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3. Landung auf Kaphreigh

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Ein Summen an der Tür riss Alben Sur aus seinen Gedanken. Ein Priester trat ein.

„Meister, wir haben die Fährte der Verfolgten wieder aufgenommen. Sie sind in Landsende angekommen. Ihr hattet Recht. Wahrscheinlich werden sie versuchen, in Kürze nach Kaphreigh zu kommen.“

Alben Sur nickte.

„Dazu gehört kein besonderer Scharfsinn“, meinte er. „Viele Möglichkeiten haben sie nicht mehr. Gibt es Aufnahmen.“

„Ja, aus dem Wirtshaus. Aber sie haben Dragur entdeckt und er hat es verlassen, bevor sie ihm gefährlich werden konnten.“

„Sie haben ihn entdeckt?“, fragte Alben Sur. „Wie ist das möglich?“

Der Priester zuckte hilflos mit den Achseln.

„Das wissen wir nicht. Aber die Aufnahmen zeigen ein sonderbares grünes Licht in der Hand einer der beiden Frauen. Ob es damit zu tun hat?“

„Vielleicht. Ich will die Aufnahmen sehen.“

Alben Sur und der Priester verließen den Raum.

Hätten Meneas und seine Freunde den Hauptstützpunkt der Priester entdeckt, sie hätten den beklemmenden Eindruck gehabt, in den »Einsamen Posten« zurückgekehrt zu sein. Die Flure, Türen und Einrichtungen hatten eine große Ähnlichkeit mit der ersten und zweiten Ebene des Stützpunktes in dem Berg. Aber eine dritte Ebene gab es in der unterseeischen Anlage nicht, da war Alben Sur sicher, denn diese hatten sie gründlicher untersucht, bevor sie sie zu ihrem Hauptsitz gemacht hatten.

Sie hatten aufschlussreiche Dinge entdeckt, aber keine Unterlagen, die auf die medizinischen Arbeiten der Ax´lán schließen ließen. Aber das wunderte Alben Sur nicht, denn bisher hatten sie nirgends Quellen gefunden, die darauf hindeuteten. Vermutlich gab es nicht viele solcher Versuchsstationen. Vermutlich waren sie von den Wissenschaftlern sogar vor den meisten ihrer eigenen Volksgenossen geheimgehalten worden. Aber trotzdem, welche Ziele sie auch immer verfolgt hatten, es war ein Verbrechen, und wer konnte schon sagen, was daraus entstanden wäre, wenn sie sie hätten fortführen können. In so einer Anlage hätte Alben Sur niemals seinen Hauptstützpunkt einrichten wollen.

Alben Sur und der Priester betraten einen Raum, in dem mehrere Bildschirme auf einer Konsole standen, die gespickt war von Knöpfen, Schiebereglern, Rädchen und allerhand anderen Dingen. Zwei der Schirme waren eingeschaltet, davor saß jeweils ein Priester. Als Alben Sur mit dem dritten Priester eintrat, blickten sie ihn an und nickten, ohne aufzustehen. Einer der beiden zeigte auf seinen Schirm.

„Dragur hat das Wirtshaus verlassen und beobachtet es aus einem Unterstand, nicht weit entfernt. Einige haben versucht, ihn zu finden. Jetzt kehren sie in das Haus zurück.“

Alben Sur stellte sich hinter den Priester und schaute auf den Bildschirm. Die Aufnahme war nicht besonders gut, denn sie wurde durch starken Regen beeinträchtigt. In diesem Augenblick musste sich ein ziemlich heftiges Unwetter über Landsende austoben, aber die Wetterfront, deren Annäherung die Messeinrichtungen auf dem »Einsamen Posten« bereits vor zwei Tagen gemeldet hatten, verhieß auch nichts Gutes.

Dann schloss sich die Tür hinter dem letzten Mann.

Alben Sur schmunzelte.

