Читать книгу Project Mercury - Hans Müncheberg - Страница 3
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Оглавление"T minus dreißig!"
Aus allen Lautsprechern des größten amerikanischen Raketenversuchsgeländes auf Cape Canaveral drang diese Zeitangabe. Jeder, der hier unter der heißen Sonne Floridas arbeitete, wusste nun: Dreißig Minuten blieben nur noch bis zu dem mit Spannung erwarteten ersten Flug einer voll ausgerüsteten Mercury-Pilotenkapsel über rund vierhundert Kilometer.
Keith Grandle, Cheftechniker der NASA-Arbeitsgruppe auf dem Cape, wiederholte die Zeitangabe und blickte zu Robert Hawker, der neben ihm am Kommandopult der technischen Zentrale saß. Hawker war der leitende Ingenieur aller Versuche, die von der NASA, der staatlichen Luft- und Raumfahrtbehörde der USA, mit der Redstone-Trägerrakete unternommen wurden.
Von dem etwas höher gelegenen Kommandoraum aus konnte man den Hauptraum der technischen Zentrale gut übersehen. Dort saßen in langen Reihen Ingenieure und Techniker vor den Überwachungs- und Messgeräten, die alles verzeichneten, was sich in dieser Sekunde in dem komplizierten Mechanismus der Rakete ereignete. Seit der letzten Startverschiebung vor zwei Tagen war keine Panne mehr eingetreten. Hawker wandte sich dem Zeitgenerator zu, der alle Messergebnisse kontinuierlich auswertete. Man konnte ihn direkt vom Kommandopult aus überwachen. Alle Kontrolllampen zeigten grünes Licht. Die aktive Kontrollphase war nun abgeschlossen. In den nächsten Minuten mussten alle Aggregate durch fehlerfreie Arbeit beweisen, dass die Rakete startbereit war.
Die Redstone stand aufgetankt auf dem fast acht Meter hohen Starttisch. Die unmittelbaren Startvorbereitungen vor der Zündung der Triebwerke erforderten die höchste Konzentration aller Ingenieure und Techniker.
Grandle beugte sich wieder zum Mikrophon.
"T minus fünfundzwanzig!"
Draußen, dicht am Ostrand der Insel, nicht weit von den flach auflaufenden Wellen des Atlantik, löste sich das fast fünfundzwanzig Meter hohe Wartungsgerüst langsam, Zentimeter um Zentimeter, vom leuchtend weißen Körper der Redstone-Rakete. Auf vier breiten Schienen glitt diese vielstöckige, fahrbare Montagewerkstatt zurück. Die Techniker verließen das Wartungsgerüst und den Starttisch und eilten zu den einige hundert Meter entfernt gelegenen betonierten Schutzbunkern. Warren Eastburn, der für die Pilotenkapsel Verantwortliche, trat zuletzt aus dem Fahrstuhl, der ihn von der obersten Etage zur Erde gebracht hatte. Tief atmend wischte er sich den Schweiß von der Stirn und wandte sich dem Jeep zu, der bereits neben dem Fundament des Starttisches auf ihn wartete. So schnell sein massiger Körper es ihm erlaubte, kletterte er auf den Sitz neben dem Fahrer.
Auf der Fahrt zum flachen, langgestreckten Bunkerbau, der die technische Zentrale beherbergte, trafen sie den Flüssigsauerstoffwagen, der nochmals zum Starttisch fuhr, um die Rakete nachzutanken.
Die Redstone stand frei auf dem Starttisch, nur noch durch ein dickes Mess- und Zündkabel mit der Zentrale verbunden. Einundzwanzig Meter hoch reckte sich der leuchtende Raketenkörper in den tiefblauen Himmel. Weiße Dampffetzen stiegen von seinem unteren Ende auf. Flüssiger Sauerstoff verdampfte. Hundertachtzig Grad Kälte herrschten dort, aber nur dort, denn alle anderen Außenthermometer auf dem Cape zeigten in dieser Sekunde vierunddreißig Grad Wärme an.
