Читать книгу Project Mercury - Hans Müncheberg - Страница 4

2

Оглавление

Im Südwesten der Vereinigten Staaten, dicht an der mexikanischen Grenze, liegt San Diego, die Industrie- und Hafenstadt an der San Diego Bai. Hier herrscht ein mildes Klima, bestimmt durch den Pazifik und die nicht weit von der Küste entfernten Ketten der mächtigen Rocky Mountains.

Am Rande der Stadt stehen die großen Hallen der Astronautics-Werke. Sie gehören zum Verband der Convair Division im Konzern von General Dynamics. Man hat es sich etwas kosten lassen, hier eine völlig neue Produktionsstätte zu errichten. Convair hatte bereits 1954 den Auftrag zur Entwicklung einer interkontinentalen ballistischen Rakete erhalten. Die technische Planung und Konstruktion wurde einer Entwicklungsgruppe unter der Leitung von Dr. Lawrence Gilbert übertragen. In zweijähriger Arbeit stellten sie den Entwurf und das Labormuster fertig. Einige Versuchsgeschosse konnten 1956 produziert werden. Im Juni 1957 startete der erste Versuch. Viele Versuche waren notwendig, bevor die Atlas als einsatzreif bezeichnet werden konnte. Völlig funktionssicher war sie, allerdings immer noch nicht, doch das lag nicht an den Konstrukteuren unter Dr. Gilbert. Jeder, der den Doktor kennengelernt hatte, wusste es. Gilbert war sehr beliebt bei seinen Mitarbeitern. Die vorurteilslose Art, mit der er alle Probleme anpackte, sein offenes, hilfsbereites Wesen und sein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit hatten ihm vor allem bei den Technikern und Monteuren viele Freunde erworben. Es gab kaum einen Arbeiter in den Astronautics-Werken, der nicht einige Geschichten über den Doc hätte erzählen können. Man wusste, dass Gilbert manches gegen den versteckten Widerstand des technischen Direktors, John Bradley, durchgesetzt hatte. Bradley war ein Mann mit vielen Verdiensten um die schnelle Entwicklung der Convair-Flugzeug-Produktion. Er avancierte zu Beginn des Krieges mit Japan zum technischen Direktor. Das war gerade zu der Zeit, da Gilbert als frischgebackener Dr.-Ing. in die Forschungsabteilung kam. Der schnelle Aufstieg Gilberts gefiel John Bradley nicht. Er hatte ihn daher gleich nach Ende des Krieges auf das Gebiet der Raketentechnik abgeschoben. Doch die Absicht schlug ins Gegenteil um: Gilbert wurde der Konstrukteur der ersten einsatzbereiten ICBM (Intercontinental Ballistic Missile) der Vereinigten Staaten.

Es war kurz vor zehn Uhr, als die Sekretärin eilig zu Gilbert ins Zimmer kam. "Ein dringender Anruf von Mister Bradley. Sie möchten, bitte, sofort zu ihm kommen."

"Na endlich! Hat ja lange genug gedauert, bis der hohe Herr einmal Zeit für unsere Sorgen hat."

Die Sekretärin wusste genau, was Gilbert meinte. Seit einiger Zeit gab es Schwierigkeiten mit einigen Zulieferbetrieben. Die Arbeiten an der Neuentwicklung stockten. Gilbert wollte darüber mit dem technischen Direktor sprechen. Als er nach den Unterlagen griff, fügte die Sekretärin hinzu: "Ich soll Ihnen ausrichten, es wären zwei Herren von der NASA bei Mister Bradley, denen Sie spezielle technische Fragen beantworten möchten. Sie sollten sich die Unterlagen über die neuen Modifikationen der Atlas mitnehmen, lässt Mister Bradley bestellen."

Gilberts Gesicht verriet Enttäuschung. Ihn reizte es nicht, an einem mehr oder weniger geschäftlichen Gespräch teilzunehmen, auch wenn die NASA sich langsam zu einem Großabnehmer der Convair-Raketen entwickelte.