„Schön nass werden sie geworden sein“, stellte er mit einem milden Spott fest. „So, nun zeigt mir die Aufnahmen, die der Roboter vorher gespeichert hat.“

Der andere Priester betätigte einpaar Knöpfe und kleine Hebel und ein kurzes, heftiges Flimmern lief über seinen Schirm, während der andere weiterhin das zeigte, was der Roboter in diesem Augenblick übertrug. Dann wurde das Bild wieder klar. Die Aufzeichnung begann in dem Augenblick, als sich schwere Schritte im Flur des Wirtshauses der Tür zur Gaststube näherten. Dann trat der Erste ein. Wer das war, konnte Alben Sur nicht sogleich erkennen. Es mochte dieser Tjerulf sein, aber sicher war er sich nicht. Dann folgte eine der beiden Frauen, die er auch nicht erkannte, aber schließlich sah eine wie die andere aus. Und dann kam das erste vertraute Gesicht. Es war Meneas. Die anderen waren dann nicht mehr so bedeutend.

Es war kaum zu erkennen, wie trübe das Licht in der Wirtsstube war. Die Kameraeinstellung im Kopf des Roboters war ausgezeichnet und glich die mangelnde Helligkeit tadellos aus. Auch die Worte waren gut zu verstehen. Demnach war der erste tatsächlich Tjerulf gewesen. So nah hatte ihn Alben Sur schon lange nicht mehr gesehen.

Es dauerte einige Zeit, bis der Wirt hereinkam, und was unterdessen gesprochen wurde, war belanglos und drehte sich überwiegend um das Wetter. Sie verloren weder ein Wort über die Drachen noch über den Kristall, aber Alben Sur hätte sie auch für Stümper gehalten, wenn sie es dort in aller Öffentlichkeit getan hätten. Dragur musste sich in eine gut versteckte Ecke zurückgezogen haben, denn kein Blick aus der Gruppe blieb auffallend deutlich an ihm haften.

Dann kam der Gastwirt und verteilte die Zimmer. Kurz darauf war die Gaststube wieder leer. Später einmal kam eine Frau herein und entzündete mehr Lichter. Misstrauisch blickte sie kurz zu dem stillen Gast in der Ecke, der ihr durch eine Geste zu verstehen gab, dass er lieber im Dunkeln bleiben wollte.

Alben Sur hatte den Roboter nicht zufällig nach Landsende geschickt, auch wenn er nicht sicher war, ob die Gruppe tatsächlich zunächst dorthin reiten würde. Aber die Wahrscheinlichkeit war groß. Auch Meneas und Tjerulf wussten, dass ihnen in der Seemark vermutlich die größten Schwierigkeiten und Gefahren drohten. Da war es mehr als wahrscheinlich, dass sie sich vorher mit dem leichter erreichbaren Versteck abgaben. Alben Sur konnte sich ausrechnen, wann sie Landsende erreichen mussten und auch die »Ax´láner-Klause«, denn es war das einzige Gasthaus in der Stadt.

Alben Sur schmunzelte, als er sich vorstellte, was sie gedacht haben mochten, als sie vor dem Schild standen. Und vielleicht wäre er selbst jetzt auch nicht mehr völlig unbefangen durch die Tür gegangen wie noch vor einpaar Wochen.

Hätten Meneas und seine Leute Landsende am folgenden Tag noch nicht erreicht, wäre es wahrscheinlich gewesen, dass sie doch in die Seemark geritten waren. Dann hätte Alben Sur den Roboter dorthin geschickt.

Außer Dragur Klem gab es nur noch zwei weitere Aufklärungsroboter in verschiedenen Stützpunkten. Mehr hatten sie bisher noch nicht entdeckt. Sein Name war eine unbedeutende Spielerei mit den Buchstaben des ax´lánischen Herstellers Gralerd-kum, denn die Roboter waren noch auf der Heimatwelt der Ax´lán zusammengebaut worden. Da es nur noch wenige dieser recht nützlichen Maschinen gab, hatte Dragur den Befehl erhalten, sich im Falle einer Entdeckung schleunigst, aber unauffällig in Sicherheit zu bringen. Wie die folgenden Aufzeichnungen zeigten, war es um die Unauffälligkeit allerdings nicht sehr gut bestellt.

Irgendwann kam die Gruppe zum Abendessen zurück. Und plötzlich rückte das Bild näher heran und zeigte eine grünliche und heller werdende Lichtquelle unter der Bluse einer der beiden Frauen. Zuerst schien sie es selbst nicht zu merken und wurde erst aufmerksam, als die andere Frau, die ihr gegenübersaß, sie darauf hinwies.

