Читать книгу Die Krieger der Théluan - Hans P Vogt - Страница 5

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2. Im Dorf der Fremden. Die Gastfreundschaft der Péruan

1.

Als Dennis aufwachte, war es tiefe Nacht. Er hörte in weiter Entfernung Geräusche von Vögeln. Einige sangen, es gab schreiende, schnarrende und gluckernde Geräusche, die er noch nie gehört hatte. Irgendwann ertönte ein furchtbarer Schrei, in dem sich Todesangst, Verzweiflung und Panik vereinigten, und der schließlich in einem wahnsinnigen Tremolo erstarb, um von einer Art aufgeregtem gluckernden Lachen vielstimmig abgelöst zu werden. Der Urwald lebte.

Dennis hörte aber auch gleichmäßige Atemgeräusche um sich herum. Dann war da noch etwas…, irgendwo musste ein Paar Liebe miteinander machen. Dennis kannte das zwar nicht aus eigenem Erleben, aber er wusste instinktiv was es war. Um Dennis herum war es dunkel, aber es war nicht so dunkel, dass Dennis nichts erkennen konnte. Die Feuer brannten immer noch. Dennis hörte, dass von Zeit zu Zeit Holz nachgelegt wurde.

Als sich Dennis bewegte, hörte er noch ein Geräusch. Er war nicht allein in der Hütte. Im Halbschatten richtete sich ein Körper auf, er beobachtete Dennis kurz, dann legte er sich beruhigt wieder hin.

Dennis hatte nicht das Gefühl, gefangen zu sein. Also musste das jemand sein, der über sein Wohlbefinden wachte.

Dennis hörte auch, dass die Hunde von Zeit zu Zeit aufstanden und durch das Dorf liefen. Sie schnupperten. Irgendwann begann einer der Hunde zu knurren, dann begannen zwei oder drei der Hunde aufgeregt zu bellen. Dennis hörte, dass einige der Fremden aufstanden und zu den Hunden gingen. Dann herrschte wieder Ruhe.

Dennis begriff, dass die Hunde und das Feuer ein Schutz gegen wilde Tiere waren. Die musste es hier im Dschungel geben. Dennis begriff auch, dass es für ihn gefährlich war, alleine loszuziehen, ohne den Schutz der Fremden, die sich „die Péruan“ nannten. Wohin hätte er auch gehen sollen. Um ihn herum war nichts als dichter Dschungel.

Also blieb Dennis liegen.

Dennis dachte über seine Freunde nach, die sich jetzt bestimmt Sorgen machten. Hoffentlich hatte José aus dem Hochhaus unbeschadet entwischen können. Hoffentlich war alles andere glatt gegangen, und die Freunde waren alle wieder in Sicherheit. Er dachte an seine Mutter, die jetzt bestimmt wieder Todesangst um ihn hatte und ganz alleine zurückblieb. Er dachte an Laura, die ihm ans Herz gewachsen war, und er dachte über Trifter nach, der ihm geraten hatte, auch mal eine Auszeit zu nehmen.

Dennis seufzte und begann an etwas Freundlicheres zu denken. Warum sollte er das Ganze nicht als Abenteuer nehmen? Die Menschen im Dorf brachten ihm Hochachtung entgegen. Sie sorgten für sein Essen und sie bewachten ihn in der Nacht. Was besseres konnte es nicht geben, als ein paar Wochen bei den Fremden zu sein, Erfahrungen zu sammeln und Freundschaften zu schließen, um dann einen Weg zu finden, zurück nach Berlin zu fliegen.

Dennis beschloss, mit den Fremden eine Weile zu leben und sich dann in die Stadt bringen zu lassen. Dort würde sich sicher eine Fahrgelegenheit ergeben, oder ein Flug zurück in die Heimat. Wenn das eine so große Stadt war, wie die Fremden angedeutet hatten, dann würde es dort auch eine deutsche Vertretung, eine Mission oder gar eine Botschaft geben und sicher auch Fernbusse oder einen Flughafen.

Wenn er hier eine Weile lebte, dann konnte sich Dennis den Gebräuchen der Fremden widmen. Er konnte sie um eines dieser groben Stoffhemden und einen Lendenschurz bitten und seine eigene Kleidung für den Rückflug pflegen. Er hatte schon auf den Weg bemerkt, dass seine Kleidung hier im Dschungel nicht lange überleben würde. Es gab Gestrüpp, Dornengewächse und spitze Äste, die herunter hingen. All das würde seine Kleidung bald zerrissen haben. Außerdem waren die Jacke, das Sweatshirt und die lange Hose viel zu warm.

Er konnte mit den Fremden jagen gehen, vielleicht gab es ein Boot. Das Essen war zwar gewöhnungsbedürftig, aber es war ok. Dennis genoss die Lagerfeuerromantik. Er kannte das von zu Hause, aber hier war das doch ganz anders.

Dass Dennis über 2000 Jahre zurück in die Vergangenheit versetzt worden war, konnte er nicht ahnen. Das Berlin, das er kannte, existierte nicht. Noch nicht.

Irgendwann schlief Dennis wieder ein.

2.

Dennis erwachte, weil alles um Dennis herum erwachte. Es war Halbdunkel, aber es hatte gestern den ganzen Tag ein Halbdunkel geherrscht. Die Bäume waren hoch und das Blattwerk war sehr dicht. Das hatte also nichts zu bedeuten.