Lawrence Gilbert war groß, schlank und hatte ein offenes, gütiges Gesicht mit aufmerksamen, blaugrauen Augen. Darüber eine hohe Stirn, von der das mittelblonde Haar schon ein beträchtliches Stück zurückgewichen war. Er ging stets tadellos gekleidet. Kein Wunder, dass es seine Sekretärin gern gesehen hätte, wenn er sich einmal für etwas anderes interessierte als immer nur für die Arbeit.

Im Arbeitszimmer des technischen Direktors saßen Webster und Pearsons in die Sessel zurückgelehnt, während sich Bradley interessiert vorbeugte. "Dass Sie bei Ihren neuen Plänen mehr Raketen brauchen, ist logisch. Bloß, wo sollen wir sie hernehmen?"

"Aus einer erhöhten Produktion!" sagte Webster ruhig. "Ihre Kapazität ist doch wohl nicht restlos ausgeschöpft?"

Pearsons setzte hinzu: "Sie arbeiten nur mit halber Kapazität, wurde uns gesagt."

"Das entspricht der gegenwärtigen Auftragslage. Schließlich ist unsere Atlas nicht billig."

Webster blieb gelassen. "Vier Millionen Dollar einschließlich der Startkosten. - Das Geld für eine normale Serie ist jetzt vorhanden."

"Das wird den Verwaltungsrat sicherlich freuen... " Bradley war jetzt ganz bei der Sache. "Was ich allerdings dabei soll ...?"

"Von Ihnen möchten wir gern wissen, wann wir mit den ersten zusätzlichen Raketen rechnen können?"

"Einsatzfähig!" fügte Pearsons hinzu.

"Sie wissen, dass die reine Produktionszeit einer Atlas zwölf Monate dauert. Von der Bestellung bis zur kompletten Auslieferung werden demnach achtzehn Monate erforderlich sein."

"Das ist zu lange. Wieweit lässt sich diese Frist verkürzen?"

Nun ist es heraus, dachte Bradley, eine schwierige Frage. Doch er brauchte nicht gleich zu antworten.

Pearsons erläuterte die Notwendigkeit, das Project Mercury mit allen Mitteln zu beschleunigen. Amerika hätte in letzter Zeit genug Schlappen hinnehmen müssen. Das nationale Prestige der Vereinigten Staaten stünde heute beim Wettlauf um die Vorherrschaft im Weltraum auf dem Spiel. Deshalb dürfe es auf keinem Fall geschehen, dass der Kolumbus des zwanzigsten Jahrhunderts ein rotes Banner in den Weltraum trüge.

Für Bradley gab es über derartige Notwendigkeiten keine lange Diskussion. "Einverstanden, mit allem einverstanden. Aber selbst wenn wir alle Chancen nutzen, werden wir die Gesamtzeit höchstens auf fünfzehn Monate drücken können. Zahlenangaben selbstverständlich ohne Gewähr. Dazu brauchen wir Dr. Gilbert. Er wird gleich hier sein."

Als Gilbert eintrat, erhob sich Webster und ging ihm einige Schritte entgegen. "Hallo, Dr. Gilbert. Ich freue mich aufrichtig, Sie zu sehen." Er machte Gilbert auf unkonventionelle Art mit Pearsons bekannt, den Konstrukteur dabei wegen seiner großen Leistungen lobend. Bradley betrachtete diese Szene mit gemischten Gefühlen. Eigentlich wäre es sein Amt gewesen, Gilbert und Pearsons einander vorzustellen. Nun stand er wie überflüssig daneben und musste hören, welchen freundlichen Ton der NASA-Chef gegenüber Gilbert anschlug und wie sehr Gilbert sich von dieser Begegnung angetan zeigte. Rasch schaltete sich Bradley wieder ein und erklärte seinem Chefkonstrukteur die Situation und die Wünsche der NASA auf Terminverkürzung.

