Читать книгу Die wilden Zeiten der Théra P. - Hans-Peter Vogt - Страница 7
ОглавлениеKapitel 3. Im Schutz der Haremsfrauen
1.
Mitte Januar nahmen sich Théra und Clara in der Schule frei und sie flogen mit ihrem großen Bruder Para nach Dubai.
Wieder erfuhr Théra, wie weise dieser Emir war.
Bei der Begrüßung umschloß der Emir Théras kleine Hände mit seinen großen kräftigen Männerhänden und er seufzte, „ich glaube, dieses Mal brauchst du meine Hilfe.“
Seine Söhne hatten im Umgang mit den Pferden durch Théras Unterricht einen ganz neuen Stil entwickelt. Sie waren lockerer und souveräner. Sie achteten die Tiere mehr als vorher, und sie konnten auch den Menschen viel besser zuhören. Ihr Urteil war klarer und gereifter. All das waren Eigenschaften, die einen arabischen Herrscher auszeichnen. Der Emir war ein Mann von Ehre. Er würde Théra seine Hilfe gerne gewähren.
Dann hatte er nach seiner Lieblingsfrau geschickt und sie gebeten, sich um Théra zu kümmern. Sollten Clara und Para dieses Mal die Pferde und die Jungens übernehmen. Théra hatte sich seine Fürsorge verdient. Seine Frauen sollten einmal ganz für Théra da sein.
2.
Théra wurde im Harem des Emirs stürmisch und begeistert aufgenommen. Die gleichaltrigen Mädchen hatten sich durch Théras Vermittlung auf verbotenes Terrain vorwagen dürfen. Sie waren in die Männerdomaine eingebrochen, und sie hatten begonnen, die ausgemusterten Pferde zu pflegen und zu reiten, die aus irgendwelchen Gründen nicht in das ästhetische Zuchtprogramm passten. Mal gab es eine Blässe, die da nicht hingehörte, mal waren die Beine zu kurz oder das Fell ungleichmäßig. Sie wären unter normalen Umständen zum Schlachter geschickt worden, aber es waren gute Pferde. Théra hatte damals dafür gesorgt, dass diese Tiere unter dem Schutz der Mädchen leben durften.
Die Mädchen hatten dabei nie ihre traditionellen Pflichten vernachlässigt, oder gar vergessen, und die Mädchen waren durch diese neue Aufgabe innerlich „gewachsen“. Sie hatten Verantwortung übernommen, und sie waren selbstbewusst und stolz geworden, ohne die Demut und die Dankbarkeit zu verlieren, die Teil ihrer Erziehung war.
Die Rolle der Frau im Clan des Herrschers war die einer unsichtbaren Fee. Viele dieser Frauen hatten angesehene Berufe. Sie waren diplomierte Übersetzerinnen, studierte Ökonome und Anwältinnen. Sie waren in dem Clan des Herrschers dennoch unsichtbar. Sie lenkten viele Geschicke des Landes, aber sie hielten sich an die Traditionen.
Einige der Mädchen hatten also jetzt die Männerdomaine des Reitens für sich entdeckt. Sie fühlten sich glücklich und das war allein Théras Verdienst.
Es war kein Wunder, dass Théra aufgenommen wurde, wie in eine grosse Familie.
Théra und die Mädchen pflegten die aus der Zucht ausgemusterten Pferde. Sie wagten auch, in den frühen Morgenstunden weit hinaus in die Wüste zu reiten, und sich nach dem Sternenhimmel zu orientieren. Sie waren völlig allein. Nun ja, so gut wie. In einiger Entfernung folgten ihnen stets einige besonders ausgesuchte Beduinen, alles geschickte Reiter und unsichtbar wie Schatten, um über die Mädchen zu wachen. Der Emir liebte seine Mädchen viel zu sehr, um sie einer Gefahr auszusetzen, und er ließ sie keinen Moment aus den Augen.
Dennoch war für Théra in diesem Monat alles anders als früher. Théra hatte ihre Rolle als Lehrerin der Mädchen abgelegt. Es war eher so, dass sie jetzt von den Mädchen gestützt und umsorgt wurde, und sie war froh, dass sie nur von den Mädchen und den Frauen umgeben war, ganz ohne Männer.
In den heissen Tagesstunden wurde gebadet. Sie pflegten sich gegenseitig. Sie kämmten und flochten sich die Haare. Die Mädchen berührten Théras Körper, anfangs eher wie zufällig, später wurden die Berührungen gezielter. Sie streichelten und stimulierten Théra, die nach anfänglicher Scheu langsam anfing, diese Berührungen zu genießen.
Zwischen den verschiedenen Badegängen wurde immer wieder gelernt, getanzt und gesungen. Théra lernte sich zu bewegen. Sie lernte den Klang der fremden Instrumente kennen, und sie genoß es, sich im Takt zu drehen und die langen Gewänder und Seidenschals schwingen zu lassen. Das war ganz anders, als alles, was sie bisher an Musik und Tanz gesehen und gehört hatte.
Kein Mann hatte Zutritt zu diesem Harem. Es gab keine neugierigen Blicke. Die Frauen blieben unter sich. Es war traditionell, rhytmisch und melodisch. Die Frauen sangen über Themen, die sie nie einem Mann genannt hätten, sie lachten viel, und sie sangen auch über Themen, die für die Stimulation des Mannes gedacht waren. Es gab viele Facetten dieses Gesanges und des Tanzes. Théra war fasziniert.
Sie begriff schnell, dass die Mädchen Unterricht in Liebe erhielten. Sie lernten, was Männer mögen.
Darüber wurde im Harem ganz offen gesprochen. Jede der Frauen beherrschte ein breites Instrumentarium der Liebe, aber es war nicht jeder Frau vergönnt, die erste Frau des Herrschers zu sein. Darüber entschieden seltame Mechanismen und Launen. Manchmal wechselte das. Jede der Frauen wollte dieses Privileg verständlicherweise für sich beanspruchen, doch darüber entschieden der Emir und die anderen Ehemänner und auch das Geschick der Frauen. Manchmal entschied nur die Geburt eines männlichen Erben über die Rolle der Frau.
Obwohl die Frauen alle gebildet waren, so lebten sie alle in diesem System und erzogen auch ihre Mädchen in diesen Gedanken.
Die Sache mit dem Reiten änderte bei den Mädchen nichts an diesem System. Ein Bruch der Tradition wäre nicht hingenommen worden. Die Frauen achteten genauso streng auf die Respektierung ihrer Welt, wie die Männer.
3.
Théras Freundin Leyla war gerade 16 geworden. Sie würde im Sommer den Sohn des Emirs von Masquat heiraten, am Golf von Oman. Die Heirat war schon lange geplant. Schon mit sechs Jahren war Leyla versprochen worden. Es war ein großes und freudiges Ereignis, aber es war auch ein politisches Arrangement. Gesehen hatte Leyla ihren Bräutigam bisher nur aus der Ferne, bei Pferderennen oder bei anderen festlichen Anlässen. Der Bräutigam kannte sie nur verschleiert und hatte noch nicht mal ein Bild von ihr.
Als Théra das hörte, war sie ziemlich schockiert. Hier gehörte es zur Kultur des Landes. Als sie Leyla darauf ansprach, hatte Leyla gelacht und genickt. Es war ihre Pflicht, ihren Mann zu lieben und ihn die Liebe zu ihr zu lehren. Es war ihre Aufgabe, zu ihrem Mann zu stehen. Es spielte keine Rolle, ob sie sich körperlich gefielen. Wenn sie das richtig machte, dann konnte sie von ihrem Mann alles erbitten. Dann konnte sie die erste Frau des zukünftigen Herrschers sein, und hinter ihrem Mann die Geschicke des Landes lenken. Dazu gehörten Diplomatie, Aufopferung und Geschick. Liebe würde dann von selbst kommen - oder auch nicht. Das lag an ihr.
Leyla, die durch Théra das Reiten gelernt hatte, lud Théra zu dieser Hochzeit ein. Aber zunächst sollte Théra ihr bei den Hochzeitsvorbereitungen ein wenig helfen. Leyla zwinkerte Théra zu. „Du kannst viel lernen“, versprach sie.
Es war eine völlig andere Kultur und Théra war bereit, zu lernen.
Noch in diesem Monat würde ein großes Ereignis stattfinden. Ein Pferderennen, zu dem viele Gäste aus der arabischen Welt erwartet wurden. Die Frauen würden Théra mitnehmen.
4.
Während sich Clara und Para um die Heilung der Pferde kümmerten, lebte sich Théra langsam im Harem ein. Sie bekam es gar nicht mit, dass Para nach vier Tagen die Stadt verließ, um all die anderen Herrscher aufzusuchen. In den Emiraten, in Kuweit, in Saudi Arabien und Lybien. Sogar bis Marokko und Algerien führte ihn diese Tour.
Es waren Länder darunter, in die er Clara nicht mitnehmen konnte. Man hätte seine Autorität als Mann in Frage gestellt. Andere Länder waren dabei, da hätte er Clara gern mitgenommen, aber in diesem Januar musste Clara in Dubai bleiben. Die Rücksicht auf Théra gebot das.
Clara hatte indes viel zu tun. Sie trainierte die Jungs, obwohl nicht mehr so viel zu trainieren war wie früher, denn die Jungs machten das inzwischen richtig gut. Sie veränderte den Schwerpunkt des Lernens.
Clara zeigte ihnen, wie sich auf ihren Pferden noch leichter machen konnten und die Pferde ohne Peitsche und nur durch Zurufe und Korrekturen durch die Fersen noch besser dirigieren konnten. Sie übten auf dem hauseigenen Rennparcours, und sie stoppten die Zeiten.
Durch das Training gelang es in den nächsten 10 Tagen, die Zeiten um fast zwei Sekunden schneller zu machen, während die Pferde gleichzeitig geschont wurden und am Ende des Rennens immer noch fit und frisch schienen.
Eine Sekunde ist nicht viel, aber in dem rasend schnellen Tempo über die Zweimeilendistanz konnten das auf der Zielgeraden ein bis zwei Perdelängen sein. Zwei entscheidende Sekunden hatten die Jungs, um das Rennen für sich zu gewinnen.
Der Emir stand manchmal dabei und auch er ließ sich die gestoppten Zeiten zeigen. Er nickte anerkennend. Was er sah (und was langsam auch den Jungs des Emirs ins Bewusstsein trat), das war, dass sie auf den Pferden eine andere Haltung bekommen hatten. Offener, fast schon lässig leicht und doch angespannt und konzentriert.