"T minus zwanzig!"
Unbarmherzig brannte die Sonne auf das flache, baumlose Gelände nieder. Nach Ansicht der Experten war es geradezu ideal gelegen. Kurz nach dem Ende des zweiten Weltkrieges hatten die Vereinigten Staaten begonnen, aus den Vorbildern der erbeuteten deutschen Großraketen A 4 eigene Projekte zu entwickeln. Bald reichten die Wüsten- und Steppengebiete für die Erprobung nicht mehr aus. Eine große Versuchsstrecke wurde gebraucht. Sie sollte nicht über das Festland führen, damit sowohl unerwünschte Beobachter als auch Unfälle durch abstürzende Raketentrümmer ausgeschaltet wurden. Als am besten geeignet stellte sich schließlich der mittlere Atlantik heraus. Er war nicht so unruhig wie zum Beispiel der nördliche Teil und garantierte auch ein stetiges, mildes Klima. Florida war das ideale Land für die Abschussbasis, wenn der Flugkorridor zu den Bahama-Inseln führen sollte. Nach langen Vorplanungen fiel die Wahl auf Cape Canaveral, jene schmale, meist nur wenige Kilometer breite Insel, die in einer Länge von fast hundertfünfzig Kilometern der Ostküste Floridas vorgelagert ist. Den Namen verdankte sie einer weit in den Atlantik vorstoßenden Verbreiterung. So besaß sie an dieser Stelle auch einen ausgedehnten, von der starken Brandung verschonten Südstrand. Ein besserer Platz für die Abschussrampen hätte nicht gefunden werden können. Die Insellage gestattete eine absolute Abschirmung des Geländes. Die Erfahrungen mit der Patrick Air Force Base kamen der Planung entgegen. Dieser Stützpunkt befand sich auf dem südlichen Zipfel der Insel Merritt, die zwischen dem Cape und dem Festland lag. So wurde zunächst von Titusville aus eine Verbindungsstraße auf das Cape gebaut, von Militärpolizei streng bewacht, und dann begann der Ausbau der technischen Einrichtungen. Jahre waren seitdem vergangen, Jahre, die den Namen des einst unbekannten Cape um die ganze Welt getragen hatten. Von hier aus wurde am 31. Januar 1958, vier Monate nach Sputnik I und drei Monate nach Sputnik II, der erste amerikanische Erdsatellit Explorer I ins Weltall gestartet. Das Trägersystem war die Vierstufenrakete Juno I, deren erste Stufe die militärische Kurzstreckenrakete Redstone bildete, ähnlich der, die in wenigen Minuten starten sollte,
"T minus fünfzehn!"
Grandle ließ den Blick über die langen Reihen grün leuchtender Kontrolllampen gleiten.
Die schwere Stahltür öffnete sich, und Warren Eastburn kam schnaufend herein. "Verdammte Schinderei. Eine Hitze ist das wieder!" Eastburn ließ sich ächzend in einen der drehbaren Stahlrohrsessel fallen. Er knöpfte das leichte Sporthemd etwas weiter auf. "Ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht, Mister Hawker, wie Sie das immer mit Ihrem Seidenschal um den Hals aushalten?"
"Ganz einfach - ich schwitze nicht."
"Ich habe mal gelesen", bemerkte Grandle, "was gut ist gegen die Kälte, soll auch gut gegen die Hitze sein."
Eastburn brummte: "Dann wollen wir mal nächstens tauschen. Sie kümmern sich an meiner Stelle draußen auf dem knallheißen Montageturm um die Pilotenkapsel, und ich bewache dafür hier im Schutze der Klimaanlage den allwissenden Zeitgenerator." Er erhob sich und trat neben Grandle an die lange Front des Elektronenhirns, das, mit allen Daten der Startvorbereitungen gespeist, die vielen Messstellen kontrollierte und jede Abweichung sofort meldete.
