Читать книгу Warum es so schwierig ist, in die Hölle zu kommen - Hans Conrad Zander - Страница 8

Die Versuchungen des heiligen Antonius Worin wir lernen, wovor ein echter Mann die Flucht ergreifen soll.

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Warum ist eigentlich der heilige Antonius in die Wüste geflohen? Kaum eine Frage scheint so müßig wie diese. Weiß doch jeder gebildete Christ: Der heilige Antonius ist in die Wüste geflohen, weil er Angst hatte vor den Frauen.

Wer das zu bezweifeln wagt, bekommt prompt den Vorwurf zu hören, er sei wohl noch nie in einem Museum gewesen. Haben doch Hunderte von Malern den heiligen Antonius alle gleich gemalt: wie er als Einsiedler, weit draußen in der Wüste Ägyptens, vergeblich Ruhe vor den Frauen sucht. Gerade dort, wohin kein Weib aus Fleisch und Blut sich je verirren würde, in jener äußersten Einsamkeit, plagen den heiligen Antonius, Tag und Nacht, betörende Trugbilder weiblicher Reize. Ihn plagt die eigene lüsterne Phantasie. O die „Versuchungen des heiligen Antonius”! Von Hieronymus Bosch bis zu Mathias Grünewald, von Salvador Dalí bis zu Max Ernst, sind sie eines der großen, klassischen Themen der europäischen Malerei.

Und doch beschleicht gerade den erfahrenen Freund der Schönen Künste angesichts so vieler so schön gemalter „Versuchungen des heiligen Antonius” ein leiser historischer Zweifel. Schließlich war Antonius der Einsiedler ein Ägypter des 3. Jahrhunderts; die unzähligen Maler, die uns seine erotischen Phantasien vorgemalt haben, sind alle mindestens tausend Jahre später in Europa zur Welt gekommen. Die Gnade der späten Geburt ist aber selten verbunden mit dem Sinn für die historische Wirklichkeit. Überdies leiden Maler vor der Staffelei oft an Langerweile. Dass sie dann selber heimgesucht werden von tausend lüsternen Phantasien, ist nicht weiter schlimm. Dass daraus dann doch schöne Heiligenbilder werden, ist sogar erfreulich. Aber sagt es auch nur irgendetwas aus über die historische Wirklichkeit?

Für das, was wirklich los war in der Einsiedelei des heiligen Antonius, gibt es einen einzigen zuverlässigen Augenzeugen. Das ist Athanasius von Alexandrien. Dieser hochgebildete Kirchenlehrer war mit dem berühmten Einsiedler persönlich befreundet. „Πολλακις”, schreibt er, „oftmals” habe er Antonius in seiner Eremitage zwischen Nil und Rotem Meer besucht. Und jedesmal sei er aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen.

Einen Einsiedler stellt man sich nämlich einsam vor. Der heilige Antonius aber war in seiner Einsiedelei alles andere als einsam. In Höhlen, Felsspalten, Erdlöchern und Hütten hausten, rings um Antonius, mehrere tausend Jünger. Ausdrücklich gebraucht Athanasius von Alexandrien in seiner Ortsbeschreibung das Wort „πολις”: eine regelrechte „Stadt von Jüngern” sei entstanden rund um den heiligen Antonius mitten in der Wüste.

Und dann die zweite Überraschung: Einen Jünger stellt man sich jung vor. Die Jünger des heiligen Antonius aber waren, in der großen Mehrheit, gestandene Männer. Auch bedeutende Männer. Was hatte sie hinausgetrieben in eine Landschaft, die im Alten Ägypten als tödlich galt?

Noch größer war die dritte Überraschung: Diese Männer, die in äußerster Entsagung draußen in der Wüste lebten, hatte sich Athanasius von Alexandrien genau so vorgestellt, wie wir sie uns vorstellen: abgezehrt und tieftraurig. Abgezehrt sahen sie wohl aus, doch zu gleicher Zeit waren sie göttlich guter Laune – „denn”, fährt Athanasius wörtlich fort, „denn da wurde keiner vom Steuereintreiber geplagt”.