Gilbert schien diese Frage sehr zu gefallen. Er erkannte die Chance, auch von seinen augenblicklichen Problemen zu sprechen. "Die eigentlichen Schwierigkeiten liegen nicht bei uns. Wir sind in den meisten Baugruppen von den Zulieferbetrieben abhängig. Bei den Antrieben sind wir auf die Rocket-Dyne Division oder auf Pratt & Wittney angewiesen, bei Stahl auf die Washington Steel Corporation, bei unseren Schweißverfahren auf die Solar Aircraft Corporation und bei der Elektronik auf American Bosch Arma oder North American Aviation. Bei den restlichen Bauelementen ist das ähnlich. Wenn wir dort mehr Entgegenkommen fänden, könnten wir die Lieferfristen vielleicht noch weiter senken. Nehmen wir zum Beispiel die Rocket-Dyne Division. Sie liefert für die Atlas jeweils drei Rohrbrennkammern laut Vertrag - laut langfristiger Vereinbarung. Da ist es nicht so leicht, kurzfristig Änderungen zu schaffen, denn Rocket-Dyne liefert auch an Chrysler und all die anderen Raketenproduzenten. Und die achten schon darauf, dass wir nicht zu viel Kapazität binden. Als ich vor kurzem für unsere Neuentwicklung ein Testtriebwerk für Zugfestigkeitsversuche brauchte ..."

"Das gehört doch nicht hierher!" unterbrach ihn Bradley.

"Doch!" Gilbert ließ sich nicht beirren, er war jetzt an dem Punkt, der ihm schon lange Sorgen bereitete. "Das Objekt S-5 ist für die Saturn bestimmt, ein Auftrag der NASA. Wir wären schon längst fertig, wenn nicht immer wieder solche Pannen passierten. Die Konstruktion ist fertig, die Technologie festgelegt, bloß in diesem Dickicht der Konzernverbindungen bleiben wir andauernd hängen."

Bradley war dieses Thema unangenehm. Er versuchte es zu beenden. "Wir arbeiten, wie allgemein üblich, mit einem erprobten Vertragssystem. Da braucht eben alles seine Zeit."

"Die wir immer wieder gegen die Russen verlieren!" Gilbert ließ sich nicht mehr bremsen. Temperamentvoll fuhr er fort: "Ich bin jedenfalls überzeugt davon, dass sich die Konstrukteure dort nicht mit einem Dutzend anderer Firmen herumzuschlagen haben." Gilbert trat dicht an Bradley heran. Seine Stimme wurde eindringlich. "Deswegen bitte ich Sie jetzt wieder um Ihre Hilfe, Mister Bradley. Wenn wir die Russen endlich einholen und überholen wollen, geht das nicht ohne besseres Material für die Brennkammern. Höherer Schub bedeutet vor allem höhere Ausströmgeschwindigkeiten - also höhere Drücke und Temperaturen. Das erreichen wir nicht ohne energiereicheren Brennstoff."

"Aber Pratt & Wittney ... " wollte Bradley entgegnen, doch Gilbert fuhr sogleich fort: " ... arbeiten schon lange an Flüssigwasserstoff-Motoren, ich weiß."

"Sehen Sie." Bradley warf einen nervösen Blick auf die Besucher, die alles mit größter Aufmerksamkeit verfolgten.

"Zu lange! Ach, es ist doch zum ... " Gilbert fing sich im letzten Moment und wandte sich an Webster und Pearsons: "Entschuldigen Sie, bitte."

"Aber wieso denn?" Webster spritzte etwas Soda in sein Glas. "Sie haben völlig recht." Dabei blickte er zu Bradley, der ärgerlich vor sich hin starrte. Man musste offen mit ihm sprechen.

