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4.

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Ein Jahr danach fliegt Solveig mit ihrem Onkel Nakoma in das unabhängige Königreich Bhutan, das weit oben, im Himalaya Gebirge liegt. Diesmal geht es weniger um Heilungen, sondern man will dort mit Nakomas Pferden eine neue Züchtung für den blühenden Extremtourismus im Himalayagebirge beginnen.

Die Südamerikanische Hochlandrasse, manchmal auch Indian Ponys genannt, die sind für diese Bergregionen wie gemacht, und sie sind gut zu führen. Anders, als die wilden Pferde aus der Mongolei und viel besser als die Mulis.

Der König des kleinen Landes hatte mehrfach Vertreter nach Peru geschickt. Sie hatten sich von Nakoma die Pferde vorführen lassen. Sie waren in den Anden geritten, bis hoch auf die Gletscher der Sechstausender, dort, wo immer noch ewigen Schnee liegt, und wo die Luft sehr dünn wird, und sie waren beeindruckt gewesen. Solche Berge gibt es in Bhutan auch. Berge, wo kein Geländewagen mehr hinkommt, und wo ein normales Pferd versagt.

Sie waren bevollmächtigt zu handeln und sie hatten Nakoma bereits zwei Dutzend dieser Pferde abgekauft.

Nakoma hatte die erste Lieferung begleitet. Die Pferde hatten sich bewährt und das Königshaus hatte ein neues Zuchtprogramm beschlossen. Nakoma soll jetzt helfen, das Programm erfolgreich zu gestalten.

Nakoma war in die Mongolei und nach Kasachstan geflogen und er hatte dort noch zwei Dutzend Pferde erstanden, die für eine Kreuzung geeignet scheinen. Auch diese Pferde hatte er persönlich nach Bhutan gebracht.

Jetzt ist er mit Solveig unterwegs, um die ersten Zuchtversuche einzuleiten. Sie werden zwei Wochen da bleiben. So ist das geplant. Das Programm wird viel Geld kosten, aber es soll der Grundstock für eine himalayataugliche Pferderasse in extremen Höhen sein.

Sie sind in einem der Gästehäuser untergebracht, die es im Palast gibt und in der dritten Nacht spürt Solveig, dass etwas Ungewöhnliches geschieht.

Die Nacht ist angenehm kühl. Sie hat das Fenster offen gelassen und sie erwacht. Irgendetwas passiert gerade. Sie springt mit ihren Kräften lautlos aus dem Bett und stellt sich ins Dunkel.

Dann spürt sie, wie zwei Augen ins Zimmer blicken, und weil es absolut ruhig ist, schwingen sich zwei Beine ins Zimmer und der Mann sucht sofort Deckung.

Solveig ist schon hinter ihm. Sie schickt ihm einen Bannstrahl, schaltet ihr Energiefeld ein, das den Raum matt erleuchtet und dreht den Mann um. Er ist schwarz gekleidet und trägt ein Schwert auf dem Rücken. Das Gesicht ist verhüllt.

Solveig blickt den Mann stirnrunzelnd an. Dann kriecht sie in seinen Kopf.

Sie tritt einen Schritt zurück, hebt den Bann auf und fragt ihn in ihrer Weltsprache. „Ich sehe, dass du nicht gekommen bist, um mich zu töten. Was willst du?“

Der Mann erwacht, wie aus einer Starre. Er neigt den Kopf, und fragt leise, fast flüsternd „Bist du die Frau mit dem Ring der Königinnen?“

„Der Ring der Königinnen?“

Der Mann nickt. „Der Ring, der aus dem alten Kasachstan stammt.“

Solveig nickt. Sie hält ihm ihre Hand hin und der Mann fasst die Hand und befühlt den Ring. Dann geht er vor Solveig auf die Knie.

Er senkt den Kopf, legt ihn dreimal auf den Boden und küsste ihr die Füße.

„Wir brauchen dich, Herrscherin. Mein Vater schickt mich. Ich möchte fragen, ob du mich für ein paar Tage begleiten willst. Ich habe gehört, dass du von deinem Onkel begleitet wirst. Sage ihm, dass du für ein paar Tage verreist, aber wecke niemanden sonst im Palast auf. Bitte“, fügt er hinzu.

Solveig bückt sich, hilft dem Mann hoch und sieht ihm in die Augen.

