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3. Der Große Auszug

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Als Trywfyn während seiner Totenfeier in einem himmlischen Lichtschein in den Schoss Elverans versank, befand er sich schon nicht mehr in seinem Körper. Für einen kurzen Augenblick weilte er noch unsichtbar unter den Trauergästen und war gerührt von der ehrlichen Anteilnahme. Er hätte ihren Schmerz allzu gern gelindert, in dem er ihnen mitgeteilt hätte, dass es ihm gut ging. Zwar fühlte er eine unerwartete Verwirrung, aber seine Leiden, die er während seiner Krankheit ertragen musste, waren in dem Augenblick beendet gewesen, als er seinen Körper verließ.

Für eine kurze Zeit hatte ihn ein seltsames Gefühl übermannt, denn bisher hatte er geglaubt, weil er es so gelernt hatte, dass es keine Geister von Ogmari gab. Aber jetzt erkannte er die Richtigkeit dieser Behauptung. Zwar war er seines irdischen Körpers entblößt, aber er besaß immer noch einen, der dem aufgegebenen verblüffend ähnelte und mit dem er durchaus noch in der irdischen Welt wirken konnte, anders, als es bei echten Geistern der Fall war. Doch dieser nun freigelegte Körper, zeit seines irdischen Daseins war er unter dem irdischen verborgen, zeigte keine Spuren seiner furchtbaren Krankheit mehr. Trywfyn, vorläufig blieb er bei diesem Namen, konnte sogar lernen, ihn wieder so zu verdichten, dass er in der irdischen Welt wie ein verkörperter Ogmari erscheinen konnte. Doch das durfte er nur tun, wenn es aus einem bestimmten Grund unumgänglich war. Jetzt wäre es nicht angebracht gewesen und bald würde er nicht mehr unter seinen Brüdern und Schwestern in Ogmatuum weilen und dann würde es auch keine Notwendigkeit mehr dafür geben. Er befand sich also in einem Zustand, in dem er seinen irdischen Körper abgelegt hatte wie einen Mantel, aber doch noch in einem gewissen Sinne leibhaftig war.

Seine Verwirrung rührte also nicht von der Erkenntnis, gar nicht so tot zu sein, das Wissen darum besaß jeder Ogmari, sondern entstammte dem Umstand, dass er sich jetzt an einen Ort sehnte, der zunächst gar nicht mit den Hallen der Ahnen zu tun hatte. Dort würde er später noch hingehen, wusste er, aber vorerst gab es für ihn noch ein anderes Ziel. Es war, als erwartete jemand seinen Besuch. Er verließ die Totenfeier, bevor sie beendet war. Jemand, den er vor einiger Zeit getroffen hatte, wartete bereits auf ihn.

Dieses Mal brauchte Trywfyn nicht den Tunnel zu benutzen. Er wäre beim letzten Mal auch nicht notwendig gewesen, aber damals wollte er das Abenteuer Drans teilen. Das war jedoch ein Verlangen seines irdischen Daseins gewesen. Jetzt hatte es seine Bedeutung für ihn verloren. Es war Gründel, der ihn geradewegs zu dem gewaltigen, schier endlosen Raum, den einpaar Eingeweihte als Drans Hallen bezeichneten, führte. Er hatte Trywfyn bereits in der Nähe des Trauersaales erwartet und sein derzeitiger Zustand machte auch ihn unabhängig von Hohlräumen im Gebirge, um sich darin fortbewegen zu können.

„Ich hatte zwar die Hoffnung und den Glauben, nicht allein in die jenseitige Welt hinüberzugehen, und ich hatte auch eine bestimmte Vorstellung davon, wer mich erwartete“, meinte Trywfyn, „aber mit dir hätte ich nicht gerechnet.“

Gründel lachte, und das hörte sich wie damals etwas steinern-grollend an.