"Bitte, verstehen Sie uns nicht falsch. Dieser Wettlauf mit dem Osten kann sich zu einer Lebensfrage für die Vereinigten Staaten auswachsen, und Sie kennen doch den Grundsatz: Besondere Umstände verlangen besondere Maßnahmen. Wenn die Verkürzung der Lieferfristen im Verwaltungsrat zur Sprache kommt, dann wird es nicht zuletzt von Ihnen abhängen, wie entschieden wird. Auf jeden Fall haben Sie die volle Unterstützung der NASA und auch die des Präsidenten. Die Geschäftsinteressen müssen sich doch mit den großen politischen Notwendigkeiten koordinieren lassen. Sonst - und in dem Punkt hat Dr. Gilbert wirklich recht - erlauben wir es den Russen, ihren immerhin schon peinlichen Vorsprung noch weiter zu vergrößern."

"Ich glaube Sie verstanden zu haben, Mister Webster", erklärte Bradley höflich, "und ich versichere Ihnen, dass die Interessen Amerikas auch die Interessen der Convair sind."

"Ich danke Ihnen." Webster war mit dem Ergebnis der Unterhaltung zufrieden, denn es zeichneten sich Möglichkeiten ab, die der NASA bald eine ausreichende Zahl stärkerer Trägerraketen bringen würden.

Als sich nun Webster und Pearsons verabschiedeten und um die Möglichkeit einer Betriebsbesichtigung baten, schien Bradley wieder strahlender Laune zu sein. Nur Gilbert ließ sich nicht täuschen. Er kannte seinen Chef zur Genüge und wusste, dass er solche Sekunden der Unterlegenheit nicht so schnell vergaß. Gerade weil Bradley ein geschickter Taktiker war und in der Regel alle für ihn unangenehmen Situationen abzufangen verstand, ärgerte ihn jede noch so kleine Schlappe doppelt und ließ ihn mit großer Ausdauer nachtragend werden.

Nach dem kurzen Weg über den von der Sonne aufgeheizten Werkhof empfanden es die drei Männer als angenehm kühl in der langgestreckten Halle. Gilbert war in seinem Element. Er kannte hier jeden Mann und jeder kannte und schätzte ihn.

Webster und Pearsons hatten bisher noch nie so eingehend die Herstellung einer großen Rakete beobachten können. Voller Interesse sahen sie, wie zu Beginn die blanken, rostfreien Stahlbänder von mächtigen Rollen abgewickelt und zwischen Walzenpaaren geglättet wurden. Bei einem Meter Breite hatten sie nur eine Stärke von weniger als einem Millimeter. Davon wurden Stücke abgeschnitten und an den Enden zu einem Trommelring von rund drei Meter Durchmesser zusammengeschweißt. Ein Schweißautomat verband zwei Trommelringe zu einem größeren Segment. Da das Stahlband in sich keinen Halt hatte, mussten von innen und von außen Stützringe angebracht werden. In der nächsten Halle konnten sie sehen, wie nebeneinander mehrere Raketenkörper montiert wurden,

"Montieren ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck dafür", erläuterte Gilbert, "denn hier wird, von der Spitze beginnend, immer ein Segment an das andere geschweißt. Es handelt sich um eine sogenannte Stumpfschweißung, bei der die Naht durch einen untergelegten Streifen rostfreien Stahls verstärkt wird. Dadurch können wir auf die inneren Stützringe verzichten und mit den äußeren Ringen auskommen."

Sie waren nun bei einem Raketenkörper angekommen, der die volle Länge von achtzehn Metern erreicht hatte. Die Bodenplatte war angeschweißt worden und einige Techniker waren jetzt dabei, eine Druckgasleitung anzuschließen. Gilbert erklärte den Vorgang: "Die große Leistung der Atlas konnte dadurch erreicht werden, dass es uns gelungen ist, die Raketenteile gleichzeitig als Treibstoffbehälter zu benutzen und durch den dünnen Spezialstahl ungewöhnlich leicht zu halten. Ohne die Stützringe würde das Ganze zusammenbrechen. Deswegen füllen wir nun die Zelle mit Helium-Druckgas und verleihen dem Raketenmantel so eine ausreichende Stabilität, um die weiteren Bauarbeiten vornehmen zu können. Das Druckgas bleibt in der Rakete, bis sie auf dem Starttisch, unmittelbar vor dem Abschuss, aufgetankt wird. Wir nennen das unter uns die Luftballon-Methode, denn die aufgeblasene Raketenzelle ist ähnlich empfindlich gegen äußere Beschädigungen wie ein Luftballon."