Dennis sah auf seine Uhr - aber die gab ihm eine völlig falsche Zeit an. Wenn er hier 20.000 Km von zu Hause weg war, dann musste es hier ganz eine andere Weltzeit geben. Dennis hatte davon wenig Ahnung. Berechnen konnte er das nicht, und die Uhr konnte ihm jetzt wenig nutzen. Er musste versuchen, die Uhr auf 12 zu stellen, wenn die Sonne am höchsten stand. So konnte er die richtige Zeit wenigstens einigermaßen bestimmen.

Die Batterie war gerade gewechselt. Die Polstar-Uhr war wasserdicht. Die Uhr würde noch eine Weile laufen.

Dennis hörte ein Geräusch. Der Anführer mit den Perlen im Haar beugte sich zu Dennis, um zu prüfen ob alles in Ordnung sei. Dennis lächelte ihn an, und wünschte ihm einen guten Morgen. Der Anführer verstand das nicht. Solche Ausdrücke waren hier nicht üblich.

Das Dorf war hellwach. Jeder ging irgendeiner Tätigkeit nach.

Ein paar Kinder balgten sich mit den Hunden, bis einer der Erwachsenen sie zu sich rief. Vier der Männer hatten lange Speere in der Hand. Die Kinder bekamen Umhängetaschen, und die Gruppe entfernte sich auf einem Trampelpfad, der parallel zum Wasser vom Dorf wegführte.

Dennis fragte den Anführer, und er erfuhr, dass die Gruppe zum Fischen geht.

Dennis hatte noch keinen Hunger, aber er bat um etwas Wasser.

Der Anführer rief zwei der Frauen zu sich, sprach kurz mit ihnen, dann verbeugte er sich und ging.

Die beiden Frauen riefen ein paar der Kinder, dann machten sie sich mit Dennis auf zum Fluss. Das Gewässer war etwa 30 Meter breit und schien recht tief zu sein. Dort wo sie hingingen, gab es eine weite Ausbuchtung und einen Sandstrand. Die Frauen und die Kinder gingen in das Wasser, das an dieser Stelle nicht sehr tief war, und bedeuteten auch Dennis, er solle sich ausziehen und mitkommen.

Sie waren völlig ohne Scham. Eine der Frauen hatte ein kleines Kind auf dem Arm. Alle waren völlig nackt.

Für Dennis war die Situation neu, aber er dachte nicht lange nach, zog sich aus und ging zu den Frauen ins Wasser. Die Gruppe planschte und bespritze sich, die Kinder lachten vor Vergnügen und auch die Frauen lachten und warfen sich spielerisch Worte zu. Als Dennis ins Wasser kam, bespritzten ihn die Kinder. Dennis nahm ein Bad, das ihn erfrischte, und er trank auch von dem Wasser, das so klar war, dass er bis auf den Grund sehen konnte.

Als er aus dem Fluss kam, war er im Nu trocken. Obwohl es noch so früh am Morgen war, war die Luft warm und sie roch aromatisch.

Er sah, dass in einiger Entfernung zwei Männer mit Speeren standen und das Wasser aufmerksam beobachteten. Sie hatten Wache gestanden, solange die Gruppe beim baden war.

Dennis konnte genauso gut jetzt um neue Kleidung bitten und er fragte einen der Männer nach einem Hemd.

Es gab ein kurzes erstauntes Palaver, dann lief eine der Frauen ins Dorf, und kam mit einem bunt gewebten Hemd zurück, das sie Dennis reichte. Es war auffallend bunt. Ganz anders als die Hemden der Männer gestern.

Als sie zum Dorf zurückgingen, fragte er die Männer danach.

Er erfuhr, das sei das Hemd eines Häuptlings. Die Hemden der Männer gestern waren ein Ritual, um eine gute Jagd herbeizurufen, sonst blieben sie nackt.

Im Dorf zurück, verstaute Dennis seine Sachen in der Hütte, dann ging er zum Anführer der Gruppe und bat ihn um zwei Begleiter. Der Anführer nickte. Er rief eine runzlige Frau und ein vielleicht 12 jähriges Mädchen herbei. Sie würden ab jetzt für Dennis sorgen.

Wenn Dennis schon hier blieb, dann konnte er auch versuchen, die Sprache der Péruan lernen. Das Kauderwelsch war gut, aber es war nur ein Hilfsmittel.

Im Laufe des Vormittags lernte Dennis eine ganze Reihe von Worten. Er wusste jetzt, was Hemd heißt, er bat um einen Lendenschurz, die Alte sagte dazu Piri Piri. Sie kicherte und rief einen der Männer herbei, dem sie etwas ins Ohr flüsterte.

Er kicherte ebenfalls und ging weg. Dennis erfuhr, dass die Alte „Kkhiso“ hieß und das Mädchen ihre Enkelin war, die sie „Polia“ nannte.

Dennis sagte ihr auch seinen Namen „Dennis“. Die Alte nahm das mit großer Verwunderung auf. Allerdings sprach sie seinen Namen anders aus, „Thénnis“, sagte sie.

Später sollte Dennis erfahren, das er einen heiligen Namen trug, denn das „Thén“ bedeutete soviel wie Sonnengott. Thénnis lautete etwa „der von der Großen Sonne Geschickte“.

Für die Peruan war das alles ein Glücksfall. Der „Thénnis“ war zu ihnen in Menschengestalt herabgestiegen und er lebte jetzt wie einer von ihnen. Ein Gott war für sie heilig und sie würden nie fragen, warum der Gott zu ihnen gekommen war, aber sie wussten: die „Heilige Sonne“ hatte ihr Dorf auserwählt.

Als die Gruppe der Männer und Kinder mit reicher Beute vom Fischen kamen, wurden die Fische aufgespießt und über dem Feuer gebraten. Dazu gab es Früchte.