Aus den Worten konnte Alben Sur leicht seine Schlüsse ziehen. Offensichtlich war es ein besonderes Amulett, das auf die Gegenwart von zumindest dieser Art von Robotern ansprach. Die Bilder zeigten, wie er die Gaststube verließ und draußen mit schnellen Schritten die Straße überquerte und in der Dunkelheit verschwand. Dann kehrte der Eingang des Wirtshauses in das Blickfeld zurück. Vier Verfolger kamen heraus, liefen einmal nach links, einmal nach rechts und kehrten wieder unverrichteter Dinge zurück. Das Amulett in der Hand des einen war erloschen.

„Vergrößert diesen Ausschnitt“, sagte Alben Sur.

Das Amulett schwebte heran und füllte schließlich den ganzen Bildschirm aus. Allerdings blieb das Bild undeutlich, denn der Regen war nicht vollständig herauszufiltern. Immerhin konnte Alben Sur genug erkennen, um sicher zu sein, dass es kein Amulett von den Arten war, die er kannte. Was allerdings nicht von vornherein ausschloss, dass es ax´lánischen Ursprungs war. Vielleicht hatten sie es aber auch von den Sinaranern erhalten. Das war jetzt aber auch bedeutungslos geworden, denn nun war klar, dass sich Dragur nicht mehr in unmittelbarer Nähe der Gruppe aufhalten konnte, ohne entdeckt zu werden, denn sie würden das Amulett von nun an so offen tragen, dass es irgendwem in der Gruppe sehr schnell auffallen würde, wenn es wieder zu leuchten anfing.

„Wie weit ist der Roboter von dem Ausgang entfernt?“

Einpaar Zahlen erschienen auf dem Bildschirm.

„Einhundertfünfzig Schritte“, antwortete einer der Priester.

Alben Sur nickte.

„Das soll von jetzt an die Mindestentfernung von der Gruppe sein. Dragur darf nicht wieder zurück ins Gasthaus. Er soll die Gruppe aus größerer Entfernung beobachten. Sagt mir Bescheid, wenn sich etwas Neues ereignet.“

Noch während er den Raum verließ, sandte einer der Priester den Befehl an den Roboter.

Im Gang traf Alben Sur auf Deléman, einen weiteren Priester des Inneren Kreises. Beide gingen in Alben Surs Arbeitszimmer. Dort unterrichtete Alben Sur seinen Ordensbruder über das, was er erfahren hatte.

„Hm, dann kommen sie ihrem Ziel immer näher, wie mir scheint“, meinte Deléman.

„Davon bin ich noch nicht überzeugt. Denke an die Seemark.“

„Sicher, aber es scheint, dass wir selbst nicht mehr viel ausrichten können. Was hast du vor?“

„Beobachten, was sonst?“

Von Alben Surs Erkenntnissen, die zu diesem Entschluss geführt hatten, erfuhr er nichts.

Bei dem Rest der Unterredung handelte es sich um andere Angelegenheiten, als die Suche nach dem Chrysalkristall. In einer so großen Vereinigung wie dem Orden von Enkhór-mûl gab es immer mehrere Dinge, die beachtet werden mussten und Deléman hatte nur nebensächlich mit dem Kristall zu tun.

Noch behielt Alben Sur seine Gedanken über den möglichen Ausgang von Meneas´ Reise und die Folgen für den Orden für sich. Sie mochten unter Umständen für Unruhe im Inneren Kreis sorgen. Und wie er bei Deléman und den anderen bemerkt hatte, war ihre Ergebenheit gegenüber dem Volk der Ax´lán noch stark ausgeprägt, obwohl auch sie über die Entdeckungen im »Einsamen Posten« unterrichtet und ebenfalls erschrocken waren. Alben Sur musste warten, bis es um den Orden schlechter stehen würde, um sie von der Zweifelhaftigkeit der Ax´lán überzeugen zu können. Welche möglichen Auswirkungen das hatte, konnte er aber selbst noch nicht abschätzen, aber ihm war klar, dass dieser Gedanke umstürzlerisch war.

Er war erstaunt, dass ihn die Ankündigung der erkennbaren Veränderungen nicht mit heftigem Widerstand erfüllte, ja nicht einmal so beunruhigten, wie er es vor noch nicht langer Zeit erwartet hätte. Das war für ihn, der den Orden gegründet und so lange geführt hatte, und das bis vor nicht allzu langer Zeit sogar mit eiserner Hand, unfassbar. Vielleicht lag es an einem besonderen Umstand, über den er noch nicht einmal nachdenken wollte.