„Nicht zu lässig leicht“, warnte er seine Jungs. „Behaltet immer den höchsten Spannungsbogen bei, aber überspannt den Bogen nicht. Ihr wollt schließlich ein Rennen gewinnen.“ Clara nickte bei diesen Worten. Genau das hatte sie den Jungs auch sagen wollen. Dieser Emir war wirklich ausserordentlich.
Dieses Rennen würde schon bald den ganzen Tag der nordafrikanischen Eliten ausfüllen. Sie würden alle zusammen nach Riad fliegen, dort fand jährlich einmal das größte Derby des Kontinents statt. Es war ein Fest der Ölmilliardäre. Alle, die Rang und Namen hatten, würden kommen, und sie würden ihre zahlreichen Onkel, Söhne, Neffen, Frauen und Nichten mitbringen, die sie für würdig erachteten, an diesem grandiosen Spektakel teilzunehmen.
Die Prämien waren gigantisch. Trotzdem traute sich kein europäischer Züchter an dieses Rennen heran. Züchter aus nichtarabischen Ländern wären auch gar nicht zugelassen worden. Überdies war die Hitze zu groß, die Araberpferde zu schnell, die Regeln rabiat, und die Söhne der Emire und Scheichs konnten es mit jedem Spitzenjockey aufnehmen. Manchmal winkte dem Gewinner auch eine besondere Prämie: die ein oder andere Tochter eines der Emire. Eine königliche Mitgift war selbstverständlich.
Die Preisgaben waren keine „normalen“ Töchter. Es waren Mädchen, die wegen ihrer besonderen Schönheit und Sanftmut gerühmt wurden. Mädchen, die keiner der Männer je gesehen hatte, außer tief verschleiert. Natürlich gab es Tricks. Manchmal zeigten die Mädchen - wie durch einen Zufall der Bewegung - einen kleinen Teil ihrer schlanken Fesseln. Unter den weiten Gewändern zeichneten sich manchmal die grazilen Bewegungen ab. Manchmal die leichte Wölbung des Busens oder der Schulter. Manchmal - wie konnte das nur geschehen - verrutschte der Schleier ein wenig. Ein ganz klein wenig nur, aber doch so, das man eine Schläfe oder eine Augenbraue sehen konnte oder sogar - welch ein Glück - einen kurzen Augenblick lang in die tiefbraunen Augen blicken konnte, bevor der Schleier von der grazilen Hand hastig wieder vorgezogen wurde. Nur die Frauen wussten um die Schönheit der Mädchen und sie strickten eifrig an Legenden, die sie über den Kontinent verbreiteten. So wurden Ehen gestiftet und Frieden untereinander gehalten. Nicht in allen Ländern gelang das, aber in den ölreichen Regionen Nordafrikas und der Sinaihalbinsel, da funktionierte das.
Davon wusste Clara nichts. Clara hatte andere Aufgaben. Théra hingegen wurde in diese kleinen Tricks eingeweiht. Es sind manchmal nur die Kleinigkeiten, die einen Mann zum Rasen bringen können, wurde ihr erklärt. Anders, als bei den europäischen Frauen. Dort - so war man sich sicher - fehlte jede Spannung und jeder Anstand. Théra und Clara wurde es indes hochangerechnet, dass sie stets auf das klassische Ritual geachtet hatten. Sie waren zwar nicht verschleiert, aber sie waren in Gegenwart der Männer immer verhüllt und sittlich gekleidet, und sie waren äußerst höflich. Das entsprach ganz der Sitte und dem Anstand der Araber.
In den Mittagspausen ruhte Clara ein wenig und genoss es, mit Théra und den Mädchen zu baden. Sie sah Théra also jeden Tag und Théra schlief ihr zuliebe in dem gemeinsamen Bett, das eher ein Matratzenlager war, voll mit weichen Kissen, und von einer Gaze umhüllt wurde, um die Mücken fernzuhalten.
Clara sah, dass die Mädchen des Emirs ihrer großen Schwester gut taten. Sie fühlte sich erleichtert. Es war eine gute Idee gewesen, Théra völlig zu entlasten und den Frauen des Harems zu überlassen. Clara hatte keine Ahnung, welchen Mächten sie Théra anvertraut hatte.
5.
Die Mädchen hatten in diesem Land als Jungfrau in die Ehe zu gehen, aber es gab durchaus einige Möglichkeiten, schon vor der Ehe Sex zu haben. Das war zwar verboten, es galt offiziell als unsittlich, doch es wurde bis zu einem gewissen Punkt geduldet, wenn es hinter hohen Mauern des Schweigens verborgen blieb. Küssen, Penetrieren und Schleier ablegen war strengstens verboten, aber warum sollten sich die Mädchen nicht schon vor der Ehe heimlich in der Liebe üben, um noch besser für die Ehe vorbereitet zu sein? Man musste nur aufpassen, dass nichts unsittliches passierte. Dann wäre der Ruf für immer dahin. Es gab strengreligiöse Länder, da wurden Mädchen für solche Dinge öffentlich aus der Gemeinschaft ausgestoßen und sogar zu Tode gesteinigt. Verbotene Dinge sind stets sehr gefährlich.
Es gab sogar Vorkommnisse, da wurden liebende Paare zueinander geführt und die Frauen erreichten schließlich, dass bereits bestehende Ehegelöbnisse der Partner gelöst wurden. Die Frauen hatten viel Macht, wenn sie listig und verschwiegen waren.
Das passierte nicht oft, doch hin und wieder passierte es. Die Frauen hatten da durchaus ihre Kontakte und Mittel, um so etwas in die Wege zu leiten.
Sie sahen Théras Nöte und sie besprachen sich heimlich. Théra stammte nicht aus ihrem Harem. Sie war nicht Teil ihrer Adelsfamilie. Sie stammte nicht einmal aus diesem Land. Da konnte man durchaus etwas lockere Regeln anwenden. Théra war eine Freundin und sie brauchte Hilfe.
Wenn sie da etwas einfädeln würden, dann durfte Théras Ruf auf keinen Fall leiden. Sie musste unerkannt bleiben und sie brauchte den absoluten Schutz der Gruppe. Nie durfte das Gerücht aufkommen, dass vielleicht sogar Leyla dieses Angebot gesucht hätte, um sich für die Ehe besser zu rüsten. Dann wäre die Heirat mit dem Sohn des Emirs von Masquat Vergangenheit.
Die Frauen des Harems waren erfahren in Intrigen und Schachzügen. Überall dort, wo die Regeln sehr streng sind, blühen die unerlaubten Dinge im Verborgenen. Die Frauen des Harems standen in einer Jahrtausende alten Tradition der Kenntnis verbotener Dinge. Sie hatten Königreiche kommen und gehen sehen. Sie hatten Ehen gestiftet, sie hatten fremde Heerführer bestochen und Ehemänner vergiftet. Sie hatten ihre Verbindungen. Sie reichten sogar bis nach Südafrika und nach Indonesien. Théra würde nie alleine sein. Sie würde stets Schutz haben, doch eine Verbindung zum Hof würde nie hergestellt werden können. Nichts würde herauskommen. Die Frauen, die Théra zur Sicherheit begleiten würden, hatte Théra nie gesehen und sie würde sie nie sehen. Niemand würde je ihre Gesichter kennen oder ihre Namen erfahren.
Auch Prostitution hatte es schon immer gegeben. Die Frauen des fürstlichen Harems hatten schon vielen Männern solche gewerblichen Liebhaberinnen vermittelt. Außerhalb und innerhalb des Palastes. Sie wussten, wo man solche Frauen findet, und wer von diesen Frauen „sauber und rein“ war. Diese Dinge blieben Geheimnisse der Frauen. Ihre bevorzugte Stellung am Hofe machte es ihnen leicht, Dinge zu tun, die anderen Frauen nicht möglich gewesen wären. Sie waren wirkliche Herrscherinnen. Sie traten nie öffentlich in Erscheinung. Sie waren Herrscherinnen der Nacht.
6.
Théra wurde langsam und vorsichtig auf dieses besondere Ereignis vorbereitet.
Dann kam der Tag, da wurde Théra gründlicher als sonst gebadet. Sie wurde mit wohlriechenden Seifen gewaschen und sie erhielt duftige Gewänder, über die später ein sittliches Übergewand gezogen werden würde. Sie würde am Nachmittag ruhen und abends noch einmal baden.
In dieser Nacht wurde sie von mehreren Frauen des Harems heimlich aus dem Haus gebracht. Es gab Hintertüren. Sie wurde einige Strassenzüge weiter geführt. Dort fanden sie eine leere Wohnung, in der zwei tief verschleierte Frauen warteten. Die Frauen des Harems verließen Théra, dann wurde ein geheimes Zeichen gegeben und Théra wurde von anderen Frauen abgeholt. Diese Zeremonie wurde noch zweimal wiederholt.
Schließlich wurde Théra in den Seitentrakt eines großes Hauses geführt. Die Frauen blieben dieses Mal bei ihr. Dann wurde eine Tür geöffnet.
7.
Es war ein saalartiger Raum. Es gab kostbare Teppiche, Kissen, Kerzen und viel gedämpftes Licht. In der Mitte gab es ein Podest mit einem riesigen Bett, um das Seidentücher von der Decke hingen, die sich in einem leichten Wind leise bewegten. Woher der Windhauch kam, war unklar.
Auf diesem Bett lag ein vielleicht 18-jähriger junger Mann in weisser Kleidung, das Gesicht unverhüllt. Théra kannte ihn nicht, aber er musste sehr reich sein, nach der wertvollen Einrichtung und den edlen Zügen des Gesichts zu schließen.
Die Frauen hatten sich beim Eintreten stumm verbeugt, dann verteilten sie sich und griffen nach verschiedenen Instrumenten, die - wie zufällig - im Raum standen. Sie begannen leise und melodisch zu singen und diesen Gesang mit Zimbeln, Glöckchen und verschiedenen Zupfinstrumenten zu begleiten. Es war wie eingeübt.
Zwei der Frauen geleiteten Théra in den offenen Raum. Sie begannen sich im Rhythmus des Gesanges zu bewegen und forderten Théra auf, es ihnen gleichzutun.
