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ОглавлениеDie Ballade von Muddy Waters
Eine Hütte im Mississippi-Delta. Sie stand lange an der Kreisstraße am Rand der Stovall-Farmen. Sie war von der Art, wie die Hütten in der Zeit des Bürgerkriegs, die sich Trapper errichteten.
Ein Tornado riss das Dach weg, schließlich blieb nur noch ein mit Zypressenplanken verschaltes Skelett übrig.
Dann kam ein Nachtklub und verwandelte die Hütte in ein Museum und schickte sie auf Reisen.
Mit der Seeräuberjenny ist man geneigt zu fragen: „Wer wohnt Besonderes darin?“
Der Mann hieß Muddy Waters.
… von seiner Kindheit erzählen, denn in ihr liegt das Geheimnis des Blues-Tones dieses Musikers.
Stellt ihn euch als Heranwachsenden und noch als jungen Mann barfuß vor. Versetzt euch in diese Landschaft im Delta des Mississippi, träges Wasser, Sümpfe. Weite Baumwollfelder. Eine Gegend, in der lange die Zeit stehen geblieben zu sein scheint.
Seht euch sein Gesicht genauer an, das des erwachsenen Mannes, ein Lächeln zwischen Melancholie und Schüchternheit, seine Haut hat ein tiefes Schwarz, hohe Backenknochen, schwere Augenlider.
Charme und Verletzlichkeit. Breite Lippen, etwas Asiatisches spielt in diesem Gesicht.
Bekannte von ihm sagten: „Was Frauen und Whiskey angeht, sollte man seinen klaren Kopf behalten. Muddy war nicht so schlimm, was den Whiskey betraf. Aber Frauen, die waren sein Untergang.“
Tatsächlich ist allein die Zahl seiner Ehefrauen unübersichtlich, erst recht die seiner Kinder.
Gestorben ist er an Lungenkrebs und zu hohem Blutdruck - 1983.
Aber ehe ein Mensch stirbt, wird er geboren, nämlich 1915. Unter dem Namen McKinley Morganfield. Nordwestlich von Rolling Fort im County Issaquena, in einer der Hütten unweit des Mississippi-Uferdamms.
Am Samstag feierten die Schwarzen. An einer Wegkreuzung, dann wurde Fisch gebraten und Musik gemacht.
Der Vater Ollie Morganfield war ein herumziehender Musiker, groß, dunkelhaarig, freundlich, verheiratet, ein Kind, lebte von seiner Frau getrennt.
Muddys Mutter hieß Berta, Alberta oder Roberta, ihr genaues Geburtsjahr ist nicht bekannt. Sie muss zwischen vierzehn oder sechzehn Jahre alt gewesen sein, als sie das Kind zur Welt brachte.
Solche Unsicherheit bei Namen und Alter sind typisch für die schwarze Bevölkerung in dieser Gegend. Ein Melderegister gab es nicht, Bertas Mutter Dela, also des Babys Großmutter, war erst zweiunddreißig, als ihr Enkel das Licht der Welt erblickte.
Es gab in der Gegend einen Spruch, der lautete: „Junge Mädchen kriegen kräftige Babys!“
Berta starb kurz nach der Geburt des Jungen, Todesursache unbekannt. Die Großmutter zog des Kind auf und hatte Mühe, als der Junge heranwuchs, ihm einzuschärfen, am Wasser vorsichtig zu sein.
Der Fluss oder genauer seine vielen Wasserläufe, die das Delta bilden, konnten plötzlich über die Ufer treten und rissen dann Tiere und Menschen mit sich.
Im frühen 19. Jahrhundert war die Gegend noch mit Wäldern bedeckt gewesen, die Bäume wurden gerodet, die Überschwemmungen machten den Boden fruchtbar.
Es entstanden die großen Baumwollplantagen der Weißen, die von schwarzen Sklaven bearbeitet wurden.
Das Ende des Bürgerkriegs brachte den Sklaven nur scheinbar die
Freiheit. Tatsächlich besiegelte das nun aufkommende Sharecropping-System nur die Trennung von Weißen als reiche Oberschicht und Schwarzen als arme, sich schindende Landarbeiter.
Denn Sharecropping bedeutet: Ernteteilung.
