Читать книгу Besinnliche Geschichten (2) - Hans Müller-Jüngst - Страница 4
Kirmes in Leopoldsau
ОглавлениеRosi ist Lenis Tante und lädt ihre Nichte auf die alljährlich stattfindende Kirmes ein, wo sie einen halban Tag verbringen und kaum ein Fahrgschäft auslassen.
Am ersten Tag der Kirmes lud Rosi ihre Nichte Leni ein, mit ihr einen Nachmittag auf dem Volksfest zu verbringen.
Leni war begeistert und Rosi holte sie mit ihrem Käfer ab. Leni wollte zuerst einen Teil ihres Kommuniongeldes mit zur Kirmes nehmen, das redete ihr Rosi aber wieder aus, Sie wollte alles bezahlen.
Miriam steckte ihrer Tochter dann aber doch dreißig Euro zu. Lenis Schule endete um 13.15 h, die Kinder aus Leopoldsau hatten am Kirmesmontag schulfrei.
Leni machte schnell ihre Schulaufgaben und aß. Um 14.15 h kam Rosi und holte sie ab. Sie waren dann um 14.45 h auf der Kirmes.
Rosi versprach Leni:
„Wie bleiben bis zum Abend, gegen 19.00 h bringe ich Dich aber wieder nach Hause!“
Rosi hatte zugesagt, Leni spätestens um 19.30 h zu Hause abzuliefern.
Die Kirmes fand wie in jedem Jahrs auf den Donauwiesen statt. Sie war sehr groß, es gab viele Fahrgeschäfte.
Waren diese früher eher harmlos und lustig, so gab es in dieser Zeit Fahrgeschäfte, die einen das Gruseln lehrten. Aber Leni wollte mit ihrer Tante gerade die spektakulären Fahrgeschäfte ausprobieren. Auf manche durfte Leni wegen ihres geringen Alters noch gar nicht, oder sie musste von einer erwachsenen Person begleitet werden.
Rosi parkte bei sich zu Hause und ging anschließend mit Leni zur Donau hinunter. Man konnte die Kirmesmusik bis in die Stadt hinein hören.
Um 14.00 h fing der Kirmesbetrieb an. Es war eigens eine Donauwiese für Parkzwecke hergerichtet, für Auswärtige.
Sie mussten 3 Euro für das Parken bezahlen.
Um 15.00 h war noch nicht so viel los, es begann aber, voll zu werden.
Rosi und Leni hatten sich vorgenommen, so viele Fahrgeschäfte wie möglich mitzunehmen. Sie mussten sich ranhalten.
Gleich am Eingang gab es schon ein Kettenkarussell, das war zwar nicht sehr aufregend, aber für den Anfang genau das Richtige.
Kettenkarussells gab es auf der Kirmes schon seit ewigen Zeiten.
Dieses war noch recht neu und drehte ziemlich schnell. Man hob mit seinem Sitz ziemlich ab und drehte sich in großer Höhe im Kreis.
Leni versuchte, mit den Beinen den Sitz vor ihr zu berühren, schaffte das aber nicht. Auch hielt sie der Sicherungsbügel zurück, den alle umlegen mussten.
Rosi saß auf dem Sitz neben ihr und hielt die Ketten, an denen der Sitz hing.
Nach ungefähr zehn Runden wurde die Fahrt langsamer und das Karussell kam zum Stillstand.
Rosi und Leni stiegen ab und gingen zum nächsten Fahrgeschäft. Das war der Autoscooter.
Auch den Autoscooter gab es schon, so lange Rosi denken konnte. Er übte auf alle Fahrer eine merkwürdige Faszination aus.
Man zahlte 3 Euro, setzte sich in einen Wagen und fuhr seine Runden. Es kam darauf an, möglichst den Remplern der anderen zu entgehen. Junge Burschen hatten es besonders auf die Mädchen abgesehen, die sie nach Möglichkeit frontal rempelten. Das war nicht besonders schlimm, weil die Wagen mit einem umlaufenden Gummiring gepolstert waren, dennoch wurden die Körper stark durcheinandergewirbelt, was manchmal unangenehm war.
Am Autoscooter lief immer laute Techno-, Dance- oder Discomusik.
Auch wurden Nebelmaschinen betrieben, die die Fahrfläche verschleierten.
LED-Licht wurde computergesteuert eingesetzt.
