Читать книгу Wolf unter Wölfen - Ханс Фаллада - Страница 42
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ОглавлениеDer Oberwachtmeister der Schutzpolizei Leo Gubalke war erst gegen drei Uhr aus seinem Schrebergarten dicht beim Betriebsbahnhof Rummelsburg in die Wohnung Georgenkirchstraße zurückgekommen. Er hatte ausreichend Zeit, sich gründlich zu waschen und sich umzuziehen für den Dienst. Aber er hatte keine Zeit mehr, noch ein Schläfchen zu tun, wie er eigentlich gewollt hatte. Denn sein recht anstrengender Dienst ging von vier Uhr nachmittags bis morgens zwei Uhr, und es war immer gut, wenn man sich vorher ein wenig auf das Ohr legte. Es kam dem Dienst und vor allem den Nerven im Dienst zugute.
Oberwachtmeister Leo Gubalke ist ganz allein in seiner Zweizimmerwohnung. Die Frau ist schon seit dem Morgen im Schrebergarten (Kolonie Nordpol), die beiden Gören sind von der Schule direkt dorthin gefahren. Der Polizist hat sich die große Zinkwanne, die von seiner Frau sonst für die Wäsche benutzt wird, in die Küche geholt und schrubbt sich langsam und sorgfältig von oben her ab.
Es ist ein alter Streit zwischen ihm und seiner Frau, wie man sich am besten ganz wäscht. Er tut es von oben her: Kopf, Hals, Schultern, Brust und so weiter, bis er unten bei den Füßen ist. Das ist wirklich ordentlich und sauber, denn nichts bereits Gesäubertes wird durch das Waschen des nächsten Körperteils wieder berührt. Außerdem ist es sparsam, denn das reichlich von oben rinnende, mit Seife versetzte Wasser weicht die später zu reinigenden Körperteile schon ein.
Frau Gubalke will das nicht einsehen, oder falls sie es doch eingesehen hat, tut sie es nicht. Sie wäscht sich ganz systemlos, jetzt den Rücken, dann die Füße, jetzt die Brust, nun die Schenkel. Oberwachtmeister Leo Gubalke, der dienstlich fast alle Tage mit aufgeregten Frauen zu tun hat, ist fest davon überzeugt, daß auch Frauen Verstand haben können. Aber jedenfalls eine ganz andere Art Verstand als die Männer, und es ist völlig unnütz, sie von etwas überzeugen zu wollen, von dem sie nicht überzeugt sein mögen.
Frau Gubalke ist eine fabelhaft ordentliche Frau, die Küche blitzt nur so, und Gubalke weiß, daß in jeder sorgfältig zugeschobenen Lade, hinter jeder zuverlässig abgeschlossenen Schranktür jedes Stück in völliger Ordnung liegt, aber System in ihre Körperpflege ist nicht zu bekommen. So etwas ist nun einmal bei Frauen so, und wenn es so ist, soll man es auch nicht zu ändern versuchen, sie werden sonst leicht böse. Aber immerhin hatte der Vater den Triumph, daß die beiden Kinder, zwei Mädchen, sich nach seiner Methode wuschen.
Oberwachtmeister Gubalke ist ein Mann Anfang der Vierzig, rotblond, schon ein bißchen fett, ein sehr ordentlicher Mann, nicht ohne Wohlwollen, wenn es nur irgend damit ging. Eine sonderliche Begeisterung empfand er nicht mehr für seinen Beruf, obwohl der eigentlich seiner Neigung zur Ordnung entsprach. Ob er Chauffeuren vorschriftswidriges Fahren verwies, ob er einen randalierenden Betrunkenen auf die Wache brachte oder ob er eine Prostituierte aus der verbotenen Königstraße wies – er hielt die Stadt Berlin in Ordnung, er sorgte dafür, daß alles auf der Straße seine Richtigkeit hatte. Natürlich konnte öffentliche Ordnung nie den Rang privater Ordnung wie etwa in seiner Wohnung erreichen. Vielleicht war es dies, was ihm die Freude an seinem Beruf vergällte.