Gilbert gab einem Ingenieur im weißen Kittel einen Wink. Mit leisem Zischen strömte Helium in den großen Hohlraum, und zusehends glättete sich die Oberfläche des Raketenkörpers. Nach wenigen Minuten war dieser Prozess beendet, und die Stützringe wurden entfernt. Als sie weitergingen, sagte Gilbert scherzhaft: "Also, Korkenzieher und andere spitze Gegenstände lieber in der Tasche behalten."

Die Endmontagehalle bildete den Abschluss des Rundgangs. Hier wurden die Raketentriebwerke eingebaut und die Steueranlage, das Führungssystem, das Fernmesssystem und die anderen Bordanlagen installiert. Eine Stunde hatte der Rundgang gedauert, aber zwölf Monate vergingen, bevor eine Atlas diesen Weg bis zur fertigen Rakete durchgemacht hatte. Die drei Männer befanden sich jetzt in der Messzentrale des Prüfstands. Gilbert hatte gerade den leitenden Ingenieur der Abteilung hinausgeschickt, um eine Korrektur am Treibstoffpumpensystem ausführen zu lassen. Sie waren im Moment allein. Webster und Pearsons wechselten einen Blick, unbemerkt von Gilbert, der gerade die Messinstrumente der Anlage überprüfte.

Webster trat neben den Chefkonstrukteur. "Doktor, ich möchte Sie etwas fragen, offen und ungeschminkt."

Gilbert blickte erstaunt auf. "Bitte?"

"Sagen Sie, wie schätzen Sie unsere Lage im Wettlauf um den ersten bemannten Raumflug ein?"

Gilbert sah von einem zum anderen. Die Frage kam zu unvermittelt, als dass er sofort hätte antworten können. Dabei hatte er durchaus eine eindeutige, wenn auch sehr kritische Meinung zu den Chancen der USA in diesem Wettlauf. Zögernd begann er: "Ich möchte mir kein Urteil anmaßen. Vermutlich aber hat die NASA noch sehr viel zu leisten, wenn sie Chancen haben will, den Wettlauf zu gewinnen." Mit einer entschuldigenden Geste fuhr er erklärend fort: "Ich denke dabei in erster Linie an die beiden Meldungen der letzten Woche, an den bedauerlichen Rückschlag mit der Redstone und an den eindrucksvollen russischen Erfolg."

Webster und Pearsons konnten ihm nur bestätigen, dass er mit seiner Ansicht völlig im Recht war. Sie erläuterten ihm nun, welche Schritte die NASA zu unternehmen gedachte, um den bereits eingetretenen Zeitverlust, wettzumachen. Dabei kamen sie schließlich auch darauf zu sprechen, wie wichtig es für die neue Versuchsserie sein würde, ein gutes Team erstklassiger Fachleute beisammen zu haben. Sie baten ihn darum, sie bei der Auswahl der Techniker und Ingenieure zu beraten. Die notwendigen Formalitäten würde die NASA, unterstützt von der Regierung, schon mit dem Verwaltungsrat besprechen. Es war Gilbert ehrlich daran gelegen, der NASA zu helfen. Er schlug vor, zu einem solchen Gespräch doch lieber einen anderen Ort zu wählen, und lud Webster und Pearsons ein, am Abend seine Gäste zu sein.