Man gab den Schwarzen Land in Pacht und entließ sie aus der Sklaverei, von den Erträgen des Landes gehörte die Hälfte dem weißen Boss.
Die Abhängigkeit von ihm war insofern noch weit stärker, als die schwarzen Pächter alles Arbeitsgerät und alle Lebensmittel in einem Gemischtwarenladen einkaufen mussten, der dem weißen Herrn gehörte.
Von dem Wert der Erntehälfte, die dem schwarzen Pächter gehörte, wurden seine Schulden im Laden abgezogen.
Auf vielen Plantagen gab es eigenes Geld. Wer als Sharecropper zu große Schulden hatte, floh manchmal mit Sack und Pack, wurde er gefasst, drohten ihm Prügel, manchmal auch Lynchjustiz.
Das Wasser des Flusses bedeutet Fruchtbarkeit, Leben, denn die Fluten trugen fruchtbare Humuserde mit, es bedeutete aber auch Gefahr und Tod, wenn man von einem plötzlichen Ansteigen des Flusses überrascht wurde, oder im tückischen Sumpfboden versank.
Die Großmutter nannte den Enkel „Muddy“ („Schlammig“), als könne sie ihn mit diesem Namen vor einem nach Menschenopfern gierenden Fluss schützen.
Irgendwann zog die Großmutter mit Sohn und Enkel um in die in Coahoma County gelegene Stovall-Plantage, sechs Meilen westlich von Clarksdale, Mississippi, der Grund scheint gewesen zu sein, dass es auf dem eintausendsechshundert Hektar großen Stovall-Gut unter den Sharecroppern Verwandte gab.
Auch Ollie Morganfield, Muddys leiblicher Vater, lebte dort, er hatte inzwischen mit seiner Ehefrau zahlreiche Kinder und ging seinem leiblichen Sohn aus dem Weg.
Der Arbeitstag der schwarzen Pächter auf den Baumwollplantagen war lang und hart.
„Man läutete die Glocke um vier Uhr morgens, um alle Arbeitskräfte zu wecken. Das Arbeitsleben begann schon im Alter von fünf, sechs Jahren. Kinder, die noch zu klein waren, um einen Baumwollsack zu halten, wurden mit einem Karren, einem Fässchen Wasser und einem Schöpflöffel auf die Felder geschickt. „Wasserjunge!“ war der Ruf, auf den sie hörten, und sie stillten den Durst der Baumwollpflücker“ 3
Mit acht begann Muddy Baumwolle zu pflücken. Er tat das nicht gern. Auf der Plantage kannte man Hunger. Aber von der Stadt hieß es, man müsse dort verhungern.
Die weißen Kinder gingen neun Monate zur Schule, die schwarzen erst dann, wenn alle Baumwolle gepflückt war. Das war um die Weihnachtszeit. Muddy hörte im dritten Schuljahr damit auf, den Unterricht zu besuchen. Zeit seines Lebens verstand er die Bedeutung der Worte nicht, die er in einem Buch oder Papier entziffern und laut aussprechen konnte.
Von nun an erwartet man auf der Plantage von ihm, dass er die gleiche Arbeit wie ausgewachsene Männer tat – den Pflug führen, Baumwollpflanzen hacken, Baumwolle ernten.
Musik hörte man viel auf der Plantage.
Kurz vor Muddys Geburt hatte der Blues sich aus der Überblendung von schottischen Balladen, irischen Jigs, schwarzen Shouts und Arbeitsliedern zu einer klar erkennbaren, eigenständigen Form entwickelt.
1903 schrieb ein gewisser Charles Peabody, eigentlich ein Archäologe, der in der Nähe von Stovall einen indianischen Erdhügel ausgrub:
„Die Liedchen hatten entweder einen allgemeinen Bezug auf Bräuche und Ereignisse im Leben der Neger oder waren besonders treffende Augenblicksimprovisationen über ein Thema, das gerade von Interesse war.“ 4
Im selben Jahre hörte W. C. Handy, der die ersten Blueskompositionen drucken ließ, auf einem Bahnhof im Mississippidelta einen Gitarristen, der mit dem Messer über die Saiten seiner Gitarre fuhr.
Der Bottleneck-Stil war erfunden, und damit wurde die Gitarre unter Einsatz eines Flaschenhalses oder der Faust von einem Rhythmus- zu einem Melodieinstrument der Klage.