In dieser Nacht erlebte Théra zum ersten Mal die körperliche Liebe. Sie erlebte den Zauber, wenn Mann und Frau sich vorsichtig berühren. Der Junge war sehr geschickt und er entfachte in Théra ein Feuer nach Mehr. Sie empfand Lust und sie stöhnte, und sie spürte, dass auch der junge Mann Lust empfand.
Die Frauen waren immer dabei. Sie ließen Théra nie alleine, und bevor es zum Äußersten kam, wurde sie von den Frauen weggebracht. Nur zwei Frauen blieben da, und sie vollendeten, was Théra und der junge Mann begonnen hatten, aber davon bekam Théra nichts mehr mit.
8.
Als Théra in das Haus der Frauen zurückkam, wurde sie von einigen Frauen des Harems erwartetet. Die anderen Frauen zogen sich dezent zurück und jetzt waren die Frauen des Harems ganz für Théra da. Sie umsorgten sie, sie badeten sie und sie passten auf, dass Théra nicht in ein seelisches „Loch“ fiel. Später schliefen sie zusammen ein.
Als Théra am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sie noch das Feuer der Berührungen in sich. Ob das immer so sei, wollte sie wissen.
Es sollte immer so sein, wurde ihr geantwortet, aber es ist nicht immer so. Ihre Aufgabe wäre es, Liebe und Glück zu einer Einheit zu führen, zu etwas ganz Besonderem. Théra dachte lange nach. Ob sie dieses Feuer wohl noch einmal erleben dürfe?
Die Frauen wiegten die Köpfe und warteten ab. Sie blieben den ganzen Tag bei Théra in diesem fremden Haus. Später spürte Théra, dass Besuch kam, und dann teilten die Frauen Théra mit, der junge Prinz wolle sie gerne wiedersehen.
Théra erlebte ihre zweite Liebesnacht. Aber auch in dieser Nacht brachten die Frauen sie weg, bevor es zum Äußersten kam.
Théra wusste, dass dies eine rein körperliche Liebe war. Sie kannte den jungen Mann ja gar nicht. Sie kannte nur seinen Körper, seine Haut, seinen Geruch, seine Zartheit und den Willen, der sich hinter diesem athletisch gebauten Körper verbarg. Sie verstand auch, was er ihr ins Ohr flüsterte. Sie hatte sich geschmeichelt gefühlt. Sie hatte nicht einmal ihr Gesicht zeigen dürfen, aber sie brannnte jetzt nach dieser Berührung.
In der Folgenacht wurde Théra entjungfert. Obwohl der junge Prinz zart und vorsichtig war, tat das sehr weh. Es war ein krasser Gegensatz zu dem vorherigen Gefühl der Zartheit. Ohne die Wollust, in die sie sich gesteigert hatte, hätte sie das nie geduldet.
Der junge Prinz war voller Rücksicht. Er war geduldig und liebevoll. Er hielt sie in ihren Armen und Théra weinte ein bisschen. Später begann er sie erneut zu streicheln. Théra hatte an diesem Körper Gefallen gefunden. Als sie zum zweiten Mal zusammenkamen, tat es schon nicht mehr ganz so weh.
Sie bleib in dieser Nacht bei dem Prinzen. Am Morgen wachte sie auf, weil die zarte Hand des Prinzen auf ihrer Haut ruhte. Sie schliefen zum dritten Mal miteinander, und dieses Mal tat es gar nicht mehr weh. Sie spürte die Lust. Sie spürte die Erregung des Prinzen und sie schrien gemeinsam, als sie den Höhepunkt ihrer Lust erreichten. Sie lagen noch eine Weile zusammen und sie schlief wieder ein.
Als sie wieder aufwachte, lag sie alleine im Bett. Nur die Frauen waren da - wie die ganze Nacht zuvor. Sie waren wie Glucken und sie brachten sie in das Haus zurück. Sie wurde von den Frauen des Harems und einigen der Töchter des Emirs empfangen, die den ganzen Tag bei ihr blieben, mit ihr badeten und ihre Seele pflegten.
In der Nacht wurde sie unerkannt in den Palast zurückgeführt.
Clara wunderte sich. Théra war schließlich drei Tage weggewesen, aber Théra schwieg. Die offizielle Version war, dass sie einen Ausflug gemacht hatte. Im Palast war nichts durchgesickert. Die Frauen waren wirklich wahre Meister der Verstellung und der Nacht.
9.
Früh am Morgen wurde Théra geweckt. Es war die Zeit, wo sie sonst immer aufstand, um nach den Pferden zu sehen. Heute hatte sie keine Lust. Das Ereignis brannte in ihr. „Komm“, bettelten die Mädchen, „lass uns ein wenig hinausreiten in die Nacht. Es wird dir gut tun.“
Théra rappelte sich auf. Sie nahmen die Pferde aus der ausgemusterten Pferdeschar, wie immer, und ritten ohne Sattel hinaus in die Wüste.
Die Mädchen hatten recht. Das war es, was Théra jetzt brauchte. Die Kälte der Nacht, der Luftstrom, der sich immer beim Reiten entwickelt, die flatternden Gewänder und die lebendigen warmen Körper der Pferde zwischen ihren Schenkeln. Sie spürte diese Pferde plötzlich ganz anders. Sie spürte das Leben, das zwischen ihren Beinen entstanden war. Sie genoß das Lachen der Mädchen und die scherzhaften Spiele und Kämpfe, die sich entwickelten, wenn sie um die Wette ritten. Sie musste nicht die Beste sein. Sie wollte nur noch ein Teil dieser Gruppe sein. Diese Mädchen waren wunderbare Geschöpfe.
Die Frauen waren den ganzen Tag rührend um sie besorgt. Théra hatte die körperliche Liebe entdeckt. Das andere konnten ihr die Frauen auch nicht geben. „Das entwickelt sich von selbst“, sagten die Frauen. „dann, wenn du am wenigsten daran denkst. Wenn Mann und Frau zusammen sind, dann ist diese körperliche Liebe wichtig für die Seele, die Erfüllung der Liebe ist sie nicht. Darauf musst du warten. Übe dich in Geduld. Das kommt, wie die Regenwolke am Himmel. Urplötzlich.“
In Théras Heimat hätte man das nie so gesagt, aber in diesem heißen Wüstenstaat war eine Regenwolke etwas seltenes und kostbares. Théra wusste plötzlich, dass sie mit ihrem Vater über die Liebe sprechen musste.
10.
Am nächsten Tag war alles in Aufbruchstimmung. Ein Teil des Harems würde den Herrscher auf seiner Reise begleiten und diesem einzigartigen Wettkampf beiwohnen, der sich in der Wüste von Saudi Arabien einmal im Jahr ereignete.
Es war selbstverständlich, dass Clara und Théra mitkommen würden. Para würde sie in Riad erwarten, wo er die Pferde des königlichen Gestüts für das Rennen fit machte.
Sie stiegen zusammen in die zwei Privatmaschinen des Emirs. Sie flogen nach Riad und wurden dort von riesigen Limousinen abgeholt, die alle klimatisiert waren. Dann fuhren sie auf einer breiten asphaltierten Strasse hinaus in die Wüste. Die Strasse spannte sich schnurgerade durch den Sand, vorbei an Sandbergen. Es gab keinen Schatten und nicht die Spur von Grün. Nur Sand und Steine.
Nach vier Stunden Fahrt kam die Karawane in ein Wadi. Théra staunte nicht schlecht. Mitten in diesem Tal gab es Dattelpalmen und Sträucher. Sie sah das Glitzern eines Sees. Sie sah hunderte von Zelten, die teils in dem Wädchen, teils außerhalb der Grünzone aufgestellt waren. Sie sah Abzäunungen, in denen diese wunderbaren Araberhengste hin- und herliefen. Sie waren aufgeregt. Sie scharrten mit den Hufen und schnaubten. Überall gab es Pfleger und Hilfen. Abseits stand eine ganze Karawane von teuren Geländewagen bereit. Der Lack glitzerte im Licht der Sonne.
Von einer Arena sah Théra nichts.
Sie hatte schon auf dem Herflug gemerkt, wie aufgeregt die Jungs des Emirs waren. Es ging um die Ehre.
Die Pferde waren längst von Helfern nach Riad geflogen worden, damit sie beim Rennen ausgeruht waren. Zwei der Söhne hatten die Pferde begleitet, um die zahlreichen Helfer zu beaufsichtigen.
Die Schar wurde in mehreren Zelten untergebracht. Es gab Männerzelte und Frauenzelte. Es gab viele „kleine Geister“, die wie selbstverständlich Wasser und Früchte brachten. Es gab Decken und Kissen. Als Théra das erste Mal in eines dieser mit Wimpeln und Fransen geschmückten Zelte trat, staunte sie. Das war ja wie ein Palast. Es gab einen Innenraum. Es gab mehrere abgetrennte Kammern. Es gab eine Feuerstelle, auf der ein Teekessel blubberte. Es gab kostbare Teppiche, die auf dem Boden lagen.
Théra spürte das kommende Ereignis. Das ganze Lager war wie ein Bienenstock. Die Erregung war greifbar. Sie fasste intuitiv nach Claras Händen, und sie tauschten einen ihrer Energiestrahlen aus. „Whow“ sagte sie.
Noch etwas war besonders. Théra und Clara mussten sich außerhalb des Zeltes verschleiern. In diesem Lager durfte keine der Frauen das Zelt verlassen, ohne die traditionelle Burka anzulegen, bei der nicht einmal ihre Augen zu sehen waren.
Am nächsten Tag steigerte sich dieses fast unmerkliche Gesumm der Erregung noch. Neue Gruppen kamen.
Théra und Clara gestatteten sich, hinaus zu laufen zu den Gattern, um sich die Pferde anzusehen. Sie wurden von grimmig dreinschauenden Männern mit Krummsäbeln bewacht, die MP im Anschlag.
Die Mädchen durften sich den Gattern zwar nähern, aber sie hatten respektvoll Abstand zu wahren. Dennoch sahen sie, welche wundervollen Pferde hier versammelt waren. Sie wagten gar nicht daran zu denken, welche Werte da vor Ihnen standen. Das mussten hunderte Millionen von Dollar sein.
Der Geldwert war Théra und Clara jedoch egal. Sie pfiffen leicht und stimmten ihr Gesumm an. Sie sahen, wie die Pferde reagierten. Sie drehten die Köpfe, sie wedelten mit den Ohren und sie kamen langsam auf die Seite des Gatters, wo Théra und Clara standen.