„Nicht wahr, das ist eine Überraschung. Auch jetzt noch können unerwartete Ereignisse eintreten.“

„Bist du denn immer bei sterbenden Ogmari anwesend?“

„Ich? Nein. In diesem Fall hat es aber eine bestimmte Bewandtnis. Elveran möchte dich noch einmal sehen.“

Ohne einen besonderen Anlass fiel ihm der bevorstehende Große Auszug der Ogmari ein, bei dem sein ganzes Volk den Planeten Elveran verlassen und wieder in ihre angestammte Heimat zurückkehren würde. Dass dieser Zeitpunkt nahte, schloss er aus dem Umstand, dass sich Elveran in Kürze verwandeln sollte und seine elveranischen Freunde schienen darauf einen entscheidenden Einfluss zu haben. Auch wenn sie noch nicht alle Bestandteile des Siebenkristalles beisammenhatten, so war Trywfyn doch sicher, dass sie es schaffen würden. Aber er hatte so wenig prophetisches Wissen darüber, wie ihre Suche verlaufen würde, dass alle diese Gedanken bloße Mutmaßungen bleiben mussten, bis er wahre Nachrichten erhielt. Auf seine Frage, was das Wesen Elveran denn überhaupt von ihm wollte, bekam er von Gründel nur die ausweichende Antwort, dass er es ihm selbst sagen würde.

Es ging auf ihre jetzige Weise schneller und war weniger kräftezehrend, zu Drans Hallen vorzustoßen. Gründel bewegte sich fast so leicht durch festes Gestein wie ein Ogmari und Trywfyn hätte diese Eigenschaft nach seinem irdischen Ableben auch besessen, wenn es nicht schon vorher der Fall gewesen wäre. So hatte er sie nur behalten. Fern irgendeines Tunnels traten sie aus der Felswand, die die Höhle hinter ihrem Rücken begrenzte.

Dieses Mal war es anders. Als Trywfyn das letzte Mal dort unten war, schien die Luft von einem grünen, trockenen Nebel erfüllt zu sein. Von ihm war jetzt nichts zu bemerken. Aber trotzdem war das Ende der Höhle nicht zu sehen. Der steinige Boden reichte anscheinend bis in alle Ewigkeit und auch die Felswand hinter ihnen verschwand bald im Zwielicht. Für eine natürliche Höhle erschien sie Trywfyn unangemessen groß.

„Hat sie überhaupt ein Ende?“, fragte er.

„Hast du eben nicht selbst daran gezweifelt, dass es eine gewöhnliche Höhle ist? Nun, sie ist es nicht. Sie ist eigentlich gar keine Höhle. Und dass du sie dafür hältst, hat etwas mit dem Umstand zu tun, dass Elveran diesen Ort für dich verständlich machen will. Doch wir sind da und Elveran wartet.“

Natürlich war dieses Wesen nirgends zu sehen, aber von einem körperlosen Wesen konnte man auch nichts anderes erwarten. Seine Stimme ließ Trywfyn allerdings nicht lange warten.

„Es überrascht dich, noch einmal zu mir zu kommen, nicht wahr?“, hallte es durch den Raum.

„Na ja, um ehrlich zu sein, ich hatte nicht mehr damit gerechnet“, gab Trywfyn zu. „Umso weniger, da mein irdisches Leben zu seinem Ende gekommen ist.“

„Nun, das eine hat doch nichts mit dem anderen zu tun. Aber war es denn nicht dein Wunsch, den Großen Auszug anzuführen?“

Und ob es so war, aber Trywfyn konnte sich nicht daran erinnern, es diesem unbegreiflichen Wesen gegenüber erwähnt zu haben. Und einen Wunsch zu hegen bedeutete ja noch nicht, dass er auch in Erfüllung ging. Trywfyn war sich sehr wohl bewusst, dass es bedeutendere Herrscher als ihn im Volk der Ogmari gegeben hätte, denen dieses Vorrecht eigentlich eher zukam. Seine eigene Regierungszeit war ausgesprochen ruhig verlaufen und es gab keine großen Ereignisse, die ihn in besonderer Weise hervorgehoben hatten. Aus diesem Grund hatte er ja auch die Zeit gehabt, zusammen mit Tjerulf die Geheimnisse des Planeten zu erforschen. Ein rechter Anführer bei dem Großen Auszug wäre der legendäre Edoral Scheldun gewesen, der sein Volk aus der Seemark herausgeführt und nach langer Wanderschaft bis ins spätere Land Ogmatuum geleitet hatte.

„Du glaubst, das wird tatsächlich meine Aufgabe werden?“, fragte Trywfyn zweifelnd.

