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18. Juni 1921

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Kommissar Harm Logemann hörte sich den Bericht des Wachtmeisters aufmerksam an. »Nicht viel, aber immerhin etwas«, war sein Kommentar. »Die Tante können wir als Täterin ausschließen, denke ich. Aber wir sollten nach Worpswede fahren, um sowohl diesem Cord als auch dem Maler Lür mal auf den Zahn zu fühlen.«

Der Bahnhofsplatz war nur von wenigen Menschen bevölkert, als die beiden Beamten in Worpswede aus dem Moor-Express stiegen. Am Himmel zogen riesige Wolkengebilde vorbei, lösten sich auf und ballten sich dann wieder zusammen.

Logemann blickte hoch. »Dieser Himmel im Zusammenspiel mit der Weite des Landes in dieser geheimnisvoll anmutenden Moorlandschaft hat Mackensen, Modersohn und die anderen Maler für Worpswede und das Teufelsmoor begeistert.«

Der junge Wachtmeister staunte: »Ich wusste gar nicht, dass Sie ein so großer Kunstliebhaber sind, Herr Kommissar.«

Logemann richtete den Blick wieder nach vorn: »Kommen Sie, Murken, wir müssen den Worpsweder Ortspolizisten aufsuchen und ihn über unsere Ermittlungen informieren. Das können wir auf dem kleinen Dienstweg machen, denn Johann Behrens und ich waren zusammen als Soldaten in Frankreich. Im Krieg ’14 bis ’18 haben wir zwei Jahre Seite an Seite im Schützengraben gelegen. Nach Ende des Krieges wurden wir in den Polizeidienst übernommen. Er wollte keine Karriere in der Großstadt machen, sondern hier in seiner Heimat ein ruhigeres Leben als Dorfpolizist führen.«

Sie gingen vom Bahnhof aus durch die Bergstraße zur Polizeistation in der Lindenallee.

Johann Behrens, ein klobiger Mann mittleren Alters, wollte gerade die Polizeistation verlassen. Die beiden Kriegskameraden begrüßten sich voller Freude, und Logemann stellte den Wachtmeister vor und schilderte ihr Anliegen.

Behrens Miene verdüsterte sich. »Ja, die verschwundenen Mädchen aus Bremen. Mich beschäftigt der Fall natürlich auch. Bisher gab es hier aber auch nicht den geringsten Hinweis, dem man hätte nachgehen können, und auf das Geschwätz von Stammtischbrüdern und einer klatschsüchtigen Kneipenwirtin gebe ich nicht viel. Der Lür soll ja ein guter, talentierter, junger Maler sein, aber er ist ein Alkoholiker, der schon mit einem Bein im Irrenhaus steht. Er und die Entführung von jungen Mädchen? Nee, das passt nicht zusammen. Und was den Cord Wischhusen angeht, das ist ein ganz armes Schwein. Er ist der jüngste von drei Söhnen vom Bauern August Wischhusen aus Weyerdeelen. Seine Mutter ist bei seiner Geburt gestorben, und er wurde von seinem Vater aufgezogen. Die beiden älteren Brüder waren Tagediebe und haben sich nicht um ihn gekümmert. Nach dem Tod des alten Wischhusen haben die beiden den Hof und die dazugehörigen Ländereien versoffen und das Teufelsmoor verlassen. Es wird gemunkelt, dass sie in Bremerhaven vor Anker gegangen sind. Der eine soll beim Beladen eines Schiffes in eine Luke gestürzt sein und sich das Genick gebrochen haben. Der andere soll angeblich mit einem Auswandererschiff nach Amerika abgedampft sein. Der junge Cord ist der Gemeinde zur Last gefallen und musste sich schon als Dreizehnjähriger bei Bauern als Jungknecht verdingen. Er ist nicht ganz richtig im Kopf, aber eigentlich ein sehr netter Kerl, der keiner Fliege etwas zuleide tut. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er in seiner Einfalt ein Mädchen entführen kann, ohne dass das halbe Dorf etwas davon merkt.«

»Wir möchten uns aber doch mal mit Cord Wischhusen und dem Maler Lür unterhalten«, meinte Logemann.