„Also gut. Warte einen Moment.“

Dann ist Solveig auf einmal verschwunden. Sie löst sich vor dem Mann in Luft auf. Fünf Minuten später ist sie wieder da, genauso wie sie verschwunden war, aus dem Nichts. Der Mann ist geschockt. Von solchen Kräften hatte er keine Ahnung gehabt.

Solveig hat keine Scham. Sie zieht sich ein paar feste Sachen an. Sie achtet darauf, dass die Kleidung genauso dunkel ist, wie die des Mannes und sie verhüllt ihr Gesicht mit einem schwarzen Seidenschal. Dann nimmt sie eine Umhängetasche und stopft ein paar Dinge hinein. Der Mann kann nicht sehen, was es ist.

„Lass uns gehen“, meint Solveig. Der Mann hält den Finger an den Mund und klettert aus dem Fenster. Solveig folgt ihm.

Es ist, wie eine Flucht. Der Mann hält sich immer im Schatten. Er ist lautlos, wie eine Katze, und er ist sehr schnell.

Sie müssen einige Mauern überklettern. Sie müssen über einige Dächer laufen, und sie kriechen durch Büsche.

Eine halbe Stunde später bleibt der Mann stehen und stößt den Schrei eines Vogels aus. Er wartet und in einiger Entfernung wird der Schrei erwidert.

Er hält wieder den Finger an den Mund und schleicht vorwärts.

Sie werden von fünf Männern und sieben Pferden erwartet. Der Mann flüstert. „Wir haben keine Zeit. Los jetzt.“

Sie führen die Pferde von Hand und halten ihnen die Nüstern zu. Solveig hört keine Hufe. Offenbar waren die Füße der Pferde mit Lumpen umwickelt.

Irgendwann hält der Mann an. „Dort unten, die Brücke. Wir müssen hinüber, aber sie ist immer bewacht. Der Fluss ist tief. Da kommen wir nicht rüber, ohne Lebensgefahr. Auf dem Hinweg haben wir einen viel längeren Weg nehmen müssen, jetzt drängt die Zeit. Einer von uns muss sich opfern und die Männer ablenken“, flüstert er.

„Warte“, sagt Solveig. Ihre Augen hatten sich längst an die Dunkelheit gewöhnt. Sie sieht dort Panzerwagen und Schwerbewaffnete. „Wieviele sind es?“ „Meist acht bis fünfzehn Mann. Ein Teil ist im Haus, ein Teil wird unter Büschen stehen, um die Brücke zu sichern.“

Solveig nickt, dann geht sie ein paar Schritte von den Männern weg. Sie schickt Energiestrahlen auf die Brücke, auf das Haus und auf die gepanzerten Fahrzeuge. Den Männern hinter ihrem Rücken stehen die Haare zu Berge.

Dann dreht sich Solveig um. „Kommt. Es gibt keine Gefahr mehr. Na los doch!!! Wir können nicht ewig warten.“

Sie führen die Pferde hinunter. Die Wachen stehen, wie erstarrte Salzsäulen. Einer der Männer geht zu einer der Wachen und macht mit der Hand eine Bewegung vor den Augen. Diese Augen sind starr und leblos. Er ist verblüfft, dann eilt er den Freunden nach.

Sie gehen auf der anderen Seite die Straße hinauf, bis sie zu einem Abzweig kommen, dann dreht sich Solveig um und löst den Bann. Auch sie hält jetzt den Finger an die Lippen. „Los jetzt.“

Sie gehen zwischen die Büsche, sie folgen dem Trampelpfad, der steil bergauf führt. Sie überqueren die Kuppe und setzen ihren Weg fort. Eine Stunde später meint einer der Männer. „Reiten wir.“

Sie nehmen den Pferden die Lumpen von den Füssen, stecken sie in eine der Satteltaschen, schwingen sich auf die Pferde und schnalzen mit der Zunge. Es ist unter den Bäumen stockdunkel, aber die Männer reiten wie die Teufel.

Das geht zwei Tage so. Mehre Male steigen sie ab und binden den Pferden die Lumpen wieder um die Füße, dann sagt der Anführer. Ab jetzt können wir die Pferde laufen lassen. Laufen lassen... Die Männer hetzen die armen Pferde fast zu Tode.

Solveig hat keine Ahnung wo sie ist. Aber bei diesem Höllentempo hatten sie sicher schon zweihundert Kilometer zurückgelegt, vielleicht dreihundert oder vierhundert oder noch mehr.

