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1944, an der Lutherkirche, ich bin der Größte der Jungen Zunächst badete ich im Nichtschwimmerbereich,später schwamm ich immer im Schwimmerbecken am Seil entlang von einer Seite zur anderen hinüber. Als ich das geschafft hatte, konnte ich richtig schwimmen.Im Sommer war ich bald jeden Tag am Kanal. Ich angelte viele kleine Fische, die ich manchmal an eine Katze verfütterte, die in unserer Nähe am Hauseingang saß. Einmal vertilgte sie 8 kleine Plötzen. Ich wundere mich heute noch darüber, wie die Katze diese Menge in ihrem kleinen Magen untergebracht hat. Meine Freunde kamen aus unserem Haus und der näheren Umgebung. Wir spielten gern auf unserem Hof und auf der Wiese neben uns und an der Kirche. Deren Wiesen und Sträucher luden geradezu zum Versteckspielen ein, wie auch der dahinter liegende Lunapark. Ein guter Freund von mir wurde mit uns zusammen und seiner Familie vertrieben. 1947 gingen wir in dieselbe Schule in Leißling bei Weißenfels. Danach haben wir uns aus den Augen verloren. Erst im Jahr 2000 habe ich ihn über das Internet gefunden. Leider verstarb er 2 Monate später in Duisburg, wo er die ganzen Jahre im Bergbau tätig war. Als ich mit ihm sprach, merkte ich schon seine Teilnahmslosigkeit und erfuhr von seiner schlimmen Krankheit. Nach 2 Monaten rief mich seine Frau an und sagte mir, dass er verstorben ist. Zurück zu Landsberg. Meine Großeltern hatten eine 2-Zimmer-Wohnung mit Küche, Klo war eine halbe Treppe tiefer, im Stall auf dem Hof lagerte unser Brennmaterial für die Ofenheizung. Meine Großeltern wohnten und schliefen im vorderen Zimmer, das ein Durchgangszimmer war. Meine Mutter und ich bekamen das hintere Zimmer, in dem auch im Winter kaum geheizt wurde. Da stand auch noch das Klavier meiner Mutter. So lebten wir einige Jahre bis etwa Mitte 1944 dort zusammen. Dann bekamen wir eine eigene Wohnung am Wall 8, auch in Brückenvorstadt, nur wenige Meter von der Warthe und der großen Warthebrücke entfernt. Das Haus war ehemals eine Pension mit Fremdenzimmern. Unten gab es eine Gaststätte und eine Bäckerei. Meine Mutter hatte eine Anstellung als Kassiererin im Kino „Kyffhäuser-Lichtspiele“ angenommen. Da sie manchmal abends nicht wusste, wo sie mich unterbringen sollte, nahm sie mich mit ins Kino. Ich saß dann immer in einer nicht besetzten Loge und konnte mit großer Freude Filme sehen, die eigentlich für Kinder verboten waren. Darunter „Quax, der Bruchpilot“, „Alkazar“ und auch ein U-Boot-Film, in dem das Boot wegen Sabotage zu sinken drohte. Manchmal überredete meine Mutter unseren Gastwirt, mich im Gastraum auf einem Sofa zum Schlafen zu legen. Wenn mir das nicht mehr gefiel, lief ich schon nachmittags zu meiner Oma und übernachtete dort. Da meine Mutter davon nichts wusste, kam sie nach ihrem Dienst zum Haus ihrer Eltern und warf Steinchen gegen die Fensterscheibe – das Haus war ab 8.00 Uhr abends verschlossen – um auf sich aufmerksam zu machen. Wenn meine Oma ihr durch das geöffnete Fenster sagte, dass ich bei ihr sei, war alles in Ordnung und meine Mutter ging wieder in ihre Wohnung. Die Kinobelegschaft hatte sich im Laufe der Zeit zu einer richtig guten Gemeinschaft entwickelt, in der sich meine Mutter sehr wohlfühlte. Im Jahre 1943 oder 1944 erhielten wir die Nachricht, dass mein Vater an der Ostfront als vermisst gemeldet wurde. Wir wussten, dass das eine Todesnachricht war. Von der Nachricht war meine Mutter wie auch ihre Eltern sehr betroffen, für mich als Kind spielte das keine große Rolle, da ich meinen Vater noch nie gesehen hatte. Mein Vater wurde als Wehrdienstverweigerer verurteilt und ins Landsberger Gefängnis gebracht, später