Читать книгу Der fremde Gott - Hans-Joachim Höhn - Страница 5

Vorwort

Оглавление

Die Verkünder einer „Renaissance der Religion“ sehen sich seit einiger Zeit ermutigt, auf die leeren Gräber der Religionskritik zu verweisen. Sie können sich dazu auf Meldungen berufen, wonach das Religiöse längst jene Totengruft verlassen hat, aus der Nietzsche & Co bereits seinen Modergeruch strömen glaubten. Es hat sein „Nachleben“ mit bemerkenswerter Vitalität angetreten und ist über seine angestammten frommen Refugien hinaus in die mediale und politische Öffentlichkeit vorgedrungen. Aber trotz solch offenkundiger Säkularisierungsresistenz gelingt es den Verfechtern der Religion nicht, ihren einstigen Widerpart loszuwerden. Binnen kurzer Zeit hat sich gegen die Rede von ihrer Wiederkehr die Bewegung eines „Neuen Atheismus“ öffentlichkeitswirksam zurückgemeldet. Für seine Wortführer gilt als ausgemacht, dass die Moderne nur deswegen genötigt ist, noch einmal auf Religion Bezug zu nehmen, weil der erste Versuch ihrer Überwindung vergeblich war. Erneut verknüpfen sie ihr Plädoyer mit einer Prognose: Gibt man der Aufklärung – nunmehr in der Gestalt eines evolutionstheoretisch grundierten und soziobiologisch formatierten Naturalismus – eine zweite Chance, wird sich die Haltlosigkeit religiöser Weltbilder und Praktiken ein weiteres Mal und diesmal wohl definitiv erweisen.

Die Theologie macht es sich zu leicht, wenn sie den „neuen“ Atheisten bescheinigt, dass ihre Argumente weitgehend dem bekannten Repertoire der religionskritischen Klassiker der Neuzeit entnommen sind, deren begrenzte Überzeugungskraft man schon hinreichend dargelegt habe. Ihre Wiederauflage zwingt gleichwohl zu einer erneuten Auseinandersetzung. Nachdenklich machen sollte nicht zuletzt der enorme publizistische Erfolg, den diese Kritiker für sich verbuchen. Es scheint in unserer Gesellschaft eine erhebliche Nachfrage nach einer „Delegitimation“ von Religion zu bestehen, obwohl zuvor ein beträchtlicher Bedarf an spirituellen Ressourcen diagnostiziert worden war. Ungebrochen ist offensichtlich das Interesse an einem finalen Aufweis, dass es nichts auf sich hat mit religiösen Welt- und Daseinsdeutungen, so dass man sich guten Gewissens eine erneute Beschäftigung mit ihrem Geltungsanspruch ersparen kann. Und zugleich besteht eine ebenso große Skepsis, ob der Mensch vorankommen kann, wenn er alles Religiöse abstreift und hinter sich lässt.

In der Gottesfrage erfahren diese beiden widerstreitenden Tendenzen eine besondere Zuspitzung. Die gegenwärtige Kritik der Religion legt die Verzichtbarkeit und Entbehrlichkeit des Gottesgedankens nahe, indem sie zeigt, dass selbst dort, wo die Religion sich scheinbar als nützlich und unentbehrlich präsentiert, funktionale Alternativen aus dem Bereich der säkularen Moral, Ästhetik und spirituellen „Diätetik“ verfügbar sind. Dem Gottesbezug scheint somit keine konstitutive oder alternativenlose Bedeutung zur Bewältigung innerweltlicher Herausforderungen und Probleme zuzukommen. Dem kann auch die Theologie nicht uneingeschränkt widersprechen. Denn sie plädiert ihrerseits dafür, dass ein Verhältnis zu Gott missverstanden wird, wenn man seine Bedeutung nur oder primär anhand seiner für das Individuum wohltuenden Wirkungen oder seiner für die Gesellschaft nützlichen Folgen ermessen und daran seine Relevanz ablesen will. Nützlichkeit kann nicht der erste, alleinige oder letzte Maßstab eines Verhältnisses zur Wirklichkeit, zu den Mitmenschen oder zu Gott sein.

Allerdings folgt aus dieser Position ein weiteres, für die Theologie nicht weniger prekäres Problem. Wenn Gott zunächst um seiner selbst willen es wert ist, ein Verhältnis zu ihm zu haben, und nicht wegen einer Funktion, die dieses Verhältnis mehr oder weniger gut erfüllt, was unterscheidet dann ein Gottesverhältnis letztlich von einer Beziehung zu einer für die menschliche Lebenspraxis völlig belanglosen Größe? Ist das Belanglose nicht identisch mit dem Unnützen, Wertlosen, Überflüssigen? Wenn ein Gottesverhältnis nicht als Mittel taugt für das Erreichen lebenspraktischer Ziele und Zwecke, sondern ein Verhältnis zum Unverzweckbaren darstellt, wie kann man zeigen, dass es nicht belanglos oder folgenlos ist, sich für das Unverzweckbare zu interessieren? Wenn ein Gottesverhältnis im Kontext zweckrational organisierter Lebensverhältnisse ein „Fremdkörper“ bleibt, wie lässt sich vermeiden, dass dann das Reden von ihm nur in einer unverständlichen „Fremdsprache“ erfolgt?