Sie kommen schließlich an einen Fluss und der Anführer ruft wieder den Ruf des Vogels. Dann wird auf der andern Seite ein Lichtzeichen gegeben.

Sie treiben die Pferde in den Fluss, lassen die Pferde eine Weile schwimmen und steuern dann ein flaches Ufer an, wo sie den Fluss verlassen. Solveig bemerkt, dass sie in den nächsten Stunden von vielen Augenpaaren begleitet werden.

Dann erreichen sie eine Art Dorf. Naja. Das ist wohl ein sehr geheimes Dorf. Jedes Gebäude ist durch Zweige und Bäume getarnt, und Solveig riecht den Geruch des Todes.

Die Männer rufen den Ruf des Vogels, dann tritt einer der Bewohner vor die Tür. Solveig erschrickt.

„Wartet“, befiehlt sie, „kein Körperkontakt.“ Sie baut ihr Energiefeld um sich und geht auf den Mann zu.

Die Symptome sind eindeutig. Diese Menschen sind an der Ruhr erkrankt. Wahrscheinlich sind schon einige gestorben. Sie schaltet das Feuer eine Stufe höher und fragt den Mann. „Ich sehe, du brauchst meine Hilfe. Sag mir mehr.“

Der Mann wirft sich auf die Knie. „Schluss damit“, befiehlt Solveig. „Ich will Antworten.“

Der Mann beginnt stockend zu erzählen. Ja, etwa 60 Männer seien schon gestorben. Es gibt aber auch Frauen und Kinder in dem Dorf. Viele sind bereits tot. Die Männer wissen nicht, was zu tun sei.

Solveig dreht sich zu ihren Begleitern um. „Kein Körperkontakt. Sammelt alles was ihr habt an Bottichen. Kocht die Kleidung aus, aber fasst sie nur mit Stöcken an. Kocht die Bettlaken und Handtücher aus. Kocht das Trinkwasser ab. Stellt Zelte auf. Die Menschen müssen aus den Häusern raus. Gibt es genug zu essen? Gibt es irgendwo Toiletten? Fasst die Kranken nicht an. Sie sollen sich selbst in die Zelte schleppen. Stellt ihnen saubere Schüsseln mit abgekochtem Wasser vor die Zelte. Sie sollen versuchen, sich zu waschen. Frauen, Männer, Kinder. Kocht das Waschwasser ab, und auch ein zweites Mal, bevor ihr es wegschüttet. Keiner der noch Gesunden fasst die Kranken an. Kein Kontakt mit Speichel und Exkrementen. Ich will hier Sauberkeit, soweit das möglich ist. Jetzt bringt mir einige der Kranken aus dem Haus. Ich will sie mir ansehen, aber ich fasse sie nicht an.“

Ihre Befehle werden unmittelbar umgesetzt. Sie sieht sich die Kranken aus einiger Entfernung an, dann sagt sie. Ich muss noch mal weg. In zwei oder drei Stunden bin ich wieder da. Befolgt meine Befehle. Tut alles, was ich gesagt habe.“ Dann ist Solveig auf einmal verschwunden.

Vier Stunden später ist sie wieder da. Sie wird begleitet von zwei ihrer Cousinen und sie tragen große Rucksäcke. „Das sind Maria und Lara“, erklärt Solveig. "Mehr müsst ihr jetzt nicht wissen." Sie sehen nach den Bottichen und den Zelten. Sie haben sterile Handschuhe und einen Mundschutz dabei und sie werfen jetzt verschiedene Blüten, Beeren und Blätter ins Wasser. „Jeder trinkt das jetzt“, befiehlt Solveig, „egal wie schwach er ist. Der Tee wird mit einer Kelle geschöpft, die keiner der Kranken je anfasst. Merkt euch das. Ihr trinkt jeden Tag mindestens fünf Liter, bis euch diese Flüssigkeit zu den Ohren rauskommt. Gesunde und Kranke. Jeder benutzt seinen eigenen Becher. Niemand fasst den Becher eines anderen an.“

Maria packt einen der Rucksäcke aus. Da sind verschiedenfarbige Plastikbecher drin. „Achtet darauf. Vertauscht die Becher nicht. Wir werden sie später verbrennen. Wenn wir mehr davon brauchen, dann werden wir sie besorgen.“

Dann ziehen sich Solveig und Lara um. Sie beginnen die Kranken zu untersuchen. Es sind einige schwangere Mütter dabei. Viele der Kranken sind in einem katastrophal schlechten Zustand.

