Читать книгу Warum es so schwierig ist, in die Hölle zu kommen - Hans Conrad Zander - Страница 10

Wie das kleine Zirkusmädchen Theodora eine mächtige Heilige wurde Worin Frauen lernen, wie frau den Papst absetzen kann.

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Wann sie geboren ist, Theodora, die große Kaiserin von Byzanz, das weiß keiner genau. Nur in gehobenen Kreisen war es damals üblich, das Geburtsdatum von Kindern festzuhalten. Theodora aber stammte aus dem allerniedrigsten, auch verrufensten Milieu. Im großen Zirkus von Konstantinopel ist sie als Kind eines Bärenwärters geboren. Zwischen all den Käfigen, in denen Löwen und Bären darauf warteten, vor dem ergötzten Publikum zu Tode gehetzt zu werden, hat sie ihre Kindheit verbracht.

Wo Gewalt ist, da ist auch Porno. Schon als kleines Mädchen tanzte Theodora mit in einer Gruppe von Schauspielerinnen, die unter dem Vorwand, die Liebesabenteuer des Zeus darzustellen, sich vor dem Zirkuspublikum entblätterten, etwa in der Art moderner Striptease-Künstlerinnen. Nach der Vorstellung empfingen die erwachsenen Tänzerinnen in den dunklen Kulissen des Zirkus spendable Verehrer aus dem Publikum. Aber auch die kleinsten Mädchen hatten schon ihre Freier. In unübersetzbar drastischen Worten schildert der byzantinische Historiker Prokop den pädophilen Missbrauch, dem das kleine Zirkus-Mädchen Theodora ausgesetzt war:

η δε τοις κακοδαιμονουσιν ανδρειαν τινα μισητιαν ανεμισγετο

(Προκοπιου Ανεκδοτα IX 10)

Theodora wächst heran. Im Zirkus von Konstantinopel wird sie eine sehr erfolgreiche, sehr begehrte Schauspielerin. Trotzdem versucht sie, aus dem Zirkus-Milieu auszubrechen. Von ihren vielen Liebhabern wählt sie einen aus, einen hohen Beamten namens Hekebolos. Er wird zum neuen Gouverneur von Libyen ernannt. Nicht als Ehefrau, wohl aber als seine Konkubine segelt Theodora mit nach Afrika. Kaum dort angekommen, bekommen die beiden Streit. Aus dem Gouverneurspalast fliegt Theodora hinaus auf die Straße.

Allein in Libyen!

Allein in einem Land, in dem damals schon Zustände herrschten wie heute wieder. Der nordafrikanischen Küste entlang schlägt Theodora sich durch bis in die ägyptische Hafenstadt Alexandrien. Wahrscheinlich hat sie auch dort im Zirkus getanzt. Weiter geht es quer durch die Levante. Der nächste feste Ort, wo wir sie sicher treffen, ist der Zirkus von Antiochien. Das ist heute ein türkisches Provinznest namens Antakia. Damals war es die Hauptstadt der Provinz Syrien und galt als die lebenslustigste Stadt der Welt.

Im Zirkus von Antiochien trifft Theodora eine Freundin namens Makedonia, die inzwischen ungewöhnliche Beziehungen hat. Für keinen Geringeren als Justinian, den Thronfolger in Konstantinopel, leitet sie ein Netz von syrischen Geheimagenten.

Und jetzt ein Gerücht in Konstantinopel: Justinian, der mächtige Neffe des Kaisers und designierte Thronanwärter, will heiraten. Das ist an sich keine Sensation, im Gegenteil, das erwartet alle Welt von ihm. Zum Skandal steigert sich das Gerücht, als bekannt wird, wen Justinian heiraten will. Was, die? Die stadtbekannte Zirkushure?

All die edlen, reichen Familien von Konstantinopel haben ihm ihre gerade heiratsfähigen, ihre 16-jährigen Töchter angetragen, jede nicht nur unschuldig, sondern auch ausgestattet mit einer märchenhaften Mitgift. Er verschmäht sie alle. Diese will er haben, die Zirkushure, diese allein.

Was ist los mit Justinian?

Das Einfachste von der Welt: die Liebe. Die große, starke Liebe. Dass ein Mann und eine Frau einander leidenschaftlich lieben, ist etwas, was wir uns heute, im 21. Jahrhundert, kaum noch vorstellen können. Die Menschen der byzantinischen Zeit waren anders. Vom Bosporus bis nach Ägypten waren sie ungleich sinnlicher als wir.

