Читать книгу Kleiner Mann, was nun? - Ханс Фаллада - Страница 6
Mutter Mörschel – Herr Mörschel – Karl Mörschel Pinneberg gerät in die Mörschelei
ОглавлениеLämmchen Mörschel sagte nichts. Sie machte sich von Pinneberg los und setzte sich sachte auf eine Treppenstufe. Plötzlich waren ihre Beine weg. Nun saß sie da und sah zu ihrem Jungen hoch. «O Gott!» sagte sie. «Junge, wenn du das tätest!»
Ihre Augen wurden ganz hell. Es waren dunkelblaue Augen mit einer Schattierung ins Grünliche; jetzt strömten sie geradezu über von strahlendem Licht.
Wie wenn alle Weihnachtsbäume ihres Lebens auf einmal in ihr brennten, dachte Pinneberg und wurde ganz verlegen vor Rührung.
«Also geht in Ordnung, Lämmchen», sagte er. «Machen wir. Und möglichst bald, was?»
«Junge, du brauchst es aber nicht. Ich komme auch so zurecht. Nur, da hast du recht, besser ist es schon, wenn der Murkel einen Vater hat.»
«Der Murkel», sagte Johannes Pinneberg. «Richtig, der Murkel.»
Er war einen Augenblick still. Er kämpfte mit sich, ob er Lämmchen nicht sagen sollte, daß er bei seinem Heiratsantrag gar nicht an diesen Murkel gedacht hatte, sondern nur daran, daß es sehr gemein war, an diesem Sommerabend drei Stunden auf sein Mädchen in der Straße zu warten. Aber er sagte es nicht. Statt dessen bat er: «Steh doch auf, Lämmchen. Die Treppe ist sicher ganz dreckig. Dein guter weißer Rock . . .»
«Laß den Rock, laß ihn sausen! Was kümmern uns alle Röcke von der Welt. Bin ich glücklich! Hannes! Junge!» Nun war sie wirklich auf ihren Beinen und fiel ihm wieder um den Hals. Und das Haus war gütig: von den zwanzig Parteien, die über diese Treppe aus- und eingingen, kam nicht eine, nachmittags nach fünfe in der Laufzeit, wo die Ernährer nach Haus kommen und alle Hausfrauen schnell noch eine vergessene Zutat fürs Essen holen. Keiner kam.
Bis Pinneberg sich frei machte und sagte: «Aber das können wir doch sicher auch oben – als Brautpaar. Gehen wir rauf.»
Lämmchen fragte bedenklich: «Gleich willst du mit? Ist es nicht besser, ich bereite Vater und Mutter vor, wo sie doch gar nichts von dir wissen –?»
«Was doch sein muß, tut man am besten gleich», erklärte Pinneberg und wollte noch immer nicht auf die Straße. «Übrigens werden sie sich doch bestimmt freuen?»
«Na ja», meinte Lämmchen nachdenklich. «Mutter sehr. Vater, weißt du, da darfst du dich nicht dran stoßen. Vater flaxt gerne, der meint das nicht so.»
«Ich werd’s schon richtig verstehen», sagte Pinneberg.
Lämmchen schloß die Tür auf: ein kleiner Vorplatz. Hinter einer angelehnten Tür klang eine Stimme: «Emma! Komm gleich mal her!»
«Einen Augenblick, Mutter», rief Emma Mörschel. «Ich zieh nur meine Schuh aus.»
Sie nahm Pinneberg bei der Hand und führte ihn auf Zehenspitzen in ein kleines Hofzimmer, wo zwei Betten standen.
«Leg deine Sachen dahin. Ja, das ist mein Bett, da schlaf ich drin. Im andern Bett schläft Mutter. Vater und Karl schlafen drüben in der Kammer. Nun komm. Halt, dein Haar!» Sie fuhr ihm schnell mit dem Kamm durch die Wirrnis.
Beiden klopfte das Herz. Sie nahm ihn bei der Hand, sie gingen über den Vorplatz, sie stießen die Tür zur Küche auf. Am Herd stand mit rundem, krummem Rücken eine Frau und briet etwas in einer Pfanne. Pinneberg sah ein braunes Kleid und eine große blaue Schürze.