„Denn da wurde keiner vom Steuereintreiber geplagt”: Das ist die historische Wirklichkeit. Nicht aus Angst vor Kleopatras ägyptischen Töchtern sind Antonius und seine Jünger in die Wüste geflohen, sondern aus Angst vor der römischen Steuerfahndung.

Im Jahr 284 war in Rom Diokletian Kaiser geworden. Diokletian war nicht nur ein böser Christenverfolger, sondern hatte, schlimmer noch, eine fatale Ähnlichkeit mit einem besonders berühmten deutschen Finanzminister. Das Wichtigste im Staat, dachte sich Diokletian, sei ein korrektes Steuerwesen. Tatsächlich gelang es ihm, den römischen Fiskus so effizient zu reorganisieren, dass von Britannien bis nach Ägypten kein einziges Steuerschlupfloch mehr blieb, keine einzige Steueroase.

Es war die totale Besteuerung und es war der wirtschaftliche Ruin des Römischen Reiches. In Gallien zuerst brach ein blutiger Aufstand verzweifelter Steuerzahler los, der die gesamte Provinz verwüstete. Das war der „Bagaudenkrieg”. Gleich danach griffen in der Provinz Afrika, das heißt im heutigen Algerien und Tunesien, die bankrotten Bürger zu den Waffen. Das war die „Revolte der Circumcellionen”.

Am schlimmsten war es in Ägypten. Dort trieben die römischen Steuerbeamten die Abgaben nicht selber ein, sondern machten in jedem Dorf die drei oder vier reichsten Bürger mit ihrem Privatvermögen haftbar für die gesamte Steuerschuld ihrer Gemeinde. Nicht etwa die armen Schlucker, vielmehr die reichen Großgrundbesitzer flohen jetzt vor dem drohenden Steuerbankrott zu Tausenden, hinaus in die Wüste. Ein solcher reicher Großbauer, berichtet Athanasius von Alexandrien, sei auch der heilige Antonius gewesen. „Dreihundert Aruren Land, fruchtbar und schön anzusehen”, habe Antonius besessen (umgerechnet etwa 80 Hektar), bevor er dem Fiskus in die Wüste entrann.

Unzählige folgten ihm nach und so gilt der heilige Antonius nicht nur als „Patriarch der Eremiten”, sondern auch, zu Recht, als „Vater des westlichen Mönchtums”. Aus seiner Eremitenstadt in der Wüste Ägyptens ist ja das ganze Klosterwesen der katholischen Kirche hervorgegangen. Und eine Ahnung steigt in uns auf: Ist vielleicht das ganze christliche Mönchtum, ja ist vielleicht, historisch-kritisch betrachtet, der ganze katholische Klerus gar nicht aus Angst vor der Frau entstanden, sondern aus Angst vor dem Finanzamt? Werfen wir, vor jedem überstürzten Urteil, einen klärenden Blick nach Rom.

Während Antonius noch immer in der Wüste saß, hatte Konstantin der Große der Christenverfolgung ein Ende gesetzt. Historisch bedeutsam war dabei gar nicht das so genannte Mailänder Edikt von 313, sondern eine Serie von Folge-Erlassen, in denen Konstantin in wahrhaft majestätischer Großzügigkeit den Priestern der Katholischen Kirche etwas gewährte, wovon alle Bürger Roms genauso träumten wie der Ägypter Antonius: völlige Steuerfreiheit.

Plötzlich herrschten mitten in Rom Zustände wie in der Wüste Ägyptens: Die gesamte christliche Elite, dort die Mönche, hier die Priester, alle waren sie auf wunderbare Weise steuerfrei geworden.

Alsbald begann in Rom ein wahrer Oklahoma-Run reicher Familienväter auf die katholische Priesterweihe. Noch gab es ja keine Zölibatspflicht. Nach jüdischem Vorbild vererbten vielmehr die meisten christlichen Priester ihrem Sohn ihr Amt. Gelang es einer reichen römischen familia, ihren pater familias – auf Deutsch gesagt ihren Papi – zum Priester weihen zu lassen, so war die ganze Familienbande hinfort steuerfrei.

