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Herbert

Noch nicht vierunddreissigjährig, hatte es Herbert Stoll schon weit gebracht. Eine der grössten Druckereien der Gegend war sein Eigen. Nicht ganz, wie er oft im Freundeskreis scherzhaft zu sagen pflegte: «Die Druckerei gehört der Bank und mir.»

Erst am Wochenende war er aus dem Libanon zurückgekehrt. Dort war er seinen Verpflichtungen als Vorstandsmitglied in den Unternehmen seines Schwiegervaters nachgekommen. Haneen, seine Frau, die ihn begleitet hatte, war im Libanon geblieben. Ihre Mutter hatte sich nicht wohlgefühlt.

Es war Dienstag, der 3. September 1976. Im Terminkalender keine einzige Besprechung oder Sitzung. Einer jener Tage, an denen Herbert Zeit fand, den sich auf seinem Schreibtisch stapelnden Berg unerledigter Pendenzen abzuarbeiten. Den allmorgendlichen Rundgang durch seinen Betrieb wollte er etwas ausdehnen, Zeit haben für Anliegen seiner Mitarbeiter.

Wie immer, wenn Haneen im Libanon war, verwöhnte Frau Waldmeier ihren Chef mit frischen Gipfeli und einer Tasse Kaffee. Dass sie ihren Chef duzte und er zu ihr per Sie war, fiel den meisten Besuchern in der Regel rasch auf. Ja, sie hatten ein besonderes Verhältnis, und wer die Firmengeschichte der Herbert Stoll AG kannte, wunderte sich darüber weiter nicht.

Herbert machte sich auf zum Rundgang. Unter der Tür sagte er zu Frau Waldmeier: «Es könnte heute etwas länger dauern. Im neuen Maschinensaal möchte ich mit den Monteuren, die gestern gekommen sind, noch ein paar Worte wechseln.»

Rosmarie Waldmeier nickte und fragte: «Mein Mann hat heute Geburtstag und ich habe noch kein Geschenk für ihn. Kann ich etwas früher gehen?»

«Schon gut, Frau Waldmeier, gehen Sie doch so nach drei Uhr», waren die Worte, die Stolls Sekretärin noch hörte, bevor dieser die Tür hinter sich schloss.

Gleich zu Beginn seiner Runde begrüsste er die beiden Monteure, die während der nächsten zwei Wochen die neue, leistungsfähige Druckmaschine montieren sollten. Er erkundigte sich, ob sie sich im Hotel wohlfühlten. Seinen Betriebsmechaniker, der danebenstand, ermunterte er, bei der Montage mitzuhelfen und vom Know-how der Monteure zu profitieren.

«Du kannst dich auf mich verlassen, auch wenn es mal später am Abend wird», gab der Betriebsmechaniker zurück.

«Geh doch ein-, zweimal mit den beiden auf Kosten der Firma zum Essen in den Leuen, ein gutes Verhältnis zu Monteuren zahlt sich über die Zeit immer aus», sagte Herbert und ging zielstrebig zur Spedition.

Dort ging es am frühen Morgen immer lebhaft zu. Hier trafen sich seine eigenen Leute mit Abholern und Chauffeuren. Die am Vortag und in der Nacht gedruckten Erzeugnisse lagen hier bereit zum Abholen oder zum Versand, und hier wurden auch die neuesten Informationen ausgetauscht, über dies und jenes getratscht, Pause gemacht und Kaffee vom Auto­maten getrunken.

Herbert Stoll trat in den Raum. Eine fast unheimliche Stille schlug ihm entgegen. Niemand lachte, alle redeten nur gedämpft miteinander. Irgendetwas war anders als sonst. Heute konnte er nicht mit einem flotten, lockeren Spruch die Stimmung ändern. Im Moment traute er sich auch nicht, jemanden anzusprechen, wen auch?

Frau Berner trat zu ihm. Sie wohnte im Nachbarort, wo Stoll aufgewachsen war, und holte jeweils die druckfrischen Prospekte für ihre Firma ab. Sie streckte Stoll die Hand entgegen. «Herr Stoll, ich kondoliere Ihnen zum Tod Ihrer Mutter, es tut mir leid.»