Die Gruppe war fast vollzählig zusammen. Das gemeinsame Essen war offenbar ein Ritual, bei dem niemand fehlen durfte, außer den Wachen, die stets unsichtbar um das Dorf herum aufgestellt waren. Das Essen reichte für alle. Die Portionen waren nicht groß, aber die Péruan aßen viel weniger, als die Menschen in Berlin.

Offenbar waren in der Sippe Männer und Frauen gleichberechtigt, wenn sie auch unterschiedliche Aufgaben hatten. Die Männer gingen jagen. Sie nahmen fast immer einige der Kinder mit. Die Frauen sorgten für den „Haushalt“, stellten Fallen auf, zerlegten Tiere, trockneten Blätter und Häute.

Die Kinder wurden mit viel Liebe behandelt. Sie durften sich einige Freiheiten erlauben, wurden aber freundlich und meist lachend ermahnt, wenn sie zu übermütig wurden.

Ohne dass Denis das wusste, hatte der Anführer, der „Takilada“ des Dorfes, bereits Boten zur großen Stadt geschickt, um von der „Ankunft des Gottes“ zu berichten.

Als Dennis den Anführer auf die große Stadt ansprach, erklärte ihm der Takilada, dass die Péruan die große Stadt nicht betreten durften. Das sei das Privilig der Théluan. Weit vor der großen Stadt gäbe es aber Ansiedlungen. Dort durften die Péruan hin. Zwei seiner Leute seien bereits auf dem Weg dorthin, um zu berichten. Man würde sicher eine Abordnung schicken. Aber das würde eine Weile dauern. Der Weg sei weit.

Als Dennis fragte, wann das sei, wollte sich der Anführer nicht festlegen. Der Weg sei weit.

Den Rest des Tages verbrachte Dennis, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern. Er lernte viele Worte, versuchte auch immer wieder die Worte zu wiederholen und sich einzuprägen. Er lernte, dass die Péruan ein fröhliches, ja ausgelassenes Volk waren. Es gab Nahrung, Früchte und Wasser für jeden. Mehr als genug. Der Dschungel bot alles, was die Menschen brauchten. Dennis erhielt auch seinen Lendenschurz. Er war aus Leder, extra für Dennis angefertigt.

Eines der Mädchen war gekommen und hatte ihn kichernd angepasst.

Zu Mittag gab es nichts. Als Dennis die Alte darauf ansprach, erfuhr er, dass er jederzeit Obst haben könne, und sie öffnete im hinteren Teil der Hütte eine Bodenplatte aus Moosen und Erde. Dort war ein Geviert ausgehoben. Darin lagen verschiedene Früchte, die von der Erde frisch gehalten wurden, wie in einem Kühlschrank. Sie hatten sehr feste Schalen, und die Alte und das Mädchen mussten Dennis zeigen, wie er die fremden Früchte öffnet und verzehrt.

Dennis bat die Alte, ob er am nächsten Tag mit zum Fischen gehen dürfe. Sie nickte und schickte sofort ihre Enkelin los.

Abends wurde wieder gemeinsam gegessen, dann gingen die Péruan zum Baden in den Fluss. Noch bevor es ganz dunkel wurde, gingen sie schlafen. Einige schliefen in den Hütten, andere benutzten die Matten, die zwischen die Bäume gehängt waren. Dennis sah, dass immer ein Speer in der Nähe lehnte und eines der langen Messer bereit lag. Die Péruan waren wachsam.

Als Dennis sich zurückzog, wurde er von der Alten und dem Mädchen begleitet. Kkhiso und Polia bezogen ein Lager am Boden und bedeuteten Dennis, in der Hängematte zu schlafen. Das sei sicherer. Dennis wurde zwar als Gott angesehen, doch er war in Menschengestalt zu ihnen gekommen, also war der Thénnis verwundbar. Sie würden für seine Sicherheit sorgen, um sich nicht den Zorn der „Großen Sonne“ zuzuziehen.

Bevor es ganz dunkel wurde, hörte Dennis, dass die Péruan vereinzelt aufstanden. Er hörte leise Unterhaltung. Manchmal wurde gekichert. Dennis hörte auch Geräusche der Liebe.

Das wiederholte sich an den nächsten Abenden. Später erfuhr Dennis, dass es den jungen Mädchen vorbehalten war, sich einen Ehemann auszusuchen.

Sie schliefen mit unterschiedlichen Partnern, bevor sich die jungen Mädchen endgültig für einen jungen Mann entschieden, mit dem sie dann für immer zusammen blieben. Manchmal entstanden aus diesen flüchtigen Bindungen Kinder, aber das galt als völlig normal.

3.

Am nächsten Morgen standen die Péruan mit der Sonne auf.

Zunächst wurde im Fluss ein gemeinsames Bad genommen. Dennis lernte, dass die Péruan das immer so machen. Sie waren sehr reinlich. Morgens und abends wurde gemeinsam gebadet. Es war ein Ritus, der nur in Zeiten von Gefahr durchbrochen werden durfte.

Dann brach die Jagdgruppe auf zum Fischen. Dennis begleitete sie. Sie gingen vielleicht eine halbe Stunde. Der Fluss war an dieser Stelle ziemlich reißend, aber es gab auch einige flache Stellen, wo die Männer stehen konnten.

Dennis wurde bedeutet, mit den Kindern am Ufer zu bleiben.

Einer der Erwachsenen blieb im flachen Uferbereich, bewaffnet mit einem Speer und er beobachtete das Wasser sehr aufmerksam.