»Gut«, sagte Behrens, »wo der Cord gerade arbeitet, weiß ich nicht, aber am Atelier vom Lür kommen wir auf meinem Weg zum Bauern Lankenau vorbei. Dem sollen angeblich drei Kühe von der Weide gestohlen worden sein. Liegt alles im Ostendorfer Moor, ganz in der Nähe vom Ortskern.«

Die drei machten sich auf den Weg. Der Ortspolizist deutete auf ein kleines Gehöft. »Dort, auf dem Hof des Kleinbauern Martin Brünjes, hatte Paula Modersohn-Becker ein Zimmer gemietet und zum Atelier ausgebaut. Es war – wie sie einmal gesagt haben soll – ihr Lilienatelier und zeitlebens ihre liebste Stube. Ein Jammer, dass sie so früh gestorben ist und die Anerkennung ihrer Kunst nicht mehr erlebt hat.«

Logemann war bei der Erwähnung des Namens Paula wie elektrisiert: »Paula! Paula Modersohn-Becker, Paula, wie alle die verschwundenen Mädchen. Da muss es doch einen Zusammenhang geben.«

Wachtmeister Murken ergänzte: »Paula, die Malerin, und ein Maler, dem beim Bier die Zunge locker wird und der dann was von Paula und den verschwundenen Mädchen erzählt!«

Der Dorfpolizist blieb ruhig. »Wir werden gleich vielleicht mehr erfahren. Da hat er sein Atelier.« Dabei deutete er mit einer Hand auf eine halbverfallene Strohdachkate.

Nachdem sich auf ein kräftiges Klopfen nichts gerührt hatte, öffnete Behrens mit zwei kräftigen Fußtritten die klemmende, niedrige Tür. Um ins Innere des Ateliers zu kommen, mussten die drei Polizisten ihre Köpfe einziehen. Sie sahen Chaos. Um eine Staffelei mit einem leeren Stück Leinwand lagen leere Bierflaschen, umgestürzte Stühle, zerrissene Skizzenblätter, zwei Malpaletten, Farbtuben und Pinsel auf dem Boden verstreut. Von dem jungen Maler war keine Spur zu sehen.

Der Dorfpolizist sprach als Erster: »Das wird heute nichts mehr mit dem Lür. Und um den Cord Wischhusen zu treffen, solltet ihr mal beim Spritzenhaus der Freiwilligen Feuerwehr – gleich hier die Straße runter, auf der linken Seite – vorbeigehen.« Dabei deutete er auf die Straße in Richtung Ortsausgang. »Die haben heute eine Übung, und der Cord ist immer als Helfer dabei. Ich muss ja weiter, um mich um die Rinder von Bauer Lankenau zu kümmern. Anschließend spreche ich noch mit dem Wehrführer und werde veranlassen, dass die Ufer der Hamme und die Kanäle des Teufelsmoores nach Hinweisen abgesucht werden.« Er nickte grüßend und schritt mit großen Schritten davon.

Logemann und Murken trafen am Spritzenhaus neun Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr an. Als sie dem Wehrführer ihr Anliegen schilderten, schüttelte der den Kopf: »Nein, den Cord habe ich schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass dieser Schwachkopf etwas mit der Entführung der Mädchen zu tun haben könnte. Vielleicht können euch die Torfbauern irgendwelche Hinweise geben. Die pendeln doch immer zwischen dem Teufelsmoor und Bremen, um dort ihren Backtorf zu verkaufen. Mit ihren Torfkähnen fahren sie die Hamme abwärts, über Wümme und Torfkanal zum Torfhafen an der Neukirchstraße in Findorff, um von dort ihren Torf von ihren Kähnen auf Handkarren zu verladen und ...«

»Ja, das weiß ich«, unterbrach ihn der Kommissar. »An meinem Wohnhaus kommt auch so ein Torfbauer regelmäßig mit seinen ›Backtorf, Backtorf‹-Rufen vorbei. Wir heizen ja schließlich auch damit.«

Murken fügte hinzu: »Und einen Teil der Einnahmen versaufen diese Bauern vor ihrer Rückfahrt ins Moor in den vielen Kneipen in der Neukirchstraße am Torfhafen. Da sollten wir uns mal umhören, denn der Alkohol löst sicher auch bei diesem schweigsamen Menschenschlag die Zungen.«

»Prima Idee, Murken«, ließ der Kommissar vernehmen, »dann haben Sie ja für morgen eine interessante Aufgabe.«

Die weiteren Gespräche mit den Feuerwehrleuten waren unergiebig. Sie versprachen, ihre Augen offenzuhalten und bei Auffälligkeiten den Dorfpolizisten zu verständigen.

Paulas Töchter

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