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Geschwätz in der Nacht von Liebe und Geld

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Pinneberg hatte seinen Zug sausen lassen, er kann auch morgens um vier fahren. Dann ist er immer noch rechtzeitig im Geschäft.

Die beiden sitzen in der dunklen Küche. Drinnen in, der einen Stube schläft Herr, in der andern Frau Mörschel. Karl ist in eine KPD-Versammlung gegangen.

Sie haben zwei Küchenstühle nebeneinander gezogen und sitzen mit dem Rücken nach dem erkalteten Herd. Die Tür zu dem kleinen Küchenbalkon steht offen, der Wind bewegt leise den Schal über der Tür. Draußen ist – über einem heißen, radiolärmenden Hof – der Nachthimmel, dunkel, mit sehr blassen Sternen.

«Ich möchte», sagt Pinneberg leise und drückt Lämmchens Hand, «daß wir es ein bißchen hübsch hätten. Weißt du» – er versucht es zu schildern –, «es müßte hell sein bei uns und weiße Gardinen und alles immer schrecklich sauber.»

«Ich versteh», sagt Lämmchen, «ich versteh, es muß schlimm sein bei uns für dich, wo du es nicht gewohnt bist.»

«So meine ich es doch nicht, Lämmchen.»

«Doch. Doch. Warum sollst du es nicht sagen, es ist doch schlimm. Daß sich Karl und Vater immer zanken, ist schlimm. Und daß Vater und Mutter immer streiten, das ist auch schlimm. Und daß sie Mutter immer um das Kostgeld betrügen wollen, und daß Mutter sie mit dem Essen betrügt . . . alles ist schlimm.»

«Aber warum sind sie so? Bei euch verdienen doch drei, da müßte es doch gut gehen.»

Lämmchen antwortete ihm nicht. «Ich gehör ja nicht rein hier», sagt sie statt dessen. «Ich bin immer das Aschenputtel gewesen. Wenn Vater und Karl nach Haus kommen, haben sie Feierabend. Dann fang ich an mit Aufwaschen und Plätten und Nähen und Strümpfestopfen. Ach, es ist nicht das», ruft sie aus, «das täte man ja gerne. Aber daß das alles ganz selbstverständlich ist und daß man dafür geschupst wird und geknufft, daß man nie ein gutes Wort bekommt und daß der Karl so tut, wie wenn er mich mit ernährt, weil er mehr Kostgeld zahlt als ich . . . Ich verdien doch nicht so viel – was verdient denn heute eine Verkäuferin?»

«Es ist ja bald vorbei», sagt Pinneberg. «Ganz bald.»

«Ach, es ist ja nicht das», ruft sie verzweifelt, «es ist ja alles nicht das. Aber, weißt du, Junge, sie haben mich immer richtig verachtet, du Dumme sagen sie zu mir. Sicher, ich bin nicht so klug. Ich versteh vieles nicht. Und dann, daß ich nicht hübsch bin . . .»

«Aber du bist hübsch!»

«Du bist der erste, der das sagt. Wenn wir mal zum Tanz gegangen sind, immer bin ich sitzengeblieben. Und wenn dann Mutter zum Karl gesagt hat, er solle seine Freunde schicken, hat er gesagt: Wer will denn mit so ’ner Ziege tanzen? Wirklich, du bist der erste . . .»

Ein unheimliches Gefühl beschleicht Pinneberg. ‹Wirklich›, denkt er, ‹sie sollte mir das nicht so sagen. Ich hab immer gedacht, sie ist hübsch. Und nun ist sie vielleicht gar nicht hübsch . . .›

Lämmchen aber redet weiter: «Siehst du, Jungchen, ich will dir ja nichts vorjammern. Ich will es dir nur dieses einzige Mal sagen, daß du weißt, ich gehör hier nicht her, ich gehör nur zu dir. Zu dir allein. Und daß ich dir ganz furchtbar dankbar bin, nicht nur wegen des Murkels, sondern weil du das Aschenputtel geholt hast . . .»

«Du», sagt er. «Du!»

«Nein, jetzt noch nicht. – Und wenn du sagst, wir wollen es hell und sauber haben, du mußt ein bißchen geduldig sein, ich hab ja nie richtig kochen gelernt. Und wenn ich etwas falsch mache, dann sollst du es mir sagen, und ich will dich nie belügen . . .»

«Nein, Lämmchen, nein, es ist gut.»

«Und wir wollen uns nie, nie streiten. O Gott, Junge, was wollen wir glücklich sein, wir beide allein. Und dann der Dritte, der Murkel.»

«Wenn es aber ein Mädchen wird?»

«Es ist ein Murkel, sage ich dir, ein kleiner süßer Murkel.» –

Nach einer Weile stehen sie auf und treten auf den Balkon.

Ja, der Himmel ist da über den Dächern und seine Sterne in ihm. Sie stehen eine Weile schweigend, jedes die Hand auf der Schulter des andern.

Dann kehren sie zu dieser Erde zurück, mit dem engen Hof, den vielen hellen Fensterquadraten, dem Jazzgequäk.