Die Männer stiegen ins Wasser. Von Zeit zu Zeit stießen ihre Speere blitzschnell zu, und sie zogen einen Fisch aus dem Wasser, der silbrig glänzte und wild zappelte. Die Männer warfen sie an Land. Die Kinder fingen die zappelnden Fische geschickt auf, sie schlugen mit Stöcken, an die ein Stein gebunden war, geschickt hinter den Kopf der Fische, dann wurden die Fische in mitgebrachten Säcken verstaut.

Als die Männer genug hatten, verließen sie das Wasser und kehrten in ihr Dorf zurück.

Dennis sollte lernen, dass das Frühstück der Péruan stets aus frisch gefangenem oder gebratenem Fisch und aus Obst bestand.

Dennis fühlte sich nach ein paar Tagen gestärkt und voller Kraft. Das Eiweiß und das Fett der Fische waren proteinreich, das frische Obst tat ihm gut. Das war eindeutig besser als Burger oder Pommes, obwohl es salzlos war.

Dennis lernte, Fische auszunehmen und zu jagen. Er war der einzige Mann in der Gruppe, der Fische ausnahm. Sonst machten das nur die Frauen. Aber Dennis galt ihnen als Gott. Er durfte sich über diese Regeln hinwegsetzen.

Dennis lernte bald, dass die Männer mit den Speeren am Ufer eine wichtige Aufgabe hatten.

Am nächsten Tag stieß einer der Männer einen Warnruf aus, dann sprang er ins Wasser und stach blitzschnell zu.

Es war eine Schlange. Etwa zwei Meter lang. Der Kopf wurde diesmal nicht abgehackt, die Schlange wurde geschickt hinter dem Kopf festgehalten, ein Lederband wurde um den Kopf gewickelt, dann wurde die Schlange in einen Sack gesteckt.

Die Gruppe brach sofort auf und ging zurück, obwohl die Jagd noch nicht beendet war. Im Dorf wurde der Sack den Frauen übergeben. Sie holten die Schlange heraus, packten sie hinter dem Kopf, das Band wurde vorsichtig gelöst, dann wurde der noch nicht toten Schlange eine rote Frucht hingehalten, in welche die Schlange mehrfach wütend hineinbiss. Die Frauen hielten den Kopf immer noch fest, und einer der Männer schlug den Kopf ab.

Diese Schlange war etwas Besonderes. Sie verfügte über ein gefährliches Gift, das den Menschen innerhalb weniger Minuten lähmen und töten konnte. Das Gift konnte mit diesen roten Früchten aufgefangen werden, und es diente als Pfeilgift.

Das Fruchtfleisch wurde aufgekocht und vorsichtig in Gefäße gefüllt. Die Jäger konnten sich die verschließbaren Gefäße mit Lederriemen umhängen und ihre Pfeilspitzen hineintauchen. Das war eine absolut tödliche Waffe. Ein kleiner Ritz in die Haut genügte, um jeden Gegner in wenigen Minuten außer Gefecht zu setzen.

Dennis blieb jetzt bei den Frauen, um sich zu unterhalten und bei der Aufbereitung des Giftes zuzusehen. Die Männer und Kinder gingen wieder zum Jagen.

4.

Einige Tage später sollte Dennis erfahren, wie wichtig dieses Gift für die Indios war.

Dennis war im Dorf geblieben. Die Frauen wollten heute weben. Dennis wollte ihnen zusehen.

Die Frauen hatten lange Fäden gesammelt, die zu einer Schlingpflanze gehört, die weit oben in den Wipfeln der Bäume wächst. Sie hatten die Fäden getrocknet. Sie hatten sie eingeweicht und wieder getrocknet. Und sie hatten sie mit dem Fett von kleinen hellblauen Fischen bestrichen, die sie zuvor ausgekocht hatten, so dass das Fett wie eine weiße dicke Schicht auf dem Wasser schwamm.

Nun wurden die Fäden in selbstgebaute Webrahmen gespannt und die Frauen begannen die Fäden mit einer Art Schiffchen durch die Längsfäden zu ziehen, bis sich ein dünner aber fester Stoff bildete. Sie waren äußerst geschickt.

Auch die Kinder wurden in diese Tätigkeit eingespannt. Sie waren Teil des Lebens und wurden spielerisch in die Arbeit eingewiesen.

Sie saßen auf dem Boden. Sie lachten und unterhielten sich, als von weitem ein paar Warnrufe erschallten. Die Frauen standen sofort auf und stellten die Webrahmen beiseite.

Die Männer kamen zurück. Zwei liefen vorneweg. Sie trugen einen Dritten. Er hatte schlimme Bisswunden und er blutete stark aus Schulter, Rücken und Brust. Der Mann war bewusstlos vor Schmerzen.

Sie brachten den Mann in eine der Hütten, dann liefen die Frauen in ihre Unterkünfte und kamen mit verschiedenen Gegenständen zurück. Zwei der Frauen setzten einen Topf auf und erhitzten dort eine dunkelbraune Masse mit Wasser zu Brei. Dann brachten sie den Topf in die Hütte mit dem Verletzten.

Der Mann hatte nicht nur tiefe Bisswunden und Kratzer, große Stücke von losen Fleisch hingen von seinem Brust- und Schulterbereich.

Dennis konnte nicht helfen. Die Frauen strichen die dickflüssige Masse auf die Wunde, dann legten sie Blätter darüber, und wickelten den Verwundeten in ihre selbstgefertigten Tücher.

Einige der Frauen blieben bei ihm, andere begannen einen Sud aus Blättern und Früchten aufzukochen. All das ging mit einer unglaublichen Schnelligkeit vor sich.