Lieber hätte er in einer Schreibstube gesessen, Register geführt, Karteien in Ordnung gehalten. Dort war mit Papier, Feder und womöglich noch mit einer Schreibmaschine etwas zu erreichen, das seinem Idealbild von der Welt am nächsten entsprach. Aber seine Vorgesetzten wollten ihn nicht von der Straße fortnehmen. Dieser ruhige, besonnene, vielleicht eine Spur langsame Mann war, zumal in dieser schwierigen, wirren Zeit, kaum zu ersetzen.
Während sich Leo Gubalke sein etwas rosiges Fett schrubbt, daß es rot wird, überlegt er wieder einmal, wie er der Sache einen Dreh geben soll, den sie nun einmal scheinbar haben muß, damit sein so oft geäußerter Wunsch auf Versetzung in den Innendienst erfüllt wird. Um diese Versetzung zu erreichen, auch wenn die Vorgesetzten es nicht wollen, gibt es mancherlei Mittel. Zum Beispiel Feigheit – aber Feigheit kommt natürlich nicht in Frage. Oder Aufgeregtheit, die Nerven verlieren – aber Oberwachtmeister Gubalke kann natürlich nicht die Nerven vor allen Leuten auf der Straße verlieren. Man könnte auch zu schneidig werden, jeden Dreck anzeigen, alles auf die Wache schleppen – aber das wäre wieder unkollegial. Oder man müßte einen Fehler begehen, einen groben, dicken Fehler, der die Polizei kompromittiert und über den sich manche Zeitungen so freuen – das würde ihn auf der Straße bestimmt unmöglich machen –, dafür aber ist ihm diese Uniform, ist ihm der Begriff „Polizei““, zu der er nun schon so lange gehört, zu lieb.
Der Oberwachtmeister seufzt. Betrachtet man den Fall näher, ist es wirklich erstaunlich, wie sehr die Welt für einen Mann, der auf Ordnung sieht, verstellt ist. Hundert Dinge, die ein weniger Gewissenhafter alltäglich tut, sind für ihn unmöglich. Auf der andern Seite hat man dafür ständig das Gefühl, ohne das man nicht leben möchte, daß man nicht nur die Welt in Ordnung hält, nein, daß man auch mit ihr in Ordnung ist.
Gubalke wischt die Zinkwanne sorgfältig aus, bis auch der letzte Wassertropfen aufgesogen ist, und hängt sie dann auf ihren Haken im Klo. In der Küche wird noch einmal der Boden nachgewischt, obwohl die wenigen Spritzer auch ohnedies in der beängstigenden Schwüle trocknen würden. Nun wird noch umgeschnallt und zum Schluß der Tschako aufgesetzt. Wie immer versucht Leo Gubalke es zuerst vor dem kaum mehr als handgroßen Küchenspiegel, wie immer stellt er fest, daß man hier nicht genau sehen kann, ob der Tschako vorschriftsmäßig sitzt. Also auf den dunklen Flur vor den großen Spiegel. Es ist ärgerlich, das elektrische Licht für einen so kurzen Augenblick einschalten zu müssen (der Stromverbrauch soll im Augenblick des Einschaltens am höchsten sein), aber es hilft nichts.
Nun ist alles fertig, zwanzig Minuten vor vier – eine Minute vor vier wird Oberwachtmeister Leo Gubalke auf dem Revier sein. Er steigt die Treppen hinab, einen weißen Handschuh hat er angezogen, den andern hält er lose in der Hand – so nähert er sich dem Torweg und dem Mädchen Petra Ledig.
Das Mädchen lehnt wieder mit geschlossenen Augen an der Wand. Als sie eben den Diener Ernst um Schrippen bat, als er fortging, sie zu holen, überfiel sie eine so lebhafte Vorstellung des jetzt ganz nahen Gebäcks … Sie meinte es zu riechen, es war plötzlich etwas von dem frischen, nahrhaften Geschmack in dem verbrauchten, filzigen Munde eingekehrt – sie mußte schlucken. Dann würgte es sie.
Es wurde wieder schwarz in ihrem Kopf, die Glieder gaben nach, als wäre gar kein Halt mehr in ihnen, die Knie waren weich, und ein ständiges Zittern und Schlagen saß in Armen und Schultern.
