Читать книгу Pergamente und Papyri - Hans Johan Sagrusten - Страница 7
Die Büchermenschen
ОглавлениеDie Manuskripte der ersten Christen weisen ein sehr überraschendes Merkmal auf: Ihre Schriften wurden nicht auf Buchrollen, sondern in Büchern verfasst. Die Christen entschieden sich nämlich sehr früh für das Buchformat. Ein solches Buch, in dem man blättern konnte, nennt sich Codex. Nahezu alle in diesem Buch behandelten Texte stammen aus alten Codizes. Von den fast 6000 vorliegenden Manuskripten des Neuen Testaments sind lediglich fünf auf Rollen geschrieben. Worin liegt das begründet?
Lag es vielleicht daran, dass die Herstellung von Büchern billiger war? Indem man beide Seiten eines Bogens beschrieb, sparte man bei den Ausgaben für das Schreibmaterial fast die Hälfte. Oder war es, weil Bücher auf Reisen einfacher transportiert werden konnten? Das angenehme Format kann zur schnellen Verbreitung der christlichen Bücher beigetragen haben. Oder war es, weil ein Buch auf der Suche nach einem bestimmten Zitat schneller aufgeschlagen werden konnte als eine Schriftrolle?
Wollten die Christen vielleicht verdeutlichen, dass ihr Glaube nicht mit dem der Juden identisch war? Viele Zeitgenossen unterschieden nämlich nicht zwischen Juden und Christen. Oder entschieden sie sich für das Buch, weil es leichter zu verstecken war? Ein Buch konnte unter etwas anderem verborgen, in eine Felsspalte geschoben oder zusammengefaltet werden. Vielleicht bezeugt die Wahl des Buchformats also die stete Bereitschaft der Christen, ihre Bücher zu verbergen, wenn sie von Verfolgung bedroht waren?
Oder hat die Wahl mit dem Buchformat an sich zu tun? Ein Codex war von Beginn an eine Art Notizbuch. Er wurde nicht für große literarische Werke verwendet, sondern war ein praktischer kleiner Begleiter, in dem man Notizen machen konnte. Einer Theorie des Forschers Colin H. Roberts zufolge wurde das Markusevangelium zuerst in so einem Notizbuch niedergeschrieben. Daher verbanden die Menschen den Codex mit dem Christentum, wodurch alle späteren christlichen Bücher auch die Buchform erhielten.
Die vielleicht beste Erklärung nimmt ihren Ausgangspunkt in dem Umstand, dass die christlichen Schriften in Gruppen gesammelt wurden. Ein Codex bot nämlich Platz für mehr Text als eine Schriftrolle. Solange man lediglich ein Evangelium pro Band schreiben wollte, war dies mittels einer Schriftrolle gut umsetzbar. Eine Rolle konnte jedoch nicht länger als zehn bis zwölf Meter sein. Und schon bald benötigten die Christen ein Format, das mehreren Schriften in einem Band Platz bot. Allem Anschein nach sind diese Sammlungen sehr früh entstanden. Vermutlich kursierte bereits um das Jahr 100 n.Chr. eine Sammlung der von Paulus verfassten Briefe. Diese Sammlung hätte eine Buchrolle von etwa 25 Metern erfordert, also doppelt so lang, wie eine Rolle sein konnte. Paulus’ Briefsammlung sprengte somit die Buchrolle, und den Christen blieb nur eine Alternative: Sie mussten die Briefe in Büchern sammeln, in denen man blättern konnte.
Somit kann die Frage gestellt werden: Welche Auswirkungen hatte die Wahl des Buchformats auf unser Verständnis der Texte? Eine Buchrolle ist dafür gemacht, einen Text zusammenhängend von Anfang bis Ende zu lesen, während ein Buch den Leser einlädt, vor- und zurückzublättern. Wie hat das Buch die Art und Weise beeinflusst, in der wir heute die Bibel lesen? Springen wir im Text mehr hin und her?
Viele Leser springen auf der Jagd nach den guten Zitaten im Text hin und her. Häufig wählen sie die schönen und tröstenden Sätze aus. Die Gefahr besteht selbstverständlich darin, dass die schwierigen und herausfordernden Texte unberührt bleiben. Vielleicht wäre es gewinnbringend, längere Textabschnitte im Zusammenhang zu lesen? Vielleicht sollten wir einfach mehr im Text »scrollen«?
Jetzt haben wir uns ganz kurz mit dem Erscheinungsbild der Manuskripte beschäftigt und mögliche Gründe für die Wahl des Buchformats zusammengestellt. Lassen Sie uns nun ins 5.Jahrhundert zurückgehen. Ist es möglich, Manuskripte des Neuen Testaments aus dieser Zeit zu finden?
In London befindet sich ein Dokument mit einigen geheimnisvollen Notizen neben dem Bibeltext. Es ist das erste Manuskript, das ein eigenes Symbol erhielt. Das Symbol ist der Buchstabe »A«, der erste Buchstabe des Alphabets. Aber woher kommt das Manuskript? Und wie alt ist es?