Dann kam der Rest der Gruppe. Sie schleppten sich mit einem riesigen schwarzen Panther ab, den sie erlegt hatten. Der Panther hatte noch das Blut des Verletzten am Maul und an den Pranken. Dennis war erschrocken, und er bewunderte gleichzeitig den Mut der Männer.

Diese Raubkatze maß mindestens zwei Meter. Das Gewicht war so groß, dass zwei Männer die Raubkatze gleichzeitig tragen mussten. Die Jäger hatten sich unterwegs mehrfach abwechseln müssen.

Als sie ins Dorf kamen, gab es aufgeregtes Geschrei. Die Männer wurden umringt und bewundert. Sie kamen ans Feuer und warfen dort die Katze ab. Die Dorfbewohner streckten die Beine des Panthers aus, sie sahen dieses riesige Maul und diese gewaltigen Pranken. Dennis verstand, dass dieser Panther auch für ihre Verhältnisse ungeheuer groß war.

Dann mussten die Jäger erzählen.

Sie waren auf dem Rückweg gewesen. Der Fang war ausgezeichnet. Sie lachten und sie waren gut gelaunt, als sie eine Bewegung über sich wahrnahmen.

Zwei von ihnen hatten sofort die Bögen genommen, Pfeilspitzen in das Gift getaucht und die Bögen gespannt, aber der letzte der Gruppe war bereits von dem riesigen Panther zu Boden gerissen und in die Schulter gebissen worden.

Sie hatten sofort ihre Pfeile auf den Panter abgeschossen. Der Panther hatte von dem Mann abgelassen und griff erneut an. Einer der anderen Jäger hatte seinen Speer geworfen, der dem riesigen Tier in den Leib fuhr.

Mit einem Schlag seiner Pranken hatte der Panther den Schaft abgebrochen, als ihn der zweite Speer traf.

Der Panther war wütend. Er schlug auch diesen Speer auseinander und wollte erneut angreifen. Aber nun begann das Pfeilgift zu wirken.

Die Männer waren sich sicher, dass der Panther sie alle getötet hätte, trotz ihrer Speere. Nur das Pfeilgift hatte ihnen das Leben gerettet.

Sie hatten sofort den Verletzten aufgehoben, und zwei der Jäger mit ihm vorausgeschickt. Dann hatten sie versucht den Panther aufzuheben und zu tragen. Er war sehr schwer. Einer der Jäger tunkte mehrere Pfeile in das Pfeilgift, und wachte über den Transport. Wo ein Panthermännchen war, konnte auch ein Weibchen sein. Aber sie hatten nichts gesehen.

Nun also waren sie wieder im Lager und sie waren froh, heil wieder angekommen zu sein. Sie erkundigten sich als erstes nach ihrem Gefährten, dann mussten sie erzählen.

Während ihrer Schilderung wurden sofort drei Männer zu den Wachen geschickt, um sie zu warnen.

So schlimm dieser Überfall des Panthers war, so groß war auch die Freude im Dorf.

Die Frauen hatten sofort ein Gerüst aus Stangen errichtet.

Der Panther wurde darauf gelegt. Dann wurde der Verletzte aus der Hütte geholt, und auf Felle in der Nähe gelegt. Feuerholz wurde aufgelegt, so dass die Flammen höher loderten.

Die Männer und Frauen hatten bunte Bänder und Federn aus ihren Hütten geholt, die sie nun im Haar, um die Oberarme und den Hals trugen. Sie trugen ihre Trinkgefäße herbei, und begannen singend, stampfend und sich verbeugend, um das Feuer, den Panther, und den Verletzten zu tanzen. Die Kinder standen außen herum. Sie klatschten und lachten.

Dennis war völlig verblüfft. Er verstand, dass dies ein gewaltiges Ereignis für die Indios war, das gehörig gefeiert werden musste. Er verstand, dass dies auch ein Tanz für den Verletzten war, um eine baldige Genesung herbeizuführen.

Die Indios tanzten und tranken von ihrem gegorenen Saft.

Soviel verstand Dennis von Medizin, dass es für den Verletzten am besten war, wenn er jetzt Ruhe hatte. Nur, was konnte er tun?

So ging Dennis zu dem Verletzten in den Kreis, setzte sich neben ihn und nahm seine Hände. Er war in Gedanken versunken. Ohne dass er es bemerkte, bildete sich ein bläulicher Lichtschein, der an Intensität immer mehr zunahm. Dennis war bald eingehüllt von blauen Adern aus Blitzen. Züngelnd, funkensprühend.

Die Indios sahen das und hielten mit ihrem Tanz inne. Sie standen still und trauten sich nicht mehr zu bewegen, während das Kraftfeld an Intensität weiter gewann, bis es Dennis und den Verletzten wie eine Lichtkugel ganz einhüllte.

Nach einer Weile begann das Licht langsam zu verebben.

Es war Stille eingetreten. Selbst das Feuer wagte nicht mehr zu knistern.

In diese Stille hinein begann Dennis zu singen und zu summen. Dennis merkte von alledem nichts. Er hielt immer noch die Hände des Verletzten. Dann hörte Dennis auf, und er sagte in die Stille hinein: „Faroa braucht jetzt Ruhe. Tragt ihn in seine Hütte zurück. Verschiebt euren Tanz auf ein andermal. Ich werde bei Faroa wachen.“

Die Péruan folgten ihm. Es wurde nicht darüber diskutiert. Es wurde nicht abgestimmt. Sie hoben den Verletzten auf und trugen ihn in die Hütte.

Dennis bat Kkhiso und Polia in die Hütte. Dort setzte er sich neben Faroa und hielt seine Hände. Er verfiel in eine Art Wachtrance, in der er unaufhörlich summte. Er merkte nicht einmal etwas davon.