Genauer betrachtet hat man sich die Entwicklung des Blues etwa so vorzustellen:
Es begann alles mit dem field holler, dem Schrei des Schwarzen, des Sklaven in einer einsamen Landschaft, eines Mannes, der Bäume fällte oder eine verloren gegangene Kuh suchte.
Ein einsames menschliches Wesen, erschrocken über die ihn umgebende Stille, stieß wie ein Kind, das sich im Dunkeln fürchtet, seine Furcht aus sich heraus.
Aus dem hollering oder Rufen wurde allmählich ein primitives Lied, das schließlich zum die Arbeit begleitenden Gesang wurde, in dem der Schrei noch klar erkennbar war.
Wann ist der field holler oder holler song ursprünglich entstanden?
Das kann niemand sagen, wahrscheinlich aber ist, dass dies mit der Abschaffung der Sklaverei oder vielleicht sogar noch vor 1860 geschah.
In den vierzig Jahren danach bis zur Jahrhundertwende entwickelte sich der holler song zu einem Lied über das Leben im Allgemeinen. Er wurde reine Volksmusik, gesungen in den Arbeitslagern, unter den in Ketten gehenden Sträflingen, auf den Booten, bei der Arbeit auf den Feldern des Südens.
Die es erfanden und sangen waren alles Menschen, deren Schicksal sich von dem der Sklaven nicht allzu sehr unterschied, Menschen, die ihren Lebensunterhalt im Schweiß ihres Angesichts verdienten.
Ihr Leben war unsicher, voller Furcht, und Zweifel. Also war es nur natürlich, dass ihre Probleme sich in den Lieder spiegelten: Lieder, die von katastrophalen Naturereignissen, zerrissenen Kleidern, harter Arbeit, Heimweh und ungetreuen Liebhabern erzählten.
In diesen Zeitabschnitt nahmen diese Lieder eine gewisse standardisierte Form an: Die erste Textzeile wurde wiederholt, gefolgt von einer dritten, anders lautenden Zeile. Das hörte sich etwa so an:
„My baby is a Texas Tornado and she howls like the wind.
My baby is a Texas Tornado and she howls like the wind.
She’ll blow the house down, if you should ask her where she been.“
Der Basis von zwölf 4/4-Takten folgt ein feststehendes Akkordmuster.
Diese Form entwickelte sich bei den Bluessängern, die aber Neuheiten hinzufügten und extemporierten. Diese Musiker waren zunächst keine professionellen Sänger, sondern verdienten ihr Geld durch körperliche Arbeit, wenngleich ihre Erfahrung und ihr Talent über das Niveau von bloßen Amateuren hinausgingen.
Ihre Lieder wurden im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts als Blues bekannt.
Die Bezeichnung wurde abgeleitet von „blue“, d. h. sich in depressiver Stimmung befinden, wenngleich der Blues von vornherein auch humoristische und satirische Elemente aufwies.
Auch über seinen Kummer kann man lachen oder Witze machen.
Was Muddy zuerst gehört haben mag, denn die Großmutter, bei der er aufwuchs, nahm ihn jeden Sonntag zum Gottesdienst, waren Gospelsongs, Spirituals. Da war von der Erlösung nach dem Tod die Rede, im Himmel oben, nach diesem irdischen Dasein voller Schinderei. Die Spirituals singt ein Chor, also die Gemeinschaft.
Anders der Blues, der damals gerade seine Geburtswehen hinter sich hatte. Der Blues ist letztlich der Ausdruck der Gefühle eines Einzelnen. Die Großmutter mochte den Blues nicht. Im Blues war vom Hier und Jetzt die Rede, von dem, was einen ganz persönlich bedrückte, von den Enttäuschungen, die man erlebte, von den Wünschen, die in einem entstanden.
(Den, der hier schreibt, erinnert diese Konstellation an die eigene musikalische Sozialisation nach 1945. Die Eltern waren gegen den Jazz, nannten ihn Dschungelmusik, die Partei, die SED, verbot ihn nicht gerade, aber da er aus den USA herüberschwappte, war die Musik verpönt. Und gerade deshalb war der Zwölf-/Dreizehnjährige darauf aus, irgendwo Jazz zu hören, spät in der Nacht im Radio auf dem Sender RIAS.)
