die Friedrich-Herschel-Straße. Es gibt nur ein philosophisches Thema das Ihr ungeteiltes Interesse findet und über das wir immer wieder kontrovers diskutieren, das ist das Scheitern der Liebe. Ich bin hinsichtlich der Liebe Optimist, ich glaube dran, dass es die Liebe gibt und dass sie auch von Dauer sein kann. Meine Freundin ist eher skeptisch und hält die Liebe für ein flüchtiges Ding. Sie zitiert gerne einen Ausspruch von Rochefoucault: „Mit der Liebe ist es wie mit den Gespenstern alle reden davon, aber keiner hat sie je gesehen.“ Dass sie so skeptisch über die Liebe denkt macht mir Angst. Die Vorstellung, dass unsere Liebe flüchtig sein könnte quält mich. Es ist jetzt nicht mehr nur Ihre Schönheit und ihre Zärtlichkeit die mich berührt. Es ist auch die Lust, die sie mir im Liebesakt schenkt. Diese Lust umhüllt mich noch Tagelang. Ich lebe dann auf einer rosigen Wolke und finde das Leben herrlich. Fides ist sehr zärtlich in der Liebe aber sie bleibt immer am Boden. Meine Höhenflüge beobachtet sie wohlwollend, schreibt sie aber meinen Temperament und meiner Unerfahrenheit zu. Manchmal macht sie sich auch lustig über meinen Überschwang an Gefühlen. Hinsichtlich der Liebe war eine der Lieblings Thesen meines Vaters ein Zitat von Schopenhauer „Liebe ist der Lebenswille des zukünftigen Geschlechts“.
Seit Fides mit mir schläft habe ich Zweifel, dass mein Vater Recht hatte. Zu großartig ist das Gefühl das ich dabei empfinde. Es kann nicht nur zum Zwecke der Fortpflanzung entstanden sein.
Aus unseren Diskussionen zum Thema Liebe geht Fides immer als Sieger hervor. Meine Argumentation steht auf schwachen Beinen. Ich plädiere für die dauerhafte Liebe weil ich fühle, dass meine Liebe zu Fides von Dauer ist.
Fides argumentiert immer mit praktischen Beispielen.
Sie fragt zum Beispiel „wie war das bei Deinen Eltern, war das eine dauerhafte Liebe?“
Im Fall meiner Eltern muss ich klein beigeben. Das war keine dauerhafte Liebe. Mein Vater war ein gut aussehender sportlicher Mann und hatte lange Zeit eine Freundin, mit der er, nahezu jedes Wochenende, zum Bergsteigen ins Gebirge fuhr. Die Freundin war Buchhändlerin in der Kleinstadt in der wir lebten. Ihr Laden und die Kanzlei meines Vaters waren am Marktplatz. Mein Vater hat nie versucht seine Liaison geheimzuhalte. Er hat meine Mutter aufgefordert sich auch einen Liebhaber zu nehmen.
Meine Großeltern hatten am selben Marktplatz eine Bäckerei mit einem Café. Meine Großmutter war eine große stattliche Frau. Sie hat einmal die eher zierliche Buchhändlerin aufgelauert und geohrfeigt. Mein Vater hat daraufhin getobt und von meiner Großmutter gefordert, dass sie sich entschuldigt. Ich glaube nicht, dass meine Großmutter das getan hat.
Mein Vater hat auch mit unserem Dienstmädchen geschlafen. Meine Mutter hat das entdeckt, weil sie in der Unterhose meines Vaters Blutspuren fand und wusste, dass das Dienstmädchen ihre Periode hatte. Der Beischlaf mit dem Dienstmädchen fand im Keller statt. Mein Vater pflegte am Morgen zum Schuhputzen den Keller aufzusuchen.
Als ich 12 Jahre alt war durfte ich einmal an einem Wochenende mit ins Gebirge. Mein Vater nahm auch seine Freundin mit. Es war nicht mehr die Buchhändlerin, die hatte sich von ihm getrennt und war weggezogen, nachdem er sich nicht scheiden lassen wollte.
Ganz selbstverständlich musste ich auf der Hütte im Lager schlafen, während mein Vater und seine Freundin ein Doppelzimmer bezogen.
Meine Mutter hat sich für seine Seitensprünge gerächt in dem sie ihm dauerhaft Ihre Liebe entzog.
Als mein Vater gestorben war hatte meine Mutter viele Jahre lang eine Liebesaffäre mit dem Mann ihrer besten Freundin.