Am nächsten Tag erfuhr er, dass sich die Gruppe ein Boot angeheuert hatte und am nächsten Morgen nach Kaphreigh aufbrechen wollte. Als Alben Sur das Boot sah, zweifelte er für einige Zeit an dem Verstand von Meneas und seinen Freunden. Wie konnten sie glauben, dass sie mit einer solchen Nussschale bei diesem Wetter die Insel erreichen würden? Der Skipper musste ein Meister der Täuschung seiner Gäste sein, anders war das nicht zu erklären. Er war Tare und wahrscheinlich ein guter Seemann. Aber offensichtlich trug er sich mit Selbstmordgedanken. Und das Wetter würde sich die nächsten beiden Tage kaum ändern.

Aber nun gab es für den Roboter am Festland nichts mehr zu beobachten. An einer geschützten Stelle in der nahen Bucht tauchte er ins Wasser ein und bewegte sich erstaunlich zügig auf die Insel zu. Dort sollte er die Ankunft des Bootes abwarten. Aber nur zwei Tage. Wenn sie die Insel dann noch nicht erreicht hatten, waren sie untergegangen. Auf dem Weg zum Festland sollte Dragur dann nach Trümmern und Schiffbrüchigen oder Ertrunkenen Ausschau halten.

Falls die Suche nach dem Chrysalkristall auf diese Weise ein unerwartet triviales Ende finden würde, waren auch alle seine Gedanken über die Schicksalhaftigkeit der Ereignisse überflüssig gewesen.

Kurz bevor er Kaphreighs Ufer erreichte, geschah etwas Sonderbares. Plötzlich lief ein greller Blitz über den Bildschirm und setzte die Beobachtungsorgane Dragurs außer Betrieb. Alben Sur befürchtete schon, dass sie jetzt auch den zweiten Roboter verloren hatten, aber dann setzte das Bild wieder ein und mit ihm das Geräusch gluckernden Wassers.

„Könnt ihr feststellen, was das war?“, fragte er.

„Wir haben es versucht, aber das Einzige, was wir herausfinden konnten, war eine ungewöhnliche Entladung“, meinte einer der beiden Priester. „Wir wissen weder, um welche Art von Energie es sich handelte noch woher sie kam.“

„Könnte es eine Waffe sein?“

„Nicht auszuschließen, aber dann war sie wirkungslos.“

„Hm“, Alben Sur strich sich über seinen Kopf. „Habt ihr den Erinnerungsspeicher überprüft?“

„Nein, das erschien uns -.“

„Dann tut das jetzt.“

Die beiden Priester machten sich sofort ans Werk und an ihren Gesten und Worten konnte Alben Sur erkennen, dass er mit seiner Vermutung nicht falsch gelegen hatte.

„Nun, glaubt ihr immer noch, dass die Waffe wirkungslos war?“

„Das ist unglaublich“, sagte einer der Priester. „Der Speicher ist leer. Wie ist das möglich?“

„Ich weiß es nicht, ihr seid die Techniker. Wollen wir hoffen, dass der Inhalt nur gelöscht wurde und nicht übertragen. Sendet ihm noch einmal den Befehl, der Gruppe fernzubleiben und die wichtigsten Anweisungen. Ich wünsche keine vollständige Erneuerung des Speichers, vor allem nichts, was auf uns schließen lässt. Ich hoffe, diese Anordnung kommt nicht zu spät.“

Währenddessen setzte der Roboter munter seinen Kurs fort und näherte sich rasch dem Ufer von Kaphreigh. Als er aus dem Wasser auftauchte und sich ein Bündel Seetang aus dem Gesicht entfernte, war sein Speicher schon wieder mit dem wichtigsten Wissen gefüllt. Dragur bemerkte zwar, dass einiges fehlte, besonders der Teil, der seine Herkunft verraten konnte, aber als Maschine war ihm das gleichgültig. Er sandte eine kurze Nachricht an den Hauptstützpunkt der Priester, deren Erhalt sie auf gleichem Weg bestätigten. Damit war für ihn die Sache erledigt.