Hawker blickte auf die große Count-Down-Uhr, die kurz vor der Zahl 10 angekommen war. "Jetzt können wir nur noch die Daumen drücken", sagte er.
Grandle wusste, was der technische Leiter damit meinte. Bei diesem Start ging es um mehr als bei jedem früheren. Vor drei Tagen, am 19. August 1960, hatte nämlich die Sowjetunion ihren zweiten Raumschiffversuch unternommen. Während es den "Russen" bei ihrem ersten Versuch im Mai nur um die Erprobung einer Weltraumkabine gegangen war und das Raumschiff dann nach dreiundsechzig Tagen verglühte, hatte dieser neueste Versuch in den USA und vor allem hier auf Cape Canaveral großes Aufsehen hervorgerufen. Was noch niemand für möglich gehalten hatte, war dort fast auf Anhieb gelungen: Ein Raumschiff mit Versuchstieren, den Hunden Belka und Strelka, an Bord hatte vierundzwanzig Stunden lang die Erde umkreist und war wieder sicher gelandet! Diese Nachricht, durch den Satellitenbeobachtungsdienst der USA bestätigt, hatte einen starken Schock ausgelöst. Bis zu diesem Tage glaubte man nämlich, auf dem Gebiet der bemannten Raumfahrt einen Vorsprung gegenüber der Sowjetunion zu haben. Bereits vor einem Jahr, im September 1959, war der offizielle Startschuss zum Wettlauf um die Eroberung des Kosmos durch den Menschen gefallen. Hier auf dem Cape hatte man mit der Erprobung der Kapsel und der Trägerrakete für den zunächst geplanten ballistischen Flug begonnen. Auf seiner Bahn über rund vierhundert Kilometer sollte der Astronaut in eine maximale Höhe von rund hundertachtzig Kilometer geschossen werden. Ein halbes Jahr würde aber mindestens noch vergehen, bis es soweit war. Und nun auf einmal dieser Flug eines sowjetischen Raumschiffes, der für die USA ein unübersehbares Zeichen war, dass nicht mehr viel Zeit blieb, wenn man diesen Wettlauf um den ersten bemannten Start gewinnen wollte. Deshalb hing soviel von diesem Versuch ab, von dem Start, der in zehn Minuten erfolgen sollte. Gelang er, dann war man einen großen Schritt weiter, dann konnte der Schock des russischen Erfolges überwunden werden. Ja, es blieb nur, die Daumen zu drücken.
Grandle beugte sich wieder zum Mikrophon vor.
"T minus zehn!"
Draußen neben dem Starttisch fünf stand das schwere Spezialfahrzeug, in dessen doppelt gesicherten Thermobehältern der Flüssigsauerstoff mit einer Temperatur von mehr als hundertdreiundachtzig Grad Kälte transportiert wurde. Dicke isolierte Schlauchleitungen führten zur Rakete. Starker Eisbelag hatte sich auf den Anschlussstellen gebildet. Schwaden kalten Nebels sanken ständig von ihnen herab. Die Männer dieser Spezialgruppe trugen weiße Schutzanzüge und Plexiglashelme. Jeder Handgriff war geübt. Nun wurden die Leitungen demontiert. Die Männer sprangen auf die Trittbretter des Fahrzeugs. Wenige Sekunden später befand sich kein Lebewesen mehr in der inneren Gefahrenzone, die mit einem Radius von einigen hundert Metern rund um den Starttisch zu denken war.
"T minus fünf!"
