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Vorstrophe

Ursprünglich ist der Blues die Musik des Schwarzen Amerika, aber darüber hinaus die Musik Nordamerikas schlechthin.

Mit der Ausbreitung der amerikanischen Zivilisation in Europa gelangte der Blues auch zu uns.

In den USA gehen die ersten Aufnahmen des Blues auf die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurück.

Er wurde gesungen und gespielt in den Hintergassen der Städte des Südens wie Memphis oder St. Louis, auf heruntergekommenen Farmen, in Kleinstädten wie Spartanburg oder Macon. Seine Sänger verschlug es schließlich in die Slums von New York und Chicago.

Die Stimmung des Blues, sein „true feeling“, ergibt sich daraus, dass der Musiker jene Erfahrungen, die sein Lied ausdrückt, selbst gemacht hat. Ein Bluessänger sagte einmal: „Der Blues handelt von etwas, das wirklich ist. Der Blues erzählt, wie ein Mann sich fühlt, wenn ihn seine Frau verlassen hat, von einer Enttäuschung, die übermächtig ist, gegen die er nichts auszurichten vermag. Deswegen können Junge auch nicht wirklich den Blues singen. Sie haben die Zustände, die in den Blues einfließen, noch nicht am eigenen Leib erfahren.“

Wenn man einen Musiker wie Henry Townsend nach jenen Eigenschaften fragt, die einen guten Bluessänger ausmachen, so wird er lachen und antworten: „Ärger, Kummer. Ja, darum geht es. Verstehen Sie, ein wahres Gefühl kann man nur ausdrücken, wenn man ehrlich davon spricht. Man kann nur etwas ausdrücken, was einem selbst zugestoßen ist.“

Und Furry Lewis meinte, der innere Zustand bei einem Menschen, der den Blues „hat“, sei von dem des Schreibens und des Singens eines Blues nicht zu trennen. „Wenn man einen Blues schreibt, denkt man nicht darüber nach, was der Blues ist. Man selbst hat den Blues und darüber schreibt man.“

Aus dieser Direktheit des Ausdrucks entspringen auch die vorherrschenden Themen des Blues, nämlich Liebe, Enttäuschung und Zorn.

Im Blues findet also eine Abführung von Gefühl statt. Baby Tate beschreibt es so: „Ich werde Ihnen sagen, was mir den Blues eingibt. Wenn meine Frau mich wild macht, greif ich mir meine Gitarre, geh aus dem Haus. Ich versuche so einem Streit aus dem Weg zu gehen.“

Das korrespondiert mit der Wirkung auf den Zuhörer.

Er entdeckt sich, sein Leid, seinen Zorn wieder.

Dass dies jemand ausspricht, tröstet ihn.

Dies ist die Tradition, in der dieses Buch steht.

Der Autor ist viel in den USA gereist, er hat in McComb, Mississippi, Märchen des Schwarzen Amerika gesammelt, und irgendwann ist er dann in Deutschland auf den Bluessänger John Kirkbride gestoßen. Der hat ein verrücktes Leben hinter sich. Ein Blues-Leben. Geboren in Schottland, erzogen in einer englischen Internatsschule. Dann Royal Airforce. Flieger. Captain. Abgeschossen bei einem Flug über Aden. Der einzige Überlebende. In Zypern zum Ausheilen seiner Verwundung. Dort seine Gitarrentechnik verbessert. In die USA gereist. Auf der Straße gelebt. Mit Joan Baez, Bob Dylan, Eric Clapton und anderen Legenden gespielt. Wegen einer Frau nach Deutschland gekommen. Hier hängen geblieben. Den Blues auf und ab durch deutsche und europäische Städte gespielt und gesungen. Wenn man ihn auf seinem Handy anruft, kann es sein, dass man ihn in Moskau, Sarajevo oder Casablanca erreicht.

Es mag damit zusammenhängen, dass Autor und Musiker beide am gleichen Tag das Licht dieser besten aller möglichen Welten erblickt haben, aber mehr noch hat uns verbunden die Erfahrung gemeinsamer Reisen und Auftritte.

Wenn man vier Wochen jeden Abend vor wechselndem Publikum zusammen singt und vorliest, – mal waren es Nonnen und Klosterschülerinnen in Augsburg, dann wieder Rocker in einer Bar in Schleswig-Holstein oder Passanten in einem Bücherkaufhaus in Hamburg – wenn man tagsüber zum nächsten Gig fährt, in Staus stecken bleibt, in mehr oder minder schäbigen Hotels übernachtet, weiß man, was man voneinander zu halten hat. Was John Kirkbride und mich angeht, so sind wir so etwas wie „soul brothers“ geworden. Es muss eine gemeinsame Schwingung in unserem Lebensgefühl geben, die der eine mit Worten, der andere mit Musik ausdrückt.

Wenn man mich darüber hinaus fragen würde, was dieses Buch soll, wie es zustandegekommen ist, was sich darin ausdrückt, so wären eine ganze Reihe von Faktoren zu erwähnen: Liebe zu Amerika und Trauer über die politische und soziale Entwicklung, die die USA in den letzten Jahrzehnten genommen haben, Zorn über den Verfall vom Humanität und demokratischer Freiheit. Staunen über das Leben der Menschen zwischen New York und Los Angeles, Chicago und New Orleans, Freude am gesprochenen und gesungenen Wort, über die Möglichkeiten, mit ihm Stimmungen und Erfahrungen auszudrücken, seine Lockerheit, Spontaneität, seine direkte Verbindung zum Zustand in der Seele des Menschen.

Schließlich muss hier auch erwähnt werden die Bekanntschaft mit einem Mann, mit Erich Jooß, dem Verleger dieses Buches, der ein geschärftes Gehör für die Möglichkeiten der Sprache und der Wunder des Blues hat, der John Kirkbride und mir Mut machte, jeder solle auf seine Art den Blues spielen, singen, sagen, erzählen.

Ohne sonst ein Freund englischer Titel zu sein, müsste dieses Buch eigentlich „Talkin’ the Blues“ heißen, weil diese drei Worte einschließen, worum es uns geht. Von Menschen in Amerika mit dem Blues zu erzählen: von ihren Hoffnungen, Utopien, Wünschen, Gefährdungen, ihrem Leid, ihrem Zorn, aber auch von ihrer Freude, ihrem Lebens­willen, ihren Niederlagen und ihren Siegen.

Limburg a. d. Lahn, Frühjahr 2005

Bluesballaden

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