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Vorwort

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Zu dem vorliegenden Buch wäre es sicherlich nicht gekommen, wenn mich nicht über Jahre hinweg Unterstützer meiner kritischen Begleitung der Entwicklung des deutschen Bildungswesens nach PISA und Bologna nach Vorträgen oder Kolumnen in den einschlägigen Presseorganen dazu angeregt hätten, die vielfältigen Bedenken doch einmal für die Allgemeinheit zu Papier zu bringen. Der Autor dieser Zeilen scheint nach nunmehr mehr als 40-jähriger Erfahrung im deutschen Bildungswesen einer der wenigen zu sein, die es sich immer noch erlauben, die W-Fragen aus der Sesamstraße »Wieso?«, »Weshalb?«, »Warum?« zu stellen, die seit der Jahrtausendwende seitens der Politik nicht mehr erwünscht sind. Einmal in Kraft gesetzt, gelten politische Entscheidungen heutzutage wie selbstverständlich als »alternativlos«. Dabei ist es diese Formulierung, die den Prinzipien einer Demokratie entgegensteht. Schnell wird als Ewig-Gestriger, Ignorant, gar Querulant bezeichnet oder hat mit beruflichen oder finanziellen Nachteilen zu rechnen, wer nicht auf der vorgegebenen Mainstreamwelle mitreitet.

Spätestens seit der Jahrtausendwende haben international agierende Großkonzerne in Kooperation mit internationalen politischen Verbünden und Stiftungen den selbstverständlichen demokratischen Gepflogenheiten ein abruptes Ende bereitet. Sie haben weltweit im Bildungssektor das Heft in die Hand genommen und betreiben einen zuweilen offenen, teilweise auch subtilen ökonomischen Bildungskolonialismus, dem sich anscheinend niemand mehr zu widersetzen vermag. Nationale Bildungssysteme werden ohne jegliche Diskussion von oben herab nach dem neoliberalen Credo der Beteiligten ausgehebelt und umgestaltet. Insbesondere das Bildungswesen im deutschsprachigen Raum – wegen seines Allgemeinbildungsgedanken basierend auf Wilhelm von Humboldt einst weltweit anerkannt und als Vorbild selbst in den Vereinigten Staaten kopiert – wurde wegen seiner gerade nicht nur auf Nützlichkeit zielenden Ausrichtung als antiquiert und im Rahmen der vermeintlichen Anforderungen in einer globalisierten Welt als für nicht mehr tragfähig befunden. Gleiches gilt für die duale Ausbildung im deutschsprachigen Raum. PISA und Bologna waren die Eisbrecher, die einen radikalen Paradigmenwechsel hin zur rein ökonomischen Ausrichtung des Rohstoffs Mensch als global agierendes Humankapital einleiteten.

Dem ursprünglich durchaus vorhandenen Widerspruchspotential der Akteure im Bildungswesen wurde einerseits durch entsprechende finanzielle Anreize aus Steuergeldern im Schul- und Hochschulbetrieb begegnet, denn gerade auch die unterfinanzierten Hochschulen sind bereit, für Geld so mancherlei Einschränkungen und Verrenkungen in Kauf zu nehmen. Oftmals lässt sich da kaum noch zwischen Realität und Realsatire unterscheiden. Neben den Bildungsökonomen, die glauben, alles in Zahlen und Kennziffern punktgenau darstellen zu können, treten aber noch diverse andere Köche auf: aus den verschiedenen reformpädagogischen Küchen. Im Zuge des unkontrollierten Reformeifers sehen sie ihre Chance gekommen, um endlich ihre pädagogischen Glaubensvorstellungen realisieren zu können.

Nun wäre dieses Buch immer noch überflüssig, wenn denn die versprochenen Verbesserungen im deutschen Bildungswesen im Laufe der letzten 15 Jahre tatsächlich nachweisbare Bildungserfolgen gezeitigt hätten. Statt dessen kann heute eigentlich niemand mehr ernsthaft bestreiten, dass die von der Politik bejubelte wundersame Vermehrung aller möglichen Bildungsabschlüsse mit immer besseren Noten keinesfalls durch gestiegene Bildungsstandards oder die eingeführte Kompetenzorientierung eingetreten ist, sondern sich vielmehr einer teils drastischen Absenkung der Anforderungen verdankt. Der vorliegende Band legt dazu viele Beispiele vor. Bildungspolitiker und ihre Berater bestreiten dies nach wie vor vehement, auch wenn ihnen die Gefolgschaft nicht nur in der Presse mittlerweile in weiten Teilen abhanden gekommen ist.