Im nordwestlichen Teil des Versuchsgeländes, dort, wo sich die Insel stark verengte, lag dicht am Banana Float das Hauptquartier der NASA-Gruppe. Unter der Leitung von Stuart Pearsons hatte diese staatlich-zivile Arbeitsgruppe schon vor einigen Jahren Gastrecht auf dem Air-Force-Versuchsgelände erhalten. Ein Beschluss der obersten Raumfahrtbehörde in Washington, bestätigt von der Regierung, bestimmte, dass wesentliche Aufgaben der zivilen Raumforschung mit Unterstützung der Luftstreitkräfte auf Cape Canaveral durchgeführt werden sollten. So war damals der NASA ein kleines Areal im Nordwesten des Sperrgebietes freigemacht worden. Dort konnten die technischen Forschungsanlagen und die Verwaltungsgebäude errichtet werden. Für alle Versuche aber musste die nördliche Zentrale der Air Force benutzt werden. In einem langfristig festgelegten Rhythmus wechselten also in den Räumen dieser technischen Zentrale Uniformhemden und Campinghemden. Auch die Hangars und die Starttische gehörten der Air Force. Lediglich für spätere Aufgaben der NASA wurde eine eigene neue Startanlage errichtet. Für die zurzeit laufenden Mercury-Versuche hatte die NASA einen Redstone-Starttisch zu dauernder Benutzung erhalten. Das "Project Mercury" besaß den höchsten Dringlichkeitsgrad, heute mehr denn je. Es umschloss die Summe der amerikanischen Bemühungen, als erstes Land der Welt einen bemannten Raumflug durchzuführen. Und Stuart Pearsons war der Chef der dafür zuständigen Arbeitsgruppe. Rund drei Kilometer trennten ihn von der technischen Zentrale, in der Robert Hawker, Keith Grandle und viele andere jetzt vor den Apparaten saßen; aber auch Stuart Pearsons war mit dem Geschehen unmittelbar verbunden. Eine ganze Seitenwand seines Arbeitszimmers war mit Fernsehschirmen und den verschiedensten Kontrollgeräten ausgefüllt. Sie waren eingeschaltet und zeigten die Redstone auf dem Starttisch und die wichtigsten Werte des laufenden Versuches auf übersichtlichen Messskalen.
Neben Pearsons saß Steve McGuire, stellvertretender Leiter und Verwaltungschef der NASA-Gruppe. Sie beobachteten aufmerksam die Apparaturen. Es wurde kaum gesprochen. Jeder hing seinen Gedanken nach.
Es hatte in den letzten Monaten einige Rückschläge gegeben. Die Regierung und der Chefdirektor der NASA waren verstimmt. Der Zeitplan des "Project Mercury" war ins Rutschen gekommen. Und in diese nicht sehr günstige Situation war vorgestern die Nachricht von dem erfolgreichen sowjetischen Versuch geplatzt. Eine äußerst ernste Lage für die amerikanische Forschung und für das Prestige der USA auf diesem, von der Öffentlichkeit der Welt so stark beachteten Gebiet. Prompt war gestern die Einladung an Stuart Pearsons ergangen, er möge sich am Tage nach dem laufenden Versuch bei Chefdirektor Webster in Washington einfinden.
Als vor dem Gebäude ein Jeep mit knirschenden Bremsen stoppte, war beiden klar, dass der Stützpunktkommandant der Air Force und "Hausherr" des Cape, General Lester Kingsberry, wieder einmal kam, um, einer alten Vereinbarung entsprechend, als Gast der NASA, Zeuge des Versuches zu sein. Kingsberry war ein Mann mit guten Verbindungen zum Pentagon, bis zum Bersten gefüllt mit dem Ehrgeiz, den Vereinigten Staaten so schnell wie möglich eine militärische Überlegenheit über die Sowjetunion zu verschaffen.
In dem Moment, da General Kingsberry über die Schwelle trat, heulten die Sirenen los. Nicht nur in der Nähe des Starttisches an der Ostküste und im engeren Bereich der Startanlagen, sondern auch im Südteil des Versuchsgeländes, wo sich die Anlagen der Air Force und der kleine Hafen befanden. Jeder wusste nun, in drei Minuten würde die Redstone gezündet werden. Zugleich ertönte aus den Lautsprechersäulen die Stimme Grandles:
"T minus drei!"