„Oh, komm doch! Bitte, komm doch!““ Aber sie weiß nicht, wen sie flüsternd, ganz allein in ihrer Hungerhölle, herbeiwünscht – den Diener oder den Geliebten.
Der Oberwachtmeister der Schupo Leo Gubalke hat natürlich stehenbleiben müssen, er sieht sich dies erst einmal an. Er kennt das Mädchen vom Sehen, da sie im gleichen Hause mit ihm wohnt, wenn auch hinten. Etwas Ungünstiges über sie ist ihm von Dienst wegen nicht bekannt. Immerhin wohnt sie bei einer Frau, die gelegentlich auch Prostituierte beherbergt, und lebt, ohne verheiratet zu sein, mit einem jungen Manne, der anscheinend nur spielt. Berufsmäßiger Spieler – wenn man etwas auf die Klatschereien der Frauen geben kann. Alles in allem liegt also weder zu besonderer Strenge noch zur Milde irgendein Grund vor – der Beamte beobachtet und überlegt.
Selbstverständlich hat sie zuviel getrunken – aber sie ist nahe bei ihrer Wohnung und wird die Treppen schon hinaufkommen. Außerdem beginnt sein Dienst erst um vier Uhr. Er braucht nichts gesehen zu haben, was um so eher geht, da dies nicht sein Bezirk ist und da sie ihn noch nicht bemerkt hat. Gubalke will schon fortgehen, da wirft ein neuer, heftiger Würgeanfall ihren Oberkörper nach vorn, Gubalke sieht direkt in den Mantelausschnitt hinein – und sieht fort.
Dies geht nun doch nicht. Dies kann er nicht übersehen, ein ganzes, säuberliches, ordentliches Leben steht dagegen auf. Der Oberwachtmeister geht auf das Mädchen zu, tippt die mit geschlossenen Augen Würgende mit dem behandschuhten Finger auf die Schulter und sagt: „Na – Fräulein?!““
Sein Beruf, der den Polizisten skeptisch gegen alle Mitmenschen macht, läßt auch das Vertrauen auf die eigenen Wahrnehmungen nicht intakt. Bis hierher hatte der Oberwachtmeister Leo Gubalke geglaubt, das Mädchen sei völlig betrunken, und ihr Anzug oder, richtiger, Auszug konnte diesen Glauben nur bestätigen. Kein Mädchen, das nur ein bißchen auf Ordnung an sich und um sich hielt, ging so auf die Straße.
Aber dieser Blick, der ihn aus den Augen des Mädchens traf, als er ihr die Hand auf die Schulter legte, dieser flammende und doch klare Blick, gequälte Kreatur, doch mißachtend ihre Qual – dieser Blick zerstreute jeden Gedanken an Alkohol. In einem ganz andern Ton fragte er: „Sind Sie krank?““
Sie lehnte an der Wand. Undeutlich nur waren ihr die Uniform, der Tschako, das rosige, volle Gesicht mit dem rötlichblonden strubbligen Bart vor Augen. Undeutlich war ihr, wer sie fragte, wem sie antworten sollte, was sie zur Antwort sagen sollte. Doch versteht vielleicht keiner so gut wie ein ordentlicher Mensch, der alle Tage mit aller Unordnung der Welt zu kämpfen hat, welchen Umfang diese Unordnung annehmen kann. Aus wenigen Fragen, mühsamen Antworten hatte sich Oberwachtmeister Gubalke rasch ein Bild des Sachverhalts aufgebaut, er wußte auch schon, daß nur auf ein paar Schrippen gewartet werden sollte, daß das Mädchen dann vorhatte, um die Ecke zum „Onkel““ zu gehen, der ihr bestimmt mit einem Kleid aushelfen würde, daß dann irgendwelche Freunde oder Verwandte des Mannes aufgesucht werden sollten (das Fahrgeld hatte sie in der Hand) – kurz, daß das Ärgernis aller Voraussicht nach in wenigen Minuten beseitigt sein würde …
All dies erfuhr der Oberwachtmeister, wußte es nun, und schon war er im Begriff zu sagen: Also gut, Fräulein, dies eine Mal will ich es Ihnen noch durchlassen, und zu Wache und Dienst zu gehen, als ihn peinlich der Gedanke anfiel, wann er denn eigentlich auf der Wache eintreffen würde –? Ein Blick auf seine Armbanduhr belehrte ihn, daß es drei Minuten vor vier Uhr war. Vor vier Uhr fünfzehn würde er unter keinen Umständen auf der Wache sein können. Fünfzehn Minuten Dienst versäumt – und mit welcher Entschuldigung –?! Daß er mit einem recht unsittlich bekleideten Frauenzimmer diese Viertelstunde verplaudert hatte, ohne zu einer Diensthandlung zu schreiten! Unmöglich – jeder würde denken: Der Gubalke hat einfach verpennt!