Gilberts Haus lag hoch über dem felsigen Ufer der San Diego Bai. Es war nicht übermäßig groß, aber völlig ausreichend, um den Konstrukteur und sein Hauspersonal komfortabel zu beherbergen. Die Einrichtung verriet, dass hier kein prunksüchtiger Geldprotz wohnte, sondern ein gebildeter Mann mit erlesenem Geschmack. Der Empfangsraum, der geräumige Wintergarten und das Speisezimmer, alles war in der modernen und zugleich gediegenen Art eingerichtet, wie sie seit einigen Jahren aus Schweden bekannt geworden war. Lediglich das Arbeitszimmer atmete eine nüchternere, technische Atmosphäre. Webster und Pearsons waren vom Butler empfangen worden und hatten einige Minuten Zeit, sich umzusehen, bevor Gilbert erschien. So konnten sie gleich mit guten Gründen das angenehme Fluidum dieses Hauses loben. Es war ein milder Abend, und sie setzten sich draußen auf die breite Terrasse, von der aus man einen prächtigen Blick auf den Pazifik hatte. Das Gespräch kam schnell in Gang. Webster knüpfte an die Überlegungen des Nachmittags an, und Gilbert bekundete, dass er sich bereits Gedanken über die zu empfehlenden Spezialisten gemacht hatte. Noch bevor der Butler meldete, dass das Dinner bereit stünde, war man sich in den meisten Punkten einig geworden.

Nach dem Essen saßen sie noch bei einem Glas zusammen. Webster dankte für die gastliche Aufnahme, für die große Hilfe und meinte: "Soweit ist alles klar, nur das Wichtigste fehlt noch." Er machte eine Pause und sah Gilbert lächelnd an.

"Und das wäre?"

Webster hob sein Glas und beugte sich etwas zu Gilbert vor. "Der technische Leiter unserer Atlas-Versuchsreihe - Sie selbst, Dr. Gilbert."

Die Verblüffung war vollständig. Gilbert schüttelte den Kopf, als glaubte er, nicht richtig verstanden zu haben. Doch Webster und Pearsons erläuterten, welchen Gewinn es für die NASA bedeuten würde, wenn er sich dazu entschließen könnte, persönlich dieser großen nationalen Aufgabe zu dienen.

"Gerade weil wir nicht in der Lage sind, sofort mehr und stärkere Raketen einzusetzen", betonte Webster, "müssen uns die wenigen Atlas genügen, um den Erfolg im letzten Moment doch noch aus dem Feuer zu reißen. Jede einzelne Rakete, jeder einzelne Start ist von nicht zu überschätzender Bedeutung. Wir dürfen nicht die kleinste Verzögerung eintreten lassen: Das Beste ist gerade gut genug. Die Atlas ist unsere beste Rakete, und Sie, als ihr Konstrukteur, sind der beste Leiter für die Versuche. Sie und Ihre Rakete stellen im wahrsten Sinne des Wortes die letzte Chance für Amerika dar, diesen Wettlauf zu gewinnen."

Gilbert antwortete nicht gleich. Eine derart hohe Einschätzung seiner Person kam ihm nicht nur überraschend, sie machte ihn auch ein wenig verlegen. Er glaubte zudem nicht, dass ausgerechnet er von solcher Bedeutung für die USA sein sollte. Dass Ihn die NASA gern als technischen Leiter sehen wollte, schien ihm verständlich. Aber dafür alles aufgeben, was er sich hier in langen Jahren erarbeitet hatte? Andererseits war es schon eine verlockende Aufgabe, den Beweis anzutreten, dass die Atlas nicht nur eine verderbenbringende Waffe war, sondern dabei half, den Menschen von den Fesseln der Erdenschwere zu befreien. Für ihn als den Konstrukteur konnte ein solcher Beweis eine größere Genugtuung darstellen, als es jemals das Gefühl vermitteln würde, den Träger der bisher schrecklichsten Vernichtungswaffe geschaffen zu haben.

Gilbert spürte die erwartungsvollen Blicke seiner Gäste auf sich ruhen und sagte nachdenklich: "Ihr Angebot ehrt mich. Es hört sich recht schmeichelhaft an. Nur - das Ganze kommt für mich sehr überraschend. Sehen Sie, ich bin jetzt fast zwanzig Jahre bei der Convair, habe einen langfristigen Vertrag, eine Arbeit, an der ich hänge, und ein Haus, in dem ich mich wohl fühle. Was ich hier habe, weiß ich. Was dort sein wird, bei Ihnen auf dem Cape, das kann ich nicht beurteilen. Es wird eine neue, fremde Umgebung sein, Mitarbeiter, die ich nicht kenne, eine neue Verantwortung, die groß sein würde, weil ja unmittelbar Menschenleben auf dem Spiel stehen. Wie sieht es zum Beispiel in diesem Punkt aus? Gibt es Sicherheit für den Astronauten? Und ab wann rechnen Sie denn mit dem Beginn der neuen Testserie?"

