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Rezeptivität und Produktivität

Der Leonberger Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling hat 1799 in seinem Ersten Entwurf eines Systems der Naturphilosophie zwei Grundbestimmungen des lebenden Organismus getroffen, die sein Leben gegenüber der äußeren Natur bestimmen, welche er Rezeptivität und Produktivität nennt.

Wir könnten heute auch davon sprechen, dass Leiden und Handeln unser Verhältnis zur Welt und zu uns selbst bestimmen. Während es in der Philosophie eine Menge Literatur über Handeln, Absicht und Willensfreiheit gibt, findet man kaum vernünftige Literatur über das Leiden. Schelling hatte Rezeptivität und Produktivität auf geradezu geniale Art und Weise miteinander verknüpft, die bis heute ihresgleichen sucht. Beide benötigen sich und sind wechselseitig von einander abhängig. Man könnte von einem Chiasmus, einer strukturellen Kopplung oder einer Möbius-Schleife sprechen. (Abb. 2)

Schelling behauptet, dass Produktivität eine Tätigkeit des lebenden Organismus sei, die von innen nach außen wirke. Aber sie könne dies nur durch den Unterschied zu einer anderen Richtung tun, die genau umgekehrt, nämlich von außen nach innen, wirke.1 Und das sei die Rezeptivität des Menschen. Dies führt Schelling in die paradoxe Situation, dass dass auf der einen Seite die unbelebte äußere Natur ständig gegen die Tätigkeit der menschlichen Produktivität kämpft. Jeder produktive oder künstlerisch tätige Mensch kennt das aus seiner eigenen Erfahrung, den Widerstand des Materials, das nicht so will, wie man es gerne hätte. Dies sei nach Schelling aber auf der anderen Seite nur dadurch möglich, dass auch die Produktivität gleichermaßen gegen die äußere Natur, die Materie, kämpfe.


Abb. 2: Max Bill: Unendliche Oberfläche

Schelling schreibt:

„Ihre Empfänglichkeit für das Aeußere ist also durch ihre Thätigkeit gegen dasselbe bedingt. Nur insofern sie der äußeren Natur wiederstrebt, kann die äußere Natur auf sie als ein Inneres einwirken.“2

Und in einer Fußnote ergänzt er:

„Die tote Materie hat keine Außenwelt – sie ist absolut identisch mit ihrer Welt. – Die Bedingung einer Thätigkeit nach außen ist eine Einwirkung von außen. Aber auch umgekehrt die Bedingung einer Einwirkung von außen ist die Thätigkeit des Produkts nach außen. Diese Wechselbestimmung ist von der höchsten Wichtigkeit für die Konstruktion aller Lebens–erscheinungen.“3


Abb.3: Franz Marc: Kämpfende Formen, 1914

Die produktive Tätigkeit eines lebenden Organismus ist also einerseits durch seine Rezeptivität bestimmt.4 Andererseits ist die Rezeptivität eines lebenden Organismus wiederum nur durch seine produktive Tätigkeit bedingt.5 Die äußere Materie kann aber im lebenden Organismus nicht nach ihren Kräften frei und ungehindert wirken, sondern sie wird vom Organismus umgewandelt.

„Was in die Sphäre des Organismus tritt, nimmt von diesem Augenblicke an eine neue ihm fremde Wirkungsart an, die es nicht verlässt, ehe es der anorgischen Natur wiedergegeben ist.“6

Phantasie als Schnittstelle

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