Aber man muss auch anmerken, dass der Blues dem Spiritual, den Liedern in der Kirche, so manches verdankt. Muddy wusste das. Später sagte er: „Vom Singen in der Kirche bekommt die Stimme einen tollen Klang.“
Fast alle Großen des Blues begannen ihre musikalischen Ausbildung auf die abenteuerlichste Weise. Es war nie ein systematisches Lernen, es war eine Aneignung, bestimmt von der Freude an dieser Musik und begabt mit einem ausgeprägten musikalisch-rhythmischen Gehör, ein Lernen im Freistil.
Von Big Bill Broonzy, einem anderen Großen des Blues, weiß man, dass er sich seine erste Gitarre aus Brettchen von Zigarrenkisten baute.
Bei Muddy war es zuerst der Kamm, dann erst die Mundharmonika, dann eine lädierte Harmonika, dann als Schlagzeug ein Benzinkanister.
In einer Hütte, die keinen Keller hatte, konnte man den Krachmacher, wie hier häufig üblich, nicht in die Unterwelt verbannen, also schickte ihn die Großmutter nach draußen. Dort klimperte er auf einer selbstgebauten Gitarre. Irgendjemand, der das Instrument beherrschte, kam vorbei, sah wie der Junge sich abmühte, und zeigte ihm ein paar Akkorde. Zu welchem Lied sie passten, fand er dann selbst heraus, schließlich fiel auch ab und zu mal ein Centstück vor ihm in den Staub. Wenn genug Nickel zusammengekommen waren, kaufte er sich eine Schallplatte: Barbecue Bob, Blind Lemon Jefferson, Roosevelt Sykes, der den Blues auf dem Klavier spielte.
Ja doch, das war seine Musik. Er hätte nicht zu sagen gewusst, warum ihn diese Musik mehr anzog als jene, die die Großmutter mochte.
Wir können diesen weißen Fleck leicht füllen. Diese Melodien und Lieder drückten sein Leben, seinen Kummer, seine Sehnsüchte aus. Wie Gottfried Benn sagte:
„… es gibt Melodien und Lieder,
die bestimmte Rhythmen betreun.
Die schlagen dein Inneres nieder,
und du bleibst am Boden bis neun.“
In diesem Alter, er mag zwölf oder dreizehn gewesen sein, entwickelt Muddy drei Berufswünsche: Ein guter Prediger, ein Star unter den Baseballspielern oder ein guter Bluesmusiker will er werden. Mit der Zeit wurden die beiden ersten Berufe gestrichen, was blieb, war der Blues. Er hollerte längst, das heißt: Er sang im Bluesstil, wohl zuerst ohne zu wissen, dass dies Blues war. Er erzählte: „Jeder hollerte, aber man achtete gar nicht darauf ... Man könnte es Blues nennen, aber es waren einfach spontane Einfälle. Wenn ein Kerl, eher noch ein Mädchen in der Nähe arbeitet und du willst etwas mitteilen, dann hollerst du, singst es. Oder vielleicht für dein Maultier und sonst was. Oder es wird spät, und du willst nach Hause gehen. Ich sang immer so, wie ich mich fühlte.“ 5
Was nun folgt – die Entwicklung eines Sängers vom Amateur zum Halbprofessionellen – kann man sich gut vorstellen: Erst spielte er auf den Fish-Fry-Parties am Samstag, dann in Bierhallen und Bierkneipen in Clarksdale, dann in Cotton Houses, überdachten Wagen, die irgendwo in der Landschaft standen. Der Musiker, der Gitarre spielte, war vor allem dazu da, um die Frauen anzulocken.
Der Mann, der die Party gab, verdiente an den Glückspielen und an schwarz gebranntem Whiskey. In so einem Schuppen war es laut und als Musiker musste man eine Musik machen, die schrill war, um auf sich aufmerksam zu machen. In so einem Cotton House hörte Muddy Son House, der ein hartes Bottleneck-Spiel auf einer Gitarre mit Stahlsaiten ausführte. Stundenlang stand er in der Ecke bei dem Gitarristen und beobachtete seine Fingersätze.