Unmöglich war dagegen die Ehe, doppelt unmöglich. Schauspieler, Tänzerinnen, Prostituierte waren nach byzantinischem Recht „ehrlos“. Wohl durften sie unter sich heiraten, doch keineswegs hinauf in ehrbare Familien. Und in ganz Konstantinopel gab es keinen ehrbareren Heiratskandidaten als Justinian.

Strenger noch als das Gesetz war die Sitte. Die Sitte verkörperte sich in Konstantinopel in Kaiserin Euphemia. Dass so eine ihr nachfolge auf den glänzendsten aller Throne, dies will Kaiserin Euphemia unbedingt verhindern.

Doch die göttliche Vorsehung hält es mit den Liebenden. Kaiserin Euphemia stirbt unerwartet. Jetzt lässt sich der hochbetagte Kaiser von seinem Neffen ein neues Gesetz aufschwatzen, eine Lex Theodora. Wenn sie sich reuig zeigen und Buße tun, dürfen gefallene Mädchen künftig ehrbare Männer heiraten.

Es ist das Jahr des Heils 525. Die Hagia Sophia strahlt im Licht von tausend Kerzen, tausend Lampen, als Patriarch Epiphanios die beiden zusammengibt zum heiligen Ehebund: Justinian und Theodora, Theodora und Justinian.

Zwei Jahre später stirbt auch der Kaiser. Justinian folgt ihm nach auf den Thron. Sofort erhebt er Theodora zur Augusta, zur Kaiserin an seiner Seite. Städte und Provinzen benennt er nach ihrem Namen. Er überhäuft sie mit Edelsteinen, mit Palästen, mit Landgütern, mit jedem nur denkbaren Luxus. Ist diese Frau vielleicht nicht mehr als seine Luxuskreation?

13. Januar 532. In Konstantinopel bricht die Revolution aus. Die „große Zirkus-Revolution“. Was ist passiert? Kaiser Justinian hat gesiegt. Er hat zuviel gesiegt. Den ganzen verlorenen Westen des alten Römischen Reiches hat er zurückerobert. Maßlos teuer waren all diese Siege. So ist dem byzantinischen Staat das Geld ausgegangen. Im Zirkus von Konstantinopel begehrt das empörte Volk nicht mehr nur nach Spielen, sondern nach Brot.

Aus der Arena wälzt sich die entfesselte Menge zur Hagia Sophia. Die größte, die schönste Kirche der Christenheit geht auf in hellen Flammen. Die wunderbaren Paläste, die Kirchen von Konstantinopel, sie brennen alle, eine nach der andern. Jetzt will Kaiser Justinian die Aufständischen besänftigen. Mit einer ungewöhnlichen Geste. Mit christlicher Demut. In der Kaiserloge des Zirkus tritt er vor sein empörtes Volk. Das heilige Evangelienbuch in Händen bekennt er seine Sünden, ruft zur Ordnung auf und verspricht den Aufständischen eine vollständige Amnestie. Von allen Seiten schallt ihm nur, immer lauter, der Ruf entgegen: „Justinianos onos! Du Esel von Kaiser, Justinian.“

Schon werden die Tore seines Palastes eingeschlagen, schon steht die Vorhalle in Flammen, da ruft der Kaiser den engsten und höchsten Rat des Reiches zusammen. „Silentium“ wurde diese Beratung genannt, weil nur der Kaiser reden durfte und alle andern schweigend zuzuhören hatten. Alles sei verloren, sagt Justinian, es gebe nur noch die Flucht.

In diesem Augenblick geschieht das Unerhörte. Eine Stimme durchbricht das Silentium. Es ist die Stimme einer Frau. In ihrem Purpurmantel ist Kaiserin Theodora aufgestanden, um ihrem Gatten, dem Kaiser, zu widersprechen. Wenn er fliehen wolle, so solle er fliehen. „Das Schiff“, sagt sie, „steht bereit und Geld ist vorhanden.“ Sie aber werde nicht fliehen. „Ich ziehe den Tod im Purpurmantel dem schmachvollen Leben auf der Flucht vor.“