Stunden später bat er Kkhiso um Wasser und Tücher. Es befeuchtete Faroas Gesicht, trocknete den Schweiß und hüllte ihn wieder ein. Dann ergriff er erneut Faroas Hände, und fiel summend in Trance.

Irgendwann musste er eingeschlafen sein.

Am nächsten Morgen wurde er von einem freudigen Laut geweckt. Kkhiso hatte ihn ausgestoßen.

Dennis war mit seinem Kopf auf das Lager gesunken. Er hielt immer noch die Hände von Faroa. Dennis schaute auf und er sah, dass Faroa die Augen geöffnet hatte.

Faroa sah verwundert zu Dennis und Kkhiso, die sich jetzt über ihn beugte.

Dennis fühlte sofort nach seiner Stirn, bat Kkhiso um Wasser und Tücher, und er wusch wieder den Schweiß von Faroas Körper. Dann versuchte er mit Faroa zu sprechen. Er sei sehr schwach, sagte Faroa, aber er fühle sich gut.

Dennis nickte und fragte Kkhiso aus. Wie oft wechselten die Péruan solche Verbände? War es sinnvoll, den Verband jetzt schon zu erneuern? Kkhiso ging hinaus und besprach sich mit den Frauen. Als sie wiederkam, wurde sie von dem Anführer des Dorfes begleitet.

Der Takilada richtete einige Worte an Faroa. Er schien sehr zufrieden. Dann gab er Anweisung, den Verband zu wechseln.

Die Frauen kamen nach einer Weile mit Blättern, Brei und mit ihrem gebrauten Getränk.

Dennis trat ein wenig zurück. Als erstes erhielt der Kranke von dem Saft. Kkhiso erklärte Dennis, dass die Blüten, Früchte und Blätter über besondere Heilkräfte verfügen. In den Blättern und Rinden gab es entzündungshemmende und blutreinigende Stoffe. Dennoch sei bei einer solchen schweren Verletzung die Aussicht auf eine Heilung nicht sehr groß.

Als die Frauen den Verband abgenommen hatten staunten sie nicht schlecht. Die Wunde hatte sich nicht entzündet. Der Kranke hatte kein Fieber. Es gab keinen Eiter. Die Wunde war sauber.

Sie erneuerten den Verband und gaben dem Kranken von dem Getränk, dann verließen sie die Hütte. Der Takilada blieb. Er sprach erneut mit Faroa. Der fühlte sich gut, sei aber sehr müde. Er wolle jetzt schlafen.

Der Takilada sah Dennis lange an. Dann sagte er mit leiser Stimme, um Faroa nicht zu stören: „Wir sind dir zu großem Dank verpflichtet. Wir werden den Tanz vorerst nicht mehr aufnehmen. Erst soll Faroa wieder gesund werden. Aber den Panther müssen wir heute noch schlachten. Das Fleisch verdirbt sonst. Wir werden dabei keinen Lärm machen.“

Dennis nickte. „Ich bleibe bei Faroa“, sagte er. „Vielleicht können Kkhiso und Polia mir helfen. Polia kann ich schicken, wenn wir etwas brauchen. Der Takilada nickte, ging hinaus und schickte Polia wieder zu Dennis hinein.

Dennis sorgte dafür, dass der Verband jetzt täglich erneuert wurde, und dass der Kranke regelmäßig Wasser und seinen Heiltrank erhielt. Er selbst ging nicht hinaus zu den gemeinsamen Essen der Stammesmitglieder, sondern ließ sich das Essen in die Hütte bringen. Nach drei Tagen fühlte sich der Kranke erstmals in der Lage, etwas zu sich zu nehmen.

Die Wunde sah immer besser aus. Es gab keine Entzündung, sie eiterte nicht. Die Wunde begann, überraschend schnell, von innen nach außen zu heilen. Nach einer Woche verließ Faroa erstmals sein Lager, um ein paar Schritte zu gehen. Er war jedoch sehr schwach.

Auch nach zwei Wochen sah die Wunde gut aus. Faroa war auf dem besten Weg der Heilung. Er trug jetzt nur noch einen leichten Verband. Er stand jeden Tag mehrmals auf, um ein paar Schritte zu gehen und um sich zu unterhalten. An der Jagd nahm er jedoch nicht teil.

Nach drei Wochen war Faroa völlig gesund. Es war ein Wunder.

Der Panther war längst gehäutet worden. Die Péruan hatten den Kopf und die Pranken der Vorderläufe an der Haut gelassen. Nur die hinteren Pranken hatten sie abgetrennt. Die Krallen wurden aufgefädelt. Jeder der Jäger, die den Panther gestellt hatten, trug jetzt voll Stolz eine der Krallen um den Hals. Die Gruppe bestand darauf, dass Dennis das Fell erhalten müsse.

Das war eine große Ehre für Dennis.

Inzwischen hatten die Späher der Péruan herausgefunden, dass es tatsächlich ein Weibchen gab, sie hatten den Panther verfolgt, und es war gelungen, auch das Weibchen zu töten.

Nun war der große Tag gekommen, um das lang ersehnte Fest zu feiern.

Das Pantherweibchen wurde auf das Gestell am Feuer gelegt, und die Meute begann um das Feuer und den Panther zu tanzen. Diesmal konnte Faroa an dem Tanz teilnehmen.

Dennis hielt sich in der Nähe, er klatschte und lachte mit den Frauen und den Kindern. Die Pèruan tanzten sich in Trance und waren das erste Mal, seit Dennis sie kannte, regelrecht besoffen von dem vergorenen Saft. Nur die Wachen blieben nüchtern.

Dennis hatte hier Freunde gefunden. Er fühlte sich glücklich.