Sie bleiben insgesamt drei Wochen, und inzwischen wissen sie, dass sie irgendwo im Grenzgebiet zwischen Bhutan, Bangladesh und China sind. Wo genau, das weiß Solveig nicht.

Immer wieder kommen neue Männer ins Dorf, andere gehen. Solveig hatte schnell herausgefunden, was da geschieht. Diese Menschen leben vom Anbau von Mohn und von der Veredelung von Heroin.

Sie bauen das nicht selbst an. Dafür haben sie Leute. Sie organisieren diese Geschäfte, sie überwachen sie und sie transportieren die Ware. Es ist eine gut organisierte und gut bewaffnete Truppe.

Solveig hatte sich mit ihren Cousinen kurzgeschlossen. „Wir helfen, aber wir mischen uns in die Geschäfte nicht ein. Wir verhindern nichts und wir begünstigen nichts.“

Maria springt in dieser Zeit mehrfach nach Peru und kommt mit einem vollen Rucksack wieder.

Sie benutzen keine chemischen Medikamente. Sie wissen, wie man das Problem anders löst. Tatsächlich sterben noch einige Menschen. Nach etwa zehn Tagen tritt eine langsame Besserung ein. Nach drei Wochen scheint das Gröbste geschafft.

„Wir haben noch andere Aufgaben“, sagt Solveig. „Eine von uns wird hier bleiben. Wir wechseln uns ab, und wir sind in den nächsten vier bis sechs Wochen da, bis alle, die jetzt noch im Busch sind, sich zurückgemeldet haben, und bis die Krankheit endlich ausgerottet ist.“

Der Anführer der Truppe fällt vor Solveig auf die Knie. Er küsst ihr die Hand, an der sie den Siegelring trägt und nennt sie seine Königin.

Solveig weiß längst, dass sie der Frau und dem Kind des Mannes das Leben gerettet hatte.

„Ich möchte mit dir reden“, sagt sie, dann fordert sie ihn auf, sich mit ihr alleine zu setzen. „Erzähl mir von deiner Organisation.“

„Das solltest du eigentlich nicht wissen“ sagt der Mann, „aber du hast uns allen das Leben gerettet.“ Er schweigt einen Moment. „Viele Menschen in unseren Bergen können nur leben, weil sie Mohn anbauen und verarbeiten. Es spielt keine Rolle, in welchem Land sie leben. Es ist hier überall so, von Usbekistan bis hinunter nach Laos. In vielen Staaten der Umgebung gibt es Militärregierungen. Ein Anbau von Mais, Reis und anderen Dingen macht uns nicht satt. Die Weltmarktpreise sind so, dass wir verhungern würden. Die Abgaben an den Staat sind mörderisch hoch. Die Beamten und Militärs wollen bestochen werden. Was sollen wir also tun? Wir sind in den Busch gegangen. Nicht nur die Kämpfer, sondern ganze Dörfer von Bauern. Wir leben illegal und es gibt viele von uns. Hier in unserem Land und in vielen Nachbarländern. Es gibt einige gute Transportfirmen, das Geschäft floriert, und wir haben Freunde, die uns unterstützen.“

Er zuckt mit den Schultern. „Mir wäre es egal. Ich würde die Bauern auch Reis anbauen lassen, aber es geht nicht. So leben wir im Verborgenen. Wir wehren uns. Wir kämpfen gegen die Militärs. Wir machen uns unsichtbar, wie in China, in Burma, in Nepal, in Bangladesh, in Laos und in Sikkim. Selbst im Norden Thailands und in einigen wenigen Gebieten in Nord-Vietnam. Wenn es brenzlig wird, dann überschreiten wir die Landesgrenzen und suchen den Schutz von Freunden, bevor wir zurückkehren, und unsere Geschäfte wieder aufnehmen. Manchmal sind unsere Felder und Dörfer dann vermint und wir müssen Suchgeräte einsetzen. Manche Dörfer mussten wir ganz aufgeben, weil es einfach zu gefährlich wurde, diese Regionen zu betreten. Diese Minen sind mörderisch. Manchmal sind die Felder auch von Militärs übernommen worden und sie lassen dort Bauern Sklavenarbeit verrichten. Auch viele dieser Generäle leben vom Mohnanbau. Dann müssen wir um unsere Felder kämpfen oder sie aufgeben und uns woanders einen neuen Schlupfwinkel suchen.“