Auf dem weiten Gelände von Cape Canaveral herrschte Ruhe. Kein Mensch war draußen zu sehen. Nur die ruhige Stimme des Cheftechnikers erfüllte die Luft. Sie zählte nun die letzte Minute aus. Jetzt ging es um Sekunden,
"Fünfundfünfzig - fünfzig - fünfundvierzig ... "
Während sich Grandle völlig auf die große Count-Down-Uhr konzentrierte, stand Hawker vor dem Zeitgenerator. Nervös spielte seine rechte Hand mit dem Seidenschal. Eastburn starrte auf den großen Bildschirm des Kontrollerempfängers, der die Rakete in Großaufnahme zeigte. Die Leitzentrale war in einem fensterlosen, bunkerartigen Haus untergebracht. Dicker Stahlbeton schützte die Menschen und die Apparate vor den Folgen einer möglichen Explosion des Flugkörpers. Die Verbindung mit der Außenwelt ging nur auf elektrischem und elektronischem Wege vor sich. "Fünfunddreißig - dreißig - fünfundzwanzig ... " Hawker legte die Hand auf den Schalter, der den Zündstrom zur Rakete jagen würde. Grandle zählte weiter: "Neun - acht - sieben - sechs - fünf - vier - drei - zwei - eins - Zündung!"
"Zündung!"
Hawker hatte es unbewusst zugleich mit Grandle ausgerufen und dabei den Schalter herumgedreht.
Bruchteile einer Sekunde später schossen weiße Dampfstrahlen aus den Öffnungen der Raketentriebwerke, brachen sich in einem wassergekühlten Betonschacht unter dem Starttisch und jagten seitwärts ins Freie. Wirbelnde Wolken hüllten den Starttisch ein und nahmen immer neue Farben an. Fast sah es so aus, als wollte eine brodelnde Masse die Rakete verschlingen. Doch dann klappte das Startkabel zur Seite, und leicht vibrierend erhob sich der schlanke Körper von der Plattform. Zögernd, langsam stieg er auf. Es schien, als ob die Kraft der Triebwerke nicht ausreichte, um die Erdanziehung zu überwinden. Doch dann ließ die Rakete die Dampfwolken unter sich. Jetzt war der grelle Feuerstrahl zu sehen, der sie höher und höher stieß. Noch konnte man lesen, was auf dem weißen Leib der Redstone geschrieben stand: "UNITED STATES - NASA".
Eastburn sprang auf. "Sie ist in der Luft! Sie liegt richtig auf Kurs!" rief er erregt.
Grandle stand neben dem Zeitgenerator. Die grünen Lichter waren erloschen. Das Elektronenhirn hatte seine Arbeit getan. Andere Geräte überwachten den Flug. Grandle prüfte die Skalen der Messapparaturen.
Hawker beugte sich über den Oszillographen. Mit beiden Händen stützte er sich auf die Kanten des kleinen Tisches. Unverwandt schaute er auf die pulsierenden Zacken der grünlich leuchtenden Lichtkurve.
In Pearsons Arbeitszimmer herrschte atemlose Stille, die nur ab und zu durch die nüchterne Stimme eines Messtechnikers unterbrochen wurde, der die jeweils erreichte Flughöhe der Rakete durchgab. Die Blicke der drei Männer hingen unverwandt an dem großen Bildschirm, auf dem das fliegende Projektil noch zu sehen war. Mit überstarken Teleobjektiven wurde der Flug verfolgt.
Schließlich konnte sich der Verwaltungsmann McGuire nicht mehr halten: "Alles läuft glatt! Es scheint zu werden!"
Sein spontaner Ausruf löste die Spannung. General Kingsberry sagte zu Pearsons: "Es würde mich ehrlich für Sie und für uns alle freuen. Wir hätten einen Erfolg verdammt nötig!"
Pearsons nickte. Die Hoffnung langer Monate, immer wieder mühsam über alle Rückschläge hinweg erhalten, konzentrierte sich schließlich auf diesen Versuch. Er durfte nicht scheitern. Die Konsequenzen wären unabsehbar und könnten für ihn persönlich das Ende seiner Laufbahn bei der NASA bedeuten. Von ihm würde man Rechenschaft über die investierten Millionen Dollar fordern. Mit äußerster Konzentration verfolgte er das Geschehen auf dem Bildschirm und überprüfte die Messskalen.
