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Großvater August – ein Tatmensch
ОглавлениеMein Großvater August war ein Tatmensch, abhold jeglichem Müßiggang. Tatmenschen können ihre Mitmenschen auch nerven. Meine Cousine Hannelore schrieb darüber in ihren Erinnerungen an ihre Mutter Erna Habermann, meine Tante.
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Vom 1. April 1927 bis zum 30. September 1930 absolvierte Erna eine Damenschneider-Lehre bei Damenschneidermeister Emma Beckmann. Erich hatte eine Herrenschneider-Lehre gemacht, während August zum Kürschner ausgebildet wurde. Ihr Vater hätte es gern gesehen, eine Werkstatt mit seinen Kindern zu eröffnen, bei der er der Chef wäre und seine Kinder die Arbeit zu absolvieren hätten. Dazu ist es aber nicht gekommen. Die Kinder sind ihre eigenen Wege gegangen. Bei der Geburt unserer Mutter soll sich ihr Vater alle Knöpfe seiner Uniform abgerissen haben, vor Wut darüber, dass es kein Junge war. Unser Großvater stirbt am 18. Oktober. 1965 an den Folgen eines zweiten Schlaganfalls (den ersten hatte er bereits im Alter von 58 Jahren). Er kann nicht mehr die Geburt seines ersten Urenkels Daniel erleben (Enkel des Erich Plaumann und Sohn des Hans Plaumann), der am 29. November 1965 geboren wird. Da er immer sehr viel Wert auf männliche Nachkommen legte, hätte ihm diese Geburt sehr viel Freude bereitet.
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So war er auch, der Großvater August. Als unsere Tochter Aenne geboren wurde, meinte er, wenn Änne, dann aber mit Ae, also Aenne, so wie das Aennchen von Tharau im Lied aus Ostpreußen.
Sein Versuch der „Selbstausbeutung“ scheiterte, zum Glück für seine Kinder. Er aber gab nicht auf in seinem Tatendrang. Er wollte Beamter werden, aufsteigen, mehr sein als nur Kutscher. Er wurde angenommen bei der Schutzpolizei als Anwärter. Er hatte weder ein Gymnasium noch eine Polytechnische Oberschule besucht. Er hatte kein Abitur. Er war ein Klippschüler. Er kannte nicht Lenins Forderung: Lernen, lernen und nochmals lernen! Aber er tat es und büffelte. Er übergab mir später, als ich Pennäler der Blücher-Oberschule für Jungen wurde, ein Mathebuch für den mittleren Polizeidienst.
Er forderte mich immer wieder auf:
„Lerne, lerne mein Junge, du musst studieren!“
Nachdem sein Plan mit der Schneidermanufaktur gescheitert war, wollte er einen Akademiker in seiner Familie haben, und der sollte ich sein, Arzt. „Ärzte werden immer gebraucht, ob im Kaiserreich, in der Weimarer Republik oder jetzt unter Hitler“, meinte mein Großvater. Doch Blut konnte ich nicht sehen. „Dann eben Rechtsanwalt“, meinte mein Großvater. „So lange Eigentum in welcher Form auch immer existiert und herrscht, werden die Menschen streiten, rauben, morden, falsch´ Zeugnis reden“, meinte mein Großvater.
Nur: Paragrafen pauken und schwarze Roben tragen, das war nicht mein Ding! Ich wollte Journalist werden. Und dafür war nun wieder meine Mutter verantwortlich. Siehe: oben. Studieren, wie Großvater August es forderte, das fand ich schon in Ordnung.
Großvater August war Beamter geworden, vom Streifenpolizisten hatte er es mit „Lernen, lernen und nochmals lernen!“ sogar zum Revierbeamten geschafft, der auch orthografisch firm sein musste. Und er liebte die Uniform. Ich habe später lange darüber nachgedacht, warum mein Großvater sich so gerne in Uniform abbilden ließ. Er, der Aufmüpfige gegen einen Vertreter von Macht und Militär. Gutsherren waren Teil der Macht und des Militärs nicht nur in Ostpreußen. Warum nur fühlte mein Großvater sich wohl in einer solchen Tracht der Macht?
Ich denke: Diese von Generation zu Generation immer als Knechte der Reichen und Besitzenden Gebrandmarkten fühlten sich mit der Uniform frei, glaubten sich damit den sie Beherrschenden als Uniformträger gleich. Welch ein Irrglaube! Erstens waren sie nur „Kanonenfutter“ für die Machtherren, und zweiten waren sie weiterhin nur Dienende. Uniformiert mussten sie tun, was ihnen befohlen wurde – auch sterben, geschönt als „Sterben für Kaiser oder Führer, für Volk und Vaterland!“
Die Männer vor dem jungen August
Onkel Walter Habermann, Onkel August Plaumann, Großvater August Karl Plaumann, Vater Erich Plaumann. (Von links nach rechts.) Aufnahme: wahrscheinlich 1941.