„Unmöglich, Fräulein““, sagte er dienstlich. „Ich kann Sie unmöglich so auf die Straße lassen. Erst einmal müssen Sie mit mir mitkommen.““
Sanft und doch fest legte er ihr die behandschuhte Hand auf den Oberarm, sie sanft, aber doch fest haltend, ging er mit ihr auf die Straße, auf die er sie unmöglich lassen konnte. (Ordnung bringt oft so Widersinniges mit sich.)
„Ihnen passiert gar nichts, Fräulein““, sagte er tröstend. „Sie haben ja nichts ausgefressen. Aber ließe ich Sie so auf die Straße, könnte es Erregung öffentlichen Ärgernisses und Schlimmeres werden, und dann hätten Sie was ausgefressen.““
Das Mädchen geht willig neben ihm her. Der Mann, der sie so nicht ohne Sorgsamkeit führt, hat nichts an sich, was einen unruhig machen könnte, obwohl er eine Uniform trägt. Petra Ledig, die sich, gar nicht lange her, noch unsinnig vor jedem Polizisten geängstigt hat, damals, als sie noch unerlaubt ein wenig auf die Straße ging, Petra merkt, daß Polizisten in der Nähe nichts Beängstigendes zu haben brauchen, sie haben sogar etwas Väterliches.
„Auf der Wache sind wir zwar nicht darauf eingerichtet““, sagt er grade, „aber ich werde schon sehen, daß Sie gleich was zu essen kriegen. Die auf der Meldeabteilung haben meist nicht soviel Hunger, da werde ich schon ein Butterbrot fassen.““ Er lacht. „So ein fremdes Butterbrot, ein bißchen angetrocknet und in zerknittertem Stullenpapier, ist grade was Schönes. Wenn ich meinen Gören mal so was mitbringe, sind sie immer ganz wild darauf. Hasenbrot nennen sie das. Sagen Sie auch so dafür?““
„Ja““, sagt Petra. „Und wenn Herr Pagel mir mal ein Hasenbrot mitbrachte, habe ich mich auch immer gefreut.““
Bei der Erwähnung des Herrn Pagel macht der Oberwachtmeister Leo Gubalke sein dienstlichstes Gesicht. Trotzdem Männer einander immer beistehen müssen, und zumal gegen die Weiber, ist er gar nicht einverstanden mit diesem jungen Herrn, der noch dazu ein Spieler sein soll. Dem jungen Mädchen wird er nichts davon sagen, aber er hat doch vor, sich die Lebensführung dieses Herrchens etwas näher anzusehen. Sehr anständig hat sich dieser Herr Pagel kaum benommen, und es ist nur gut, so ein Luftikus merkt mal, man sieht ihm auf die Finger.
Der Oberwachtmeister ist verstummt, er schreitet schneller aus. Das Mädchen geht willig mit, es ist nur gut, wenn sie rasch aus dieser Anglotzerei fortkommt. So entschwinden die beiden, gegen die Wache hin – und umsonst kommt der Diener Ernst mit seinen Schrippen, umsonst wird das Mädchen Minna der Frau Gesandtschaftsattaché Pagel sich nach ihr erkundigen, umsonst fährt in Dahlem der üppige Maybach los, in dem eine Dame mit einem blinden Kinde sitzt.
Umsonst auch zerstreitet sich um diese Zeit Wolfgang Pagel endgültig mit seiner Mutter.
Petra Ledig ist fürs erste einmal aller zivilen Einwirkung entzogen.