wohl in ein KZ. In den letzten Kriegsjahren wurde das sog. Todesbataillon 999 gegründet, in dem meist Strafgefangene an die vorderste Frontlinie geschickt und als „Kanonenfutter“ geopfert wurden. In diesem Bataillon hat mein Vater gedient und ist dabei in Russland ums Leben gekommen. Ich bedaure sehr, dass ich bei meinen zahlreichen Recherchen im Internet nie etwas über meinen Vater und seine Familie finden konnte. Ich kenne weder sein Geburtsdatum noch seinen Wohnsitz. Ein einziger Hinweis ergab sich bei der Suche durch eine Annonce in der „ Neumärkischen Zeitung“, dass er sich im Mai 1931 mit einer Dame namens Heddy Gläser in dem Städtchen Soldin bei Landsberg verlobt hatte. Ich ging in Landsberg bis etwa Weihnachten 1944 in die Schule und war damals in der 4. Klasse. An die Schule habe ich nicht die beste Erinnerung. In meinem Gedächtnis sind immer nur der Lehrer auf dem Podium (1-2 Stufen höher als die Schülerbänke) und der Rohrstock, der meist längs der Tafel auf den Haltestöpseln lag, haften geblieben. Damit wurden die Jungs wegen geringster Vergehen oder schlechter Leistungen in gebückter Haltung und stramm gezogener Hose geschlagen. So zog uns der Lehrer die Hosen stramm. Einmal wurde ich vom Geigenstock des Gesangslehrers getroffen, der mir dabei eine Wunde unter der linken Augenbraue beibrachte. Sonst weiß ich nicht mehr viel über die Schule zu berichten. Außer, dass wir bei Fahnenappellen immer sehr lange mit zum Hitlergruß erhobenem rechten Arm stehen und uns die Reden und Fanfarenbläser anhören mussten. Das mochte ich nicht. Was mir sehr imponierte, waren die Geländespiele der Hitlerjugend (HJ). Die Jungs hatten schwarze, kurze Manchesterhosen, braune Hemden, Ledergürtel, Lederriemen quer über der Brust an und trugen Fahrtenmesser. Ich war ja erst 9 Jahre, durfte also noch nicht daran teilnehmen. Ich war voller Bewunderung und auch etwas neidisch. Besonders gefielen mir die Fähnriche mit ihren Kordeln und anderen Dekorationen. Eine Attraktion war der Zirkus Brumbach, der genau uns gegenüber sein Winterquartier hatte. Jeden Tag konnte ich die 2 Liliputaner sehen, die uns gegenüber neben dem Tor Tag für Tag viele Stunden standen, die bunten Fahrzeuge und auch die Tiere, Elefanten, Tiger und Löwen. wie sie ihr Futter bekamen. Es waren für mich kleinen Kerl ganz tolle Erlebnisse, auch in den Fahrzeugen zu spielen, z. B. im Fahrerhaus der großen Zirkuswagen oder zwischen den verschiedenen Gerätschaften. Höhepunkte waren der Auszug des Zirkus im Frühjahr und der Einzug im Herbst ins Winterquartier. Da kam der ganze Zirkus mit allen Wagen und Tieren an unseren Fenstern vorbei, das dauerte mehrere Stunden. Im letzten Jahr bin ich sogar bis zum Bahnhof mitgelaufen, um das Verladen auf die Waggons zu beobachten. Natürlich habe ich auch einmal eine Vorstellung des Zirkus Brumbach in Landsberg besucht, um alles mal in Aktion zu sehen. Eines Tages wurde die Straßenbahn, die durch unsere Straße bis zur Roswieser Straße hinausfuhr, eingestellt und durch Oberleitungsbusse ersetzt. Die Leitungen wurden an Betonmasten angebracht, die entlang der Straße errichten wurden. Wir wohnten einerseits gegenüber dem Zirkus und andererseits gegenüber der Lutherkirche mit ihren Grünanlagen und dem angrenzenden Lunapark. Eine ideale Gegend zum Spielen für uns Kinder. Auch nach dem Umzug mit meiner Mutter an den Wall 8 war ich meistens bei meinen Großeltern in der Dammstraße 65 zu finden, wo ich meine Freunde hatte und wo es die besseren Spielmöglichkeiten gab. Außerdem war dort in der Nähe auch meine Schule (Knabenschule II), zu der ich durch den Park gelangte. Einmal fuhren wir mit dem Zug zu der Großmutter meiner Mutter