Читать книгу Was ist analytische Philosophie? - Hans-Johann Glock - Страница 12
3. Struktur und Inhalt des Buches
ОглавлениеObwohl ich mich im Wesentlichen auf die Gegenwart konzentrieren möchte, werde ich mich nicht auf gegenwärtig existierende Konzeptionen der »analytischen Philosophie« beschränken. Wie jede intellektuelle Tradition ist auch die analytische Philosophie ihrem Wesen nach ein historisches Phänomen, auch wenn sich aus dieser Tatsache allein noch keine adäquate Vorstellung von ihr ableiten lässt. Dasselbe gilt für die Bezeichnung »analytische Philosophie«, die ihr verwandten Begriffe und ihre Gegenbegriffe. Ohne ein gewisses Verständnis der relevanten Entwicklungen in der Geschichte der Philosophie vermag man die Bedeutung des Begriffs »analytische Philosophie« und die verschiedenen Gründe, weshalb er so unterschiedlich verstanden wird, nicht zu würdigen. Ein solches Verständnis wird auch meine Diskussion der begrifflichen und methodologischen Fragen erleichtern, die bei der Suche nach einer Erklärung der analytischen Philosophie auftreten.
Aus diesen Gründen beginne ich in Kapitel 2 mit einem »Historischen Überblick« zur analytischen Philosophie, in der ich die Entstehung und Entwicklung jener Bewegung nachzeichne, auf welche die Bezeichnung »analytische Philosophie« im Allgemeinen angewandt wird. Anders als Wissenschaftler vor mir werde ich dabei sowohl die englischsprachigen als auch die deutschsprachigen Wurzeln untersuchen, gleichzeitig jedoch auch maßgebliche Entwicklungen jenseits der analytischen Philosophie im Auge behalten.
Auf der Grundlage dieser historischen Übersicht wird in den anschließenden Kapiteln diskutiert werden, auf welch unterschiedliche Weise die analytische Philosophie zu bestimmten Zeitpunkten ihrer Entwicklung definiert oder verstanden wurde. Ich habe diese Kapitel nicht nach spezifischen Begriffserklärungen angeordnet, sondern nach Typen von Erklärungen. Jedes Kapitel widmet sich tatsächlich jeweils einem Parameter, mit dessen Hilfe die analytische Philosophie, aber auch jede andere philosophische Bewegung, definiert werden könnte. Die ersten fünf dieser Parameter sind, wie sich herausstellen wird, ungeeignet.
Kapitel 3, »Geographie und Sprache«, beschäftigt sich mit geolinguistischen Definitionen. Das Bild der analytischen Philosophie als eines englischsprachigen Phänomens ist immer noch überraschend häufig anzutreffen und zeigt sich etwa in dem Analytisch-Kontinental-Gegensatz. Aber schon die Bezeichnung »kontinentale Philosophie« ist unzutreffend, insbesondere wenn man sich die mitteleuropäischen Wurzeln der analytischen Philosophie vor Augen hält. Nichtsdestoweniger, so werde ich argumentieren, knüpft der Gegensatz zwischen analytischer und kontinentaler Philosophie an die stereotypischen Unterschiede zwischen der englischsprachigen Philosophie und akademischen Kultur auf der einen und ihren kontinentalen Pendants auf der anderen Seite an und wird durch diese noch verstärkt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts traten an die Stelle des Widerspruchs zwischen dem britischen Empirismus und dem kontinentalen Rationalismus allmählich geographisch und intellektuell vielschichtigere Gegensätzlichkeiten. Des Weiteren untersuche ich, auf welche Weise politische Entwicklungen wie die Entstehung des Nationalsozialismus und philosophische Entwicklungen wie die Rehabilitierung der Metaphysik seit den 1960er Jahren dazu beitrugen, dass aus dem inzwischen zu Unrecht vernachlässigten Gegensatz zwischen analytischer und traditioneller Philosophie die Unterscheidung von analytisch und kontinental wurde, wie wir sie heute kennen. Dennoch ist die anglozentrische Konzeption der analytischen Philosophie nicht haltbar, und das Gleiche gilt für ihre feinsinnigere Verwandte, die angloösterreichische Konzeption. Im Augenblick floriert die analytische Philosophie in vielen Teilen des Kontinents, während die kontinentale Philosophie in Nordamerika äußerst populär ist. Die analytische Philosophie ist also weder eine geographische noch eine sprachliche Kategorie. Zuletzt unterscheidet die Bezeichnung »kontinentale Philosophie« nicht zwischen den durch Nietzsche und Heidegger inspirierten Avantgarde-Bewegungen des 20. Jahrhunderts und der traditionellen bzw. traditionalistischen Philosophie, die im Grunde die akademische Philosophie auf dem europäischen Kontinent beherrscht.