Das alles machte den Autoscooter zu einer Hauptattraktion für die Jugend. Manche standen stundenlang am Rand und bewegten sich nicht.
Fahrten wurden wegen des hohen Preises nicht so oft gekauft.
Rosi und Leni sind ohne großes Gerempel davongekommen und verließen den Autoscooter wieder.
Sie kamen so langsam in Fahrt. Draußen gab es vor dem Autoscooter und dem Freifallturm einen Kokosnuss-Stand. Beide gingen sie hin und kauften sich gebrochene Kokosnuss-Stücke.
Kokosnüsse kannte man nur vom Weihnachtsteller und von der Kirmes. Die Kokosspalten schmeckten ausgezeichnet, blieben aber auch am Gaumen kleben. Also kaufte Rosi zwei Dosen Sprite.
Die nächste Attraktion war der Freifallturm. Diesen Turm gab es noch nicht so lange auf der Kirmes. Er erfreute sich einer großen Beliebtheit.
Rosi und Leni zahlten 5 Euro pro Person und setzten sich auf eine Bank, die rund um einen vierzig Meter hohen Turm angebracht war.
Es passten ungefähr dreißig Personen auf die Bank. Alle Personen wurden durch hydraulische Schulterbügel gesichert.
Als die Bank voll besetzt war, wurde sie an Stahlseilen hochgezogen. Langsam ging es hoch fast bis zur Turmspitze. Es lief sehr laute Musik, die ab und zu von Durchsagen des Bedieners unterbrochen wurde. Bis dieser plötzlich sagte: „Und jetzt festhalten!“ Dann fiel die Bank am Turm nach unten, wo sie kurz vor dem Ende durch starke Wirbelstrombremsen aufgefangen wurde.
Als sie zum Stillstand gekommen war, ging es gleich noch einmal hoch bis auf halbe Höhe, und wieder kam der Absturz.
Der freie Fall wurde von einem ohrenbetäubenden Gekreische begleitet, auch Rosi und Leni schrien.
Danach war Schluss, die Schulterbügel klappten hoch und beide stiegen aus, noch etwas benommen.
Sie schauten an dem Turm hoch und staunten über die große Höhe.
Von außen beobachteten sie ihre Nachfolger und sahen deren vom Kreischen verzerrte Gesichter.
Sie kamen anschließend zur Raupenbahn. Die Raupe war ein Fahrgeschäft, das Rosi auch von früher kannte.
Sehr laute Musik dröhnte aus den Lautsprechern. Es standen viele Jugendliche herum und hingen ab.
Die Jungen baggerten die Mädchen an, die meist zu zweit in die Fahrkabinen stiegen. Am Nachmittag kamen aber auch immer mehr Pärchen, die traditionell zur Hauptkundschaft der Raupe gehörten.
Die Raupe fuhr einfach im Kreis hoch und runter, gegen Ende der Fahrt senkte sich ein Stoffbalg über die Kabinen. Das war der Moment des Kuschelns und Knutschens, was wegen des Verdecks aber niemand sehen konnte.
Die wagemutigen Bediensteten standen auf der Außenkante der Wagen und kontrollierten die Fahrchips.
Früher trugen sie eine große Haartolle, die sie mit dem im Hosenbund steckenden Kamm permanent frisierten.
Sie schafften es auch, während der Fahrt abzuspringen und kamen sich vor wie Tarzan.
Rosi und Leni stiegen in einen Wagen, nachdem sie 2.50 Euro bezahlt hatten und gaben ihren Chip ab.
In einem Affenzahn ging es im Kreis herum, Leni wurde gegen Rosi gepresst.
Danach schloss sich das Stoffverdeck, und man hörte vereinzelte Schreie. Als es sich wieder öffnete, war die Fahrt zu Ende.
Rosi und Leni verließen die Raupe und kamen an eine Losbude. Rosi kaufte für jeden fünf Lose, Leni hatte tatsächlich einen Gewinn gezogen.
Der Losverkäufer gab ihr eine Kunststoffrose. Die hielt Leni während der ganzen Zeit in der Hand. Sie nahm sie später als Erinnerung mit nach Hause.
Rosi und Leni schlenderten weiter, sie kamen am Kinderkarussell vorbei, wo Eltern mit ihren Kleinen standen.
Dafür war Leni natürlich schon zu groß, Rosi musste an früher denken, als sie liebend gern auf die Feuerwehr ging und immer die Glocke läutete, während ihre Mutter und ihr Vater am Rand standen und sich unterhielten.