Den Wachen war das zuviel. Sie drängten Théra und Clara ab und bedeuteten ihnen, den Platz zu verlassen.
Théra und Clara hatten schon genug gesehen. Das hier waren die edelsten Pferde, die sie je in ihrem Leben zu Gesicht bekommen hatten.
Am nächsten Morgen wurde Théra schon früh wach. Sie merkte, dass ein Teil der Pferde weggebracht wurde.
Dann wurden auch die Frauen wach. Sie wuschen sich und legten festliche Gewänder an. Manche weiss, manche schwarz. Verziert mit den Symbolen des Herrschers. Auch Théra und Clara erhielten solche Gewänder.
Von den Mädchen im Harem wussten sie, dass es mehrere Rennen gibt. Hengste, Stuten, gemischte Rennen, Dreijährige und Vier- bis Fünfjährige. Sie würden früh beginnen, diese Rennen, denn die Mittagshitze war unerträglich. Dann würde Siesta gehalten. Es würde Tee getrunken, geplaudert und ein wenig geschlafen. In den Abendstunden würde das Rennen weitergehen. Es würde insgesamt drei Tage dauern und dann in ein gemeinsames Fest übergehen.
11.
Die Geländewagen standen bereit, um die hochrangigen Gäste über die Sandberge zu fahren, dort wo der Parcours abgesteckt war.
Auch dort gab es Zelte und Sonnensegel. Sie waren entlang des Parcours aufgebaut, so dass man einen guten Blick auf das Geschehen hatte. Es gab einen Rundkurs und es würde zum Schluss einen mörderischen Ritt hinaus in die Wüste geben, bei dem es galt, verschiedene am Weg aufgestellte Trophäen einzusammel, sich abzujagen und dennoch als erster durchs Ziel zu reiten.
Théra erfuhr, dass es in diesem Jahr bei diesem letzten Rennen einen wahrhaft königlichen Preis zu gewinnen gab. Der Herrscher des Jemen, unten im Süden der Sinai Halbinsel, hatte eine Tochter, von der man sich wahre Wunderdinge erzählte. Sie war schön wie eine Rose, sie war sanft wie der Morgenwind, sie bewegte sich wie... nun ja. Sie musste das schönste Mädchen auf dem Globus sein, wenn man den Erzählungen Glauben schenkte. Die Mitgift war gewaltig und sie würde nur an den Besten der Besten der Reiter vergeben werden. Sie würden mit allen Tricks und all ihrem Geschick um diesen Vorzug kämpfen. Wehe dem Gewinner, wenn er dieses Geschenk nicht behandeln würde, wie eine Perle. Es ging um die Ehre und das Ansehen ganzer Dynastien. Man erwartete Glück und einen reichen Kindersegen.
12.
Die beiden ersten Tage waren spannend. Die Söhne der Emire, der Scheichs und Könige, der hohen Minister und Landesfürsten stritten um die Gunst, der beste Reiter zu sein. Es waren viele. Weil nicht alle dasselbe Alter hatten und nicht alle Pferde derselben Kategorie zuzuordnen waren, gab es viele einzelne Rennen. Es ging nicht um Geldpreise. Es ging um die Ehre. Es gab Wimpel, Ehrenzeichen und teure Geschenke, wie goldene und brillantbesetzte Uhren aus schweizer Fabrikation, schwere goldene Halsketten (die sehr begehrt waren), verzierte Decken, Dolche oder wertvolle Kamele.
Théra sah, dass sich die Jungs des Emirs hervorragend schlugen. Der neue Reitstil hatte sie feinfühliger und vor allem schneller gemacht. Sie sackten eine Reihe dieser begehrten Preise ein.
Sie sah Para mitten unter den Pferden. Sie sah ihn mit verschiedenen Kids reden. Nicht alle waren Söhne des Emirs. Er verteilte seine Aufmerksamkeit wie mit einer Gießkanne unter den verschiedenen Königreichen. Er war für alle da und er bevorzugte niemanden.
Die Frauen durften sich frei bewegen, aber sie mussten das mit Würde und Anstand tun. Sie blieben meist in der Gruppe zusammen und trafen sich mit den Frauen der anderen Herrscher zu einem Erfahrungsaustausch (wie sie das nannten). Théra bekam das nur am Rande mit. Sie spürte, dass sich die Frauen hinter den Rücken ihrer Männer über wichtige Dinge unterhielten. Sie spürte, dass es in jedem dieser Länder zwei Reiche gab. Das Reich der Männer und das Reich der Frauen.
Sie hatte auch bemerkt, wie die Frauen nachts das Zelt verließen, um zu ihren Männern zu schlüpfen.
Die Männer blieben unter sich. Sie führten Männergespräche. Théra hätte sich schon in ein Insekt verwandeln müssen, um zu hören, was die Männer miteinander redeten. Es mussten sehr wichtige Dinge sein. Dieses Fest war mehr, als nur ein Reiterfest. Es war ein Gipfeltreffen der mächtigsten Männer und Frauen der arabischen Welt. Hier wurde die Politik von morgen gemacht.
Am ersten Abend wurde Théra von ihrer Freundin Leyla angestupst. „Sieh nur, dort reitet Ali, mein Zukünftiger.
Théra ließ sich das Fernglas geben. Ali war ein schöner Mann. Vielleicht achzehn Jahre alt. Er hatte die ausdrucksvollen Züge, die viele Araber haben. Markant und willensstark.
Er wusste, wo die Gruppe der Frauen des Emirs stand, und vor dem Rennen erlaubte er sich einen kleinen Trick. Sein Pferd „brach aus“ und führte ihn zu der Gruppe der Frauen um Théra und Leyla. Er ließ das Pferd tänzeln, und verbeugte sich dann mit einem Lächeln zu der Gruppe der Frauen. Sie hatten alle diesen Schleier an, er wusste nicht, welche von Ihnen Leyla war, aber er wusste, dass Leyla unter den Frauen stand, und Leylas Schleier verrutschte wie durch einen Zufall ein wenig, so dass er ihr einen Moment lang in die Augen sehen konnte. Das war eines der Zeichen, die bei den Frauen bekannt waren. Ali wusste sofort, wer seine Zukünftige war. Er führte sein Pferd glücklich zurück in die Reitergruppe und er gewann dieses Rennen souverän, obwohl er umgeben war von anderen hervorragenden Reitern. „Was für ein Mann“ flüsterte Leyla, und Théra spürte, wie ein Schauer der Vorfreude über Leylas Körper huschte.
Auch am nächsten Tag gab es ein Rennen, bei dem Ali souverän gewann. Es gab zwei weitere Rennen, da spurteten die Pferde Kopf an Kopf mit einem anderen Reiter durch das Ziel. Es war kaum auszumachen, wer gewonnen hatte.
„Das ist Mustafa“, flüsterte Leyla. Er ist der jüngste Enkel des Herrschers von Algerien. Er ist kein wirklicher Prinz. Sein Großvater ist ein früherer Oberst und er herrscht seit vielen Jahren über dieses Land. Man erzählt sich, dass Mustafa in diesem Jahr die Prämie unbedingt gewinnen will.
Théra ließ sich das Fernglas geben und sie erkannte in Mustafa den jungen Mann, bei dem sie vor kurzem drei Nächste verbracht hatte. Sie stöhnte leise.
Leyla kicherte. „Meine Mutter hat mir erzählt, dass er deine Gunst erkauft hat, um für die erste Nacht mit Cennet gewappnet zu sein.“ Théra sah erschrocken auf, und Leyla fuhr fort. „Cennet heißt soviel, wie Das Paradies. Ich habe sie nie gesehen, aber alles was man über sie erzählt, ist wundervoll. Es ist eine Ehre, dass du diese Nacht mit Mustafa verbringen durftest“, flüsterte Leyla.
„Bezahlung“, raunte Théra. „Wieso hat Mustafa für mich bezahlt?“ „Sieh das nicht durch deine amerikanischen Augen“, bat Leyla. „Er hat eine sehr hohe Summe bezahlt und das ist eine sehr große Ehre. Er hat dafür bezahlt, dass er eine ehrbare Jungfrau von Stand in sein Bett nehmen durfte. Es gibt nicht viele, die da zur Verfügung stehen. Die Töchter der Herrscher sind tabu. Das macht die Auswahl etwas kompliziert. Wir haben Glück gehabt. Dein Verlangen und das Verlangen des jungen Mannes standen ganz zufällig in derselben Zeit zum Gebot.“
Théra war entrüstet. „Ich bin verkauft worden?“. Leyla schüttelte energisch den Kopf. „Nein. Unsere Frauen haben dich als ein Geschenk des Himmels vermittelt, und Mustafa hat sich für dieses Geschenk anschließend reichlich bedankt. Meine Mutter hat kein Geld verlangt, und Mustafa hat mit seinem Geschenk ausgedrückt, dass er hoch zufrieden war. Das ist eine sehr edle Geste. Du kannst dich glücklich schätzen. Ich wäre froh, wenn ich das erleben dürfte. Als Königstochter ist mir das untersagt. Ich spare mich für Ali auf.“
Leyla legte die Hand beruhigend auf Théras Arm. Sie überlegte einen Moment, dann fuhr sie verschwörerisch und sehr leise fort: „Du musst eins wissen. Die Frauen, die dich in ihrem Haus aufgenommen haben, sind eine besondere Kaste von ehrenwerten Liebesdienerinnen. Sie gelten als rein. Sie sind hoch gebildet und sie könnten Königinnen sein, wenn sie nicht alle ein besonderes Schicksal verbinden würde, das sie zu dem gemacht hat, was sie sind. Glaube mir. Es sind edle Frauen, die viele Geschicke unserer Länder beeinflussen. Sie haben einen sehr hohen Ehrenkodex. Sie haben sehr viel Macht. Vielleicht viel mehr, als ein Herrscher alleine und viel mehr, als die Frauen in unserem Harem. Sie kennen alle Herrscher der Islamischen Welt zwischen Afrika und Indonesien und sie teilen mit ihnen von Zeit zu Zeit das Bett, so wird erzählt.“
Leyla ergänzte leise: „Théra, du musst das wirklich für dich behalten. Diese Frauen sind geschickte Diplomaten und die Männer unserer Welt benutzen sie für Geheimbotschaften und für den Gedankenaustausch zwischen den einzelnen Staaten.