Solveig nickt. So ist es immer. Manchmal sind es solche Rebellenarmeen, manchmal geschieht dieses Geschäft offen unter den Augen von Regierungsbeamten, die sich die Taschen mit Geld voll stopfen. Die Weltwirtschaft muss verändert werden, unter deren Bedingungen all das möglich ist. Die politischen Strukturen in der Welt müssen verändert werden. Solange der persönliche Reichtum und die persönliche Macht das Geschehen auf der Welt diktieren, solange ändert sich an diesem System nichts. Ihre Familie hat noch viel zu tun. Vielleicht würde dieser Rebell selbst einmal General in einer der Regierungen werden und die Seite wechseln. Wer weiß.“

Solveig seufzt. „Nun sage mir eins“, meint Solveig. „Woher wusstest du von diesem Ring?“

Der Anführer lächelt. „Das wissen inzwischen viele Menschen. Ich will dir einmal eine Geschichte erzählen. Einst waren die Kasachen ein stolzes Volk. Auch die Perser, die Kirgisen und viele andere Völker, die hier leben. Gegen die Hunnen kamen sie nicht an. Sie wurden einfach überrannt. Damals gab es im Reich der Kasachen eine Königinnenmutter, die als äußerst weise galt. Sie machte sich auf den Weg um den Hunnenkönig Attila zu suchen und sie fand ihn.

Sie schaffte es, dass sie vor ihm niederknien durfte, und dass er ihr zuhörte. Wir waren einmal ein stolzes und mächtiges Volk“, begann sie. Jetzt sind wir besiegt von deinen Kriegern. Wie geht es weiter? Dein Volk besteht aus Reitern, die durch die Steppen ziehen. Sie brauchen Vasallen, so wie unser Königshaus. Mein Mann denkt immer noch, er könne mit dem Säbel gegen euch gewinnen. Sie lachte höhnisch. Manche Männer sind dumm und eitel. Sie begreifen nicht, wenn der Wind sich dreht. Wenn du erlaubst, werde ich wieder die Königin meines Landes, dann werde ich dir auf deinem Weg folgen. Ich werde dir Männer und Frauen geben. Ich werde dir Abgaben geben, aber lass uns soviel, dass wir leben können. Der jetzige König und seine beiden Söhne sollen nicht deine Sorge sein. Dieses Problem werde ich lösen.“

„Attila hörte ihr zu und dann nickte er. Wenn du das schaffst, dann setze ich dich als meinen Verwalter ein.“

„Drei Tage später war der König der Kasachen tot und auch die beiden Enkel der Königin. Sie wurde als neue Königin eingesetzt und diente dem Hunnenkönig als Vasall. Sie gab dem Hunnenkönig Männer für seinen Krieg und Frauen, die mit den Männern des Hunnenkönigs Kinder gebären, als Zeichen ihrer Unterwerfung. Du denkst vielleicht, wie schändlich und ehrlos. Sie hat ihren eigenen Sohn umgebracht und ihr Volk verraten, aber die Frau war taktisch klug. Sie redete mit den Anführern, die sie dem Hunnenkönig gab, und sie bat sie, sich den Kampfstil genau einzuprägen und am Leben zu bleiben. Sie selbst sorgte dafür, dass nur soviel Abgaben erfolgten, dass niemand in ihrem Land verhungerte. Sie sorgte für neue Kinder und sie waren das erste Land, das sich erfolgreich gegen die Söhne des Attila zur Wehr setzten. Sie wurden wieder ein freies Königreich. Das erlebte die Königin aber nicht mehr. Damals erhielt sie von Attila einen Ring, als Zeichen ihres Bündnisses. Es ist dieser Ring, den du jetzt an deinem Finger trägst. Nun, nicht nur du, es gibt noch ein paar andere, die würdig sind, diesen Ring zu tragen. Wir sind ein Geheimbund, und wir helfen uns gegenseitig, wenn wir in Not sind. Wir alle wünschen, uns irgendwann einmal zu erheben und diese Regierungen abzuschütteln, die unsere Völker unterjochen. Hier bei uns, und in vielen anderen Ländern. Das Heroin liefert uns die nötigen Mittel, um Truppen auszubilden und um Waffen zu kaufen. Wir wollen in Freiheit leben. Wir wissen nicht was kommt. Vielleicht gibt es sogar einen friedlichen Weg, aber wie der aussehen könnte, das weiß ich nicht. Egal wo du hinkommst, nach Persien, Armenien oder in einige Provinzen von China, überall wirst du unsere weitverzweigte Bruderschaft finden. Nicht alle sind Muslime, so wie wir. Es gibt Christen und Hindus, die sich mit uns verbündet haben. Wir wissen auch von den Programmen, die dein Großvater ins Leben gerufen hat. Wir wissen von der Bank für Kleinkredite. Wir wissen von den Stelzenhäusern. Wir wissen von Solarkraftwerken und Windrädern, die das Leben in vielen Regionen erst lebenswert gemacht haben. Wir wissen, dass deine Organisation kostenlos Saatgut verteilt hat und Brunnen gebaut hat. Wir wissen, dass ihr Regenwasser aufsammelt und es in Zisternen leitet. Wir wissen auch, mit welchem Widerstand manche Regierungen solchen Programmen begegnet sind und dass ihr sie überzeugt habt. Wir wissen davon, was ihr in der UNO und der UNESCO bewegt, in der WHO und in anderen Weltorganisationen.“