Im Kommandoraum der technischen Zentrale waren alle Gespräche verstummt. Jeder stand auf seinem Platz. Hawker zuckte plötzlich zusammen. Die Zacken der grünlichen Lichtkurve waren abgerissen. Mit einem Sprung stand er neben Grandle. "Was ist mit der Steuerung los?"
"Das Ding bricht aus!" antwortete Grandle. Hastig drückte er zwei Knöpfe nieder, doch nichts geschah. Er drehte sich zu Hawker um. "Flugbahnkorrektur nicht mehr möglich."
Nun stand auf einmal Eastburn bei ihnen. "Was wird mit der Kapsel? Wenn wir sie retten, haben wir doch einen Teilerfolg!"
Hawker war mit drei schnellen Schritten am Kommandopult. "Wir sprengen die Kapsel ab."
"Gut - der Rettungsmechanismus reagiert dann automatisch."
Hawker legte einen Hebel herum und wandte sich an Grandle. "Nun, was ist?"
"Nichts, gar nichts!" Wütend steckte sich Grandle die erloschene Pfeife in den Mund. "Die Notraketen zünden nicht."
Eastburn stand einen Augenblick starr. Dann ließ er sich in einen Sessel fallen. "Aus!" Mehr sagte er nicht.
Hawker und Grandle sahen sich schweigend an. Grandle nahm die Pfeife aus dem Mund und klopfte mit ihr einmal hart auf die Handfläche.
Hawker nickte. Er nahm eine kleine Plexiglashaube von einer schwarzen Taste. Einen Moment zögerte er noch, und er drückte die Taste herab.
Wer in dieser Sekunde irgendwo vom Versuchsgelände oder vom weiter südlich gelegenen Badeort Cocoa Beach aus den Flug der Rakete verfolgt hatte, oder wer zufällig in südöstlicher Richtung zum strahlend blauen Himmel emporschaute, sah plötzlich einen grellen, orangefarbenen Feuerball aufleuchten. Immer größer wurde die Glutwolke; sie verlosch aber ebenso schnell, wie sie entstanden war. Verwehende schmutzige Rauchschleier, mehr blieb nicht von diesem großangelegten Test der NASA. Winzige Splitter regneten weit draußen, aber noch innerhalb des Sperrgebietes, auf die Wellen des Atlantiks.
Pearsons war aufgesprungen. Jetzt stand er dicht vor den Messgeräten. Es sah aus, als ob er vergeblich versucht hatte, durch persönliches Eingreifen diesen katastrophalen Misserfolg abzuwenden. Mit gesenktem Kopf wartete er auf den Detonationsdonner der Notsprengung. Nach einigen Sekunden rollte ein dumpfes Dröhnen heran und ließ die Fensterscheiben erzittern. Pearsons drehte sich um und ging mit müden Schritten zu seinem Schreibtisch. Mit beiden Armen musste er sich aufstützen, bevor er den Kopf hob und den General ansah, der nun auf ihn zukam, Pearsons fühlte sich unendlich leer. Er besaß nur noch die niederschmetternde Erkenntnis, dass dies wahrscheinlich der letzte Versuch war, dessen Leitung in seinen Händen gelegen hatte.
Kingsberry konnte gut verstehen, was in Pearsons vorging. Er kannte den NASA-Direktor lange genug. Er schätzte ihn wegen seiner drängenden Unduldsamkeit, die immer wieder von der Zivilistentruppe höchste Leistungen gefordert hatte, Leistungen, die dem Namen Amerikas Ehre machen sollten. Es war bestimmt nicht das persönliche Verschulden dieses Mannes, der nun alle Kraft aufbieten musste, um angesichts der Katastrophe sein Gesicht zu wahren. Kingsberry nickte ihm aufmunternd zu. "Kopf hoch, Mr. Pearsons. Jede Pechsträhne, jede Misserfolgsserie muss einmal zu Ende gehen."