„Nur wenn du es willst. Vielleicht ahnst du es ja schon. Mit dem Ende deiner irdischen Zeit hat der letzte Abschnitt in der Geschichte der Ogmari auf dieser Welt begonnen. Deinem Nachfolger ist nur eine kurze Regentschaft beschieden. Euer Große Auszug ist jetzt nicht mehr fern, denn die Verwandlung dieses Planeten steht kurz bevor. Die Zeit der Ogmari geht jetzt ihrem Ende entgegen. Wenn diese Welt ihren Platz in ihrem neuen Himmelsraum eingenommen haben wird, wird für euch keiner mehr auf ihr sein. Willst du also diese Aufgabe übernehmen?“

Trywfyn nahm sie ohne lange zu überlegen an. Natürlich wusste er nicht, welche Eigenschaften ihn für diese Aufgabe auszeichneten, aber er wollte mit unnötigen Fragen keine Zweifel an seinem Herzenswunsch aufkommen lassen, ebenso wenig wollte er wissen, warum ausgerechnet Elveran ihn damit betraute. Ihm war nicht bekannt, dass dieses Wesen in besonderer Weise mit seinem Volk verbunden war. Aber wenn er, Trywfyn, der Anführer sein sollte, war er bereit.

Dabei bekümmerte ihn wenig, dass in Kürze das Zeitalter seines Volkes auf diesem Planeten beendet sein würde. Trywfyn wusste, dass sie nicht dorthin gehörten, obwohl ihre wahre Herkunft verschleiert in der Vergangenheit lag. Aber dem Großen Auszug ging letztlich nicht ein ogmarischer Anführer voran, sondern das Heiligtum seines Volkes. Und das wusste, wo das Ziel ihrer Reise lag. Ihm selbst würde die Aufgabe zufallen, dieses Heiligtum vor dem Zug herzutragen, nicht mehr und nicht weniger.

„Wenn die Verwandlung Elverans kurz bevorsteht, dann werden meine Freunde den Siebenkristall also wirklich zusammentragen?“, fragte Trywfyn.

„Ja, es gibt keine andere Möglichkeit. Sie werden Hindernissen begegnen, aber es wird dafür gesorgt werden, dass sie es vollenden, denn die Zeit, in der es vollendet werden muss, ist nahe. Wenn ihr euch für den Großen Auszug sammelt, werden wir uns ein letztes Mal begegnen. Halte dich bereit. Bald wirst du und alle deines Volkes gerufen werden.“

Die Stimme Elverans verstummte und Gründel, der sich während der Unterhaltung im Hintergrund gehalten hatte, gesellte sich wieder zu Trywfyn.

„Es ist Zeit für die Halle der Ahnen“, erklärte er. „Ich werde dich dorthin bringen.“

Trywfyn nickte und folgte ihm. Seine Gedanken waren voll von der Unterhaltung mit dem Wesen Elveran und erfüllt von Stolz. Er war zeit seines Lebens ein bescheidener Herrscher gewesen, und nur dieser Wunsch hatte ihm stets in der Seele gelegen. Und nun sollte er in Erfüllung gehen. Es war die Krönung seines Lebens.

So hatte er sich seinen Einzug in die Halle der Ahnen nicht vorgestellt, und dabei hatte er nicht einmal einen besonders ehrenvollen Empfang aufgrund seiner bis vor kurzem herausragenden Stellung in seinem Volk erwartet.

Gründel hatte mit ihm keinen Weg zurückgelegt, sondern ihn durch eine kurze Geste seines Bewusstseins beraubt und dann war er in einer Art Vorhalle angekommen. Der Gehilfe Elverans hatte ihn nicht bis dorthin begleitet.

Die Vorhalle war nicht leer. Vor einem mächtigen Tor, dessen Flügel aufgeschlagen waren und das von zwei Wächtern in der Gestalt von ungewöhnlich großen Ogmari behütet wurde, hatte sich eine Gruppe von Erdmenschen versammelt. Um Trywfyn herum tauchten nach und nach weitere aus seinem Volk auf. Auch sie hatten vor kurzem ihr irdisches Dasein beendet. Gemeinsam näherten sie sich dem Tor.

Die Wächter hinderten sie nicht daran, hindurchzuschreiten, aber sie führten eine Liste, auf der die Namen der Ankömmlinge verzeichnet waren. Offensichtlich wussten sie sehr genau Bescheid darüber, wen sie zu erwarten hatten. Es war andächtig still und nur die Namen der angekommenen Ogmari wurden von ihnen genannt. Trywfyn hörte ebenfalls seinen Namen und durchschritt das Tor. Er hatte nicht gewusst, dass es eine Art Anmeldung gab, bevor er die Halle der Ahnen betreten durfte. Mit einem Anflug von Heiterkeit dachte er daran, was wohl geschähe, wenn dort einer ankäme, der nicht auf der Liste stand.