Wie die Theologie das Sprechen von Gott angesichts der Bestreitung seiner Relevanz für innerweltliche Herausforderungen rechtfertigen kann, ist die Grundfrage der vorliegenden Studie. Mit ihr gekoppelt ist die existenzielle Frage, wie ein Gottesverhältnis gelebt werden kann, das bereits sprachlich „befremdet“. In der Aufnahme dieser Fragen will diese Studie sowohl im Blick auf die theologische Zunft als auch im Blick auf die Religionskritik in die Kunst der Bestreitung einführen. Bestreiten heißt: Vorbehalte anmelden, Selbstverständlichkeiten in Frage stellen, einen Konsens aufkündigen, Revision beantragen, eine Sache neu aufrollen.

Bestritten wird die Berechtigung eines theologischen Redens von Gott, das ihn ohne eine Welt denken will, die auf ihre Autonomie und Säkularität pocht und somit ohne Gott gedacht werden will (Kapitel 1). Neu aufgerollt wird von den biblischen Texten her das Plädoyer für einen Denk- und Redestil, der Front macht gegen Gottesbilder, die nicht die radikale Andersheit und Unverzweckbarkeit Gottes zur Geltung bringen. Ausgehend von der unabdingbaren Erfüllung des „Bilderverbotes“ wird plädiert für eine „theologia negativa“ als einer Diskursform, die den intellektuellen und existenziellen Herausforderungen einer „postsäkularen“ Kultur am ehesten gerecht werden kann (Kapitel 2). Sie bewährt sich auch bei der religions- und metaphysikkritischen Bestreitung eines philosophischen Denkhorizontes, innerhalb dessen der Vernunft zumutbar werden soll, was der Glaube artikuliert. Das Bilderverbot verlangt, Gott in gleicher Weise von „etwas“ und „nichts“ zu unterscheiden. In einer „theologia negativa“, welche diese Unterscheidung im Kontext der „metaphysischen“ Unterscheidung von Sein und Nichts zur Geltung bringen will, geht es darum, diesen Unterschied als einen Widerstreit auszulegen, in den Gott und Mensch „verstrickt“ sind. Denn für den Menschen bedeutet „am Leben sein“, sein Leben zu führen in der Einheit von Leben und Tod. Aber diese Einheit umschließt einen Gegensatz, der größer nicht gedacht werden kann. Diese Einheit wird für den Menschen offensichtlich unausweichlich zu Gunsten des Todes entschieden. Ist ein solches Leben, in dem der Mensch sich letztlich nur den Tod holen kann, letztlich akzeptabel? Wie lässt sich angesichts dieser Konstellation von Sein und Nichts noch die Frage nach Gott, Sein und Sinn verhandeln, wenn man der existenziellen Problematik der Daseinsakzeptanz nicht vorab durch naturalistische Hinweise auf die „Nichtigkeit“ eines endlichen und befristeten Lebens ausweichen will (Kapitel 3)?

Dies ist nicht der einzige Widerstreit, auf den sich eine theologische Kunst der Bestreitung von Gehalt und Relevanz des Gottesgedankens einlassen muss. Eine sich dem Bilderverbot verdankende Gottesrede hat in der Gegenwartskultur etliche Anlässe, sich an buchstäblich „weltanschaulichen“ Debatten zu beteiligen. In einer Zeit, in der Mensch und Welt so aussehen, wie man sie ansieht, und in der sich „Ansichtssachen“ inflationär vermehren, bedarf es einer Kritik an fatalen Gleichungen. Wie das biblische Bilderverbot die Verehrung von „religiösen“ Medien der Verehrung Gottes kritisiert, sofern sich diese Medien an die Stelle des zu Verehrenden setzen, so hat heute eine theologische Kritik „säkularer“ Medien der Welterschließung deutlich Einspruch zu erheben gegen die mediale Einebnung der Unterschiede zwischen dem Realen, Imaginären, Virtuellen und Fiktiven. Und zugleich ist sie gefragt, wie sie gerade angesichts des „iconic turn“ in den Kulturwissenschaften, welcher auf den metaphysikkritischen „linguistic turn“ der Philosophie gefolgt ist, das Moment des Ästhetischen gegen eine falsche Anschaulichkeit im Wirklichkeits- und Gottesverhältnis des Menschen zur Geltung bringen kann (Kapitel 4).

Theologie als „Kunst der Bestreitung“ ist zwar auch dem Ideal der Ausgewogenheit verpflichtet, indem sie Gegenstimmen zu Wort kommen lässt. Aber dennoch ergreift sie engagiert Partei für ihre Anliegen. Das ihr gemäße Schlusswort kann daher nur in der Weise eines Plädoyers formuliert werden. Damit wird jedoch kein Element eingeführt, das mit diskursiver Urteilsbildung unverträglich ist. Denn ein Plädoyer als Element eines Prozesses nimmt nicht ein Urteil vorweg, sondern will für eine Urteilsbildung nur eine (möglichst überzeugende) Vorlage liefern. Den Urteilsspruch über die verhandelte Sache muss es anderen überlassen. Es kann nur an die Urteilskraft seiner Adressaten appellieren und ihnen eine bestimmte Entscheidung nahelegen. Wer ein Plädoyer führt, darf daher auch am Ende eine akademische Distanz zu seiner Sache und seinen Adressaten aufgeben. Von dieser Erlaubnis macht das Schlusswort Gebrauch (Kapitel 5). Es enthält eine biographische Notiz über meinen Weg zu einer „theologia negativa“ – und mit ihr.

Bei der Schlussetappe zur Fertigstellung dieses Buches haben mich Claudia Rott und Martin Dürnberger unterstützt. Ihnen sei dafür herzlich gedankt. Zwar teilen sie in manchen Punkten nicht meine Position. Aber da Streiten auch verbinden kann, bereichern solche Differenzen das Miteinander.

Köln, im Sommer 2008 Hans-Joachim Höhn
Der fremde Gott

Подняться наверх