Für seine grundlegenden Aufgaben hatte der leere Erinnerungsspeicher keine Bedeutung. Roboter dieser Art besaßen noch zwei weitere, unzerstörbare Speicher, solange sie als Maschine unversehrt waren, die ihre Einsatzfähigkeit gewährleistete, selbst wenn der Erinnerungsspeicher teilweise oder vollständig gelöscht wurde. Aber sie verloren dann alles Wissen, das sie für besondere Einsätze und Bedingungen benötigten.

Ein Teil, der wieder hergestellt worden war, enthielt das Wissen um die Drachen, daher blieb er nach dem Verlassen des Wassers kurz in der Deckung eines Felsens, der in die Flut hineinragte, und erst, als er sicher war, nicht entdeckt worden zu sein, schlich er sich weiter ins Unterholz und stieg von dort in die Berge hinauf.

Nachdem der Roboter das Wasser verlassen hatte, blieb die Übertragung der Bilder und Geräusche ununterbrochen eingeschaltet. Unter Wasser war sie durch verschiedene Einflüsse beeinträchtigt gewesen. Zunächst sahen die Priester im Überwachungsraum nur Gestrüpp und ab und zu schlugen Zweige gegen die Linsen der Kameras im Kopf des Roboters.

„Wenn der so weitermacht, gehen sie noch kaputt“, meinte einer der Priester. „Ich werde ihm ein wenig mehr Vorsicht einprogrammieren.“

Der andere nickte nur.

Dragur drehte sich an einer freien Stelle einmal im Kreis und sondierte die Umgebung. Viel war nicht zu sehen. Der Sturm zerrte schwer an den Sträuchern und der Blick über das Meer wurde von den aufgepeitschten Gischtfontänen und Wasservorhängen beeinträchtigt. Da half auch die Tatsache nicht, dass er sich schon ein Stück über dem Meeresspiegel befand und bei gutem Wetter eine weite Sicht gehabt hätte. Doch plötzlich ruckte sein Kopf ein Stück zurück und das Gesicht mit den Kameralinsen wandte sich in den Himmel. Es dauerte einen Augenblick, bis sie sich auf eine bestimmte Entfernung eingestellt hatten.

„Aha“, sagte der Priester. „Die sind also auch schon da.“

Damit meinte er die beiden Drachen. Hoch oben unter den Wolken kreisten ihre dunklen Schatten. Dass es Vögel waren, war ausgeschlossen. Dragur konnte die Entfernung sehr genau ermitteln und an einem so stürmischen Tag flogen in dieser Höhe keine Vögel. Aber die Drachen sahen nicht viel schlechter als er und die unmittelbar nach ihrer Entdeckung übertragenen, verwackelten Bilder bewiesen, dass der Roboter schleunigst in Deckung ging. Dann holte er sie näher heran. Die Bilder hätten auch die letzten Zweifel beseitigt. Beinahe wie Flugmaschinen, so ruhig und bewegungslos, zogen sie ihre Bahnen, nur die Köpfe schwenkten einmal in diese, ein anderes Mal in jene Richtung. So flog kein Vogel.

Dragur wartete, bis sie nicht mehr zu sehen waren, und suchte sich dann einen Schlupfwinkel. Die Tatsache, dass die Drachen sich nicht um ihn gekümmert hatten, veranlasste Alben Sur zu der Annahme, dass sie ihn nicht entdeckt hatten.

An diesem Tag war nicht mehr viel zu erwarten. Meneas und seine Leute würden die Insel erst am Nachmittag des kommenden Tages erreichen - falls sie nicht untergingen. Hätte es die beiden Drachen nicht gegeben, hätten die Priester den Roboter die Insel untersuchen lassen, aber unter diesen Umständen war es besser, ihn vor einer Entdeckung in Sicherheit zu bringen. Außerdem ersparte es ihm ein wenig Energie.

Am Nachmittag des folgenden Tages war es dann so weit. Ein kleines Boot tauchte aus der diesigen, immer noch stürmischen See auf und hielt ein wenig mühevoll auf Kaphreigh zu. Das mussten sie sein, denn wer sonst war verrückt genug, an einem solchen Tag zu einer öden Insel zu fahren?