Sie erreichten den Schießstand, wo junge Männer versuchten, ihrer Freundin eine Puppe zu schießen.
Es wurde immer nachgeladen, immer wurden 2 Euro für vier Schuss hingelegt, bis dann irgendwann Schluss war und der Budenbesitzer dem jungen Mann einen Trostpreis hinlegte.
Die Freundin heuchelte große Freude und nahm den Preis an sich.
Rosi kaufte für Leni und sich eine Tüte gebrannte Mandeln. Das hatte sie immer schon getan, immer wenn sie auf der Leopoldsauer Kirmes war, kaufte sie gebrannte Mandeln.
Die waren wegen der harten und süßen Glasur natürlich schlecht für die Zähne, schmeckten frisch geröstet aber umso besser.
Danach gelangen sie an ein Fahrgeschäft, das man am besten mit nüchternem Magen bestieg, es hieß Break Dance.
Auf deutschen Kirmesveranstaltungen war es eine relativ neue Erscheinung.
Auf einer großen rotierenden Scheibe befanden sich vier oder sechs Gondelkreuze, an denen jeweils vier Gondeln befestigt waren
Die Drehscheibe und die Gondelkreuze wurde durch Elektromotoren angetrieben und die Gondeln dadurch in eine kombinierte Drehung versetzt.
Ähnlich wie die Drehscheibe waren die Gondeln schräg an den Gondelkreuzen befestigt, konnten sich aber frei um die eigene Achse bewegen.
Aufgrund der wilden und oftmals nur schwer vorhersehbaren und sich ständig ändernden Fahrtbewegung lehnte sich der Name dieses Fahrgeschäftes an den Breakdance-Tanzstil an.
Leni wurde schon vom Zuschauen fast schlecht. Aber sie wollte unbedingt auf den Break Dance.
Auch Rosi war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, in dieser zuckenden Gondel sitzen zu müssen, kaufte aber zwei Chips und setzte sich mit Leni hinein.
Am Spätnachmittag bekam man noch bequem eine Gondel, abends rannten die Leute auf die sich noch drehende Scheibe und kämpften um die Gondeln. Viele mussten die Scheibe dann unverrichteter Dinge wieder verlassen. Es ertönte die Stimme des Rekommandeurs: „Nichts geht mehr! Bitte zurückbleiben!“
Dann setzte sich der Break Dance in Bewegung.
Man konnte wirklich nicht vorhersagen, wie sich die Gondeln bewegen würden, die ganze Sache verlief auch noch auf einer schiefen Ebene.
Mal gab es recht gemächliche Drehungen, dann wieder ein starkes Reißen und unglaubliche Beschleunigungen.
Rosi und Leni waren froh. als sie den Break Dance hinter sich lassen konnten. Sie hatten während der ganzen Fahrt nicht ein Wort miteinander gewechselt, beiden war etwas flau im Magen.
Sie sahen sogar jemanden am Rande der Scheibe sich übergeben.
Schnell gingen sie weiter.
Rosi fragte Leni:
„Ist mit Dir alles in Ordnung, sollen wir noch weiter machen?“ und Leni nickte mit dem Kopf und steuerte zielstrebig das Riesenrad an.
Dieser Klassiker einer jeden Kirmes war immerhin dreißig Meter hoch.
Rosi kaufte Chips und setzte sich mit Leni in eine Kabine.
Und schon setzte sich das Rad in Bewegung, bis es nach kurzer Zeit wieder stehen blieb.
Erst als alle Kabinen besetzt waren, fing es an, sich ständig zu drehen.
Toll war der Ausblick auf Leopoldsau, die Fahrt war kein Vergleich zum Break Dance.
Sie drehten ungefähr sechs Runden, als das Riesenrad zur Ruhe kam und die Kabine unten angehalten wurde.
Rosi und Leni stiegen aus. Es war mittlerweile 18.00 h geworden und Rosi mahnte zur Eile.
Leni war noch nicht müde, obwohl sie ein Fahrgeschäft nach dem anderen ausprobiert hatten.
Nebenan gab es den Dark Ride, was nur eine andere Bezeichnung für die alte Geisterbahn war. Leni zog sofort dorthin.
Es war an diesem Dark Ride nichts los, keiner von beiden wusste, was auf sie zukommen würde.