Im Zirkus von Konstantinopel ist sie aufgewachsen. Zwischen allen Käfigen von Löwen und Bären, die auf den sicheren Tod warteten. Theodora weiß, dass dies eine Arena ist, in der mit christlicher Demut nichts auszurichten ist. Als jetzt die Revolutionäre sich wieder im Zirkus versammeln und einen Gegenkaiser ausrufen, gibt Theodora den letzten noch loyalen Truppen den Befehl, das eine Zirkustor abzusperren und die Arena vom andern Tor her zu stürmen. Sämtliche Revolutionäre, etwa 30.000 insgesamt, werden niedergemetzelt. Die große Zirkusrevolution von Konstantinopel ist beendet. In den rauchenden Ruinen der Stadt aber greifen die byzantinischen Hymnendichter tief in die Leier:

„Alles, was lebt, besingt dich, o Herrscherin. Machtvoll hast du die Menge der Feinde vernichtet.“

Justinian und Theodora: Er hat sie auf den Thron gehoben, jetzt gibt sie ihm seinen – den schon verlorenen – Thron zurück. Zusammen bauen die beiden das zerstörte Konstantinopel wieder auf, auch die Hagia Sophia, größer und schöner als jemals zuvor. Auch als ihm die Ärzte berichten, Theodora werde ihm, der vielen Abtreibungen in Zirkustagen wegen, keinen Sohn mehr gebären können, verstößt er sie nicht. Ihn selbst geben die Ärzte auf, als ihn die große Pest von Konstantinopel niederwirft. Es ist Theodora, die ihn, rücksichtslos gegen sich selbst, gesundpflegt.

Justinian und Theodora, Theodora und Justinian: Was kann diese beiden noch entzweien? Nur eines. Ihr ahnt es schon: die Religion.

In reiferen Jahren interessiert sich Kaiserin Theodora zunehmend für die Feinheiten der dogmatischen Theologie. Das wichtigste christliche Dogma hatte das Konzil von Chalzedon festgelegt: „Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch.“ Eine Person mit zwei Naturen, einer göttlichen und einer menschlichen. Kaiserin Theodora versteht das anders. Wie so viele ihrer Untertanen in Syrien und Ägypten, ist sie Monophysitin: Jesus Christus hat nur eine, die göttliche Natur. Das Menschliche an ihm war zeitweilige irdische Erscheinung.

Justinian tut jetzt, was wohl jeder Ehemann tut, wenn seine Frau dogmatische Ambitionen entwickelt: Der Kaiser hüllt sich in byzantinisches Schweigen. Nicht so der Papst in Rom. Traditionell sind ja beide, Kaiser und Papst, Hüter des Dogmas von Chalzedon. Feierlich verurteilt Papst Silverius Theodoras dogmatische Erleuchtung als Ketzerei.

Die Kaiserin nimmt ihm das so übel, als wär´s eine zweite Zirkus-Revolution, diesmal in Rom. Auf ihren Befehl wird Papst Silverius entführt, abgesetzt, geschoren, in eine schwarze Büßerkutte gesteckt und als Einsiedler – darf ich es so sagen, wie es ist? – nach Anatolien entsorgt. Nach ihrem dogmatischen Gusto wird ein neuer Papst, Vigilius, ernannt. Der wird aber leider rückfällig und bekräftigt erneut, der Kaiserin zum Trotz, das Dogma von Chalzedon: „Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch.“

Am 28. Juni 548 ist Kaiserin Theodora gestorben. In den Kirchen des Ostens, bei den Kopten vor allem, wird sie bis heute als ganz große Heilige verehrt. Am 14. November ist ihr Festtag. Nur der Vatikan weigert sich immer noch, die Frau, die stark genug war, den Papst zu stürzen, zur Ehre der katholischen Altäre zu erheben.

Schon aber hat die Unesco in Paris den ersten Schritt getan. Das grandiose byzantinische Mosaik in der Kirche San Vitale von Ravenna, der einstigen oströmischen Kapitale für Italien, hat sie zum Weltkulturerbe erklärt. Es zeigt Kaiserin Thedora mit Perlen behangen, mit Edelsteinen gekrönt in überirdischer Verklärung. Bildungstouristen ohne Zahl ziehen andächtig vor diesem gewaltigen byzantinischen Mosaik vorbei. Wann wird Papst Franziskus den Mut finden, selber nach Ravenna zu pilgern, um, stellvertretend für uns alle, vor Theodoras überweltlichem Bildnis das Knie zu beugen?

Heilige Theodora von Byzanz, bitt für uns Sünderinnen und Sünder!

Warum es so schwierig ist, in die Hölle zu kommen

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