«Wollen wir uns auch Radio anschaffen?» fragt er plötzlich.

«Ja, natürlich. Weißt du, ich bin dann nicht so mutterseelenallein, wenn du im Geschäft bist. Aber erst später. Wir müssen uns so furchtbar viel anschaffen!»

«Ja», sagt er.

Stille.

«Junge», fängt Lämmchen sachte an. «Ich muß dich was fragen.»

«Ja?» sagt er unsicher.

«Aber sei nicht böse!»

«Nein», sagt er.

«Hast du was gespart?»

Pause.

«Ein bißchen», sagt er zögernd. «Und du?»

«Auch ein bißchen», und ganz rasch: «Aber nur ein ganz, ganz klein bißchen.»

«Sag du», sagt er.

«Nein, sag du zuerst», sagt sie.

«Ich . . .» sagt er und bricht ab.

«Sag schon!» bittet sie.

«Es ist wirklich nur ganz wenig, vielleicht noch weniger als du.»

«Sicher nicht.»

«Doch. Sicher.»

Pause. Lange Pause.

«Frag mich», bittet er.

«Also», sagt sie und holt tief Atem. «Ist es mehr als . . .»

Sie macht eine Pause.

«Als was?» fragt er.

«I wo», lacht sie plötzlich. «Soll ich mich genieren! Hundertdreißig Mark hab ich auf der Kasse.»

Er sagt stolz und langsam: «Vierhundertsiebzig.»

«Au fein!» sagt Lämmchen. «Das wird grade glatt, sechshundert Mark. Junge, was ein Haufen Geld!»

«Na . . .» sagt er. «Viel finde ich es ja nicht. Aber man lebt schrecklich teuer als Junggeselle.»

«Und ich hab von meinen hundertzwanzig Mark Gehalt siebzig Mark für Kost und Wohnung abgeben müssen.»

«Dauert lange, bis man so viel zusammengespart hat», sagt er.

«Schrecklich lange», sagt sie. «Es wird und wird nicht mehr.»

Pause.

«Ich glaub nicht, daß wir in Ducherow gleich ’ne Wohnung kriegen», sagt er.

«Dann müssen wir ein möbliertes Zimmer nehmen.»

«Da können wir auch für unsere Möbel mehr sparen.»

«Aber ich glaube, möbliert ist schrecklich teuer.»

«Also laß uns mal rechnen», schlägt er vor.

«Ja. Wir wollen mal sehen, wie wir hinkommen. Wir wollen rechnen, als ob wir nichts auf der Kasse hätten.»

«Ja, das dürfen wir nicht angreifen, das soll ja mehr werden. Also hundertachtzig Mark Gehalt . . .»

«Als Verheirateter kriegst du noch mehr.»

«Ja, weißt du, ich weiß nicht.» Er ist sehr verlegen. «Nach dem Tarifvertrag vielleicht, aber mein Chef ist so komisch . . .»

«Darauf würde ich keine Rücksicht nehmen, ob er komisch ist.»

«Lämmchen, laß uns erst mal mit hundertachtzig rechnen. Wenn’s mehr wird, ist es ja nur schön, aber die haben wir doch erst mal sicher.»

«Also schön», stimmt sie zu. «Nun erst mal die Abzüge.»

«Ja», sagt er. «An denen kann man ja nichts ändern. Steuern 6 Mark und Arbeitslosenversicherung 2 Mark 70. Und Angestellten-Versicherung 4 Mark. Und Krankenkasse 5 Mark 40. Und die Gewerkschaft 4 Mark 50 . . .»

«Na, deine Gewerkschaft, das ist doch überflüssig . . .»

Pinneberg sagt etwas ungeduldig: «Das laß man erst. Ich hab von deinem Vater genug.»

«Schön», sagt Lämmchen, «macht 22 Mark 60 Abzüge. Fahrgeld brauchst du nicht?»

«Gott sei Dank nein.»

«Bleiben also erst mal 157 Mark. Was macht die Miete?»

«Ja, ich weiß doch nicht. Zimmer und Küche, möbliert. Sicher doch 40 Mark.»

«Sagen wir 45», meint Lämmchen. «Bleiben 112 Mark 40. Was denkst du, brauchen wir fürs Essen?»

«Ja, sag du mal.»

«Mutter sagt immer, 1 Mark 50 braucht sie für jeden am Tag.»

«Das sind 90 Mark im Monat», sagt er.

«Dann bleiben noch 22 Mark 40», sagt sie.

Die beiden sehen sich an.

Lämmchen sagt ganz schnell: «Und dann haben wir noch nichts für Feuerung. Und nichts für Gas. Und nichts für Licht. Und nichts für Porto. Und nichts für Kleidung. Und nichts für Wäsche. Und nichts für Schuhe. Und Geschirr muß man sich auch manchmal kaufen.»

Und er sagt: «Und man möchte doch auch mal ins Kino. Und am Sonntag ’nen Ausflug machen. Und ’ne Zigarette rauch ich auch ganz gerne.»

«Und sparen wollen wir doch auch was.»

«Mindestens 20 Mark im Monat.»

