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Im Westen Finnlands

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Ende Januar, Anfang Februar 2009 verbrachte ich zwei Wochen im Westen Finnlands. Ich führte an der Fachhochschule in Nykarleby, das liegt eine Autostunde nördlich von Vaasa, einen Kurs zum Thema „Thinking Photography“ durch. Ich war noch nie in dieser Weltgegend, hatte mich auch vorgängig nicht wirklich darüber informiert, wo ich da hinkommen würde, nur über das Wetter hatte ich mich kundig gemacht, wusste also, dass es da kalt sein würde und so traf ich, mit einigen Pullovern im Gepäck, vor Ort ein, merkte dann aber sehr schnell, dass Pullover, Handschuhe und Mütze nicht wirklich nötig gewesen wären, denn ich verbrachte den grössten Teil meiner Zeit ohnehin drinnen und dort war es nicht nur warm, sondern heiss. Jedenfalls in meinem Zimmer, wo es eindeutig wärmer war als im südbrasilianischen Winter. In Brasilien sind nämlich Zentralheizungen unbekannt, in Finnland hingegen findet man sie meist voll aufgedreht. Im Kühlschrank fand ich dann einen Orangensaft gegen meinen Durst, er hiess „Brasil“.

In diesem Teil Finnlands spricht man hauptsächlich Schwedisch (93%, wurde mir gesagt), fühlt sich aber deswegen nicht weniger Finnisch; die Strassen sind in beiden Sprachen angeschrieben. Ob es da keine kulturellen Reibereien gebe?, fragte ich die Schulsekretärin. Nicht bei denen, die beide Sprachen sprechen, antwortete sie.

Viel Tageslicht hat es nicht gerade; die Sonne geht so gegen neun Uhr auf und um vier Uhr wieder unter. Da habe man mehr Zeit, sich die Sterne anzugucken, emailte mir Elsa aus dem südlichen Brasilien. Der Gedanke gefiel mir und so ging ich raus und starrte zum Himmel hoch, doch Sterne waren da keine zu sehen, der Himmel war die ganze Zeit über bedeckt.

Was das Besondere hier in Westfinnland sei?, fragte ich die Studentinnen (es gab auch Studenten, doch die Mehrzahl war weiblichen Geschlechts und stammte aus Finnland, Schweden und Norwegen). Die Stille, sagte einer. Von da ab achtete ich auf die Stille und fand sie magisch. Viele halten sie nicht aus, hörte ich später jemanden sagen.

Ich unterrichte, weil ich etwas lernen will. Und ich lernte viel in diesen zwei Wochen in Nykarleby. Ein Beispiel: Fotos scheinen ein Eigenleben zu haben, ja gleichsam über magische Kräfte zu verfügen, sagte ich, wer das nicht glaube, solle doch mal versuchen, ein Foto der eigenen Mutter zu nehmen und ihr die Augen rauszuschneiden. Ich finde dies ein Hammer-Beispiel (ich verdanke es W. J. Mitchell) und konnte mir nicht vorstellen, dass da jemand dagegen reden würde, doch ich hatte mich getäuscht. Eine der Studentinnen meinte, das sei überhaupt kein Problem, sie habe das gerade gemacht. Es sei ja mittlerweile bekannt, dass sie zurzeit nicht gerade ein glückliches Verhältnis zu ihren Eltern habe. Dem gebe sie dadurch Ausdruck, dass sie Fotos von ihnen zerschneide und Collagen draus mache.

Das Meer zwischen Finnland und Schweden ist auf dieser Höhe etwa 100 Kilometer breit. Und es war vereist. Lisen, eine Studentin, zeigte mir den Hafen. Als wir ankommen, geht gerade die Sonne unter – ein feuerroter Ball verschwindet im Schnee. Dass Lisen noch mehr beeindruckt ist als ich, macht mir klar, dass ich es mit einem nicht alltäglichen Ereignis zu tun habe. Wenig alltäglich – für mich jedenfalls – ist auch die Tatsache, dass da plötzlich ein Auto auftaucht und übers Eis in Richtung der nahe liegenden Inseln fährt. Die Winter seien ja auch nicht mehr, was sie einmal waren, sagt Lisen, doch früher seien einige mit dem Auto übers Eis nach Schweden hinüber gefahren.

Mein stärkstes Finnland-Bild ist jedoch ein gänzlich unspektakuläres: Da mein Flug von Vaasa nach Helsinki frühmorgens geht, bringt mich Emma, die Dozentin, die meinen Aufenthalt organisiert hat, bereits am Vorabend nach Vaasa, wo ich in einem sehr schönen Hotel untergebracht werde. Der Blick aus dem Fenster morgens um fünf zeigt eine tief verschneite, von Strassenlampen erleuchtete, fast lautlose Stadt – es ist wie im Märchen, und es ist magisch. Und es ist dieses Bild, das ich heute hauptsächlich mit Finnland verbinde.

In Valparaíso und anderswo

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