nach Hohensalza (Inowrazlaw) zur Trauerfeier. Der Großvater war 1942 gestorben. Sie hatten dort ein Fuhrgeschäft und besaßen 2 Mietshäuser. In einem großen Garten stand eine Schaukel für vielleicht 10 Personen, da durfte ich mitschaukeln. Wir waren auch auf einer Kirmes mit meiner Mutter und Urgroßmutter, dort konnte man an einer langen Leine aufgehängte Dinge wie Bobontüten, Spielsachen oder Plüschtiere im Vorüberlaufen abschlagen und als Preis behalten. Das fand ich ganz toll. Wir besuchten dann dort in Hohensalza die Essig- und Mostrichfabrik des Onkels meiner Mutter, Alfred, der dort im Ort lebte und seine Mutter betreute. Er war verheiratet und hatte 2 Kinder, die etwas älter als ich waren. Bevor er die Fabrik übernahm, hat er als Dentist gearbeitet. 1945 sind alle zusammen geflüchtet. Zunächst zu Richard nach Berlin, nach kurzem Aufenthalt dort sind sie nach Kempten im Allgäu weitergereist und von dort später nach Villingen im Schwarzwald gezogen, wo meine Urgroßmutter Hulda, am 22.08. 1956 mit ca. 88 Jahren gestorben ist. Alfred und Richard wie Arthur (wohnhaft in Kiel) waren Brüder meiner Oma Helene und Kinder der Hulda. Alfred und Richard haben sich wegen des Erbes der Mutter, das ausschließlich aus einem Lastenausgleich in Höhe von 24 000 DM bestand, heftig gestritten. Arthur war zu diesem Zeitpunkt schon tot, von ihm erbten zwei Kinder zu gleichen Teilen und auch ich 1964 mein erstes Auto, einen Trabant 601. Der Wagen kostete damals im Westen 4100 DM. So behielt ich noch 2000 DM übrig, die ich gegen 8000 Ostmark eintauschen konnte. Zurück zu Landsberg. Ich erinnere mich an einige dramatische Ereignisse: Als ich noch nicht schwimmen konnte, hatten mich mehrere Schüler der höheren Klassen in den Kanal geworfen, mich also an Händen und Füßen gepackt und ins Wasser geschleudert. Dabei hätte ich leicht ertrinken können. Meine Mutter ging mit mir zum Direktor der Schule und beschwerte sich darüber. Das fand ich toll. Wir waren öfter mal baden an den sogenannten Schafspfuhlen, die in der Nähe des Kanals lagen. Meine Mutter saß auf der Wiese, unterhielt sich mit irgendwelchen Bekannten und achtete nicht auf mich, der ich zwar Wasser sehr mochte, aber eben noch nicht schwimmen konnte. So kam es, dass ich allein an einem der kleinen Pfuhle ins Wasser ging. Ich bewegte mich aber nur am Rande entlang, wollte den Pfuhl in Ufernähe umlaufen, so etwa bis zum Bauch im Wasser. Plötzlich kam ich an eine Stelle, wo das Wasser viel tiefer war und ich geriet unversehens unter Wasser. Da ich nicht schwimmen konnte, kam ich mir ziemlich hilflos vor und wäre wohl in Kürze ertrunken, hätte nicht unser Nachbar, Bäckermeister Jordan, mein Untergehen von einem anderen Pfuhl, in dem er gerade badete, zufällig gesehen. Er kam mir zu Hilfe und rettete mich. Später, nachdem ich mir selbst das Schwimmen beigebracht hatte, überraschte ich einmal meine Mutter mit einem Sprung vom 7,5-Meter-Turm, als sie gerade zur Tür des Schwimmbades hereinkam. Dabei blieb ich dann noch extra lange unter Wasser, um ein Unglück vorzutäuschen. Als ich dann an der Leiter wieder auftauchte, war ich ganz stolz auf mein Können. Meine Mutter war beeindruckt und aber auch entsetzt. Mein Jagdtrieb muss damals schon relativ ausgeprägt gewesen sein, hatte ich es doch auf Vögel abgesehen. Ich besaß ein Katapult, der Gummi stammte von einem alten Autoschlauch meines Opas. Damit ging ich auf Pirsch und erlegte die schönsten Singvögel, die ich an Ästen im Gestrüpp aufhängte. Da ich keine Zeugen dafür hatte, sollten doch auch andere von meinen „Jagderfolgen“ erfahren. So erzählte ich davon den Mitschülern.

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