Pearsons raffte sich zu einem schwachen Lächeln auf. "Bloß, ob ich das noch erleben werde? Morgen fahre ich nach Washington zu Chefdirektor Webster. Ob er die Lage auch so beurteilt wie Sie?"
Nicht weit vom Judiciary Square in Washington lag das wuchtige Gebäude, in dem im August 1960 noch die National Aeronautics and Space Administration, kurz NASA genannt, untergebracht war. Ein eigenes repräsentatives Gebäude sollte 1961 für die rund tausenddreihundert Angestellten in der 4. Straße Ecke Maryland Avenue gebaut werden. Dann könnte man das Regierungsviertel im Zentrum der Stadt mit seinem lauten Verkehr verlassen.
Stuart Pearsons war mit gemischten Gefühlen nach Washington geflogen. Drei Tage nach einem so bedeutenden sowjetischen Raumschifferfolg einen erneuten Rückschlag melden zu müssen, war nicht angenehm. So hatte er sich auf einen frostigen Empfang vorbereitet. Doch er war freundlich begrüßt worden.
James Webster kannte die Lage sehr gut. Er verfolgte die Arbeiten auf Cape Canaveral aufmerksam und konnte einschätzen, was zu erreichen war und was nicht. Er war auch Menschenkenner genug, um zu wissen, wie sehr Pearsons in der Arbeit aufging und wie sehr ihn dieser erneute Misserfolg getroffen haben musste. Es lag ja nicht am guten Willen der Männer auf dem Cape. Schon im Herbst 1957, als es darum ging, den Schock abzufangen, den der Start der ersten beiden sowjetischen Sputniks ausgelöst hatte, war ihm die ganze Misere der amerikanischen Raketentechnik klargeworden. Seitdem dachte er persönlich milder, wenn er immer wieder von Fehlschlägen hörte. Hartnäckig kritisierte er die Industrie wegen der mangelhaften technischen Qualität der Raketenbauelemente und beharrte auf den festgelegten Terminen.
Webster ging in dem großen Raum auf und ab. Er skizzierte nüchtern die entstandene Lage. "Es darf auf keinen Fall so weitergehen", betonte er, "dass die Russen uns eine Weltraumpremiere nach der anderen wegschnappen. Der erste künstliche Erdsatellit im Oktober 57, der erste künstliche Planetoid im Januar 59 und die ersten Mondraketen im Herbst des gleichen Jahres - alles ging auf das Konto der Russen!" Webster unterbrach seine Wanderung und blieb vor Pearsons stehen. "Wir haben höchstens noch ein halbes Jahr Zeit; dann wird der erste Mensch ins All fliegen. Es hängt von uns ab, ob dieser erste Mensch ein Amerikaner ist!"
Pearsons hielt es nicht mehr in dem breiten Ledersessel. Er sprang auf. Temperamentvoll rief er aus: "Dass es ein Amerikaner sein muss, daran besteht kein Zweifel. Bloß, ob unsere augenblicklichen technischen Mittel ausreichen, um schon im Frühjahr 1961 den bemannten Start wagen zu können ... " Er brach ab und hob die Schultern.
Webster reckte seinen hageren Körper hoch. Er legte Wert auf eine straffe Haltung und war sogar ein wenig stolz darauf, mit fast sechzig Jahren immer noch für eine sportliche Erscheinung zu gelten. Er trat hinter seinen Schreibtisch und nahm einen schmalen Hefter zur Hand. "Die Versuche mit der Redstone haben sich zu sehr verzögert. Wir können nicht mehr warten, bis die Redstone-Versuche abgeschlossen sind, bevor wir ernsthaft an die nächste Stufe herangehen. Die Russen steuern offensichtlich direkt auf einen Satellitenflug des Menschen um die Erde zu. Unser Redstone-Projekt hat aber lediglich den Flug in einer ballistischen Bahn über rund vierhundert Kilometer zum Ziel. Die Kreisbahn um die Erde sollte mit unserer ersten interkontinentalen Rakete, der Atlas, erreicht werden. Wir müssen jetzt wohl oder übel beide Projekte parallel schalten, damit die Starts unmittelbar hintereinander erfolgen können."