«Dreißig.»

«Rechnen wir noch mal.»

«An den Abzügen ändert sich nichts.»

«Und billiger kriegen wir kein Zimmer und Küche.»

«Vielleicht fünf Mark billiger.»

«Naja, ich will mal sehen. ’Ne Zeitung möcht man sich aber auch halten.»

«Sicher. Können wir nur am Essen sparen, nun gut, zehn Mark vielleicht ab.»

Sie sehen sich wieder an.

«Dann kommen wir noch immer nicht aus. Und an Sparen ist auch nicht zu denken.»

«Du», sagt sie sorgenvoll, «mußt du immer Plättwäsche tragen? Die kann ich nicht selber plätten.»

«Doch, das verlangt der Chef. Ein Oberhemd kostet sechzig Pfennig plätten und ein Kragen zehn Pfennig.»

«Macht auch wieder fünf Mark im Monat», rechnet sie.

«Und Schuhe besohlen.»

«Auch das, ja. Das ist auch gemein teuer.»

Pause.

«Also, rechnen wir noch mal.»

Und nach einer Weile: «Also streichen wir vom Essen noch mal zehn Mark ab. Aber billiger als für siebzig kann ich es nicht.»

«Wie machen es denn die andern?»

«Ja, ich weiß auch nicht. Furchtbar viel haben doch noch ’ne ganze Ecke weniger.»

«Ich versteh das nicht.»

«Da muß irgendwas nicht richtig sein. Laß uns noch mal rechnen.»

Sie rechnen und rechnen, sie kommen zu keinem andern Ergebnis.

Sie sehen sich an. «Weißt du», sagt Lämmchen plötzlich, «wenn ich heirate, kann ich mir doch meine Angestellten-Versicherung auszahlen lassen?»

«Au fein!» sagt er. «Das gibt sicher hundertzwanzig Mark.»

«Und deine Mutter», fragt sie. «Du hast mir nie von ihr erzählt.»

«Da ist auch nichts zu erzählen», sagt er kurz. «Ich schreib ihr nie.»

«So», sagt sie. «Ja dann.»

Wieder Stille.

Sie kommen nicht weiter, also stehen sie auf und treten auf den Balkon. Es ist fast alles dunkel geworden im Hof, auch die Stadt ist still geworden. In der Ferne hört man ein Auto tuten.

Er sagt in Gedanken verloren: «Haarschneiden kostet auch achtzig Pfennige.»

«O du, laß», bittet sie. «Was die andern können, werden wir auch können. Es wird schon gehen.»

«Hör noch mal zu, Lämmchen», sagt er. «Ich will dir auch kein Hausstandsgeld geben. Zu Anfang des Monats tun wir alles Geld in einen Topf, und jeder nimmt sich etwas davon, was er braucht.»

«Ja», sagt sie. «Ich hab einen hübschen Topf dafür, blaues Steingut. Ich zeig dir ihn noch. – Und dann wollen wir furchtbar sparsam sein. Vielleicht lern ich noch Oberhemden plätten.»

«Fünf-Pfennig-Zigaretten sind auch Unsinn», sagt er. «Es gibt schon ganz anständige für drei.»

Aber sie stößt einen Schrei aus: «O Gott, Junge, den Murkel haben wir doch ganz vergessen! Der kostet ja auch Geld!»

Er überlegt: «Was kostet denn solch kleines Kind? Und dann gibt es Entbindungsgeld und Stillgeld und Steuern zahlen wir auch weniger . . . ich glaub immer, die ersten Jahre kostet der gar nichts.»

«Ich weiß nicht», sagt sie zweifelnd.

In der Tür steht eine weiße Gestalt.

«Wollt ihr nicht endlich ins Bett?» fragt Frau Mörschel. «Drei Stunden könnt ihr noch schlafen.»

«Ja, Mutter», sagt Lämmchen.

«Es ist schon alles gleich», sagt die Alte. «Ich schlaf heute bei Vater. Der Karl bleibt heute nacht auch weg. Nimm ihn dir mit, deinen . . .» Die Tür schrammt zu, ungesagt bleibt, welchen deinen . . .

«Aber ich möchte wirklich nicht», sagt Pinneberg etwas pikiert. «Das ist doch wirklich nicht angenehm hier bei deinen Eltern . . .»

«O Gott, Junge», lacht sie. «Ich glaub, der Karl hat recht, du bist ein Bourgeois . . .»

«Aber keine Spur!» protestiert er. «Wenn es deine Eltern nicht stört.» Er zögert noch einmal: «Und wenn Doktor Sesam sich nun geirrt hat, ich habe nichts da.»

«Also setzen wir uns wieder auf die Küchenstühle», schlägt sie vor. «Mir tut schon alles weh.»

«Ich komm ja schon, Lämmchen», sagt er reumütig.

«Ja, wenn du nicht willst –?»

«Ich bin ein Schaf, Lämmchen! Ich bin ein Schaf!»

«Na also», sagt sie. «Dann passen wir ja zueinander.»

«Das wollen wir gleich sehen», sagt er.

Kleiner Mann, was nun?

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