Читать книгу Pit Summerby und die Magie des Pentagramms - Hans Günter Hess - Страница 4

Das Geheimnis

Оглавление

Ein Blitz, gekoppelt an einen gewaltigen Donnerschlag, verscheuchte Boldi augenblicklich von seinem Schoß. Jaulend und mit eingeklemmtem Schwanz verkroch er sich unter der Liege. Es begann heftig zu regnen. Pit packte seine Schultasche für morgen. Eigentlich wollte mit dem Fahrrad noch eine Runde drehen. Das musste er wohl jetzt verschieben. Plötzlich klopfte es an der Tür. Gedankenverloren rief er: „Herein!“

In der Tür stand seine Großmutter Gretel. Sie schlug die Hände bestürzt über dem Kopf zusammen, als sie das Chaos sah.

„ Das ist ja ein gewaltiger Saustall“,

rief sie entrüstet. Doch kurz darauf sagte sie in liebevollem Ton:

„Peterle, du solltest mit deinen Sachen ordentlicher umgehen. Viele Menschen haben sich bemüht, dir diese Dinge zu geben. Du weißt, sie wären sehr enttäuscht, wenn sie sehen würden, wie du sie behandelst.“

Pit stutzte einen Moment und beschämt antwortete er:

„Omi, ich werde mir Mühe geben. Gleich nachher räume ich auf, das verspreche ich dir.“ Versöhnt setzte sie ich auf den Stuhl. Um ihr zu zeigen, dass er auch anders konnte, bot er ihr an, das Gelernte aufzusagen. Aufmerksam hörte sie ihm zu, was er ziemlich fließend vortrug.

„Das klingt gut, und ich glaube auch, dass es richtig ist",

lobte sie.

„Weißt du, Peterle, früher haben wir auch mit Buchstaben in der Schule gerechnet. Wir nannten es auch das ‚Buchstabenrechnen'. Eine Formel weiß ich sogar noch. Sie heißt a² + b² = c².“

„Oma, das ist der Satz des Pythagoras, und das Buchstabenrechnen heißt heute Algebra.“

„Da bin ich aber froh, dass ich jetzt nicht mehr zur Schule muss. Das moderne Zeug würde mich verrückt machen“,

entgegnete sie und lachte. Pit erwiderte zustimmend:

„Das moderne Zeug brauche ich auch nicht, aber in der Schule wird uns immer was anderes eingeredet.“

Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. Dann nahm er seine Schultasche, um sie in den Flur zu stellen. Doch er hielt inne. Seine Oma hatte doch einen Grund, wenn sie ihn allein aufsuchte.

„Was hast du auf dem Herzen, Omi?“

fragte er neugierig gweworden.

„Setz dich, Peter!“,

sagte sie feierlich.

„Du weißt, dass die ganze Verwandtschaft deines Großvaters im Süden der USA lebt. In meinem Alter hat man nicht mehr viel Zeit, um Versäumtes nachzuholen. Man braucht auch Hilfe, wenn man ein großes Vorhaben plant. Ich möchte im nächsten Jahr zu ihnen reisen und dich deshalb fragen, ob du mich begleiten würdest.“

Erschrocken und gleichzeitig hoch erfreut jubelte Pit:

„Selbstverständlich, mit dem größten Vergnügen, Omi. Ich werde mich gleich an die Vorbereitungen machen.“

Sie winkte beschwichtigend ab.

„Das hat noch Zeit, und außerdem überlasse mir alles, was nötig ist. Zunächst wollte ich nur deine Zustimmung. Ich bitte dich aber, vorläufig mit Niemandem darüber zu sprechen.“