"Das wäre eine echte Chance!" Pearsons war Feuer und Flamme. "Das erfordert aber erweiterte technische Voraussetzungen. Einen Starttisch für unsere Atlas-Versuche, alle entsprechenden Einrichtungen, genügend Raketen, um eine Serie erproben zu können, vor allem aber neue Leute, ein neues Team erstklassiger Fachleute. Wenn wir uns die erst selbst ausbilden müssen, verlieren wir wieder kostbare Zeit."
Webster nickte. Diese Probleme waren ihm vertraut. Er hatte sie gestern auf einer außerordentlichen Sitzung des Beirates der Raumfahrtbehörde zur Diskussion gestellt. Der Präsident der Vereinigten Staaten, der Außenminister und der Verteidigungsminister waren Mitglieder des Beirates und hatten ihm und seiner Behörde alle notwendigen Vollmachten erteilt.
Soweit er es für erforderlich hielt, informierte Webster seinen Gast über die Ergebnisse dieser Sitzung. Die Versuche mit der Atlas sollten ebenfalls von Cape Canaveral aus erfolgen. Pearsons sollte weiterhin dort die Leitung behalten, dann also über beide Versuchsreihen. Die Air Force bekäme schon in den nächsten Tagen Anweisung, einen Starttisch für die NASA herzurichten.
"Und die erforderlichen Raketen?" erkundigte sich Pearsons, als Webster eine Pause machte.
"Sie werden zunächst von der militärischen Produktion abgezweigt. Doch das kann auf die Dauer nicht genügen. Es sind uns außerordentliche Geldmittel zur Verfügung gestellt worden, um eine gesteigerte Raketenproduktion finanzieren zu können." Webster griff nach seinem Terminkalender. "Das wird bei den Convair-Werken in San Diego nicht ganz einfach sein, habe ich mir sagen lassen. Am besten, wir fahren beide möglichst bald einmal dorthin." Er blickte wieder auf und fragte abrupt: "Kennen Sie eigentlich Dr. Lawrence Gilbert?"
"Den Konstrukteur der Atlas?"
"Ja."
"Leider nicht persönlich."
"Ein äußerst fähiger Mann. Er hat uns damals die technische Seite erläutert, als wir die Atlas in unser Forschungsprogramm aufgenommen haben. Wir sollten uns unbedingt mit ihm beraten." Webster blätterte in dem Terminkalender.
Pearsons überlegte. Eine solche Kapazität wie Dr. Gilbert für die neue Versuchsreihe zu gewinnen, müsste eine gute Ausgangsposition garantieren. "Und wenn wir versuchen, ihn zu uns zu holen?"
Webster schmunzelte. "Daran habe ich auch schon gedacht. Ich fürchte nur, es wird uns nicht gelingen, ihn loszueisen. Immerhin ist er dort Chefkonstrukteur."
"Zumindest brauchen wir einen guten Stab Atlas-Spezialisten von der Convair. Das wird der Verwaltungsrat des Konzerns hoffentlich einsehen. Und Dr. Gilbert müsste eigentlich so viel Verständnis für diese nationale Aufgabe haben, dass er uns wenigstens bei der Auswahl der Leute hilft." Webster hatte einen geeigneten Termin gefunden und machte sich eine Notiz. "Dr. Gilbert wird uns bestimmt helfen. Soviel ich weiß, kennt er sogar einen unserer besten Astronauten persönlich. Scott Sharper, glaube ich. Ihm sind unsere Belange also nicht fremd. Ich schlage vor, wir fahren bereits in der nächsten Woche nach San Diego. Passt es Ihnen am Dienstag, Mister Pearsons?"