Plötzlich begann hinter ihm ein Tumult und er sah, wie sich ein neu hinzugekommener Ogmari wild gebärdete und die heilige Ruhe störte. Er wurde von einer Gruppe von Heilern in Empfang genommen und durch ein bis dahin geschlossenes Tor geführt.

„Der Unglückliche konnte seinen Körper nicht unter gewöhnlichen Bedingungen verlassen“, erklärte ihm ein Ogmari, der sich Trywfyn als Priester vorstellte. Er war nach ihm von den Wächtern durch das Tor gelassen worden. „Jetzt muss er erst einmal von den Folgen geheilt werden.“

Trywfyn fielen wieder die Ogmari ein, die er im Laufe seines irdischen Lebens aus ähnlichen Lagen befreit hatte. Die letzten beiden waren der Tote in dem alten Wachturm in der Sigera Heide, der durch einen Formori irregeworden war und der Ogmari, der von den Ax´lán in ein Felsenverlies gebannt wurde. Er fragte sich, was wohl aus ihnen geworden war.

Der Einblick in die Hallen der Ahnen, den Elveran Trywfyn einst gewährt hatte, hatte ihm nur einen kleinen Ausschnitt dessen gezeigt, was ihn jetzt erwartete. Ungeachtet seiner Stellung in seinem Volk erhielt er einen Raum wie alle anderen, in den er sich zurückziehen konnte, wenn er sich in Gedanken versenken oder ruhen wollte. Verschiedene Helfer führten ihn herum und zeigten ihm, wo er die notwendigen Dinge finden konnte. Es gab Räume der Spiele, der Einkehr und des Studiums. Einer davon glich der Halle, in der Trywfyn die Leser gesehen hatte. Auch er erhielt ein Buch und jetzt konnte er erkennen, was darin stand. Es war das Buch seines Lebens und es wurde ihm von einem Ogmari in einem weißen Gewand in einer kleinen Zeremonie übergeben.

Nicht überall ging es so still und gefasst zu wie in den Leseräumen. Anderenorts gab es rege Gespräche, wurde gelacht und gespielt, wurde gesungen und gab es Aufführungen. Trywfyn begegnete Verwandten, Bekannten und alten Mitstreitern, die vor ihm dort angekommen waren. Die Hallen der Ahnen waren also kein ausschließlich gedankenversunkener Ort, wie Trywfyn anfangs erwartet hatte. Doch eines vermisste er, was er in seinem irdischen Dasein durchaus geschätzt hatte. Es gab keine Mahlzeiten. Es wurde weder gegessen noch getrunken. Aber er stellte bald fest, dass es dafür auch nicht das Bedürfnis gab.

Elveran hatte Recht gehabt. Trywfyn war zu seinen irdischen Zeiten kein besonders eifriger Leser gewesen und so wenig verlockend ihm die Aussicht darauf erschien, die Zeit in den Hallen der Ahnen bis zum Großen Auszug mit Lesen zu verbringen, so innig vertiefte er sich jetzt in sein vergangenes Leben. Natürlich gab es auch andere Beschäftigungen und die mit seinem abgelaufenen Dasein nahm nur einen Teil seines Aufenthaltes ein.

Er lernte durch das Studium seines Buches, wo Gutes und wo weniger Gutes geschehen war, aber es gab nichts, was für ihn schlimmere Folgen gehabt hätte als seine Gewissensbisse und den festen Vorsatz, nicht wieder so zu handeln, falls er noch einmal in eine ähnliche Lage kommen würde. Und nichts anderes war die Absicht des Lebensstudiums. Kein Ogmari wurde durch anderes bestraft als durch sein eigenes Gewissen. Genauso wenig gab es Lob von anderen. Trywfyn merkte bald, dass sich sein Urteilsvermögen unter den Bedingungen in den Hallen der Ahnen änderte und vor allem erweiterte und gerechter wurde. Doch jetzt hatte er nicht mehr über andere zu urteilen, sondern nur noch über sich selbst.