Er selbst trank an diesem Abend wieder nur Wasser. Er liebte diesen vergorenen Saft nicht.

An diesem Tag passierte noch etwas.

Dennis schlief seit zehn Tagen wieder in seiner eigenen Hütte.

Auch Kkhiso und Polia schliefen, wie immer, auf dem Boden neben ihm, um über ihn zu wachen. Dennis wusste mittlerweile, dass Polia die Tochter des Häuptlings war. Das war ein seltenes Privileg.

In dieser Nacht fühlte Dennis, wie Polia zu ihm kam, ihn leise weckte, und ihn bat, er solle aufstehen. Sie zog ihn auf das Lager in der Ecke der Hütte und bedeutete ihm, er könne jetzt hier schlafen. Dann legte sie sich zu ihm.

Polia war ungefähr zwölf. Sie hatte schwarze Haare wie alle im Dorf. Sie hatte einen ganz leichten Ansatz einer Brust und sie hatte einen Flaum von Haaren zwischen den Beinen. Für Dennis wurde es die erste Liebesnacht seines Lebens. Polia war Jungfrau, aber sie war äußerst geschickt.

Als Dennis am nächsten Morgen aufwachte, lag Polia noch in seinen Armen. Kkhiso war fort. Dennis fühlte sich etwas beschämt. Was hatte er da bloß gemacht?

Nach einer Weile kam Kkhiso herein und stellte für die beiden ein Frühstück aus Fisch, Obst und frischem Wasser hin. Dann zog sie sich wieder zurück.

Polia war inzwischen erwacht. Sie lachte, nahm von den Früchten und gab auch Dennis davon.

Als Dennis sie auf die vergangene Nacht ansprach, nickte sie.

Es sei nicht gut, wenn Mann und Frau alleine sind. Ihr Vater habe ihr erlaubt, sich zu Dennis zu legen. Kkhiso wusste selbstverständlich Bescheid. Dennis dachte bei sich „Mann und Frau…, sie waren doch noch Kinder.“ Doch dann erinnerte er sich, dass die Mädchen bei den Péruan ihre ersten Kinder bereits kurz nach der Geschlechtsreife bekommen. Es gab hier einige sehr junge und schwangere Mädchen. Es gab hier sehr junge Mütter. Das war wohl normal.

Polia sah Dennis in seine blauen Augen und schlug die Arme um seinen Hals. Dann führte sie Dennis wieder an ihre geheimsten Stellen. Sie liebten sich erneut.

Als Dennis später vor die Hütte trat, war alles wie sonst auch.

Man lächelte ihm zu. Die Frauen lachten und schwatzten. Die Männer gingen ihrer Arbeit nach. Offenbar wusste jeder im Dorf Bescheid. Sie freuten sich für Dennis und Polia.

5.

Dennis war nun schon über einen Monat bei den Péruan. Er lernte ihre Sprache immer besser. Das Zusammenleben mit Polia war eine Hilfe. Dennis hatte inzwischen einen großen Wortschatz. Tagsüber war Dennis mit den Péruan zusammen, nachts schlief er mit Polia.

Kkhiso wohnte immer noch in Dennis Hütte. Sie war wie ein Schatten.

Dennis ging manchmal mit den Männern jagen, manchmal begleitete er die Frauen beim sammeln von Früchten und Beeren. Er lernte die verschiedenen Früchte zu unterscheiden.

Es gab essbare und giftige. Es gab welche, die als Medizin oder für die Zubereitung von aromatischen Tees oder Säften verwendet wurden. Es gab Baumrinden, die man gegen Schlangenbisse nutzte, und Blätter, aus denen ein Brei hergestellt wurde, für Umschläge.

Dennis lernte auch die verschiedenen Tierarten zu unterscheiden. Es gab winzige bunte Kolibris, und ganze Horden von Affen, die weit oben in den Bäumen herumturnten. Es gab Schlangen, vor denen man sich in acht nehmen musste.

Es gab kleine, mittelgroße und riesige Schmetterlinge und Falter. Einer davon, den die Péruan den „Baraun“ nannten, war äußerst gefährlich. Man durfte ihm nicht zu nah kommen.

Um sich vor Feinden zu schützen, warf der Schmetterling seinen Angreifern ein Heer von kleinen giftigen Härchen entgegen, die mit Widerhaken versehen waren, und schwere Entzündungen hervorriefen.

Sehr beliebt war das Fleisch der Mara Mara. Diese Mischung aus Antilope und Reh trat immer in Rudeln auf und hatte ein besonders zartes Fleisch, das man gut zu Pemikan verarbeiten konnte (Trockenfleisch).

In den Flüssen gab es Krokodile, vor denen man sich in acht nehmen musste. Sie waren nur etwa einen Meter lang, aber sie hatten messerscharfe Zähne. Das war einer der Gründe, warum die Péruan nie ohne Wachen zum Baden oder zum Fischen ins Wasser gingen. Im Wasser waren die Kaimane blitzschnell. Sie warteten geduldig und fast unsichtbar in Ufernähe, zwischen träge dahingleitenden Blättern und geschützt durch das Wurzelwerk der großen Bäume, um dann urplötzlich anzugreifen. An Land waren sie vergleichsweise träge, dann konnte man sie fangen und töten. Das Fleisch war rosa und sehr zart. Die Panzer zogen die Péruan ab. Das gab wunderbares Leder. Auch die Eier der an Land legenden Echsen galten als sehr schmackhaft.