Völlig ohne Telefon und völlig unerkannt. Diese Frauen sind verschwiegen, wie der Tod. Es ist ein Geheimbund ausgesuchter Frauen. Es ist eine hohe Ehre, sich ihrer bedienen zu dürfen. Du wirst einige von Ihnen hier in diesem Lager wiederfinden, wenn du deine Augen ein wenig aufmachst. Wenn du sie einmal brauchst, dann können sie mehr für dich tun, als jeder andere in unserer Welt, und sicher auch viel mehr, als jeder in eurer Welt, und das sogar bei radikalen Islamisten, die ihr Gesicht verlieren würden, wenn das öffentlich bekannt werden würde. Namen kenne ich aber auch nicht.“
Dann bekräftigte sie noch einmal: „Versprich mir, dass du das für dich behältst. Ich erzähle dir das, weil du meine Freundin bist. Die Herrscher in unseren Ländern wissen davon. Die Haremsfrauen wissen das. Das einfache Volk weiß das nicht. Es ist ein Geheimbund und ich riskiere mein Leben, weil ich dir davon erzähle.“
Théra war erschrocken und völlig verblüfft. Was Leyla da eben erzählte, klang unglaublich. Mit dem Geschick, das Ihnen als Liebhaberinnen und Diplomaten zur Verfügung stand, waren diese Frauen die heimlichen Herrscherinnen zweier Kontinente? Théra fragte bei Leyla noch einmal nach und Leyla nickte ernsthaft.
„Das behältst du aber wirklich für dich“, flüsterte sie noch einmal. „Es ist ein Geheimnis, und es würde die Ehre unserer Männer verletzen, wenn darüber öffentlich gesprochen würde. Du müsstest diesen Palast sofort verlassen. Ich weiß nicht einmal, ob du das überleben würdest. Du bist meine Freundin. Nur deshalb habe ich dich eingeweiht. Zeige dich als ehrenvoll. Vater hat mir gesagt, dass du in deinem Land auch so etwas bist, wie eine zukünftige Königin.“
Théra blickte überrascht auf. „Wieso das? Ich bin doch nur eine kleine Indianerin, die gut mit Pferden umgehen kann.“ Leyla lachte leise. „Dein Bruder hat ein wenig geplaudert. In dir steckt viel mehr, als deine Fähigkeit mit Pferden. Genaues weiß ich nicht. Darüber hat Papa nicht mit mir gesprochen, und er weiß auch nichts genaues, aber Papa ist ein weiser Mann. Manche Dinge spürt er instinktiv. Er hat so etwas wie Ahnungen, und er kann in andere Menschen hineinsehen. Er sieht Dinge, die andere nicht einmal spüren.“
Das hatte Théra allerdings auch schon bemerkt. Solche Fähigkeiten verstand sie nur zu gut. Sie nickte, und begann sich ihre Gedanken zu machen. Eine letzte Frage hatte sie noch. „Wenn du verheiratet bist. Darf ich dich dann besuchen kommen?“ Leyla hakte sich bei Théra ein, was wegen der wallenden Gewänder gar nicht so einfach war. „Aber klar doch. Wir sind doch Freundinnen. Wir finden einen Weg.“
In diesem Moment spürte Théra so etwas wie einen warmen Strahl von Energie, der sich von ihr zu ihrer Freundin Leyla hinbewegte, und sie spürte, wie Leyla diesen Energiestrahl überrascht und fast erschrocken zur Kenntnis nahm.
Was die Frauen nicht öffentlich bewerkstelligen könnten, das würden sie im Geheimen tun. Plötzlich verstand Théra Leylas Welt um vieles besser. Sie dachte an die Geschichten mit den Ratten, die Papa ihr schon oft erzählt hatte. Diese wunderbaren Geschöpfe, die im Verborgenen leben und dort die ungekrönten Könige des Untergrunds sind. Diese Frauen hatten mindestens so viele Geheimnisse wie Théras Familie. Nur durch ihre geheimen Kenntnisse hatten sie eine fast unermessliche Macht, die sie nach außen nie zeigten.
Das Geheimnis bewahren zu können, war eines der wesentlichen Bestandteile dieser Macht. So und nicht anders war es auch in Théras Familie. Plötzlich verstand Théra ihre Freundin um vieles besser und sie war den Frauen noch dankbarer als zuvor. Es war eine Art Geistesverwandtschaft, das ihre Familie mit Leylas Familie verband, und es war ein gewaltiges Privileg, das Théra da genoß. Sie war Teil dieser Gruppe geworden. Vielleicht noch nicht ganz, aber sie war als Freundin akzeptiert worden. Als Freundin, die für Wert erachtet worden war, ein Geheimnis von enormer Tragweite ganz für sich zu behalten.
13.
Am Dritten Tag hatte sich die Erregung der Zuschauer und Teilnehmer gesteigert. An diesem entscheidenden Tag ging es um den höchsten Preis des Turniers.
Die Rennen am Vormittag schon zeigten eine Vorauswahl für die Teilnehmer des Schlussrennens. Mustafa und Ali gehörten bereits sicher zu den Teilnehmern der Auswahl.
„Was machst du, wenn Ali das Turnier für sich entscheidet?“ fragte Théra ihre Freundin. „Das wäre ein besonderes Glück und eine hohe Ehre.“ „Aber Ali würde Cennet heiraten.“ „Selbstverständlich“, flüsterte Leyla. „Du darfst an diese Dinge nicht mit euren westlichen Augen herangehen. Für Ali wäre das die höchste Ehre, die es in unseren arabischen Staaten gibt. Sie würde auf mich abfärben. Ich wäre dann die Frau des Gewinners dieses Rennens. Etwas schöneres gibt es bei uns nicht.“
Théra dachte lange nach. Dann dachte sie an Papa und seine beiden „Frauen“. Sie wusste, dass Papa beide seiner Frauen gleich liebte. Er hatte sie nie geheiratet, weil das in ihrer Welt nicht gestattet war, mit zwei Frauen gleichzeitig verheiratet zu sein. Die arabische Welt hatte einen anderen Ehrenkodex. Hier war das normal. Langsam begann sie zu verstehen. Solche Dinge werden den Völkern durch lange Traditionen vorgeschrieben. In ihrem Land wurden die Traditionen durch die katholische Kirche bestimmt. Im Land der Araber galten andere Werte.
Dann erinnerte sich Théra an die Geschichten, die ihr Papa von den Völkern der Péruan und der Théluan erzählt hatte. Auch die alte indianische Ordnung war ganz anders gewesen. Sie war nur durch die Spanier und die Portugiesen gestürzt worden. Plötzlich wurde Théra klar, dass sie als Nachkomme dieses Reiches der Théluan eine besondere Verpflichtung hatte. Sie musste dafür sorgen, dass die 6000 Jahre alten Traditionen der Indios wieder lebendig werden würden. Jetzt nach diesem gescheiterten Putsch war das erst recht notwendig.
Sie dachte ein wenig nach. Das würde vielleicht Kampf bedeuten. Die katholische Kirche würde sich das sicher nicht gefallen lassen.
Sie wachte aus ihren Gedanken auf, weil Jubel aufbrandete. Einer der Söhne des Emirs hatte das gerade zu Ende gegangene Ausscheidungsrennen für sich entschieden. Er war nun schon der Zweite von Leylas Brüdern, der an dem letzten entscheidenden Rennen teilnehmen durfte. Einem Rennen der Besten unter den besten Reitern. Das war das Verdienst von Théra und Clara gewesen. Sie hatten die Jungs so schnell gemacht. Leyla hakte sich spontan bei Théra ein und flüsterte ihr glücklich zu. „Vielleicht kommt die Blume der Blumen ja auch in unser Haus. Das wäre für Papa das höchste Glück.“
„Darf ich mit den beiden Jungs sprechen“, fragte Théra. Leyla zuckte mit den Schultern. „Sprich mit Mama. Sie wird Papa um Erlaubnis fragen.“
So kam es, dass Théra, Clara, die beiden Jungs, und drei der Frauen des Harems mit Ferngläsern bewaffnet auf die höchste Sanddüne stiegen und den Parcours absuchten. Er ging weit in die Wüste hinaus. Es würde ein Mörderritt werden. Sand, Steine, Felsen. Zwischendurch Stöcke mit Trophäen, manche am Boden. Bändchen, Kugeln, Wimpel.
Théra ließ sich das Rennen erklären. Sie würden alle auf das Startzeichen losreiten. Alle in einer großen Linie. Dann würde sich das Feld verengen, um wieder auseinanderzulaufen. Es würde zu Rangeleien um die besten Plätze kommen. Im zweiten Drittel des Parcours standen zwei oder mehrere der Trophäen in derselben Entfernung, aber weit auseinander, damit das Feld sich ausanderzog. Mehrere Gruppen konnnten in einiger Entfernung zueinander parallel reiten und Trophäen absahnen. Dennoch würde um jeden Winpel gekämpft werden. Sie würden andere zu Fall bringen oder mit ihnen um Wimpel ringen. Es war ein Kampf mit Fäusten, Füssen, Körpern. Manche der Tiere würden sich die Beine brechen, andere würden zu Tode geritten. Es langte nicht, ein guter Reiter zu sein. Man musste Geschick, Mut und Taktik beweisen.
„Geschick und Taktik“, sagten Théra und Clara wie aus einem Mund. Théra sah Clara an und Clara gab ihr den Vortritt. Théra sah die Jungs an. „Ihr wollt beide die Trophäe?“ Die Jungs nickten. Deshalb waren sie da. „Gibt es Regeln? Dürft ihr euch gegenseitig helfen?“ „Naja, meinte die Jungs. „Es ist ein Kampf Mann gegen Mann. Wir dürfen uns helfen, aber es darf nicht zu offensichtlich sein, sonst verlieren wir unsere Ehre und müssen aus dem Rennen ausscheiden.“
Théra überlegte. „So wie ich diesen Parcours da sehe, geht es nicht nur um Geschick. Der Parcours wird euch alles abfordern, was ihr gelernt habt. Viele Pferde werden straucheln. Andere werden über gestürzte Gegner fallen. Einige von euch werden verletzt oder vielleicht sogar getötet werden. Es geht bei diesem Rennen auch um sehr viel Glück.“
Sie sah, wie die Jungen selbstbewusst nickten. Es war ein Parcours der Besten unter den Besten. Allah würde den Besten auswählen. Die Gewinner würden diesen Ruhm ein Leben lang mit sich tragen. Das war viel mehr als so eine läppische Olympiamedaille, die bei den Europäern oder den Amerikanern so viel galt. Das hier war ein friedlicher Wettkampf zwischen zukünftigen Herrschern, und sie waren ein Teil dieser Elite. Es entschied über den Einfluss ihres Landes in der Völkergemeinschaft der islamischen Staaten. Der Gewinner würde das Recht auf den Thron erwerben, selbst wenn er kein Erstgeborener war. Nur der Vater würde darüber bestimmen, wer letzlich der Thronerbe werden würde.