Trywfyn entschied sich, dankbar für die Zeit in den Hallen der Ahnen zu sein. So lange sie auch dauern würde, er wollte sie nutzen, um sich auf das Dasein vorzubereiten, das in nicht weiter Ferne auf ihn wartete. Auch wenn es ihm nicht bewusst wurde und er es auch durch niemanden erfuhr, so keimte in ihm der Wunsch auf, in allen zukünftigen Ereignissen gerechter und milde zu entscheiden und die Bedingung dafür war, ihnen furchtlos zu begegnen.

Von dem, was in der irdischen Welt geschah, erfuhren sie in den Hallen der Ahnen wenig. Auch wenn immer wieder neue Ogmari dort ankamen, so konnten sie meistens doch nur darüber berichten, was sich in ihrem eigenen Land ereignete. Und so blieb Trywfyn auch verborgen, was aus seinen Freunden geworden war.

Mit der Zeit stellte er eine bemerkenswerte Veränderung an sich selbst fest. Hatte er am Anfang noch oft an sie gedacht, so wurden ihm ihre Abenteuer allmählich immer gleichgültiger. Es war nicht so, dass er sie vergaß, aber er maß ihren Taten weniger Bedeutung bei. Und vielleicht hatten sie auch wirklich nicht die Bedeutung, die sie ihnen immer zugeschrieben hatten, möglicherweise nicht einmal die Suche nach den Fragmenten des Chrysalkristalles.

Zuerst wunderte sich Trywfyn, dass sich sein neues Dasein nicht so deutlich von seinem irdischen unterschied, wie er gedacht hatte. Er hatte sich seinen jetzigen Zustand himmlischer, überirdischer vorgestellt. Und doch musste er mit der Zeit erkennen, dass seine Anteilnahme an den irdischen Ereignissen geringer wurde.

Schließlich kam die Zeit des Großen Auszugs und der Verwandlung Elverans. Die ersten Anzeichen dafür wurden jedoch im irdischen Teil des Volkes der Ogmari sichtbar.

Seit dem Tod Trywfyns hatte das Leben in Ogmatuum seinen gewöhnlichen Gang genommen. Viele Ogmari hatten den Wechsel in ihrem Herrscherhaus mit einer gewissen Gleichgültigkeit zur Kenntnis genommen. Elgen Damoth war fern und ihre eigenen Geschäfte standen ihnen näher.

Irgendwann und anfangs unterschwellig begannen sie, eine ungewöhnliche Unruhe und Rastlosigkeit an sich festzustellen. Wann es genau anfing, konnten nicht einmal die Gelehrten sagen. Anscheinend hat es unmerklich begonnen. Aber jeder Ogmari litt unter den gleichen Anzeichen und es wurde offensichtlich, dass das ganze Volk von dieser Entwicklung betroffen war.

Zuerst schien die Unruhe in dem Volk frei von jeder Ursache zu sein. Die Ogmari konnten ihre Gedanken stets nur noch kurze Zeit auf ihre Tätigkeiten ausrichten. Ständig machten sie sich davon und andere kamen ihnen in den Sinn. Meister Horxir, einer der Hofschmiede in Erzbünden, erlebte zum ersten Mal, wie er eine wunderschön gearbeitete Axt auf dem Amboss ruinierte. Das war ihm noch nie passiert, und es erschütterte ihn zutiefst.

Auch konnten die Ogmari kaum noch schlafen und wurden immer fahriger und ungeduldiger. Mehr und mehr Arbeiten blieben liegen und wurden nicht vollendet. Es war nicht zu fassen, wie die Ogmari ihre alltäglichen Aufgaben zunehmend vernachlässigten.

Und schließlich, es war ungefähr drei Tage vor dem Großen Auszug, spürten alle Ogmari, die sich außerhalb ihres Reiches befanden, den inneren Zwang, nach Ogmatuum zurückzukehren.

Zu dieser Zeit befanden sich drei Ogmari bei Ilanhorn. Seit einigen Tagen bemerkte er, dass irgendetwas mit ihnen nicht stimmte. Er erkundigte sich auch offen und ehrlich bei ihnen, aber außer, dass sie genauso offen und ehrlich zugaben, dass sie ihre Ruhelosigkeit ebenso merkwürdig fanden, hatten sie keine Erklärung. Und schließlich kamen sie eines Abends zu ihm und teilten ihm mit, dass sie ihn verlassen und heimkehren würden.