Kapitel 4, »Geschichte und Geschichtsschreibung«, erörtert die Frage, ob sich die analytische Philosophie dadurch von der kontinentalen und vor allem von der traditionalistischen Philosophie unterscheidet, dass es ihr an historischem Bewusstsein mangelt. In den letzten Jahren haben sogar einige, die sie praktizieren, der analytischen Philosophie vorgeworfen, übermäßig unhistorisch zu sein. Ich will jedoch zeigen, dass sich die analytische Philosophie im Allgemeinen nicht durch eine abweisende Haltung gegenüber der Vergangenheit auszeichnet. Genau genommen hat in letzter Zeit sogar eine Wendung hin zur Geschichte stattgefunden. Ferner werde ich die analytische Philosophie gegen historistische Anfeindungen in Schutz nehmen, die bislang unhinterfragt blieben. Gegen den Einwand, die analytischen Philosophen ignorierten die Vergangenheit, werde ich das Argument vorbringen, dass sie sich größtenteils nur der unbegründeten Behauptung widersetzen, ein Verständnis der Geschichte sei für die Philosophie nicht nur von Vorteil, sondern von wesentlicher Bedeutung. Gegen den Einwand, analytische Geschichtsdarstellungen der Philosophie seien anachronistisch, werde ich argumentieren, dass es der Geschichtsschreibung sogar zugute kommt, sich der Vergangenheit in einem analytischen Geiste anzunähern.
In Kapitel 5, »Lehren und Themen«, gehe ich auf die Ansicht ein, dass sich die analytische Philosophie durch eine Reihe spezieller Probleme bzw. Antworten auf diese Probleme auszeichne. Definitionen, die auf spezielle Lehren Bezug nehmen, sind häufig zu eng. Nicht alle analytischen Philosophen lehnten die Metaphysik ab, und inzwischen ist diese Missbilligung fast vollständig verschwunden. Dummetts Definition zufolge beruht die analytische Philosophie auf der Ansicht, eine Analyse des Denkens könne und müsse durch eine Analyse der Sprache erfolgen. Eine sprachliche Konzeption des Denkens und seiner Analyse ist jedoch weder notwendig noch hinreichend dafür, ein analytischer Philosoph zu sein. In Dummetts Definition wird nicht berücksichtigt, dass zwischen dem Aufkommen der logischen und begrifflichen Analyse auf der einen und der Wende zur Sprache auf der anderen Seite ein Unterschied besteht. Ebensowenig ist die analytische Philosophie durch ein Beharren darauf gekennzeichnet, dass die Philosophie etwas anderes sei als die Wissenschaft. Sie strebt auch keine naturalistische Angleichung der Philosophie an die Wissenschaft an. Zuletzt sind sich analytische Philosophen nicht einmal über die Themen einig, über die sie anderer Meinung sein möchten. Während die vorherrschende Beschäftigung mit theoretischen Themen für den Aufstieg der analytischen Philosophie durchaus bedeutsam war, existiert eine solche Beschränkung des Genres inzwischen nicht mehr.
Da sich theorieorientierte Ansätze als unzulänglich erweisen, leistet dies methodologischen und stilistischen Definitionen Vorschub. In Kapitel 6, »Methode und Stil«, wird jedoch die These aufgestellt, dass auch solche Definitionen unzureichend sind. Auf den ersten Blick scheint es verlockend, die analytische Philosophie mit der analytischen Methode in Verbindung zu bringen. Leider ist dieser Ansatz problematisch. Wird »Analyse« wörtlich verstanden, nämlich als Zerlegung komplexer Phänomene in einfachere Bestandteile, schließt dies den späteren Wittgenstein und die Oxforder Sprachphilosophen aus. Versteht man sie hingegen in einem so weiten Sinne, dass sie auch derartige Fälle einschließt, dann werden damit gleichzeitig Philosophen erfasst, die von Platon bis zu kontinentalen Philosophen wie Husserl reichen. Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich für die Vorstellung, die analytische Philosophie sei wissenschafts- statt kunstbezogen, insofern als sie ausnahmslos an den Wissenschaften interessiert und von einem wissenschaftlichen Geist beseelt sei. Dass eine solche Definition einen so exotischen Fall wie Wittgenstein ausschließen würde, wäre vielleicht noch erträglich. Aber dass sie auch Moore, Ryle und Strawson ausnehmen würde, muss als ein entschiedener Einwand gegen sie gelten.