Dragur brauchte nicht einmal seinen Schlupfwinkel zu verlassen, um die Ankömmlinge zu beobachten. Er stand bewegungslos unter einem felsigen Überhang, der ihn vor Entdeckung von oben schützte, und von den Menschen war er weit genug entfernt, um nicht erblickt zu werden. Woran der Roboter nicht dachte, war die Wahrscheinlichkeit, dass sie unter diesen Umständen andere Sorgen hatten, als sich in den Hängen des Berges über der Bucht genauestens umzuschauen.

Langsam lief das Boot in die kleine Bucht am Fuße des Berges ein, das Segel sank herab und der Anker fiel ins Wasser. Anschließend sprangen sieben der acht Menschen über Bord und gingen an Land. Kurz darauf verlor Dragur sie für einige Zeit aus den Augen. Das Boot blieb, wo es war. Anscheinend wollte es in der Bucht liegen bleiben. Vielleicht wartete es dort bis zur Rückkehr der Fahrgäste.

Bald, nachdem die sieben Menschen an Land gegangen waren, senkten sich die beiden Drachen herab und landeten in einer Senke, die Dragur nicht einsehen konnte. Aber die Priester zweifelten nicht daran, dass sich dort Meneas und seine Gruppe aufhielten. Sie bemühten sich, den Roboter ein wenig näher heranzubringen, aber um wirklich Einzelheiten erkennen zu können, hätten sie ihn der Gefahr einer Entdeckung preisgeben müssen. Und das war die Sache noch nicht wert.

Die Drachen flogen nach einer Weile wieder in die Berge. Nicht lange danach hörte der Roboter das Knacken und Rascheln von Ästen und ein Stück unterhalb von ihm bewegten sich die Sträucher auf eine Art und Weise, die eine Einwirkung des Sturmes ausschloss. Wenn es keine Tiere waren, dann musste es die Gruppe sein.

Dragur ging hinter einem Felsen in Deckung. Sein Geräuschaufnahmegerät übermittelte Bruchstücke menschlicher Sprache. Also waren es tatsächlich die sieben Ankömmlinge, und sie befanden sich auf der Suche nach einem Unterschlupf für die Nacht. Sie hielten aber nicht auf den Standort Dragurs zu, sondern bewegten sich quer zu ihm. Als er sie kaum noch wahrnahm, verließ er sein Versteck und folgte ihnen vorsichtig, stets darauf bedacht, nicht von den Drachen gesehen zu werden und den einprogrammierten Sicherheitsabstand einzuhalten.

Und dann geschah beinahe ein Unglück. Während die Menschen sich dem Wild auf der Insel durch ihren Geruch und ihre Geräusche verrieten, mangelte es dem Roboter an beidem und daher verfehlte er mit seinem Fuß nur knapp einen Frischling, der sich auf seinen Pfad verirrt hatte. Dragur war nicht mehr darauf programmiert, solchen kleinen Hindernissen auszuweichen. Vor Schreck laut quiekend, rannte das Tier zu seiner Rotte zurück. Hätte der Sturm nicht immer noch getobt und in dieser Höhe sogar noch zugenommen, und wäre er nicht aus der Richtung der Menschen vor ihm gekommen und hätte alle Geräusche mit sich gerissen, wäre seine Entdeckung unvermeidlich gewesen. Aber so bemerkten sie nichts von dem Vorfall. Nur Durhad, der als letzter in der Gruppe ging, drehte sich noch einmal um, aber er schien nichts feststellen zu können, denn er wandte sich gleich wieder nach vorne und folgte den anderen.

Die Nacht verbrachten sie in einer geschützten Stelle, die von Gestrüpp umrankt und auch dort von einer ausladenden Felsendecke überragt wurde. Für Dragur gab es keine Möglichkeit, sie einzusehen. So verbarg er sich in einiger Entfernung und übertrug nur noch die Geräusche, die sein empfindliches Spürgerät aufnahm. Fürs Erste waren es aber nur das Rauschen des Windes und der Büsche und die auftreffenden Regentropfen. Irgendwann am kommenden Tag stellte der Roboter die Übertragung seiner Beobachtungen aus unerfindlichen Gründen von einem zum nächsten Augenblick ein, und es gelang den Priestern nicht mehr, ihn wieder in Betrieb zu setzen. So ging dem Orden von Enkhór-mûl auch dieser Roboter verloren.

Das Erbe der Ax´lán

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