In der Familie von Fides sieht es nicht besser aus.
Fides Mutter Pelagia stammt aus einer polnischen Familie, die kurz vor dem ersten Weltkrieg in das Ruhrgebiet emigriert war. Die Mutter war Analphabetin. Der Vater hat es später zum persönlichen Chauffeur des Thyssen Chefs gebracht.
Ihre Mutter ist über den zweiten Bildungsweg zuerst Krankenschwester dann Ärztin geworden. Sie hat ihren Mann in München auf einem Studentenfest kennengelernt. Theo studierte Maschinenbau und war in einer katholischen Studentenverbindung die gegen Hitler opponiert hat. Er wurde 1940 von der Gestapo verhaftet und vom Studium relegiert und zu einem Studentenbataillon der Wehrmacht eingezogen.
Im Frühling 1942 wurde er schwer verwundet und lag in einem Lazarett in der Nähe von Stalingrad.
Pelagia hatte gerade ihr Medizinstudium abgeschlossen und machte sich auf den Weg, um Ihren Theo nach Hause zu holen. Einzige Ausrüstung war Ihrer Approbation als Ärztin. Sie fuhr ohne irgendeine Genehmigung mit Zügen der Wehrmacht bis zu dem Feldlazarett in dem Theo lag.
Die Verwundung von Theo war von den dortigen Ärzten notdürftig behandelt worden. Er hatte einen Schuss in sein rechtes Bein erhalten. Als Pelagia im Lazarett ankam lag er apathisch in einem abgelegen Zelt des Lazaretts.
Die dortigen Ärzte konnten nichts für ihn tun und gaben Pelagia die Erlaubnis ihren Mann mitzunehmen.
Sie brachte ihn in eine Klinik in Tölz. Dort wurde sein Bein verkürzt. Theo konnte mit Spezialschuhen fast normal gehen.
Nachdem seine Verwundung verheilt war begann Theo Medizin zu studieren. Fides wurde 1944 geboren. Ihre Schwester Eva 1943. Kurz nach Kriegsende eröffnete Pelagia eine Praxis für Allgemeinmedizin in der Sendliger Straße in München. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt zwei Kleinkinder und einen studierenden Mann.
Die Mutter ist die dominierende Person in der Familie. Sie regiert die Familie mit harter Hand. Sie ist ehrgeizig und gefühllos. Mann und Töchter müssen so funktionieren wie sie es sich vorstellt. Bei Abweichung regiert sie kalt und gnadenlos. Als ich den Vater kennenlerne ist er durch jahrelange Unterdrückung seiner Gefühle mürrisch und verschlossen geworden. Mitunter bricht aber sein Jähzorn durch und richtet sich dann auch gegen seine Töchter.
Von Liebe ist in der Ehe der Eltern von Fides nichts zu spüren. Eher ein ständiger Kriegszustand.
Die Ehe Ihrer Eltern ist für Fides ein Schreckgespenst. Es gibt aber Fotos der beiden Eltern, da kann man sich vorstellen, dass da einmal Liebe war.
Nach der Vorstellung von Fides ist die Liebe der Eltern bei der Mutter bald in Besitzdenken umgeschlagen. Sie hat Ihren Mann unter Ausnutzung Ihrer Schläue und Skrupellosigkeit und seiner Naivität zu einem Vasallen gemacht, der zu gehorchen hatte. Alles natürlich unter dem Anspruch das Beste für die Familie zu wollen. Die großartige Rettungsaktion mit der sie ihn aus dem späteren Kessel von Stalingrad geholt hatte, wurde von Ihr auch zur Unterdrückung seiner Persönlichkeit benutzt.
Fides hat Ihre Großeltern nicht gekannt. Sie waren gestorben, als sie noch sehr klein war. Der Vater war als Weise bei Verwandten aufgewachsen.
Meine Großmutter mütterlicherseits ist ein Beispiel für eine große und lebenslange Liebe.
Sie war kurz bevor ich Fides kennengelernt habe gestorben. Fides hat aber diese Liebe nicht gelten lassen, weil es eine einseitige Liebe war. Mein Großvater war ein Frauenheld und hat die Großmutter auch noch im fortgeschrittenen Alter betrogen.
Das habe ich sogar als sein Enkel noch mitbekommen.
Er fuhr regelmäßig von unserer Kleinstadt ins Inntal nach Brannenburg. Dort baute er als Altersitz ein Geschäftshaus.