Er seufzt. „Es ist ein sehr langer und steiniger Weg in die Freiheit. Dein Großvater geht ihn seit vielen Jahrzehnten. Du sollst wissen, dass ihr in unseren Herzen lebt. Ihr seid uns ein Vorbild, aber wir konnten euren Weg bisher nicht gehen. Wir müssen unseren eigenen Weg finden. Wir produzieren Heroin. Wir wissen, dass eure Familie dagegen ankämpft, weil wir viele Menschen in euren Ländern damit krank machen, aber nicht wir sind es, welche die Welt in Unordnung gebracht haben. Einige von uns, die tun das, gewiss.

Aber auch wir brauchen mächtige Verbündete. Auf dieser Welt gibt es viel Licht und viel Schatten.“

Dann blickt er Solveig direkt an. „Jetzt weist du vielleicht, warum gerade du diesen Ring trägst. Nicht nur, weil du damals das Leben des Kindes gerettet hast, sondern, weil du als Mitglied deines Clans ein wichtiges Verbindungsglied zu unserer Welt bist. Es wird die Zeit kommen, wo wir uns einmal gegenseitig brauchen werden.“

Dann schweigt er lange und blickt sie sinnend an.

„Ich habe gesehen, dass du verschwinden kannst und dass du woanders wieder auftauchen kannst. Das wird mein Geheimnis bleiben. Du weist jetzt, wo du mich finden kannst. Vielleicht werden uns die Militärs hier einmal auffinden und wir werden weiterziehen, aber über die Freunde in Kasachstan wirst du uns immer finden.“

Auch Solveig schweigt. Sie ist tief betroffen. Licht und Schatten liegen wirklich nah beieinander.

Dann fügt der Mann, der sich Gua Mare Li nennt hinzu, „du und deine Familie… Ihr seid hierher gekommen, ohne lang zu fragen. Ihr habt uns das Leben gerettet. Wahrscheinlich wären wir hier alle krepiert. Wir hätten nicht einmal zu einem öffentlichen Krankenhaus gehen können, weil das unser Tod gewesen wäre. Ihr habt gearbeitet, bis zum Umfallen, und ihr habt euch selbst der Gefahr der Ansteckung ausgesetzt. Du weist, dass du immer auf uns zählen kannst?“

Er zieht einen Beutel aus der Tasche. „Wir haben Verbindungen in die Stadt. Wir haben Konten. Wir könnten dir Geld überweisen, aber unsere Existenz ist geheim. Du wirst keine nachvollziehbare Verbindung zu uns wünschen, nicht jetzt. Nicht unter diesen Umständen. Wenn du einverstanden bist, dann nimm diesen Beutel. Er macht ihn auf, greift hinein und holt einen kleinen glitzernden Gegenstand heraus. Es sind ungeschliffene Rohdiamanten, klar und rein, und er legt ihn in die Handfläche von Solveig. „Der Beutel ist voll davon. Nimm das, als Zeichen unserer Dankbarkeit. Sei dir sicher, dass du jederzeit auf uns zählen kannst, wenn du uns einmal brauchst.“

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