Читать книгу 1001 Münchhausen Abenteuer - Hans Jürgen Borgmann - Страница 4
KAPITEL I Kindheit und Jugend Schon vor der Geburt ein wahres Genie
ОглавлениеNoch im Mutterleib beschloss ich, als ehrlichster Mensch aller Zeiten weltberühmt zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen bedarf es jedoch, wie jeder Vernunftbegabte sofort erkennt, einer geradezu unglaublichen Fähigkeit, nämlich der, nie im Leben zu lügen.
Allerdings schwante mir damals bereits, dass alle Menschen unter einer ganz besonderen Sucht leiden, die daran zu erkennen ist, dass sie sich ausnehmend gern beschwindeln lassen und mit der Wahrheit höchst ungern behelligt werden möchten.
Unter Beachtung dieses Aspektes der menschlichen Psyche und seiner tief greifenden Problematik beschloss ich, mit der ehrlichen Lüge als philosophischem Werkzeug die unergründliche Flachheit des Seins und die Wahrheit seiner vielfältigen Ereignisse so stark ans Licht der Erkenntnis zu bringen, dass niemand sie durchschauen kann.
Denn Eines war mir bewusst: Lüge und Wahrheit müssen sich mischen, damit die Lüge nur schwerlich erkannt wird und deshalb die Wahrheit umso klarer zum Vorschein kommt, was jeder Hinternzimmer-Politiker durchaus weiß.
Weil mir besagtes Gelass im Leib der Mutter jedoch nicht sonderlich geeignet erschien, meine grandiosen Fähigkeiten wirksam werden zu lassen, befreite ich mich so schnell ich konnte aus dem dunklen und mit Flüssigkeit gefüllten Gefängnis, das mir – nebenbei gesagt – auch irgendwie den Atem nahm. Nachdem ich eine gewisse Größe erreicht hatte, begann ich daher, mit den Füßen zu strampeln und meine Fäuste auf der Suche nach einer Öffnung in die weichen Wände dieser Gummizelle zu stoßen und plötzlich, ohne dass ich recht wusste wie, rutschte ich durch einen engen Kanal ins Licht der Welt und an die frische Luft, die ich beide mit einem fröhlichen Schrei der Überraschung begrüßte. Als ich nach diesem Akt der Befreiung an der warmen Brust meiner Mutter lag, blinzelte ich sie sofort freundlich an, um ihr verständlich zu machen, dass ich große Sympathie für sie hegte, was sie glücklich lächelnd zur Kenntnis nahm und mich mit einer gewaltigen Menge Milch versorgte, worauf ich in aller Eile zu einem strammen Bengel heranwuchs.
Genial wie ich damals schon war, lernte ich mit zwei Jahren die Bassgeige spielen, mit drei Klavier, Orgel, Violine, Posaune, Tuba und sonstige Musikinstrumente, und dies alles rein geistig, ohne dass ich sie je zu Gesicht oder in die Hände bekam. Der Grund hierfür lag darin, dass ich bereits im Mutterleib musikalisch vorgebildet worden war. Dort hörte ich nämlich täglich mehrmals die Glocken läuten, was wie „Ding Dong“, manchmal auch wie „Dong Ding“ klang und mir doch etwas befremdlich erschien, vor allem, weil es sehr häufig in ein wildes Durcheinander wie Dingelidongelidingdudelidadelieierreidideleiduedelunddaddelei geriet, so dass ich mich fragte, wer da ständig den Glockenstrang stramm zog und solch ein verrücktes Geläut erzeugte.
Nun, als ich in der Welt war, erkannte ich den Grund: Meine Mutter war außerordentlich musikbegeistert und hatte sich zwei Glöckchen in den Bauchnabel piercen lassen, um mich schon während der Schwangerschaft an schöne Geräusche zu gewöhnen, denn sie wollte, dass ich ein echter Musikus würde. Aus rein pädagogischen Gründen hatte sie daher, während sie mit mir schwanger ging, meinen Vater täglich mehrmals und zu beiderseitigem größten Vergnügen auf ihr die Glocken läuten lassen.
Später lernte ich bei Johann Sebastian Bach in Leipzig Harmonie- und Kompositionslehre, bei Gluck anlässlich seines Besuchs im Schloss meiner Eltern die Kunst der neuen Oper und bei Georg Friedrich Telemann Kammer-, Klavier- und Orgelmusik in seinem Collegium musicum in Hamburg, wo ich das „bassum incontinuum“ entwickelte, also das „Schrumm, schrumm, unten rum“, wobei nicht jeder weiß, was damit gemeint ist. Wie dem auch sei: Mein „Schrumm, schrumm, unten rum“ ist seitdem unbedingtes Beiwerk jeder „musica amoralis“, was jeder einigermaßen gebildete Mensch durchaus weiß.
Danach komponierte ich eine große Zahl Sinfonien, Opern, Oratorien, Kantaten, viele Divertimenti und concerti furiosi, die bekanntlich heute noch - wenn auch unter den Namen der Komponisten Torelli, Vivaldi, Aldenti, Grandiphalli, Cholestererini, Zucchini, Garibaldi, Ravioli, Mussolini, Adolfini, Bungaclowni, Botticelli, Alcofani, Tortellini, Sabbatini, Bitelini, Rolingstoni und - nicht zu vergessen - des panischen Udolindi - in der ganzen Welt aufgeführt werden. (Zum Beispiel war mein weltbekanntes „Capriccio Forzato“ das Vorbild für die Händelsche „Feuerwerksmusik“. Der alte Schlingel hatte damals stark bei mir abgekupfert, und so manches Stück aus diesem Werk ist reiner Münchhausen. Aber sei’s drum: Auch später blieb er mir ein väterlicher Freund, als ich mich in London aufhielt.) Ich war also damals bereits noch als Jungbursche ein musikalisches Wunderkind, was meine Mutter natürlich darauf zurückführte, dass sie meinen Herrn Papa während ihrer Schwangerschaft täglich mehrmals die Glöckchen auf ihr hatte bimmeln lassen.