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August 1959 - Visiten

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Wir fahren auf Visiten.

Mein Vater hat mir schon am Vormittag das Auto zur Quelle gestellt. Jetzt bin ich an der Reihe. Ich hole mir einen Plastikeimer und einen Ausreibfetzen, dann kann es losgehen.

Ich wasche unseren Mercedes gern.

Meistens ist er nur hinten dreckig. Vorn im Kühlergrill kleben oft fette Pferdebremsen, manchmal auch Bienen. Die hol‘ ich dann einzeln raus, mit einem kleinen Steckerl. Normalerweise wasche ich auch den Stern vorn auf der Kühlerhaube. Der fehlt diesmal leider, weil ihn irgendwelche Rowdies abgebrochen haben. Die schlagen ihn nachts einfach mit der Hand runter und stecken ihn dann ein. Aber mein Vater hat schon einen neuen bestellt, der kommt nächste Woche.

In den Ferien nehm‘ ich mir beim Autowaschen so richtig viel Zeit. Ich hol mir dann sogar das Rehleder für die Windschutzscheibe. Da klettere ich dann auf die Motorhaube und wische von dort aus die Scheibe trocken.

Gleich nach dem Essen geht es auf Visiten.

Ich trag‘ ihm die Ärztetasche ins Auto. Er wirft noch ein paar Medikamentenschachteln auf die Rückbank und dann geht es los.

Unser Mercedes hat ein weißes Lenkrad. Mein Vater hat braune Hände. Das sieht ziemlich gut aus am Lenkrad. Ich stehe auf der Mittelkonsole hinter ihm und klammere mich mit beiden Ellbogen an die Vorderbank.

Die Wege zu den einzelnen Häusern der Patienten sind oft sehr holprig und schmal. Unser Auto ist eigentlich zu groß dafür. Viele Wege haben noch einen Wiesenstreifen in der Mitte. Das rauscht dann richtig, wenn man drüber saust. Mein Vater fährt ziemlich schnell, glaube ich, besonders wenn die Wege immer schmaler werden. Dann macht er seine Arme ganz steif, und wenn das Hinterteil vom Wagen hin und her schlackert, ruft er laut ... Maria und Josef ... und steigt erst recht aufs Gas. Ich fürchte mich da gar nicht, weil er dabei ein lustiges Gesicht macht.

Mein Vater fährt meistens so nahe an die Haustür heran, wie es nur geht. Da braucht er nur seine Wagentür aufzumachen, zwei, drei Schritte zu gehen und schon verschwindet er im Haus.

Wenn er bei den Bauern in ihren Vierkanthöfen Visite macht, will er meistens, dass ich mit ihm hineinkomme. So wahnsinnig gern tu‘ ich das nicht, aber bei manchen Bauern überwind‘ ich mich und geh‘ mit.

So auch diesmal.

Unter einem großen Mostbirnbaum kommt unser Auto zum Stehen. Wir sind beim Mascher in der Wanzenöd. Die Haustür ist offen, wir gehen rein. Mein Vater voraus, ich hinten nach. Es ist ganz still, kein Mensch ist zu sehen. Ich setz‘ mich auf eine Bank in der Küche und er geht in einen kleinen Raum daneben.

Die Tür bleibt offen.

Dort liegt der Altbauer auf seiner Bettstatt. Mein Vater redet sehr laut mit ihm, während er ihm eine Spritze gibt. Die hat er nämlich vorher aus seiner Ärztetasche rausgeholt. Ich darf dann immer die Glasampulle aufbrechen. Inzwischen kommen die Bauern vom Feld daher gerannt. Sie haben unser Auto gesehen. Es ist der Jungbauer, seine Frau und die Magd.

Mein Vater ist mit der Behandlung fertig, schließt die Tür zur Kammer des Altbauern und setzt sich zum Küchentisch. Er kriegt ein Krügel Most vorgesetzt und ich ein Stück vom Milchrahmstrudel, der in einem schwarzen Reindl am Herd steht. So viele Fliegen auf einmal hab‘ ich noch nie gesehen! Sie fliegen kurz auf, als mir die Bäuerin ein Stück abschneidet. Das rauscht richtig und mir kommt vor, dass ich sogar einen leichten Wind gespürt hab‘. Kaum ist Bäuerin fertig damit, kehrt der Fliegenschwarm zurück und setzt sich wieder drauf auf den Milchrahmstrudel.

Alle reden jetzt übers Wetter.

Ich weiß nicht recht, was ich mit meinem Michrahmstrudel machen soll. Fliegen sitzen zwar nur mehr vereinzelt oben, aber er riecht nach Speck. Mein Vater kommt mir zu Hilfe.

... Wir müssen weiter, sagt er, ... packt uns bitte den Strudel ein, den nehmen wir gern mit.

Die Bauersleut stehen an der Tür und winken uns.

... Nächste Woche komm‘ ich wieder, ruft ihnen mein Vater durchs offene Autofenster zu.

Auf geht’s zum nächsten Gehöft.

Nach ein paar weiteren Visiten wird der Platz ziemlich eng auf der Rückbank. Neben dem in Butterpapier eingewickelten Milchrahmstrudel liegen inzwischen fünf Kopf Salat, ein riesiges Trumm Speck und ein großer Laib Bauernbrot. Unten im Fußraum steht eine Zistel Eier. Die nehme ich zwischen meine Füße, damit sie in den Kurven nicht umfällt.

Unsere letzte Visite ist bei der Glinzinger Nandl. Die hat einen kleinen Gemüsegarten direkt vorm Haus. Und auch Blumen. Ich geh‘ jetzt nicht mit ins Haus, denn wir wollen nicht zu spät heimkommen. Weil Irmgard heute Geburtstag hat, lässt sich mein Vater von der Nandl einen riesigen Buschen Gladiolen abschneiden, den er dann auf den Hintersitz legt. Jetzt geht es zurück.

Daheim angekommen, wird das Auto leergeräumt. Mein Vater steckt die Blumen in die große Bodenvase im Wohnzimmer. Da kommt Irmgard und sagt ihm, dass er noch einmal weg muss. Der Kloidl habe sich im Wald aufgehängt und die Gendarmerie sei schon dort. ... Der Kloidl, sagt mein Vater leise, und noch mal ... der Kloidl, und schon ist er draußen bei der Tür.

Natürlich bleibe ich jetzt daheim.

Irmgards Geburtstag feiern wir morgen. Da gibt es zu Mittag die ersten Zwetschgenknödel in diesem Jahr – Juchhu!

Der Puppendoktor

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