Aufgeregt versprach er, nicht eine Silbe zu verraten. Beim Weggehen legte sie nochmals den Finger symbolisch auf den Mund. Pit konnte nur überglücklich nicken. Seine Oma war die Einzige, die ihn Peter oder Peterle nennen durfte. Für alle anderen hieß er Pit, einschließlich seiner Eltern samt Schwester, da blieb er kompromisslos. Mit ihr konnte er auch über alles reden. Seine Sorgen und Probleme, aber auch die fröhlichen und schönen Dinge besprach er oft mit ihr. Er wusste, dass er immer auf ihr Verständnis stieß und sie ihm häufig auch nützliche Ratschläge gab. Besonders liebte er ihre Geschichten von früher. Entschlossen nahm er sich vor, endlich sein Zimmer aufzuräumen, denn seine Oma schien über die herrschende Unordnung sehr enttäuscht zu sein. Sofort, bevor sein Entschluss kalte Füße bekam, begann er mit der Umsetzung. Da es draußen in Strömen regnete, gab es sowieso nichts Besseres zu tun. Als Erstes rückte er das Bettzeug zurecht, danach beabsichtigte er den Schreibtisch aufräumen.

Zunächst sortierte er aber die herumliegenden Klamotten nach Gutdünken. Was nach seiner Meinung schmutzig war, warf er auf einen Haufen. Die anderen Sachen versuchte er in seinem Kleiderschrank zu verstauen. Verwundert folgte der Hund dem Treiben. Er hüpfte hin und her, begriff offenbar nicht, was sich hier abspielte. Mit einem Packen zusammengeraffter Schmutzwäsche verließ Pit seine Bude und beförderte das Bündel stöhnend ins Bad. Seine Haare föhnende Mutter unterbrach interessiert ihr Vorhaben. Die seltsamen Aktivitäten ihres Sohnes erregte sichtliche Aufmerksamkeit. Sie lobte ihn vorsichtshalber.

„Ist doch selbstverständlich, Mutz“,

entgegnete er, als täte er das Normalste in seinem Leben. Das erstaunte sie noch mehr, aber sie schwieg.

„Ich will nachher eine Runde mit dem Fahrrad drehen, wann gibt es denn Abendbrot?“ „Wie stets um sechs Uhr“,

erwiderte sie stotternd. Der aufgeflammte Ordnungssinn ihres Sohnes hemmte zunehmend den Sprachfluss. Pit, noch immer euphorisch, verschwand wieder in seinem Zimmer. Dort gab es noch viel zu tun, das schwächte plötzlich seine Lust. Boldi zog auch lieber die Gesellschaft von Omas Katze vor, die sich im Hof langweilte. Mit einem Rest der verbliebenen Initiative wischte er noch den Staub von Opas Bild, dann beendete er die begonnene Aufräumaktion. Das Abendessen lockte.

Seine Mutter deckte gerade den Tisch. Sonntags wurde immer gemeinsam im Wohnzimmer gespeist. Sein Vater saß schon auf seinen Stammplatz und las in einer Zeitung. Pit ließ sich neben ihm nieder. Der Stuhl an der Stirnseite gehörte seiner Oma. Ihr gegenüber saß immer seine Mutter. Jule beanspruchte mit der anderen Längsseite des Tisches auch den meisten Platz. So sah es jedenfalls die Sitzordnung neuerdings vor. Pit verspürte Hunger und griff nach dem Brot. Noch waren nicht alle anwesend. Es fehlte auch Wurst und Butter. Dem Vorwitz begegnete diesmal seine Mutter mit einem strafenden Blick. Zur Verwunderung aller tat er zum ersten Mal etwas, womit niemand in der Familie gerechnet hatte. Er stand auf und half ihr.

Oma erschien stets pünktlich. Nur seine Schwester ließ sich wie immer Zeit. Kaum erschienen, quengelte sie. Sie wolle keine Salami sondern nur Nutella aufs Brot haben. Sonst würde sie gar nichts essen, drohte sie. Sie wagte aber nicht, gegen den eindeutigen Blick ihres Vaters aufzubegehren. Endlich kehrte Ruhe ein. Oma saß still auf ihrem Stuhl mit gefalteten Händen. Sie betete. Das tat sie vor jeder Mahlzeit. Die anderen aßen bereits. Beleidigt tuend, holte Jule die Nusscreme selber und schmierte sich auch das Brot. Schweigend kauten jetzt alle still vor sich hin, diesmal aber gepaart mit einer gewissen Spannung.