„Taktisches Geschick also“, sinnierte Théra. Clara mischte sich ein. „Das ist es doch, was wir euch in den letzten Jahren versucht haben beizubringen. Feingefühl für die Pferde, Mitdenken in jeder Situation, taktische Überlegungen und Demut.“ Sie sah, wie die Jungen ins Grübeln kamen. Théra ergänzte. „Wenn einer eurer Gegner etwas schneller ist - oder auch etwas glücklicher - dann dürft ihr ihm die Trophäe also abjagen?“ Die Jungen nickten. „Das ist so gewollt. Mann gegen Mann.“ „Dann“, sagte Théra, „ist es recht einfach, auf einen der vorderen Plätze zu kommen. Seht zu, dass die Pferde nicht stürzen. Einer von euch wird den schnelleren Gegner in einen Kampf um die Trophäe verwickeln. Der andere wird im selben Moment nach vorne preschen, um sich die nächste Trophäe zu sichern. Ihr könnt euch abwechseln. Tut so, als kämpft ihr gegeneinander. Seht zu, dass ihr all eure Trophäen behaltet. Lasst sie euch nicht abnehmen. Weicht Angriffen aus. Im letzten Drittel zeigt ihr, dass ihr erbarmungslos und mit Geschick gegeneinander kämpft. Im Ziel dürfte es dann kaum einem Gegner gelingen, mehr Trophäen zu haben, als ihr beide. Wenn ihr das geschickt anfangt, dann werdet ihr dieses Turnier zwischen euch beiden entscheiden.“
Die Jungs sahen sich an. Sie waren 18 und 16. Beide in einem Alter, wo man draufgängerisch ist. Sie hatten von Clara und Théra aber auch gelernt, ihre Pferde zu schonen. Das konnte diesen Ritt entscheiden. Sie sahen sich erneut an. Dann begannen sie über einige strategische Schachzüge zu sprechen. Wie sie am Beginn des Rennens ihre Ausgangsposition sichern, wie sich im Mittelfeld verhielten. Wenn es in das dritte Drittel ging, würden sie gegeneinander kämpfen, aber ohne sich zu verletzen. Théra und Clara nickten.
„Die Details überlassen wir euch. Ihr seid hier aufgewachsen. Es ist euer Rennen.“
„Lasst uns zurückgehen“, baten die Frauen. „Wir waren schon zulange hier. Es soll nicht mehr auffallen als nötig.“ Inzwischen brannte die Mittagssonne gnadenlos. Sie gingen langsam zu den Zelten zurück, um nicht zuviel Kraft zu verbrauchen, dort nahmen die Jungs als erstes ein Bad, um einen kühlen Kopf zu bekommen. Sie legten sich in den hintersten Winkel des Zeltes, und sprachen leise miteinander. Dann schlummerten sie ein.
Bevor das Rennen begann, nahm ihr Vater sie auf die Seite. „Ihr habt über das Rennen gesprochen? Gut. Helft euch, wo es notwendig ist, aber keine unerlaubten Tricks. Es geht um die Ehre unseres Landes.“
Die Jungs nickten. Genau darüber hatten sie lange geredet.
14.
Die Pferde spurteten auf breiter Linie los. Schon zu Anfang fingen einige der Teilnehmer an sich zu bekämpfen, um den Gegner aus dem Rennen zu schlagen. Die beiden Söhne des Emirs, Abdullah und Burak, hielten sich aus diesen Kämpfen geschickt heraus. Ali und Mustafa waren genauso geschickt. Sie ließen ein paar Mal ihre Gegner in eine Falle laufen. Eins der gegnerischen Pferde kam dabei zu Fall und brach sich das Genick.
In dieser Startphase gab es noch acht weitere Verletzte Pferde. Sie würden alle getötet werden müssen. Das Feld war um neun Teilnehmer kleiner geworden.
Nun ging es an die Erbeutung der Wimpel. Wieder waren Ali und Mustafa äußerst geschickt. Sie kannten ihre Stärke und die Stärke des Gegners. Sie traten nicht gegeneinander an. Sie ritten in zwei getrennten Linien. Sie würden den Kampf untereinander erst im letzten Drittel ausfechten.
Abdullah und Burak waren in einer Gruppe. Sie beherzigten Théras Rat. Während sich Ali und Mustafa durch Geschick, Schnelligkeit und Kampfgeist die Trophäen alle einzeln erkämpfen mussten, teilten sich Ali und Mustafa die Trophäen geschickt untereinander auf.
Sie würden diese Entscheidungsschlacht im letzten Drittel des Rennens suchen. Durch die gemeinsame Strategie hatten sie ihre Pferde geschont. Ali und Mustafa hatten indes schon im zweiten Drittel alles aus ihren Gäulen rausholen müssen, um besser zu sein, als die Mitbewerber in ihrer Gruppe und die waren alle hervorragende Reiter.
Dann kamen sie zu der Kehre. Vom Lager aus waren sie nur noch als kleine Punkte zu erkennen, selbst mit dem Fernglas. In der Spitze der Reitergruppe bewegten sich etwa zehn oder zwölf Reiter. Mehr war in der vibrierend heißen Luft nicht zu erkennen.
Als dann die Reiter zurückkamen, erkannten sie deutlich, dass Ali, Mustafa, Abdullah und Burak die Spitze der Gruppe bildeten. Dann wurde Burak von einem der anderen Reiter attackiert. Man sah das durch das Fernglas nicht deutlich, was dann geschah. Das Pferd des anderen Reiters stürzte. Sie sahen, wie Burak triumphierend einen Arm über den Kopf riss und einige der Bänder schwenkte.
Der Parcours wurde nun sehr eng. Nun ging es um jede einzelne Trophäe, um Schnelligkeit und Geschick. Es war durch die Ferngläser deutlich zu sehen, dass die Gegner sich nichts schenkten. Sie sahen aber auch, dass Abdullah und Burak einen anderen Reitstil hatten als ihre Gegner. Sie machten sich auf den Pferden leicht. Sie gewannen an Schnelligkeit und sie gewannen leicht die Oberhand. Sie vermieden den direkten körperlichen Kampf Mann gegen Mann und konzentrierten sich darauf, möglichst viele Wimpel zu ergattern.
Sie halfen sich jetzt nicht mehr. Manchmal gab es Rempeleien. Eines der Pferde geriet ins Straucheln, fasste sich jedoch wieder und rannte in unverminderter Schnelligkeit weiter. Abdullah hatte durch dieses Manöver zwei Pferdelängen verloren. Die Wimpel wurden jetzt unter den andern drei Reitern aufgeteilt. Manchmal war der eine schneller, manchmal der andere. Einige der Trophäen lagen am Boden. Man musste sich in vollem Galopp bücken, um sie vom Boden aufzuheben. Das war mehr als nur Reitkunst, das war lebensgefährlich.
Zum Schluß gaben die Pferde alles, um als Erster durch die Ziellinie zu reiten. Es war nicht auszumachen, wer der Schnellere von den drei Reitern war. Mustafa, Abdullah oder Burak. Nur die Zahl der Wimpel würde über den Sieg entscheiden.
Die Pferde waren verschwitzt und fast dem Tode nah. Para scheuchte die Helfer mit Worten und Gesten energisch beiseite, und befahl, die Tiere gemeinsam zu einem Abreibeplatz zu bringen, dann kümmerte er sich um die drei Pferde. Sie zitterten vor Anstrengung. Para wollte sie nicht verlieren.
Der Jubel war gewaltig, als die drei ins Ziel ritten. Dennoch war die Spannung groß. Drei hervorragende Reiter. Alle drei gleich schnell. Es war ein unglaubliches Rennen. Wer würde den Sieg davon tragen?
Als die Wimpel zusammengezählt wurden, ergab sich eine Differenz von nur einem Wimpel. So etwas hatten die Scheichs und Emire noch nie erlebt. So ein Kopf an Kopf Rennen. Jeder dieser drei Reiter würde als Gewinner nach Hause gehen, auch wenn nur einer von Ihnen die begehrteste aller Trophäen mit nach Hause nehmen durfte.
Wer würde der Glückliche sein?
Der saudische König machte es spannend. Er rief nach einem Mikrophon. „Wir haben hier drei Sieger“, begann er. „Einen ersten und zwei Zweite. Die Differenz beträgt nur einen Wimpel. Ich habe noch nie ein knapperes Rennen erlebt. Wir haben inzwischen Bilder der Zielkamera. Keiner der drei war nur ein wenig schneller als die anderen. Sie waren völlig gleich. So etwas hat es noch nicht gegeben. Alle drei sind Sieger. Ihnen allen gebührt die Ehre. Allerdings ist nur einer der Dreien auch der Gewinner der Trophäe des heutigen Abends. Ich schlage vor, dass die drei jetzt in ihr Zelt gehen und sich frisch machen. Ich möchte, dass sie sauber und gekleidet wie Herrscher wieder vor mir erscheinen, bevor ich meine Entscheidung bekannt gebe.“
Die Spannung wurde noch um einiges höher. Man tuschelte. Man trug die drei auf Händen zu ihren Zelten. Die Frauen eilten in die Zelte, um ihre Kinder zu waschen und zu erfrischen. Kleider wurden bereit gelegt. Teppiche wurden ausgerollt und eine Musikkapelle begann zu spielen.
Ein Podest wurde auf das Zielgelände getragen. Fackeln wurden angezündet, dann betrat die Braut das Gelände. Die Gespräche verstummten.
Sie war traditionell verschleiert und fürstlich geschmückt. Blumen, Goldbändchen, Schärpen und Schleifen. Während sie ging, blitzte ein goldener Schuh auf. Die Männer verfielen in ein andächtiges Aahh. Niemand würde sie sehen dürfen, außer ihrem Ehemann. Sie wurde begleitet von Frauen ihres Hofes, von ihrer Familie. Die Scheichs und Emire hatten sich alle in festliche Gewänder gehüllt.
Wer würde diese Schönheit für sich gewinnen?