Auf diese Fahrten nahm er mich öfter mit. Unterwegs hielten wir immer bei einer Käserei. Dort gab es ein Käsefräulein. Ich bekam von Ihr ein Stück Käse und wurde dann losgeschickt mich im Dorf umzusehen. Dass die beiden ein Liebespaar waren habe ich erst viel später verstanden.
Großmutter war Köchin in dem Wirtshaus meiner Urgroßeltern. Sie war 21 Jahre alt als sie von meinem 17 jährigen Großvater geschwängert wurde.
Wenn meine Eltern gemeinsam verreisten kam Großmutter um uns zu versorgen.
Wenn Großvater sie am Ende Ihrer Zeit bei uns abholte strahlte sie wie ein Backfisch.
Meine Großmutter väterlicherseits war, trotz ihrer 24 Lebensjahre, ohne Aufklärung über den Vollzug der Fortpflanzung in den Stand der Ehe getreten.
Direkt nach der Hochzeit fuhr das Brautpaar mit dem Zug, in einem reservierten Abteil, an den Chiemsee. In dem Abteil gab es eine Kordel mit der man den Schaffner holen konnte, um eine Bestellung aufzugeben. Als der Großvater versuchte seine ehelichen Rechte einzufordern war Großmutter empört über dieses Gebaren und zog aufgebracht an der Kordel für den Schaffner.
Als der Schaffner kam, wies Großmutter mit roten Backen und immer noch aufgebracht auf Ihren Gatten und erklärte dem Schaffner, sie würde in dem Abteil mit diesem Unhold auf keinen Fall allein bleiben. Der Unhold bat daraufhin den Schaffner, meine Großmutter bezeichnete ihn als Conducteur, auf den Gang zu einem Gespräch unter Männer. Daraufhin zog sich der Conducteur diskret zurück. Mein Großvater versprach die Tür immer offen zu lassen und durfte daraufhin das Abteil wieder betreten.
Wir Jugendlichen wollten immer genau wissen, was den der Großvater schlimmes angestellt hätte, daraufhin wurde Großmutter trotz ihrer 90 Jahre noch rot vor Verlegenheit.
Als meine Großmutter heiratete kam sie in die wohlhabende Familie eines Pferdehändlers. Mein Urgroßvater hatte für den Krieg gegen Frankreich 1870 Pferde für die bayrische Armee geliefert und war dadurch reich geworden. In jungen Jahre war er Hoflakei gewesen und hatte dadurch Kontakte zum Hof.
In der Währungsreform hat mein Großvater bis auf einen kleinen Rest das Familienvermögen verloren. Meine Grußmutter hat ihn dafür für den Rest seines Lebens bestraft. Als er wegen einer Krebserkrankung Selbstmord beging hat sie gesagt: „jetzt hat er mir das auch noch angetan.“
Einige Jahre hatte er eine Liebesbeziehung zur Tochter eines Geschäftspartners. Als Großmutter das herausfand, ging sie zu seinem Geschäftspartner und berichtete ihm von der Beziehung der Beiden. Großvater beendete daraufhin seine Affäre.
Auch in der Literatur fand sich keine Fundstelle für eine lebenslange Liebe. Anders war es mit der vergänglichen Liebe. Dafür gibt es großartige Beispiele.
Mit großer Begeisterung lesen wir die Romane von Erich Maria Remarque.
Den Roman Arc de Triomphe lesen wir uns gegenseitig auf Parkbänken oder in der Friedrich-Herschel-Straße vor. Als Ravic Joan Sterbehilfe leistet müssen wir die Lesung immer wieder unterbrechen, weil wir beide zu gerührt sind um weiterzulesen.
Fides macht für die lieblose Ehe Ihrer Eltern allein ihre Mutter verantwortlich. Sie lehnt ihre Mutter ab und leidet mit Ihrem Vater. Als Kind hat sie um die Zuneigung des spröden Theo gekämpft. Ohne Erfolg. Theo konnte seine Gefühle nicht zeigen.
Bei Tisch hatte Theo immer eine Rute in einer Tischspalte liegen. Wenn eines der Kinder nicht ordentlich aß schlug er dem Kind mit der Rute auf die Hand. Er schlug immer nur leicht zu.
Oft brauche ich nach einem solchen Gespräch den Trost ihrer Küsse, um die schwarzen Gedanken, ohne sie leben zu müssen, zu vertreiben.