Die Frah sah nicht hoch. «Lauf schnell mal in den Keller, Emma, und hol Preßkohlen. Ich kann das dem Karl hundertmal sagen . . .»
«Mutter», sagte Emma, «das ist mein Freund Johannes Pinneberg aus Ducherow. Wir wollen uns heiraten.»
Die Frau am Herd sah hoch. Es war ein braunes Gesicht mit einem starken Mund, einem scharfen gefährlichen Mund, ein Gesicht mit sehr hellen, scharfen Augen und mit zehntausend Falten. Eine alte Arbeiterfrau.
Die Frau sah Pinneberg an, einen Augenblick, scharf, böse. Dann wandte sie sich wieder ihren Kartoffelpuffern zu. «Dumm Tügs», sagte sie. «Schleppst du mir jetzt deine Kerle ins Haus?! Geh und hol Kohlen, ich hab keine Glut.»
«Mutter», sagte Lämmchen und versuchte zu lachen, «er will mich wirklich heiraten.»
«Hol Kohlen, sag ich, Deern», rief die Frau und fuhrwerkte mit der Gabel.
«Mutter –!»
Die Frau sah hoch, Sie sagte langsam: «Bist du noch nicht unten? Willst du einen Backs?!»
Ganz rasch drückte Lämmchen ihrem Pinneberg die Hand. Dann nahm sie einen Korb, rief, so fröhlich es ging: «Gleich bin ich wieder da!» – und die Flurtür klappte.
Pinneberg stand verlassen in der Küche. Er sah vorsichtig gegen Frau Mörschel hin, als könnte sein Hinsehen sie schon reizen, dann gegen das Fenster. Man sah nur einen blauen Sommerhimmel und ein paar Schornsteine.
Frau Mörschel schob die Pfanne beiseite und hantierte mit den Herdringen. Es klapperte und klirrte sehr. Sie stocherte mit dem Feuerhaken in der Glut, dabei murrte sie vor sich hin. Höflich fragte Pinneberg: «Wie bitte –?»
Es waren die ersten Worte, die er bei Mörschels sagte.
Er hätte nichts sagen sollen, denn wie ein Geier schoß die Frau auf ihn nieder. In der einen Hand hielt sie den Haken, in der andern noch die Gabel vom Pufferwenden, aber das war nicht so schlimm, trotzdem sie damit fuchtelte. Schlimm war ihr Gesicht, in dem alle Falten zuckten und sprangen, schlimmer waren ihre grausamen und bösen Augen.
«Wenn Sie mir mein Mädchen in Schande bringen!» schrie sie außer sich.
Pinneberg trat einen Schritt zurück. «Ich will Emma ja heiraten, Frau Mörschel!» sagte er ängstlich.
«Sie denken wohl, ich weiß nicht, was ist», sagte die Frau unbeirrt. «Seit zwei Wochen stehe ich hier und warte. Ich denke, sie sagt mir was, ich denke, sie bringt mir den Kerl bald an, ich sitze hier und warte.» Sie holte Atem. «Das ist ein gutes Mädchen. Sie Mann Sie, meine Emma, das ist kein Dreck für Sie. Die ist immer fröhlich gewesen. Die hat mir nie ein böses Wort gegeben – wollen Sie sie in Schande bringen?»
«Nein, nein», flüstert Pinneberg angstvoll.
«Doch! Doch!» schreit Frau Mörschel. «Doch! Doch! Zwei Wochen stehe ich hier und warte, daß sie ihre Binden zum Waschen gibt – nichts! Wie haben Sie das gemacht, Sie?» Pinneberg kann es nicht sagen.
«Wir sind junge Leute», sagt er sanft.
«Ach Sie», sagt sie noch böse, «daß Sie mein Mädchen dazu gekriegt haben.» Plötzlich grollt sie wieder: «Schweine seid ihr Männer, alles Schweine, pfui!»
«Wir heiraten, sobald es mit den Papieren geht», erklärt Pinneberg.
Frau Mörschel steht wieder am Herd. Das Fett brutzelt, sie fragt: «Was sind Sie denn? Können Sie denn überhaupt heiraten?»
«Ich bin Buchhalter. In einem Getreidegeschäft.»
«Also Angestellter?»
«Ja.»
«Arbeiter wäre mir lieber. – Was verdienen Sie denn?»
«Hundertachtzig Mark.»