Muddy war vierzehn, als er sich seine ersten Gitarre kaufte. Er zahlte für die gebrauchte „Stella“ zwei Dollar fünfzig. Aber soviel verdiente er dann in einer Nacht, wenn er auftrat. Bald hatte er sich vierzehn Dollar zusammengespart und konnte sich aus dem Sears-Roebuck-Katalog ein gutes Instrument bestellen.
Der Radius seiner Auftritte wurde weiter gezogen. Mit der Eisenbahn fuhr er als Hobo, also als Schwarzfahrer, auf den Dächern der Güterzüge. Wenn die Eisenbahnsheriffs einen erwischten, landete man in einer Strafkolonie.
Im November 1932, Muddy war jetzt neunzehn, heiratete er die Schwester eines Musikerkollegen, Mabel Barry. Auf der Hochzeitsparty ging es so wüst zu, dass der Fußboden durchbrach. Die Ehe wurde nicht glücklich, was wohl auch dazu beitrug, dass Muddy nun ständig in der näheren Umgebung unterwegs war. Im Mai 1935 wurde er zum ersten Mal Vater, nicht von seiner Ehefrau, sondern die Mutter des Kindes war ein hübsches Mädchen, selbst verheiratet, und führte einen ziemlich lockeren Lebenswandel. Derlei Unordnung in den Beziehungen war unter den Blues-Musikern eher die Regel denn die Ausnahme.
Muddy spielte und spielte. Er wurde immer besser in diesem ländlichen Bereich des Südens, durch den er sich gleich einem rollenden Stein, der kein Moos ansetzt, bewegte. Er trat in einer sogenannten Wandershow auf, bei der man ein festes Gehalt bekam. Der Kontakt mit anderen Musikern brachte ihn musikalisch voran, aber Beachtung bei einem nationalen Publikum konnte man nur erringen, wenn man Schallplattenaufnahmen machte. Dazu musste man nach Chicago. Also machte sich Muddy 1940 dorthin auf den Weg. Obwohl Chicago damals die Stadt mit den besten Blues-Musikern war, konnte er dort nicht Fuß fassen.
Er spielte einen „alten Blues“, den in der Stadt niemand hören wollte. Als er kein Engagement mehr bekam, kroch er ziemlich resigniert nach Clarksdale zurück. Und dann geschah das Wunder.
Muddy spielte an Wochenende wieder in seiner alten Heimat. Er handelte mit schwarz gebranntem Whiskey, wartete auf den Beginn der Baumwollernte, vergnügte sich mit den cotton women, Mädchen und Frauen, die man schnell herumkriegte und die bereit waren, zwischen den Baumwollpflanzen mit einem zu schlafen …
Das Wunder geschah im August 1941.
Alan Lomax und sein Begleiter, der Schwarze John Work III. waren zwei Sammler, Feldforscher, die für ein Projekt der Library of Congress in Washington und der Fisk Universität unterwegs waren, Ziel war es, „objektiv und erschöpfend die musikalischen Gewohnheiten einer einzelnen Negergemeinde im Delta zu erforschen.“ 6
Dabei ereigneten sich Dinge, bei denen Muddy langsam begriff, wie gut der Blues geworden war, den er sang und spielte.
Das Unternehmen der Sammler erwies sich als ziemlich schwierig, denn man hielt sie zuerst für Gewerkschaftsfunktionäre, die Mitglieder werben wollten.
Mit Spirituals in Kirchen ging es leichter und bei diesen Aufnahmen fiel der Hinweis auf „Stovalls berühmten Gitarrenspieler“.
Sie fuhren also auf die betreffende Plantage und baten den Aufseher, mit dem Sänger in Kontakt treten zu dürfen. Das wurde ihnen gestattet, aber nun war es Muddy, der sich zunächst ablehnend verhielt, weil er fürchtete, die beiden Männer seien von der Steuerfahndung und wollten ihn wegen seiner Geschäfte mit schwarz gebranntem Whiskey belangen.
Als aber die beiden Fremden eine Gitarre aus ihrem Auto holten, als sie mit Muddy aus demselben Becher Wasser tranken, ihm später Whiskey anboten, war der Bann gebrochen.
Unter anderem sang ihnen Muddy seinen „Country Blues“ vor:
It gets late on the evening
I feel like blowing my horn.
I woke up this morning
And find my little baby gone …
Some folks say the worried blues ain’t bad.