Das Priestertum Jesu Christi als Steuersparmodell für reiche Papis? Einer solchen fatalen Entwicklung Einhalt geboten zu haben, ist das Verdienst der heiligen Paula. Diese unerhört mutige Frau aus dem Geschlecht der Scipionen hatte auf einer Bildungsreise nach Ägypten auch die dortigen Einsiedlerkolonien in der Wüste besucht. Dort war ihr etwas aufgefallen. Bei aller guten Laune herrschte unter den Söhnen des heiligen Antonius doch so etwas wie christlicher Ernst und echte Askese. Die klimatischen Bedingungen in der Wüste waren nämlich so streng, dass es undenkbar war, einen Haushalt mitzunehmen. Frauen, Bräute, Töchter, Söhne dieser ägyptischen Steuerflüchtlinge hatten zurückbleiben müssen in den Dörfern am Nil. Naturnotwendig lebten Antonius und seine Jünger im Zölibat. Sie waren „μοναχοι”. Daraus ist unser Wort „Mönch” geworden. Eigentlich aber heißt das griechische Wort „μοναχος” ganz einfach „Single”.

Und jetzt die geniale Idee der heiligen Paula: Warum nicht eben jene Lebensweise, die in der Wüste Ägyptens naturnotwendig war, in Rom einführen als asketisches Gesetz? Das Single-Dasein als moralisches Korrektiv gegen Übermut im neuen klerikalen Steuerparadies? Nach ägyptischem Vorbild, gegen den erbitterten Widerstand der reichen römischen Papis, setzte die heilige Paula, diese wunderbare, tapfere Frau, in Rom den Zölibat durch.

Manche halten den katholischen Klerus für eine mittelalterliche Institution. Das ist historischer Unsinn. Die mittelalterliche Klerusgeschichte ist nichts als ein mühseliger Versuch von Epigonen, das doppelte Erbe der Antike zu bewahren: einerseits Steuerfreiheit für den Klerus, anderseits, als asketisches Korrektiv dazu, den Zölibat. Der einzige originelle Kopf unter all den mittelalterlichen Bewahrern antiker Kirchenordnung ist Papst Bonifatius VIII. Am 25. Februar 1296, mit der Bulle „Clericis laicos”, verbietet er nicht nur Kaisern und Königen bei Strafe der Exkommunikation, von Priestern oder Mönchen Steuern einzutreiben. Nein, als wahrer Jünger des heiligen Antonius tut dieser großartige Papst den allerletzten Schritt: „Anathema sit” – zu ewiger Höllenstrafe verdammt sei jeder Priester oder Mönch, der sich überhaupt dazu zwingen lässt, dem Staat Steuern zu bezahlen.

Papst Bonifatius VIII war der letzte, der den historischen Durchblick besaß. Nach ihm kamen, wie gesagt, die Maler. Die mit der Gnade der späten Geburt, mit dem geringen Wissen und der blühenden erotischen Phantasie. Ganz zum Schluss kam Karlheinz Deschner. In seinem Buch „Das Kreuz mit der Kirche” schreibt Deschner wörtlich, der heilige Antonius habe in der Wüste ständig „ganze Legionen nackter Frauen” um sich gesehen. Ja ist denn Karlheinz Deschner nicht selber Manns genug, um zu wissen, dass ein einziger Beamter der Steuerfahndung ungleich gefährlicher ist als ganze Legionen nackter Frauen?

Lasset uns beten!

Heiliger Antonius von Ägypten, Patriarch der Eremiten, Mönchsvater des Westens und Schutzpatron der christlichen Steuerflüchtlinge! Aus deinem himmlischen Steuerparadies blick gnädig herab auf uns geplagte Steuerzahler des 21. Jahrhunderts. Schütze du die letzten Steueroasen der Christenheit. Schütze Luxemburg und Liechtenstein. Protect Jersey and Guernsey. Segne die Schweiz! Schenke uns, wir bitten dich, schenke nicht nur Priestern und Mönchen, sondern all den verzweifelten christlichen Steuerzahlern einen Papst, der dem Fiskus aufs Neue so furchtlos entgegentritt wie Bonifatius VIII mit seiner großartigen Bulle „Clericis laicos”. Auf dass wir alle dereinst, von irdischer Steuertyrannei erlöst, eingehen zu dir, Antonius, ins himmlische Steuerparadies.

Amen.

Warum es so schwierig ist, in die Hölle zu kommen

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