Ilanhorn bedauerte ihren Entschluss, achtete ihn aber, denn er hatte sie nie als seine Leibeigenen betrachtet. Sie trennten sich in Freundschaft und mit der Zusage der Ogmari, dass sie zurückkommen würden. Aber vorher mussten sie herausfinden, was in ihrer Heimat geschah. Einen anderen Grund als die dortigen Verhältnisse konnten sie sich für ihre Unrast nicht vorstellen.

Ilanhorn ahnte jedoch, dass sie nicht zurückkehren würden. Und wahrscheinlich würden auch keine anderen Ogmari jemals wieder auf sein Gut kommen. Dass sich seltsame Dinge in Ogmatuum ereigneten, hatte er bereits aus anderen Quellen erfahren, deshalb wusste er vermutlich mehr als die drei Freunde, die jetzt für immer heimkehrten. Irgendetwas geschah mit dem Volk und Ilanhorn hielt es für mehr als wahrscheinlich, dass sich bald die Wahrsagungen erfüllen würden, von denen er schon einiges gehört hatte und die mit dem Ende des Volkes der Ogmari auf dieser Welt zusammenhingen.

Ilanhorn hatte mehr als einmal von dem Großen Auszug gehört. Trywfyn selbst hatte ihm von dem letzten Weg seines Volkes erzählt, und auch, wenn es bis dahin nur Legenden waren, so glaubte er fest an ihren wahren Kern. Er wusste damals nichts über den Zeitpunkt, doch jetzt deutete manches darauf hin, dass er nahte und wenn sich Ilanhorns Erwartungen erfüllten, würde es die Einleitung bedeutender Veränderungen für seine Heimatwelt Elveran bedeuten. Bei diesen Gedanken erfüllte ihn selbst eine erwartungsvolle Spannung, denn er konnte nicht ausschließen, dass sich auch für ihn, seine Familie und all seine Freunde manches änderte, ohne dass er dabei an ihrem Tod dachte.

Einen Tag vor dem Großen Auszug war der letzte Ogmari in sein Land zurückgekehrt. Immer klarer deutete sich die Ursache an, warum die Ogmari so rast- und ruhelos, in einem gewissen Sinne sogar sehnsüchtig und erwartungsvoll geworden waren. Sie strebten alle einen bestimmten Ort an, den vorerst nur der Edoral Glanlaird mit einem Namen benennen konnte, den er wiederum von Trywfyn erfahren hatte. Es waren Drans Hallen. Es schien, als rief dieser Ort die Ogmari zu sich und die Ersten von ihnen begannen, sich bereits dort zu versammeln.

Die Gewissheit kam für Glanlaird am Abend dieses Tages. Während er in seinem Regierungszimmer saß und über die Entwicklung in seinem Reich nachdachte, tauchte plötzlich ein seltsames Wesen auf. Glanlaird hatte es weder durch die Tür hereinkommen noch aus der Wand heraustreten sehen. Es war einfach da gewesen. Das Wesen nannte sich Gründel.

Ohne lange Umschweife teilte er Glanlaird mit, dass am folgenden Tag der Große Auszug stattfinden würde. Besondere Vorbereitungen könne der Edoral nicht treffen, aber bei Sonnenaufgang (an der Oberfläche seines Landes) sollte er sich bereithalten. Damit meinte Gründel nicht, dass irgendwelche Koffer gepackt sein sollten, die müssten eh zurückbleiben. Aber er musste das Heiligtum seines Volkes bei sich haben, das Licht der Göttin Virdh. Dann verschwand Gründel wieder.

Noch vor Sonnenuntergang nahm Glanlaird die Phiole aus dem steinernen Geheimfach, ging in sein Arbeitszimmer und wartete. Was Gründel ihm gesagt hatte, war keine Überraschung gewesen, doch erst am Tag zuvor hatte er Klarheit erhalten. Als Priester der Virdh und mit den übernommenen Fähigkeiten seines Vorgängers besaß er Nachrichtenquellen, die anderen nicht zugänglich waren. Und aus ihnen erfuhr er, dass die legendäre Verwandlung Elverans kurz bevorstand. Wie es dazu kommen sollte, erfuhr er nicht, aber das war für die Ogmari nicht von Bedeutung, denn sie würden dann nicht mehr dort sein.