Webster und Pearsons sahen sich kurz an. Dann wandte sich Webster lächelnd zu Gilbert. "Es sind nur noch runde vier Wochen Zeit. Sie sehen, wir haben es sehr eilig, und das, weil uns die internationale Situation nicht mehr Zeit lässt. Deshalb würden wir mit voller Unterstützung der Regierung der Vereinigten Staaten alles tun, um Ihnen, sobald Sie uns eine Zusage geben, alle Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Sie könnten zum Beispiel dort ein gleichwertiges Haus erhalten, auch eine langfristige Sicherheit."

"Verzeihen, Sie, aber ich habe nicht die Absicht, jemals auf die schöpferische Arbeit der Neuentwicklungen, der theoretischen und praktischen Forschung zu verzichten!"

"Einverstanden. Wir dachten auch nicht an ein völliges Ausscheiden, sondern an einen befristeten Urlaub von ungefähr einem Jahr. Solange dürfte unsere Versuchsreihe dauern. Wir würden uns beim Verwaltungsrat der Convair für eine Regelung einsetzen, die es Ihnen unbenommen lässt, danach in Ihre alte Position zurückzukehren."

Gilbert hörte sich aufmerksam alle Vorschläge an, die noch folgten. Die Zugeständnisse und Garantien, die ihm von der NASA angeboten wurden, bewiesen immer deutlicher, wie viel der Raumfahrtbehörde an seiner Mitarbeit gelegen war. Dennoch blieb er zurückhaltend. Ihm schien das ganze Unternehmen noch reichlich waghalsig zu sein. Bevor er sich entschied, wollte er genau wissen, wie weit die Vorbereitungen bereits gediehen waren, welche echten Chancen für einen Erfolg bestanden und wieweit seine Hilfe wirklich notwendig war.

Webster zeigte Verständnis für die Skepsis, die aus Gilberts Haltung sprach, und sicherte ihm zu, umgehend alle erforderlichen Unterlagen zu selbstverständlich vertraulicher Einsicht durch einen Kurier übersenden zu lassen.

Pearsons fügte noch einen Vorschlag hinzu: "Wenn Sie in den nächsten Tagen einmal achtundvierzig Stunden Zeit haben sollten, dann fahren Sie doch nach Langley. Sie wissen, dort ist das Ausbildungszentrum unserer Astronauten. Sie können sich selbst vom Stand des Trainings überzeugen und alle speziellen medizinischen Fragen mit Chefarzt Dr. Ward besprechen."

Webster nickte. "Eine gute Idee!" Schmunzelnd fuhr er fort: "Außerdem hätten Sie dort die beste Gelegenheit, einen für Sie absolut glaubwürdigen Zeugen zu vernehmen: Scott Sharper. Er war doch früher Testpilot bei der Convair."

Gilbert musste lachen. "Sie haben sich ausgezeichnet über alles informiert. Mein Kompliment! An dem Vorschlag ist etwas dran. Ob ich am Ende zusage oder nicht, einen Besuch in Langley sollte man sich nicht entgehen lassen."

Als sich Webster und Pearsons später verabschiedeten, hatten sie einen guten Kontakt mit Gilbert gewonnen. Webster versicherte, er würde schon alles vorbereiten, um im Falle einer Zusage schnell handeln zu können. Gilbert bat ihn aber, nichts zu unternehmen, was ihn festlegen könnte. Er würde sich alles gründlich und schnell überlegen, brauche bis dahin aber absolut freie Hand.


Project Mercury

Подняться наверх