Sie fuhren in einen völlig dunklen Raum, in dem eine abscheuliche Musik lief, deren Klang durch spöttisches Lachen, durch Entsetzensschreie, durch unheimliche Rufe oder lautes Gebrüll unterbrochen wurde. Leni rückte ganz dicht an Rosi heran. Beide versuchten, durch weit geöffnete Augen zu erkennen, was um sie herum geschah.
Sie sahen aber nichts.
Plötzlich erklang direkt neben ihren Ohren ein infernalischer Schrei und im gleiche Moment flog ihnen ein feuchter Lappen ins Gesicht.
Sie erschraken zu Tode, Leni hielt sich an Rosi fest, die einen Arm um ihre Nichte legte.
Danach ging ein grelles Licht an, welches auf ein menschliches Skelett fiel, das sich auf sie zubewegte.
Leni war wie erstarrt, sie schmiegte sich eng an Rosi. Zum Schluss fuhr der Wagen an wilden Tieren vorbei, die brüllten und nach ihnen schnappten.
Sie waren beide froh, als sie die Fahrt des Grauens hinter sich gebracht hatten.
Zufrieden blickte der Betreiber in zwei aschfahle Gesichter.
Langsam löste sich bei Rosi und Leni der Kloß im Hals und sie liefen gut gelaunt weiter.
„Da will ich noch rein!“ rief Leni und zeigte auf den Round up, den Rosi auch schon von früher kannte.
Der Round up war ein klassischer Karuselltyp, bei dem die Fahrgäste wie in einer Zentrifuge durch die Fliehkraft an die Außenwand gedrückt wurden. Dabei stellte sich die rotierende Scheibe fast senkrecht.
Rosi und Leni klebten an der Drahtwand und schauen in die Mitte der Drehscheibe.
Die Drehgechwindgkeit war ziemlich hoch, jedenfalls kam sie einem so vor.
Erst als sie herabgesetzt und die Scheibe wieder in die Horizontale gebracht wurde, konnten sich die beiden wieder normal bewegen. Es war ihnen aber nicht schwindelig geworden.
Rosi sagte:
„Wir können noch ein Fahrgeschäft mitnehmen, danach müssen wir nach Hause!“
Leni entschied sich für ein absolut verrücktes Gerät, das auf der deutschen Kirmes noch neu war, den Top Spin.
Die Fahrgäste saßen auf einer circa zehn Meter breiten Bank, die zwischen zwei Tragarmen frei schwingend aufgehängt war. Die Tragarme wurden durch Elektromotoren in eine Drehbewegung versetzt und waren ihrerseits an breiten Ständern montiert.
Die ganze Geschichte konnte durch kreisförmig am Drehpunkt angebrachte Bremsen festgestellt oder gelöst werden. Dadurch konnte sich die Bank in maximaler Höhe überschlagen.
Das Fahrprogramm bestand aus verschiedenen Abfolgen von Hochfahren, Schaukeln und Überschlagen des Fahrgastträgers.
Rosi sagte:
„Anschließend müssen wir aber nach Weinlinden zurückfahren!“
Auf dieser Attraktion wurde beiden beinahe übel. Man wusste während der Fahrt nie, wo man sich gerade befand. Wieder und wieder gab es Überschläge, ab und zu sah man Leute mit offenen Mündern staunend am Rand stehen. Dann endlich war Schluss.
Rosi und Leni stiegen hinab und hielten sich gegenseitig, bis sie wieder zu Luft gekommen waren.
„Das war klasse, Tante Rosi!“ rief Leni.
Wo sie denn ihre Rose hätte, wollte Rosi wissen. Dann zog Leni die Kunststoffrose aus ihrer Bluse, wo sie sie schon vor längerem hineingesteckt hatte.
Zum Abschluss aßen beide eine Bratwurst und unterhielten sich über das Erlebte.
„Ich will auf jeden Fall noch einmal mit meinen Eltern auf die Kirmes!“, rief Leni.
„Was hat Dir denn am besten gefallen?“, wollte Rosi wissen.
„Das Beste war, dass ich mit meiner Tante zusammen soviel Spaß gehabt habe“, sagte Leni.
Rosi freute sich über das Kompliment.
Sie gingen zu ihrem Wagen und fuhren zurück nach Weinlinden. Rosi lieferte Leni pünktlich um 19.15 h zu Hause ab.
Sie setzte sich noch ein wenig mit Miriam zusammen, Leni aß zu Abend und erzählte von der tollen Kirmes.