Als die drei Sieger über die roten Teppiche schritten, begann ein Raunen. Die Spannung stieg und stieg. Es waren die Abkömmlinge dreier herausragender Familien. Ihnen allen gebürte Dank für diesen Abend und Lob für dieses phantastische Rennen. Sie galten schon jetzt als zukünftige Könige, auch wenn nur einer die Trophäe für sich beanspruchen durfte. Diese einzigartige Trophäe.
Als die Sieger versammelt waren, bat der Saudi die Perle aller Perlen zu sich. „Ich möchte hier eins betonen. Der Abstand zwischen dem Sieger und den beiden anderen ist geringer, als jemals zuvor in der langen Geschichte dieses Landes. Wir haben einen ersten und zwei zweite Plätze.“ Er wandte sich an Cennet.
„Jeder dieser drei jungen Männer wäre dir ein wunderbarer Ehemann. Jeder dieser drei jungen Männer ist es wert, dich als deine Frau nach Hause zu führen. Jeder ist gleich viel. Wir haben drei Sieger. Sie haben fair und mit Umsicht gekämpft. Dennoch ist einer ein ganz klein wenig besser gewesen, als die beiden anderen. Vielleicht war es Geschick, vielleicht war es Glück. Am Mut und an der Reitkunst hat es nicht gelegen. Da waren sich alle drei ebenbürtig. Es war Allahs Wille.“
Er hob die Hände zum Himmel. „Wir sollten Allah danken, dass wir dieses wunderbare Reiturnier ausrichten durften. Wir sollten Allah danken für unsere wundervollen Söhne und Töchter. Allah hat aber auch entschieden, wer die Blume der Blumen mit sich nehmen darf.“
Araber sind beredt, wenn es um wichtige Dinge geht.
„Ich möchte, dass sich unsere drei Sieger jetzt die Hände geben und sich ein feierliches Gelöbnis abgeben.“ Er führte die Hände der drei jungen Männer zusammen. „Schwört bei Allah, dass ihr in Frieden auseinandergeht. Unsere Geschäfte gehen besser, wenn wir in Frieden untereinander leben. Mir wäre es lieb, wenn ihr euch ewige Freundschaft schwören würdet. Die Freundschaft dreier Sieger. Aber das ist eure Entscheidung. Es ist euer Leben. Es ist aber nicht nur eure Zukunft, sondern auch die eurer Völker. Bedenkt das. Akzeptiert das weise Urteil Allahs.“
Burak dachte an Théra und ihre Ratschläge. Er dachte an seinen Vater, der sich schon immer für diplomatische Lösungen ausgesprochen hatte. Er senkte einwilligend den Kopf.
Auch Mustafa dachte an Théra. Er hatte alles gegeben, um die Blume des Orients mit nach Hause zu nehmen. Er hatte sich dafür fit gemacht. Würde er der Sieger sein? Noch einmal dachte er an Théra. Er wusste nicht, wer dieses geheimnisvolle Geschöpf gewesen war. Er hatte gespürt, dass sie in seiner Welt noch fremd war. Würde er den beiden anderen die Trophäe gönnen?
Langsam, ganz langsam begann er den Kopf zu senken und er gab sein Einverständnis.
Ali dachte an Leyla, deren Augen er gestern hatte sehen dürfen. Er wusste aus Schilderungen, dass sie eine sehr schöne Frau sein musste. Wenn er Cennet nicht gewinnen würde, dann würde er immer noch Leyla haben. Vielleicht war daran sogar etwas Gutes. Er müsste Leyla und Cennet nicht teilen. Im Sommer würde seine Hochzeit mit Leyla stattfinden. Die beiden Königshäuser waren schon jetzt in Aufregung.
Er senkte den Kopf und signalisierte seine Zustimmung.
„Allah sei gepriesen“, rief der saudische König bewundernd. „Wir haben nicht nur drei Gewinner, sondern wir haben hier drei aussergewöhliche junge Männer, deren Weisheit in die Geschichte unserer Länder eingehen wird. Allah sei Dank.“
Er sah ihnen direkt in die Augen. „Schwört, dass ihr in Frieden auseinandergeht und euch nichts nachtragt.“
Die drei jungen Männer sahen sich an. Sie hatten fair und hart gekämpft. Die Worte des Königs waren beredt und weise. Sie sahen sich noch einmal an und nickten sich zu, dann gelobten sie sich die Freundschaft. „Lasst uns diese Freundschaft umsetzen“, bat Ali. „Egal, was jetzt passiert. Lasst uns dieses Bündnis immer wieder erneuern. Ein Bündnis zwischen Siegern.“ Er sah, dass die beiden anderen nickten.
Der König sah Cennet an, und er schien zu fragen, „bist du bereit?“
Cennet deutete einen Hofknicks an, dann nahm der König ihre Hand in die Linke und die Hand Buraks in die Rechte. Er führte sie zusammen und sagte: „Wir haben heute ein Paar zusammengeführt, das würdig ist, dass Geschichten über dieses Turnier entstehen. Allah soll über die beiden wachen und sie ein Leben lang beschützen.“
Burak stockte der Atem.
Ali und Mustafa hielten die Luft an.
Die drei jungen Männer sahen sich an, dann griff Burak mit seiner Linken nach der Hand von Ali und forderte Mustafa auf, die Hände von Ali und Cennet zu nehmen um einen Kreis zu bilden.
„Im Angesicht von Allah und von Cennet, lasst uns noch einmal Treue und Freundschaft schwören, dass Cennet nie zwischen uns stehen wird.“ Er sah, dass Ali und Mustafa tief einatmeten. Sie sahen sich an, dann nickten sie. „Wir schwören bei Allah und bei Cennet.“ Das kam wie aus einem Mund.
Die Menge war atemlos. Selten hatte Théra eine solche Stille gehört. Dann brandete Jubel auf.
Die Hochzeit wurde noch am selben abend von einem Priester geweiht. Es war ein einzigartiges Erlebnis, das alle sonstigen Riten überflüssig machte. Eine Hochzeit, die direkt und unmittelbar durch den Willen Allahs herbeigeführt worden war.
Dann durfte Burak Cennet mit in sein Zelt nehmen.
Während Leyla ihrem Ali ausrichten ließ, sie liebe ihn für seine Großmut, schickte Théra eine Nachricht an Mustafa. Sie würde für ihn da sein, wenn er sie brauche.
Noch in derselben Nacht lag sie in Mustafas Armen. Die Frauen des Harems hatten ihr eingeschärft, in der Zeit ihrer Fruchtbarkeit nicht mit Mustafa zu kopulieren. Théra hielt sich daran, aber Mustafa war von einer seltenen Gabe. Er drängte sie nicht und genoß, was Théra ihm schenkte. Er hatte nicht die Liebe von Cennet errungen, aber dieses Mädchen hier schenkte ihm ihre Liebe freiwillig, wenn auch unter dem Vorbehalt, dass er sich an Vereinbarungen hielt.
Das Hochzeitsfest wurde sieben Tage lang gefeiert. In dieser Zeit sahen sich Mustafa und Théra jede Nacht, und sie erfreuten sich an der Liebe ihrer Körper. Wie gern hätte er einmal das Gesicht dieses schlanken Mädchens gesehen, aber Théra weigerte sich. „Später einmal. Da können wir das tun, aber nicht hier und nicht unter diesen Umständen. Ich habe einen Ruf zu verlieren.“
Mustafa wusste immer noch nicht, wen er da in seinen Armen hielt. Sie musste das hochrangige Mitglied einer wichtigen Familie sein, aber sie war keine Araberin. Das Mädchen hatte einen seltsamen Singsang. Er verstand alles, was sie sagte, und sie verstand auch alles, was er in die Ohren flüsterte. Dieses Mädchen war ein Phänomen, und er begann sich langsam in dieses junge Mädchen zu verlieben.
In diesen sieben Tagen hielt der König von Saudi Arabien Wort. Alle drei wurden gefeiert, wie Sieger. Keiner wurde irgendwie bevorzugt. Diese sieben Tage waren noch einmal etwas Besonderes. Man spielte Polo, es gab Ausflüge mit den Dromedaren und den Geländewagen in die Wüste. Es wurde viel getanzt und musiziert. Es war ein wunderbares und buntes Fest, das von den Männern und den Frauen natürlich auch genutzt wurde, um die verschiedensten politischen Gespräche zu führen. Es ging um viel. Um den Weltmarktpreis des Öls, um Exportquoten, um die Politik gegenüber den Ungläubigen und dem jüdischen Staat, um eine gemeinsame Politik in der Weltarena der Vereinten Nationen, um Wasserrechte, um die Verkupplung der Kinder und um bevorstehende Hochzeiten.
Von all dem bekam Théra nichts mehr mit. Sie genoss das Fest und die Nächte mit Mustafa. Sie hielt sich streng an die Abmachung der Frauen. Nie würde sie Ihr Gesicht zeigen. Nicht auf diesem Fest und nicht in den Monaten danach. Das war sie den Frauen schuldig.
15.
Para wusste schon in der ersten Nacht, was Théra da trieb. Er hatte diese Energiewellen gespürt, und auch Clara wusste es inzwischen. Dennis, der immer noch in Peru war, spürte diese Hitze und er seuftze. In einer dieser ersten Nächte setzte sich auch Alanque plötzlich auf und sah Dennis an. Sie runzelte die Stirn. „Théra?“ Dennis nickte. „Hoffen wir, dass Para und Clara immer zur Stelle sind, wenn sie gebraucht werden.“
Théra brauchte Para und Clara nicht. Sie war Herrin der Lage. Die Frauen waren diskret. Sie schützten Théra und es wurde nichts bekannt.
Burak und Cennet waren in ihrer ersten Nacht sehr vorsichtig miteinander, um nichts zu zerstören. Cennet war für arabische Verhältnisse der Inbegriff der Schönheit. Sie zeigte schnell, dass sie die ihr zugeschriebenen Eigenschaften alle beherrschte, wenn es galt, ein Königreich zu erobern. Dieser junge Ehemann hatte das Zeug zu einem Herrscher. Sie spürte das mit ihrer fraulichen Intuition. Sie erlebte, dass dieser Junge nicht nur zärtlich und kraftvoll war, sondern auch das hatte, was man Weisheit nennt. Er erahnte schon im Vorraus, was sie sich wünschte. Er ging nicht auf alles bereitwillig ein, aber er gab ihr Freiheiten, die sie nicht kannte. Aber Burak setzte auch Regeln.