That’s the miserablest feeling child I most ever had …
Minutes seem like hours
And hours seem like days
Seem like my baby
Would stop her low-down ways …
I been mistreated
And I don’t mind dying.
Lomax und Work nahmen mit ihren Aufnahmegeräten zwei Platten auf, dazu Äußerungen von Muddy Waters, in denen er über seine Vorstellungen vom Blues sprach. Sie versprachen, er würde Plattenkopien von den Aufnahmen und ein Honorar erhalten. Aber die Einhaltung dieser Zusagen erwies sich als schwierig.
Muddy musste erst ein ihm zugeschicktes Formular mit seiner Unterschrift versehen, ehe er Monate später die Aufnahme seiner eigenen Lieder „Country Blues“ und „I Been in Trouble“ und zwanzig Dollar bekam.
Dieses Ereignis – zwei Männer von der wichtigsten Bibliothek der USA und von einer Universität hatten es für würdig befunden, seinen Blues aufzuzeichnen – muss Muddys Selbstvertrauen ungemein gestärkt haben.
Und dann war da noch ein zweites Ereignis, das ihm Mut gemacht haben dürfte.
Es gründete sich im Mississippidelta ein zunächst winziger Radiosender namens RFFA, der sich auf Blues-Musik spezialisierte.
Bald gab es mehrere Sender dieser Art, und mit dem Bluesradio begann der Siegeszug des Blues in eine breite Öffentlichkeit.
Die beiden Lieder aber, die Lomax in Stovall aufgenommen hatte, erschienen auf einem Album der Congress Library mit dem Titel „Afro-American Blues and Game Songs“.
Es war dies zum ersten Mal, dass eine staatliche Institution authentische, unverfälschte Folkloresänger auf Schallplatten veröffentlichte. Damit aber wurde nun der Name von Muddy Waters und seine Intonation des Blues auch unter weißen Wissenschaftlern und Sammlern bekannt.
Der erste Schritt auf dem Weg zum Plattenstar war getan …
An dieser Stelle verlassen wir Muddy auf seinem Lebensweg.
Er brach kurz darauf – nicht ganz freiwillig, nämlich nach einer Auseinandersetzung mit dem Verwalter der Plantage, auf der er als Landarbeiter schaffte – wiederum nach Chicago auf, wo er zuerst bei Verwandten wohnte und in einer Papierfabrik einen Job annahm.
Die erste Zeit war schwer, die Konkurrenz groß, aber dann erfand Muddy mit dem Electric Blues ab 1944 einen Stil, der das schwarze städtische Publikum in der Windy City ungemein anturnte.
Darunter waren viele Menschen, die, um der Rassentrennung zu entgehen, aus dem ländlichen Süden in den Norden der USA übergesiedelt waren, wo sie in der Industrie gut bezahlte Jobs fanden.
Im Klang von Muddys elektrischer Gitarre war die urbane Härte des Lebens der aus dem Süden zugewanderten Schwarzen, aber auch eine Erinnerung an ihre alte Heimat im Süden zu spüren.
Singles von Muddy, beispielsweise „Feel Like Going Home“ und „Can’t be Satisfied“, waren zeitweilig so begehrt, dass er selbst in einem Schallplattengeschäft am Tag ihres Erscheinens kein Exemplar mehr zu kaufen bekam.
Im Grunde wurde Muddy später über die Vermittlung Chuck Berrys an die Plattenfirma Chess zum Wegbereiter des Rock’n’Roll.
Der Titel „Rollin’ Stone“ wird den Musikern um Mick Jagger später ihren Bandnamen liefern, unter dem sie weltweit bekannt werden.
Durch die Konzertreise nach England werden Musiker aus einer jüngeren Generation wie Jeff Beck und Eric Clapton von ihm beeinflusst.
Aber das sind andere Geschichten.
Als Muddy Waters am 30. April 1983 in Chicago starb, waren sein Name und sein Blues schon Legende.
Bezeichnend ist, dass der Musiker Billy Gibbons für sein Engagement in Sachen Blues ein Stück Holz aus der Hütte erhält, in der Muddy im Süden gelebt hat. Gibbons lässt daraus eine Gitarre bauen, die „Muddywood“ getauft und zu wohltätigen Zwecken ausgestellt wird.