Wenn die analytische Philosophie schon keine eigene Methode hat, so weist sie möglicherweise zumindest einen eigenen Stil auf. In dieser Manier hat Bernard Williams behauptet, die analytische Philosophie unterscheide sich darin von der kontinentalen, dass sie Unklarheit vermeide, indem sie entweder eine »recht einfache Sprache« oder, falls nötig, technische Fachbegriffe verwende. Allerdings bedarf der Begriff der Klarheit selbst dringend der Klärung. Insofern als es dabei schlicht um Sprache und Darstellung geht, zeichnen sich weder alle analytischen Philosophen durch eine solche Klarheit aus, noch ist diese auf sie beschränkt. Wenn es ein stilistisches Merkmal gibt, das im Moment die kontinentale von der analytischen Philosophie unterscheidet, so besteht es in unterschiedlichen Formen der Verdunkelung – Ästhetizismus auf der einen, Scholastizismus auf der anderen Seite. Bleibt noch eine letzte These, nämlich dass die analytische Philosophie nach klarem Denken und argumentativer Strenge strebe. Rationalistischen Auffassungen zufolge kann die analytische Philosophie als allgemeine Haltung gegenüber philosophischen Problemen definiert werden, und zwar als eine Haltung, die die Notwendigkeit von Argumenten und Rechtfertigung betont. Aber das hieße, dass der Großteil der Philosophie im Grunde analytischer Natur ist. Seit Sokrates ist der Versuch, grundlegende Probleme auf dem Wege begründeter Überlegungen anzugehen, ein Erkennungsmerkmal der Philosophie als solcher – etwa im Gegensatz zur Religion oder politischen Rhetorik – und nicht nur einer bestimmten philosophischen Bewegung.
Im folgenden Kapitel, »Ethik und Politik«, wird zunächst nachgewiesen, dass die analytische Tradition nicht dadurch charakterisiert ist, dass sie Moralphilosophie und politische Theorie ausschließt. Als Nächstes gehe ich mit zwei einander widersprechenden Gerüchten ins Gericht, nämlich erstens, dass die analytische Philosophie ihrem Wesen nach apolitisch oder konservativ sei, und zweitens, dass sie einer progressiven oder liberalen Einstellung Vorschub leiste und insofern verhindere, dass ihre Anhänger anfällig für politischen Extremismus würden. Ich werfe auch einen Blick auf das, was uns die Singer-Affäre über analytische und kontinentale Einstellungen gegenüber der Meinungsfreiheit lehrt und über die Fähigkeit der Philosophie, bestimmte Handlungsweisen vorzuschreiben. Abschließend untersuche ich, ob die analytische Philosophie gegenüber ihren Rivalen dadurch im Vorteil ist, dass sie sich weigert, philosophische Reflexionen in den Dienst vorgefasster moralischer und politischer Ideale zu stellen.