„Du musst lernen, zu gehorchen“, sagte er ihr in der zweiten Nacht ihrer Ehe. Dann wirst du den Platz einnehmen, der dir an meiner Seite gebührt.“ Er setzte solche Regeln nicht nur, sondern erklärte diese Regeln auch so, dass sie verstand, warum diese Regeln für sie gelten. „Ich muss dir das nicht erklären“, betonte er. Nimm diese Geste als Zeichen meiner Liebe und meines Vertrauens.“ Er warnte noch einmal: „Verwechsele mein Vertrauen nicht mit Schwäche...“ Er ließ den Rest des Satzes offen. Das würde ihr schlecht bekommen.
Er würde sie nie schlagen. Das wäre undenkbar, aber er würde sie mit Verachtung strafen und sie nie wieder in sein Bett lassen. Das wäre schlimmer als jede Tracht Prügel. Cennet kannte die Gebräuche. Ihr Vater würde nicht hinter ihr stehen. “Dein Mann wird dich nicht bestrafen, wenn du ihm keinen Grund dazu gibst”, würde er sagen, und sie zu Burak zurückschicken. Noch schlimmer wäre es, wenn Burak sie verstoßen würde. Sie müsste ihrem Vater schließlich erklären, warum sie von Burak keine Kinder bekam und sie würde in Schande leben.
Als sie in den Palast des Emirs zurückkamen, erlebte Cennet, dass ihr Mann eine ganze Etage im Südflügel des Palastes bewohnte. Der Emir hatte das angeordnet. Der Gewinner des Rennens musste in seinem Land gebührend geachtet werden.
Dann sprach er mit Burak ein ernstes Wort unter vier Augen. „Denke immer an die Lehren von Clara und Théra. Weisheit kommt von Demut. Führe fort, was du bei deiner Siegerehrung eindrucksvoll demonstriert hast. Schmiede Freundschaften und schaffe Vertrauen. Sei zuvorkommend zu deinen Freunden und hart zu deinen Feinden. Dann wirst du ein guter Herrscher sein.“
Burak wusste, dass er nur einer der Anwärter auf den Thron war. Sein Verhalten würde letztlich darüber bestimmen, an wen der Vater einmal den Thron übergeben würde. Er hatte ältere Brüder, aber keiner von ihnen hatte jemals dieses finale Rennen gewonnen. Er würde versuchen, sich die Weisheit seines Vaters anzueigen. Er würde gut zuhören. Dann würde er vielleicht einmal der Herrscher dieses Landes werden.
Er hatte schon am ersten Tag nach seinem Sieg nach Clara und Théra geschickt. Er hatte sie seiner Frau vorgestellt. „Das sind zwei Mädchen, die du dir merken solltest. Sie haben im Hause meines Vaters viel Gutes bewirkt. Du wirst sie erst in unserem Palast unverschleiert sehen und du wirst dort mit ihnen sprechen können. Hier auf diesem Fest ist das nicht möglich. Später werde ich dir mehr erzählen.“
Er hatte Clara und Théra angesehen. „Ich möchte euch noch einmal danken. Für euren Rat und eure Geduld mit mir und meinen Brüdern. Allah segne euch.“
Dann durften Clara und Théra gehen. Das interessierte Cennet natürlich sehr. Clara und Théra waren keine arabischen Namen. „Du wirst sie zu Hause sehen. Ich würde mich freuen, wenn ihr Freundinnen werdet. Sie gehören zu Para, der zweimal im Jahr zu uns kommt, um unsere Pferde und Dromedare zu behandeln. Durch sie haben wir so reiten gelernt, wie wir das gestern unter Beweis gestellt haben.“
Er sah sie an. „Durch sie habe ich auch gelernt, dass Frauen sehr stark sein können. Sei du mir eine starke Ehefrau, dann werde ich dich immer lieben. Denk nicht, dass Para, Théra und Clara weniger Wert sind, weil sie „nur“ unsere Pferdepfleger sind. Vater sagt, dass sie in ihrem Land so etwas wie die heimlichen Könige sind. Noch müssen sie sich im Verborgenen halten, doch ihre Zeit wird kommen. Das Wort unseres Vaters würde hier niemand anzweifeln. Behalte das also für dich. Zeige dich als würdig, meine Frau zu sein, indem du ein Geheimnis bewahren kannst und unsere Freunde achtest, wie uns selbst. “
Als sie im Palast ankamen, wurde Cennet ein Mitglied des großen Harems. Cennet lernte etwas Neues. Sie sah, wie Théra und die Mädchen jeden Morgen zum Reiten gingen. Sie staunte. Das war in ihrem Land nicht erlaubt. Es war Théra, die zu ihr ging. „Steh mit uns auf, sieh uns einfach nur zu. Wenn Burak dir das gestattet, dann wirst du das Reiten von uns lernen. Aber nur dann. Burak ist dein Herrscher, vergiss das nicht. Auch wenn das Reiten der Frauen in deinem Land nicht Sitte ist, so denke nicht, dass wir hier im Palast den Männern weniger gehorsam sind, als anderswo. Die Männer sind die Herrscher in diesem Land. Sie haben uns Frauen aber gestattet, einige Freiheiten zu genießen, wenn wir unter uns sind und wenn wir das nicht ausplaudern. Rede zuerst mit Burak.“
So kam es, dass Cennet in dieser Nacht mit Burak sprach und Burak ihr die Einwilligung gab. „Solange du die Tradition bewahrst, solange werde ich dir dieses Privileg gestatten“, hatte er geantwortet und sie wieder in die Arme genommen. Diese Frau war wirklich wunderbar. Er würde sie beschützen und sie verteidigen, solange sie sich an die Gebote hielt.
In den nächsten Tagen lernte Cennet viel, was sie verwirrte. Leyla, die zukünftige Frau des zweiten Gewinners des Wettbewerbs, setzte sich einmal zu ihr. „Es hat nicht viel gefehlt“, sagte Leyla, dann hättest du den Mann geheiratet, dem ich versprochen bin.“ Sie sah, wie Cennet zusammenzuckte, und Leyla fuhr fort. „Vielleicht wären wir Konkurrentinnen geworden. So wie es gekommen ist, ist es für dich und mich besser. So können wir Schwestern sein.“
Sie wechselte das Thema. „Glaub nicht, dass unsere Regeln weniger streng sind, weil wir hier im Harem Rechte haben, die den Frauen in einigen anderen Ländern nicht zugestanden werden. Du wirst das hoffentlich sehr schnell begreifen. Sei meinem Bruder eine gute Frau. Wir werden dich dafür lieben.“
Cennet beherzigte diese Ratschläge und Warnungen. Es fiel ihr nicht allzu schwer. Sie hatte einen wunderbaren Liebhaber bekommen. Er war aufmerksam, geduldig und großzügig. Sie spürte, dass Burak hart und gnadenlos sein konnte. Das machte ihn in ihren Augen noch mehr zum Mann. Zu ihr war er, wie ein Wolf im Lammpelz. Sie würde sich dieses Vertrauen immer wieder verdienen müssen, aber sie würde dieses Privileg auch ausreizen. Sie würde sich auch das Vertrauen der Frauen verdienen. So kam es, dass sich Cennet im Harem schnell einlebte. Théra und Clara verließen den Palast allerdings schon drei Tage später. Sie flogen mit Para zurück nach Peru.
Cennet war neugierig und Leyla erzählte ihr einiges von dem, was sie wusste. Sie hob warnend den Finger. „Das dort ist eine andere Welt. Ich habe sie gesehen. Théra und Clara haben die Eigenschaften, sich unseren Regeln wunderbar anzupassen. Deshalb dürfen sie hier Dinge tun, die wir anderen Ungläubigen nie gestatten würden. Wir leben hier. Wir sind Muslime. Wir verteidigen unsere Kultur als die gerechtere Weltordnung. Théra und Clara haben daran nie gerüttelt. Sie sind anders als wir, aber sie sind für uns wie Schwestern.“
In den nächsten Wochen lernte Cennet, dass die Frauen des Harems sich von den Frauen ihres Landes nicht wirklich unterschieden. Sie verteidigten die althergebrachten Regeln vielleicht sogar noch strikter als im Reich ihres Vaters, weil sie in diesem Palast größere Freiheiten hatten. Sie taten das aus Überzeugung und nicht, weil es von ihnen verlangt wurde. Cennet begann ihren Mann wirklich zu lieben.
Drei Monate nach dem großen Fest war klar, dass Cennet von Burak schwanger geworden war. Ihr Ansehen im Harem stieg schlagartig. Diese Frauen waren wirklich nicht so viel anders, als die Frauen in ihrem Land, und Cennet kicherte in sich hinein.
16.
Als Théra, Clara und Para im Flieger saßen, berichtete Para in ihrer altindianischen Sprache, dass der Emir ihm drei verschiedene Geldbeträge gegeben hatte. Einen für sich selbst und zwei für die Mädchen. “Diese Bezahlung spiegelt den Dank wieder, den der Emir euch schuldet, weil Burak das Rennen für sich entschieden hat. Euer Anteil ist nicht größer als meiner, aber es gibt etwas anderes, das euch die Achtung des Emirs zeigt.”
Er fuhr fort, “dieser Sieg ist die größte Ehre, die es in den arabischen Ländern gibt. Diese Ehre ist auf ihn abgefärbt. Der Sieg hat seinem Land zu mehr Macht und Ansehen verholfen. Er war schon immer ein weiser Herrscher, auf den die anderen arabischen Herrscher gehört haben. Seit diesem Sieg wird man seine Stimme noch viel mehr achten. Das hat er euch zu verdanken. Er weiß das, und auch ihr bewahrt dieses Wissen als euer Geheimnis.”
Para lächelte. “Geld ist nicht alles im Leben. Ihr habt in diesem Mann einen Freund gefunden, der euch in Zukunft jeden Wunsch von den Lippen ablesen wird. Denkt daran, wenn ihr einmal in Not seid, und einen wirklichen Freund braucht.”
Théra nickte. Der Emir hatte ihr bereits geholfen. Sie spürte die Hände Mustafas immer noch auf ihrem Leib. Sie war ihm mindestens genauso zu Dank verpflichtet. Sie wusste, das dies noch nicht die Liebe war, nach der sie sich sehnte, aber es war ein Anfang. Das andere konnte ihr der Emir auch nicht geben...