«Mit Abzügen?»
«Nein, die gehen noch ab.»
«Das ist gut», sagt die Frau, «das ist nicht so viel. Mein Mädchen soll einfach bleiben.» Und plötzlich wieder ganz böse: «Denken Sie nicht, daß sie was mitbekommt. Wir sind Proletarier. Bei uns gibt es das nicht. Nur das bißchen Wäsche, was sie sich selbst gekauft hat.»
«Das ist alles nicht nötig», sagt Pinneberg.
Plötzlich ist die Frau wieder böse: «Sie haben doch auch nichts. Sie sehen doch auch nicht nach Sparen aus. Wenn man mit solchem Anzug rumläuft, bleibt nichts übrig.»
Pinneberg braucht nicht zu gestehen, daß sie ziemlich das Richtige getroffen hat, denn Lämmchen kommt mit den Kohlen. Sie ist bester Stimmung: «Hat sie dich aufgefressen, armer Junge?» fragt sie. «Mutter ist ein richtiger Teekessel, der kocht immer gleich über.»
«Sei nicht so frech, Ütz», schilt die Alte. «Sonst kriegst du doch noch deinen Backs. – Geht in die Schlafstube und schleckt euch ab. Ich will mit Vater zuerst allein reden.»
«Na also», sagt Lämmchen. «Hast du meinen Bräutigam auch schon gefragt,. ob er Kartoffelpuffer mag? Heute ist unser Verlobungstag.»
«Weg mit euch!» sagt Frau Mörschel. «Und daß ihr mir nicht die Tür abschließt, ich sehe ein paarmal nach, daß ihr keine Dummheiten macht.»
Sie sitzen sich an dem kleinen Tisch auf den weißen Stühlen gegenüber.
«Mutter ist ’ne einfache Arbeiterin», sagt Lämmchen. «Die ist so derb, sie denkt sich nichts dabei.»
«Oh, sie denkt sich schon was dabei», sagt Pinneberg und grinst. «Deine Mutter weiß Bescheid, verstehst du, was uns der Doktor heute gesagt hat.»
«Natürlich weiß sie das. Mutter weiß immer alles. Ich glaub, du hast ihr gut gefallen.»
«Na, hör mal, so sah es aber nicht aus.»
«Mutter ist so. Mutter muß immer schimpfen. Ich hör’s schon gar nicht mehr.»
Einen Augenblick ist Stille, beide sitzen sich brav gegenüber, die Hände liegen auf dem Tischchen.
«Ringe müssen wir uns auch kaufen», sagt Pinneberg gedankenvoll.
«O Gott ja», sagt Lämmchen rasch. «Sag schnell, welche magst du lieber, glänzend oder matt?»
«Matt!» sagt er.
«Ich auch! Ich auch!» ruft sie. «Ich glaube, wir haben in allem den gleichen Geschmack, das ist fein. – Was werden die kosten?»
«Ich weiß auch nicht. Dreißig Mark?»
«So viel?»
«Wenn wir goldene nehmen?»
«Natürlich nehmen wir goldene. Laß sehen, wir wollen Maß nehmen.»
Er rückt zu ihr. Sie nehmen einen Faden von einer Garnrolle. Es ist schwierig. Einmal schneidet das Garn ein, und einmal sitzt es zu lose.
«Hände besehen bringt Streit», sagt Lämmchen.
«Aber ich besehe sie ja gar nicht», sagt er. «Ich küsse sie ja. Ich küsse ja deine Hände, Lämmchen.» –
Es klopft mit sehr hartem Knöchel gegen die Tür. «Rüberkommen! Vater ist da!»
«Gleich», sagt Lämmchen und löst sich aus seinem Arm.
«Schnell uns ein bißchen zurechtmachen. Vater flaxt ewig.»
«Wie ist er denn, dein Vater?»
«Gott, du wirst ja gleich sehen. Ist ja auch egal. Du heiratest mich, mich, mich, ohne Vater und Mutter.»
«Aber mit dem Murkel.»
«Mit dem Murkel, ja. Nette unvernünftige Eltern bekommt er.