Da strahlt er, der Polizeimeister der Schutzpolizei, zum Polizeioffizier hatte er es nicht geschafft, da war die NSDAP davor, in die sollte er eintreten. Er trat nicht ein, er war Mitglied der Bekennenden Kirche, so wie sein Freund Otto Pfitzner, ein Notar. Großvater Augusts Held und „Führer“ war der Feldmarschall Mackensen3.
Mackensen also:
Ein Husarengeneral, der den „Führer“ nicht liebte. Dieser war als Gefreiter nicht fähig, einen Krieg ordentlich und siegreich zu führen. So dachte wohl der Großvater August. Und das Bild von dem Generalfeldmarschall hing im Wohnzimmer über der Anrichte.
Generalfeldmarschall Anton Ludwig Friedrich August von Mackensen
Unübersehbar! 1941 bekam Großvater August einen Schlaganfall. Er war 58 Jahre alt. Sein Revier schickte ihn zur Genesung nach Bad Gastein, danach lebte er als „Vorpensionär“ zu Hause und piekte kleine Fähnchen in die Landkarte, die er unter dem Bild seines Idols auf die Wohnzimmer-Tapetenwand genagelt hatte. Mit den Fähnchen markierte er den Vormarsch der Wehrmacht in Russland, die der Nachrichtensprecher im Radio mit markiger Stimme vermeldete. Da glänzten Großvaters Augen.
Sorge hatten er und Großmutter allerdings, dass es auch ihre Söhne Erich und August im Krieg erwischen könnte. Als dann vor Stalingrad Schluss war mit Vormarsch und Sieg und der Rückzug begann, Begradigung der Front genannt, da behaupteten nach dem Krieg viele der so genannten Volksgenossen: Das musste ja so kommen, das haben wir von Anfang an gewusst, dass der Adolf das nicht schafft!
Da fragte ich Großvater August: „Was hat denn Hitler nicht geschafft?“ Keine ausreichende Antwort. Ich nehme ihm das nicht übel, heute will keiner den Nazis zugejubelt haben, heute will keiner in der NSDAP, in der SA oder gar in der SS gewesen sein. Ich maße mir kein Urteil an, will und kann auch nicht ihre Haltung von damals mit dem Wissen von heute messen. Aber den Mut, sich zu ihrem Verhalten damals zu bekennen, sollten sie doch aufbringen. Oder?
Krieg zu Ende – „Gitler kaput!“ –, wie ein Rotarmist uns sagte, als er mit seinem Panjewägelchen und dem klapprigen Pferdchen davor in Kolonne in unser Dorf Granschütz ankam. Das war im Frühjahr 1945. Die GIs zogen ab, und die „Russen“ zogen ein in Sachsen-Anhalt. Wir, unsere Mutter, Kalle, Traudi und Ebi – die Zwillinge – und ich, wir wurden als „Flüchtlinge“ aus dem Osten von Familie Braunschweig aufgenommen. Vater Braunschweig war Betriebsmaurer in der Farbenfabrik im benachbarten Dorf Webau, und Mutter Braunschweig führte das Regime im Haus. Rief nacheinander alle Kindernamen, unsere vier und dazu ihre zwei, die noch zu Hause lebten, Ilse und Harry, bis es den richtigen traf, den sie meinte.
Das Haus war ein Genossenschaftsbau, gehörte den Braunschweigs, gebaut in mehreren Jahren. Unten war das Wohnzimmer, nach hinten schloss sich die Küche an, und danach gab es einen Hühner-Karnickel-Stall. Im oberen Stockwerk gab es noch ein Zimmer, das bewohnten wir fünf, und noch zwei kleine Kammern für Ilse und Harry. Die hintere Haustür führte zum Gemüsegarten, und dahinter erstreckte sich weites Niemandsland. Dachte ich. Es war ein wenig hügelig und von den Stellungen der Flakgeschütze durchlöchert. Die Kanonen hatten sie abgeholt, und nur da und dort fanden Kalle und ich und die anderen Jungen aus der Siedlung die Brennstäbe, mit denen die Kanoniere die Flakgeschosse abfeuerten. Wir bastelten daraus Raketen, wir klauten von Vater Braunschweig, die anderen von ihren Vätern, Karbid, der für die Stalllaternen gelagert wurde, steckten ihn in leere Bierflaschen, füllten Wasser dazu und die Brennstäbe. Das in der Flasche sich entwickelnde Gas entzündete sich, und mit einem gewaltigen Krach, der die Flaschen sprengte, schossen die Flaschen mit einem breiten Flammenschweif hinter sich in den blauen Frühlingshimmel.
Was für ein herrliches Spiel für uns, und wie gefährlich, tadelten uns die Erwachsenen. Wir spielten Krieg, der wohl immer noch so nah war.