Oma glaubte nämlich, ihr Enkel würde nicht dicht halten. Pits Mutter, noch immer verwundert über sein Verhalten und verärgert über die Launen der Tochter, schwieg vorsichtshalber. Sein Vater, dem offensichtlich eine Neuigkeit auf der Zunge lag, hielt sich auch zurück. Und Pit, noch immer aufgeregt darüber, dass er mit seiner Oma nach Amerika fahren sollte, muffelte schmatzend an seiner dritten Stulle.

Schließlich unterbrach der Vater die lähmende Schweigsamkeit.

„Wie ihr wisst“,

begann er,

„war ich heute Morgen mit einigen Leuten bei der alten Windmühle. Wir haben uns das Gerippe gründlich angesehen und beschlossen, sie wieder herzurichten. Zunächst wollen wir den Bock und das Dach in Ordnung bringen und noch Verwertbares bergen. Ein Fachmann aus der Kreisverwaltung will sie als Denkmal schützen lassen. In der nächsten Zeit werden wir einen Interessenverein gründen und dann das gemeinsame Vorgehen bei der Rekonstruktion festlegen.“

Pit hörte mit offenem Mund zu. Diese Neuigkeit musste er erst verdauen. Galt doch die Mühle als verwunschen, und niemand wollte bisher etwas mit ihr zu tun haben. Wind und Wetter hatten sie arg gebeutelt, und ihre Nähe bildete eine unabwägbare Gefahr. Ein Schild wies darauf hin. Groß war dort vermerkt: ‚Das Betreten ist streng verboten!’

„Ich werde nachher mal mit dem Rad hinfahren“,

beschloss er, um sich das angeblich Fluch belastete Bauwerk möglichst nahe ansehen. Seine Mutter äußerte Skepsis.

„Seid ihr sicher, Jens, dass es sich lohnt, diese Ruine wieder aufzubauen? Wäre es nicht gescheiter, sie ganz abzureißen?“

„Keine Sorge, Babs, wir haben uns das Ganze gründlich angeschaut. Es sieht schlimmer aus, als es ist. Zum anderen hätten wir am Radwanderweg der Werla ein attraktives Ziel. Es könnte sich eine interessante Perspektive entwickeln.“

Pits Mutter Bärbel schien nicht besonders überzeugt zu sein. Sie wechselte das Thema. „Ich habe heute einen glücklichen Moment erlebt. Unser Sohn hat seine Schmutzwäsche ins Bad geräumt und beim Decken des Tisches geholfen. Ich kenne nicht den Grund seiner Wandlung, aber ich bin froh, dass noch nicht ganz Hopfen und Malz verloren ist. Ich wäre glücklich, ihn öfter so zu erleben.“

Pit errötete leicht, und Oma Gretel lächelte ihm verschmitzt zu. Ihr gemeinsames Geheimnis sollte vorerst keiner erfahren.

„Da können wir ja froher Hoffnung sein",

bemerkte sein Vater. Er vertiefte sich wieder in seine Zeitung.

Pit bot sich an, auch beim Abräumen behilflich zu sein. Eine ungewöhnliche Geste. Seine Oma drängte ihn aber mit den Worten weg:

„Geh nur!“

Der Regen hatte die Luft abgekühlt. Er streifte deshalb die Jacke über. Plötzlich verstellte ihm seine Schwester demonstrativ den Weg.

„Ich will mit!“

Er sah keine Chance, ihr den Wunsch abzuschlagen. Sie stürmte in Garage, um ihr Bike zu holen, doch das hatte einen Plattfuß.

„Los, pumpe mal Luft auf!“

Diese fordernde Tonart konnte er absolut nicht leiden. Er schwang sich auf seinen Drahtesel und fuhr davon, mit einem keifenden Wesen im Nacken.

Pit Summerby und die Magie des Pentagramms

Подняться наверх