Nicht eine Viertelstunde können sie vernünftig sitzen . . .» Am Küchentisch sitzt ein langer Mann in grauen Hosen, grauer Weste und einem weißen Trikothemd, ohne Jacke, ohne Kragen. An den Füßen hat er Pantoffeln. Ein gelbes, faltiges Gesicht, kleine scharfe Augen hinter einem hängenden Zwicker, ein grauer Schnurrbart, ein fast weißer Kinnbart.
Der Mann liest die «Volksstimme», aber nun, da Pinneberg und Emma hereinkommen, läßt er das Blatt sinken und betrachtet den jungen Mann.
«Sie sind also der Jüngling, der meine Tochter heiraten will? Sehr erfreut, setzen Sie sich hin. Übrigens werden Sie es sich noch überlegen.»
«Was?» fragt Pinneberg.
Lämmchen hat sich auch eine Schürze umgebunden und hilft der Mutter. Frau Mörschel sagt ärgerlich: «Wo der Bengel nun wieder bleibt. Die ganzen Puffer werden zäh.»
«Überstunden», sagt Herr Mörschel lakonisch. Und zu Pinneberg zwinkernd: «Sie machen auch manchmal Überstunden, nicht wahr?»
«Ja», sagt Pinneberg. «Ziemlich oft.»
«Aber ohne Bezahlung –?»
«Leider. Der Chef sagt . . .»
Herrn Mörschel interessiert nicht, was der Chef sagt. «Sehen Sie, darum wäre mir ein Arbeiter für meine Tochter lieber: wenn mein Karl Überstunden macht, kriegt er sie bezahlt.»
«Herr Kleinholz sagt . . .» beginnt Pinneberg von neuem.
«Was die Arbeitgeber sagen, junger Mann», erklärt Herr Mörschel, «das wissen wir lange. Das interessiert uns nicht. Was sie tun, das interessiert uns. Es gibt doch ’nen Tarifvertrag bei euch, was?»
«Ich glaube», sagt Pinneberg.
«Glaube ist Religionssache, damit hat’n Arbeiter nischt zu tun. Bestimmt gibt es ihn. Und da steht drin, daß Überstunden bezahlt werden müssen. Warum krieg ich ’nen Schwiegersohn, dem sie nicht bezahlt werden?»
Pinneberg zuckt die Achseln.
«Weil ihr nicht organisiert seid, ihr Angestellten», erklärt ihm den Fall Herr Mörschel. «Weil kein Zusammenhang ist bei euch, keine Solidarität. Darum machen sie mit euch, was sie wollen.»
«Ich bin organisiert», sagt Pinneberg mürrisch. «Ich bin in ’ner Gewerkschaft.»
«Emma! Mutter! Unser junger Mann ist in ’ner Gewerkschaft? Wer hätte das gedacht! So schnieke und Gewerkschaft!» Der lange Mörschel hat den Kopf ganz auf die Seite gelegt und besieht seinen künftigen Schwiegersohn mit eingekniffenen Augen. «Und wie nennt sich Ihre Gewerkschaft, mein Junge? Nur raus damit!»
«Deutsche Angestellten-Gewerkschaft», sagt Pinneberg und ärgert sich immer mehr.
Der lange Mann krümmt sich völlig zusammen, so stark überkommt es ihn. «Die Dag! Mutter, Emma, haltet mich fest, unser Jüngling ist ein Dackel, das nennt er ’ne Gewerkschaft! Ein gelber Verband, zwischen zwei Stühlen. O Gott, Kinder, so ein Witz . . .»
«Na, erlauben Sie mal», sagt Pinneberg wütend. «Wir sind kein gelber Verband! Wir werden nicht von den Arbeitgebern finanziert. Wir zahlen unsern Bundesbeitrag selber.»
«Für die Bonzen! Für die gelben Bonzen! Na, Emma, da hast du dir ja den richtigen ausgesucht. Einen Dag-Mann! Einen richtigen Dackel!»
Pinneberg sieht hilfesuchend zu Lämmchen, aber Lämmchen sieht nicht her. Vielleicht ist sie es gewohnt, aber wenn sie es gewohnt ist, für ihn ist es doch schlimm.
«Angestellter, wenn ich so was höre», sagt Mörschel. «Ihr denkt, ihr seid was Besseres als wir Arbeiter.»
«Denk ich nicht.»