Dass das Schulwesen mit dem Hochschulwesen unmittelbar zusammenhängt, müssen die Hochschulen derzeit leidvoll erfahren, die sich noch bis zur Jahrtausendwende gar nicht um Schule gekümmert hatten und jetzt feststellen müssen, dass die von ihnen bisher verlangten Grundlagen der Studierfähigkeit bei immer mehr Studierenden in immer größerem Ausmaß anscheinend abhanden gekommen sind. Die von den Hochschulen neuerdings vehement eingeforderte Kompetenzorientierung mit zumindest teilweisem Verzicht auf grundlegende und vertiefende Wissensbestände lässt nichts Gutes erwarten und könnte insbesondere die Universitäten im internationalen Wettbewerb schwer beschädigen. Auch hier droht Qualität durch Quantität ersetzt zu werden, Hauptsache, die vorgegebenen Kennziffern stimmen.

Das vorliegende Buch »Vom Streifenhörnchen zum Nadelstreifen – das deutsche Bildungswesen im Kompetenztaumel« ist der erste von insgesamt drei geplanten Bänden, der sich mit den Ursachen dieser Entwicklung befasst, die an Hand zahlreicher Beispiele erläutert wird. Der zweite und der dritte Band werden sich in erster Linie den Neuerungen und Absurditäten an den Hochschulen seit Bologna widmen.

Dieses Buch ist vor allem jenen gewidmet, die nicht auf jeder neuen Reformwelle mitschwimmen, die sich ihren Eigensinn bewahrt haben und sich weigern, den zweifelhaften bildungspolitischen Vorgaben zu folgen. Ihnen gebührt der besondere Dank des Verfassers. Ohne zahlreiche Insider-Informationen aus den Schulaufsichten, den Abteilungen für Qualitätsmanagement und den Ministerien selbst wäre dieses Buch nicht zustande gekommen. Von den mir in Hunderten von E-Mails und persönlichen Briefen mitgeteilten Absurditäten sind zumindest einige in diesen Band eingearbeitet. Es stimmt mehr als traurig, dass Stellungnahmen von Lehrern, Schulleitern, Fachdezernenten und Hochschulprofessoren zu ihnen abwegig erscheinenden Vorkommnissen nur anonym erscheinen können. Die vielen durch ausführliche Recherchen im Buch dargelegten Fakten sollen dem interessierten Leser zu einem eigenen Urteil verhelfen, das durchaus von dem des Autors abweichen darf, ja soll.

Insbesondere möchte ich mich bei den vielen Fachkollegen aus der Mathematik und der »Stoffdidaktik« der Mathematik bedanken, die nunmehr seit einigen Jahren ohne jegliche »Drittmittel« aus innerer Überzeugung die Analysen des fachlichen Schwierigkeitsgrades von Zentralabituraufgaben und neuerdings auch von Lehrplänen unterschiedlicher Bundesländer durchführen.

Bedanken möchte ich mich in diesem Zusammenhang bei dem Kultus- und Wissenschaftsminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Mathias Brodkorb, der jeder Anfrage unsererseits nach Überlassung von Zentralabiturarbeiten, Lehrerhandreichungen oder gültigen Lehrplänen zeitnah und unbürokratisch nachgekommen ist. Mein Dank gilt auch Harald Martenstein für die Überlassung seines Artikels »Don’t say it in German. Say it in Broken English« aus seinen pointierten Kolumnen in der Wochenzeitschrift »Die Zeit«. Dank auch meinem Frankfurter Kollegen und Pädagogischen Psychologen Hans-Peter Langfeldt für die Überlassung des Artikels von August Gloi-Hänsle »Was bringt uns der Kompetenzbegriff« zum Abdruck in diesem Band. Dem Autor dieser Zeilen ist kein anderer Artikel zum Thema Kompetenzorientierung bekannt, der das Absurde dieses Begriffes und seiner ubiquitären Anwendung derart pointiert und für jeden nachvollziehbar festhält. Bei Christian Rickens bedanke ich mich, der mir freundlicherweise den Titel zu diesem Buch aus seiner entsprechend lautenden Kolumne im »Manager Magazin« zur Nutzung überlassen hat.

Bei Konrad Liessmann, Andreas Gruschka, Julian Nida-Rümelin, Matthias Burchardt, Jochen Krautz, Ralf Lankau und meinen Kollegen vor allem aus dem Umfeld der Gesellschaft für Bildung und Wissen möchte ich mich an dieser Stelle für die anregenden Gespräche und Hinweise bedanken, von denen zahlreiche in diesem Buch Beachtung gefunden haben.

Last, but not least danke ich meinem langjährigen Weggefährten Gerd Kohler, ohne den die Streifenhörnchen niemals zu einem derartigen Bekanntheitsgrad aufgestiegen wären.

Im August 2016

Hans Peter Klein

Vom Streifenhörnchen zum Nadelstreifen

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