Kurz nach dem Sonnenaufgang geschah etwas noch Seltsameres, als schon in den Tagen zuvor. Das ganze Volk verschwand. Um jeden einzelnen Ogmari legte sich zur gleichen Zeit ein heller Lichtschein und es war, als würden sie dem Tode entgegengehen. Dieses Mal hatte das Licht eine andere Bedeutung. Es war ein Vorgang, der bereits in ihnen veranlagt wurde, nachdem sie einige Zeit unter dem Einfluss Elverans standen. Keiner von ihnen wusste davon, und selbst den Edoralen war es ein Geheimnis geblieben. Dieser lichterne Schein war das Gefährt eines jeden in die Hallen Drans. Dort sammelten sich jetzt und fast gleichzeitig alle Ogmari, die auf Elveran lebten oder gelebt hatten. Sogar die Ogmari, die in den Hallen der Ahnen auf diesen Zeitpunkt gewartet hatten, kamen nun an diesen Sammelpunkt. Und plötzlich unterschieden sich die »Lebenden« nicht mehr von den »Toten«.

Es gab kein Geschrei und keine Unruhe, nicht einmal ein Raunen war zu hören. Jeder Ogmari war jetzt von der Gewissheit beseelt, was mit ihnen geschah und eine erwartungsvolle Stille erfüllte den Raum. Tatsächlich waren Drans Hallen so groß, dass alle bis auf den letzten Ogmari darin Platz fanden. Selbst die wenigen in den entferntesten Gegenden Elverans waren zu ihrem Volk zurückgekehrt. Keiner durfte zurückbleiben.

„Volk der Ogmari!“, hallte es durch den Raum. „Ein außergewöhnliches Schicksal führte euch einst auf diesen Planeten, der so für eine lange Zeit eine zweite Heimat für euch wurde. Jetzt, da Elveran ein großer Wandel bevorsteht, ist diese Zeit abgelaufen. Heute werdet ihr auf den weiten Zug in eure Heimat gehen. Euer Anführer wird Trywfyn sein, der Edoral, der vor kurzem von euch gegangen ist.“

Inmitten der Masse von Ogmari befand sich eine podestartige Erhebung. Auf ihr standen, für jeden sichtbar, alle Edorale, die während des Aufenthaltes der Ogmari auf Elveran geherrscht hatten. Zwischen ihnen befand sich ein Licht, das sie alle überstrahlte. Glanlaird übergab es Trywfyn, der die Phiole in beide Hände nahm und sie mit erhobenen Armen dem Volk zeigte.

Wie es bei den Ogmari üblich war, brach kein lauter Jubel aus. Sie wussten, was Trywfyn ihnen darstellte. Es war das Licht der Göttin Virdh, dessen Hüter die Edorale zeit ihrer Regentschaft waren, und sie verehrten es in stiller Andacht.

„So lebt denn wohl“, verabschiedete die körperlose Stimme die Ogmari. „Nehmt meinen Segen mit auf euren Weg.“

Plötzlich legte sich ein heller Schleier über die Ogmari, hüllte sie ein und wie in einem Sog, mit Trywfyn und dem Licht der Virdh an der Spitze, gefolgt von den anderen Edoralen und dem ganzen Volk, wurden sie hinaufgetragen, an die Oberfläche des Planeten und weiter in den Weltraum. Das Licht der Virdh führte sie geradewegs zu ihrem Heimatplaneten im Südkamin-System.

Als der letzte Ogmari die Hallen Drans verlassen hatte, geschah etwas Sonderbares. Dort, wo vorher noch ein lichter, scheinbar grenzenloser Raum war, breitete sich plötzlich Felsen aus. Es war, als hätte es diesen Raum niemals gegeben. Nur ein unscheinbarer Stollen, von der Natur vermeintlich ohne Sinn und Zweck geschaffen, blieb zurück, ein Stollen, der nirgendwo hinführte und an beiden Enden blind endete.

„So, und nun, mein Freund, kümmern wir uns um unsere eigenen Angelegenheiten“, sagte die Stimme zu Gründel. „Es wird höchste Zeit, denn es gibt noch einiges zu tun. Wo steckt nur dieser eigensinnige Kristall?“

Gründel lächelte.

„Ich kann es dir nicht sagen, aber ich bin sicher, er wird rechtzeitig zur Stelle sein. Nach den vielen Zeitaltern der Trennung wollen wir ihm die kleine Verspätung nachsehen.“

Das Erbe der Ax´lán

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