Mehrere Male am Tag regnete es. Es gab heftige Schauer, Blitze und Donner. Dann gab es wilde Konzerte von Fröschen und Unken. Einige davon galten als Heilmittel. Sie sonderten Sekrete ab, die gut waren gegen Milben und Fadenwürmer. Es gab Spinnen, die handtellergroß waren und Falter jagten, die noch größer waren als sie selbst.

Dennis lernte, wie man Kolibris und Papageien in Netzen fängt. Aus den bunten Federn wurde Kopfschmuck hergestellt, der in der großen Stadt sehr beliebt war, und gegen Pfeilspitzen und Tonkrüge eingetauscht wurde.

Manchmal kämen Händlerkarawanen in das Dorf, die alle erdenklichen Waren mit sich führten: Krüge, Pfeilspitzen, Messer und Schmuck aus Kupfer. Sie tauschten diese Dinge ein, gegen Kopfschmuck, Trockenfleisch, Arznei und Pfeilgift.

Sehr beliebt bei den Händlern waren die Panzer der Krokodile und Häute und Schädel der Affen. Die Felle der Panther galten als sehr wertvoll.

Gingen die Männer auf die Jagd, kamen sie mit Affen, Echsen und Mara Maras zurück.

Wenn die Männer am frühen Morgen mit ihren Speeren die großen Flussfische fingen, die bei den Péruan zum Frühstück gegessen wurden, bauten die Frauen aus dünnen Stöcken und Lederbändern Reusen, in denen sie die kleinen hellblauen Fische fingen, die wegen ihres hohen Trangehaltes für die Anfertigung der Hemden genutzt wurden. Die Fische waren sehr scheu. Man brauchte viele der Reusen. Nur mit dem Fett dieser Fische konnten die Indios die Fasern der Bäume weich und geschmeidig klopfen. Es gab weiter entfernt vom Dorf viele Stellen, wo diese Reusen aufgestellt wurden. Waren die Fische erst einmal drin, gab es kein Entrinnen.

Dennis lernte auch, dass das Leben im Dorf nicht so friedlich war, wie er gedacht hatte. Es gab weitere Dörfer am Fluss. Man war im Frieden miteinander. Aber der Fluss war lang und hatte viele Nebenflüsse. Es gab weit entfernt Völker, mit denen es ständig Krieg gab.

Als ein Volksstamm der Théluan mussten die Pèruan regelmäßig Steuern an die Sonnengöttin zahlen. Diese Tributzahlungen erfolgten durch die Abgabe von Kriegern, jungen Mädchen, Kopfschmuck, Fellen und Trockenfleisch.

Manchmal würden Abordnungen der Théluan ins Dorf kommen. Sie hatten eine Arbeitskolonne bei sich und würden dann von den Péruan verpflegt. Auch das Dorf musste von Zeit zu Zeit Männer in diese Arbeitskolonnen schicken. Sie kamen stets nach etwa zehn bis vierzehn Tagen zurück.

Es gab einen halben Tag entfernt eine Straße der Théluan, die immer wieder von dem dichten Dschungel zuwuchs und dann mit langen Messern wieder gangbar gemacht werden musste.

Dennis hörte aufmerksam zu. Wo es eine Strasse gab, da konnten ja wohl auch Autos fahren. Aber diesen Begriff kannten die Péruan nicht. Die Benutzung der Strasse sei nur den Théluan erlaubt.

Die Händlerkarawanen hätten viele Lamas dabei, um die Waren zu tragen. Außerdem gäbe es Boten, um Nachrichten in die heilige Stadt zu bringen. Die Boten würden zu Fuß laufen. Dennis schüttelte erstaunt den Kopf. Keine Busse? Keine Lastwagen? Aber das kannten die Péruan nicht. Dafür erzählten die Péruan, dass es andere Völker gab, die bauten Früchte, Mais und Baumwolle an. Sie wohnten in festen Häusern, und sie mussten Tribut in Form von Nahrungsmitteln und Baumwollfasern leisten, die auf den Rücken von vielen Lamas in die Stadt der Sonnengöttin gebracht wurden.

Als Dennis den Takilada auf die Abgaben ansprach, wurde geantwortet, dass Abordnungen der Théluan in regelmäßigen Abständen ins Dorf kommen, um die Steuern einzufordern.

Als Dennis fragte, ob es vorkäme, dass die Péruan sich weigerten, schüttelte der Takilada den Kopf. Das würde den Péruan schlecht bekommen. Ja. Es sei schon vorgekommen. Einmal hätten die Krieger der Théluan alle Männer des Dorfes getötet, weil der Häuptling seine Tochter nicht hergeben wollte. Die Köpfe der Männer seien abgeschlagen worden. Alle Frauen und Kinder seien verschleppt worden.

Die Frauen mussten zunächst die Körper ihrer getöteten Männer und Brüder den Krokodilen im Fluss vorwerfen, dann mussten sie die Köpfe ihrer getöteten Männer auf langen Stöcken vor sich hertragen, bis in die heilige Stadt. Sie wurden auf ihrem Weg durch die verschiedenen Dörfer der Péruan geführt, um allen zu zeigen, was passiert, wenn man sich gegen die Krieger der Sonnenkönigin auflehnt. Er habe das selbst gesehen, als er noch sehr jung gewesen sei. Was dann in der großen Stadt mit ihnen passiert sei, das wusste der Takilada nicht.

Dennis war von der Grausamkeit geschockt. Er begriff, dass die große Stadt der Sonnenkönigin ganz anders sein musste, als er sich das bisher vorgestellt hatte. Vielleicht würde er in der Hauptstadt nicht das finden, was er sich erhoffte: den Weg nach Hause. Wenn er dort hin ging, dann musste er sehr vorsichtig sein.

Die Krieger der Théluan

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