«Denken Sie doch. Und warum denken Sie das? Weil Sie Ihrem Arbeitgeber nicht ’ne Woche den Lohn stunden, sondern den ganzen Monat. Weil Sie unbezahlte Überstunden machen, weil Sie sich unter Tarif bezahlen lassen, weil Sie nie ’nen Streik machen, weil Sie immer die Streikbrecher sind . . .»
«Es geht doch nicht nur ums Geld», sagt Pinneberg. «Wir denken doch auch anders als die meisten Arbeiter, wir haben doch andere Bedürfnisse . . .»
«Anders denken», sagt Mörschel, «anders denken – Sie denken genau so wie ein Prolet . . .»
«Das glaub ich nicht», sagt Pinneberg, «ich zum Beispiel . . .»
«Sie zum Beispiel», sagt Mörschel und kneift die Augen ganz gemein ein und feixt. «Sie zum Beispiel haben sich doch Vorschuß genommen?»
«Wieso?» fragte Pinneberg verwirrt. «Vorschuß –?»
«Na ja, Vorschuß», grinst der andere noch mehr. «Vorschuß da, bei der Emma. Nicht sehr fein, Herr. Mächtig proletarische Angewohnheit . . .»
«Ich . . .» fängt Pinneberg an und ist sehr rot und hat Lust, die Türen zu donnern und zu brüllen: Oh, so rutscht mir doch alle . . .!
Aber Frau Mörschel sagt scharf: «Ruhig bist du jetzt, Vater, mit deinem Flaxen! Das ist erledigt. Das geht dich gar nichts an.»
«Da kommt der Karl», ruft Lämmchen, denn draußen klappte eine Tür.
«Also her mit dem Essen, Frau», sagt Mörschel. «Und recht habe ich doch, Schwiegersohn, fragen Sie mal Ihren Pastor, unfein ist das . . .»
Ein junger Mensch kommt herein, aber jung ist nur eine Altersbezeichnung, er sieht völlig unjung aus, noch gelber, noch galliger als der Alte. Er knurrt: «’n Abend», nimmt von dem Gast keinerlei Notiz und zieht Jacke und Weste aus, dann das Hemd. Pinneberg sieht es mit steigender Verwunderung.
«Überstunden gemacht?» fragt der Alte.
Karl Mörschel knurrt nur etwas.
«Laß doch jetzt die Scheuerei, Karl», sagt Frau Mörschel, «komm essen.»
Aber Karl läßt schon das Wasser am Ausguß laufen und fängt an, sich sehr intensiv zu waschen. Bis zu den Hüften ist er nackt, Pinneberg geniert sich etwas, Lämmchens wegen. Aber die scheint nichts dabei zu finden, es ist ihr wohl selbstverständlich.
Pinneberg ist vieles nicht selbstverständlich. Die häßlichen Steingutteller mit den schwärzlichen Anschlagstellen, die halb kalten Kartoffelpuffer, die nach Zwiebeln schmecken, die saure Gurke, das laue Flaschenbier, das nur für die Männer dasteht, dazu diese trostlose Küche, der waschende Karl . . .
Karl setzt sich an den Tisch, sagt brummig: «Nanu, Bier . . .»
«Das ist der Bräutigam von Emma», erklärt Frau Mörschel, «sie wollen bald heiraten.»
«Hat sie doch einen abgekriegt», sagt Karl. «Na ja, einen Bourgeois. Ein Prolet ist ihr nicht fein genug.»
«Siehst du», sagt Vater Mörschel, sehr befriedigt.
«Du, zahl man lieber dein Kostgeld, eh du hier den Mund aufreißt», erklärt Mutter Mörschel.
«Was heißt siehst du», sagt Karl gallig zu seinem Vater. «Ein richtiger Bourgeois ist mir noch immer lieber als ihr Sozialfaschisten.»
«Sozialfaschisten», antwortet der Alte böse. «Wer wohl Faschist ist, du Sowjetjünger!»
«Na klar», sagt Karl, «ihr Panzerkreuzerhelden . . .»
Pinneberg hört mit einer gewissen Befriedigung zu. Was der Alte ihm gesagt hatte, bekam er jetzt vom Sohn mit Zinsen. Nur die Kartoffelpuffer gewannen nicht sehr dadurch, es war kein nettes Mittagessen, er hatte sich seine Verlobungsfeier anders gedacht.