In Kapitel 8, »Umstrittene Begriffe, Familienähnlichkeiten und Tradition«, wende ich mich Erklärungen der analytischen Philosophie zu, die nicht die Form von Definitionen im Sinne von notwendigen und hinreichenden Bedingungen aufweisen. Eine solche Erklärung ergibt sich aus der rationalistischen Vorstellung, die analytische Philosophie in einen »wesentlich umstrittenen Begriff« verwandelt. Ich räume ein, dass »analytische Philosophie« durchaus bisweilen als Ehrentitel verwendet wird. Allerdings werde ich aufzeigen, dass diese Verwendung weniger verbreitet ist als der deskriptive Gebrauch und diesem zum Zwecke philosophischer Klassifizierung und Debatte zudem unterlegen. Im Rest des Kapitels verteidige ich meine eigene Auffassung von analytischer Philosophie, unter anderem, indem ich zwei Ansätze miteinander verbinde. Der erste beruht dabei auf der Vorstellung, dass die analytische Philosophie mit Bezug auf Familienähnlichkeiten erklärt werden sollte. Was analytische Philosophen miteinander verbindet, ist nicht eine bestimmte Menge notwendiger und hinreichender Bedingungen, sondern ein Faden von einander übergreifenden Ähnlichkeiten (Lehre, Methode und Stil betreffend). So mag die gegenwärtige analytische Philosophie, was ihre logischen Methoden angeht, an Frege und Russell anknüpfen, in ihrem Respekt vor der Wissenschaft an den logischen Positivismus und Quine und in ihrem Interesse am Apriorischen, an Fragen der Bedeutung und an Begriffen (usw.) an Wittgenstein und die Sprachphilosophie. Kritik, die sich auf die Idee von Familienähnlichkeiten richtet, werde ich entkräften, auch wenn eine auf Familienähnlichkeiten beruhende Auffassung der analytischen Philosophie zugegebenermaßen über die akzeptierte Erweiterung des Begriffs hinausgeht.
Dieses Manko wird dadurch vermieden, dass ich die Familienähnlichkeitskonzeption mit einer genetischen bzw. historischen Konzeption verbinde. Letzterer zufolge ist die analytische Philosophie in erster Linie eine historische Abfolge einzelner Philosophen und Schulen, die sich gegenseitig beeinflusst und miteinander debattiert haben, ohne einzelne Lehren, Probleme, Methoden oder einen Stil zu teilen. Diese historische Konzeption entspricht der üblichen Praxis. Sie bedarf aber einer Ergänzung, nicht zuletzt, weil unklar bleibt, wonach sich die Zugehörigkeit zu dieser Tradition richtet. Um als analytischer Philosoph zu gelten, genügt es nicht, von anderen auf der Liste beeinflusst worden zu sein, selbst wenn die Beeinflussung wechselseitig war; ansonsten müsste man beispielsweise Husserl und Habermas dazurechnen. Eine rein historische Konzeption lässt darüber hinaus die Tatsache unberücksichtigt, dass ein Philosoph mehr oder weniger analytisch sein kann, und zwar aus Gründen, die nichts mit seinen historischen Bindungen zu tun haben. Diese Sorgen können wir begraben, wenn wir anerkennen, dass die analytische Philosophie eine Tradition ist, die nicht nur durch Beziehungen der gegenseitigen Beeinflussung zusammengehalten wird, sondern auch durch einander überlappende Ähnlichkeiten. Im letzten Abschnitt werde ich die Konturen der analytischen Tradition skizzieren und mich zu der Frage äußern, wer sie begründet und wann sie sich von der traditionellen und kontinentalen Philosophie abgespalten hat.
Nach der Beantwortung der Titelfrage wendet sich das letzte Kapitel »Gegenwart und Zukunft« dem derzeitigen Zustand der analytischen Philosophie und des Analytisch-Kontinental-Gegensatzes zu. Es soll aufgezeigt werden, dass der Gegensatz auf drei Gebieten, die von größerer aktueller Bedeutung sind, eine wichtige Rolle spielt: erstens für die sogenannten Kultur- und Wissenschaftskriege, zweitens für die europäischen Ängste vor einem angloamerikanischen »Kulturimperialismus« und drittens für die zunehmende Isoliertheit der angloamerikanischen Kultur gegenüber dem europäischen Kontinent. Ich werde auch einige tatsächliche und angebliche Schwächen der gegenwärtigen analytischen Szene prüfen. Im letzten Abschnitt mache ich mir Gedanken über die Zukunft der analytischen Philosophie und ihre Gegensätzlichkeit zum kontinentalen Denken. Ich komme zu dem Schluss, dass die Barrieren zwischen beiden zurzeit noch immer existieren und dass ihre Überwindung kein vorrangiges Ziel und auch kein Selbstzweck ist. Die analytische Philosophie muss ihr Niveau in mancherlei Hinsicht anheben, das Endziel sollte jedoch nicht eine einheitliche philosophische Szene sein, sondern schlicht und einfach bessere Philosophie.
1 Dummett 1988: vor allem Kap. 2–4. Hacker (1996: Kap. 1–2; 1997) und Monk (1997) stoßen mit Dummett in der ersten Frage zusammen, Friedman (2000) widerspricht ihm implizit in der zweiten.