Stoll erschrak, verunsichert schaute er Frau Berner an, die Hand übersah er. Reflexartig drehte er sich um. Nur raus, weg von diesen Leuten, die ihn anstarrten. Wortlos nickte er Frau Berner zu, verliess die Spedition und schlug den Weg zu seinem Büro ein. Er stürmte durch das Vorzimmer, in dem Frau Waldmeier gerade die Morgenpost sortierte, in sein Büro und schloss die Tür hinter sich. So hatte Frau Waldmeier ihren Herbert noch nie gesehen. Das ausdruckslose, bleiche Gesicht, der leere Blick. Und dass er sich eingeschlossen hatte, war in den zehn Jahren, seit Herbert ihr Chef war, nie vorgekommen. Behutsam klopfte sie an. Nachdem sich auf ihr Klopfen nichts regte und kein «Kommen Sie herein» zu hören war, öffnete sie die Tür. Sie erschrak, als sie Herbert leichenblass auf dem Besucherstuhl sitzen sah. Er regte sich nicht, schien sie nicht wahrzunehmen. «Was fehlt dir, brauchst du einen Arzt?», fragte sie zögernd. Mit den Worten, sie solle ihn in Ruhe lassen und es fehle ihm nichts, schickte er sie hinaus. Nach einigen Minuten hörte sie, wie in Herberts Büro das Telefon lange läutete. Kaum hatte es der Anrufer offenbar aufgegeben, leuchtete an ihrem Apparat die rote Lampe auf. «Druckerei Stoll, Waldmeier am Apparat, was kann ich für Sie tun?»

«Guten Tag Frau Waldmeier, hier ist Sebastian Furrer, ist Herbert nicht in seinem Büro?», fragte der Anrufer. «Ich versuchte ihn eben über die Direktwahl zu erreichen, doch er antwortet nicht. Seien Sie doch so nett und verbinden Sie mich mit ihm.»

Frau Waldmeier kannte Sebastian Furrer, ein Freund von Herbert, sie trafen sich regelmässig zum Joggen. «Es tut mir leid, Herr Furrer, ich kann Sie im Moment nicht verbinden.»

«Dann richten Sie ihm bitte aus, dass er mich nach der Besprechung, in der er offenbar steckt, zurückruft.»

In ihrer Erregung rutschte es aus ihr heraus: «Er ist nicht in einer Besprechung.» Augenblicklich schämte sie sich, wie unprofessionell sie geantwortet hatte. Mit ihrer Aussage hatte sie Furrer hellhörig gemacht. Irgendetwas Ungewöhnliches musste vorgefallen sein. «Frau Waldmeier, mir als Herberts Freund können Sie doch sagen, was los ist», redete er auf sie ein.

«Ich weiss selbst nicht, was los ist, bitte lassen Sie mir etwas Zeit, ich werde Herbert Ihren Anruf ausrichten. Bitte haben Sie Verständnis, Herr Furrer», sagte Frau Waldmeier und unterbrach die Verbindung.

Furrer war perplex, noch nie zuvor war Herberts Sekretärin derart kurz angebunden gewesen.

Noch während des Gesprächs mit Furrer leuchtete am Apparat von Frau Waldmeier das orange Lämpchen auf. Ein Anruf aus der Spedition. Bevor sie auch nur ein Wort sagen konnte, schimpfte Lisa, die Gruppenleiterin, drauflos.

«Warum hast du uns nichts gesagt, warum müssen wir so traurige Dinge über unseren Chef von Kunden erfahren? Es war uns allen peinlich, als der Chef bei seinem Betriebsrundgang zu uns kam.»

Frau Waldmeier, sonst gar nicht auf den Mund gefallen, war erst mal sprachlos. Die sonst sanfte, wortkarge Lisa war ausser sich. Sie hörte gerade noch, wie Lisa weinte und dann auflegte. Was war geschehen, was gab es, das sie nicht wusste? Erst der Chef, der wie ein Gespenst an ihr vorbeigeschossen war und sich in seinem Büro verschanzt hatte, und dann Lisa, völlig aufgelöst und erregt. Kurz entschlossen begab sie sich zur Spedition. Lisa sass in Tränen aufgelöst auf einem Stuhl und schluchzte. Frau Huber, eine Aushilfe, hielt wortlos Lisas Schulter. Frau Waldmeier versuchte, ihre eigene Aufregung zu dämpfen und trat zu Lisa. «Was ist denn in dich gefahren, dass du mich am Telefon derart beschimpfst? Es gibt da anscheinend etwas, das ich nicht weiss, bitte klär mich auf.»

Lisa, immer noch beleidigt, stotterte: «Du hättest uns heute früh über den Tod der Mutter unseres Chefs benachrichtigen sollen. Es war für uns alle so peinlich, als wir von Frau Berner von ihrem unerwarteten Tod erfahren mussten. Wir hatten keine Ahnung und es traf uns alle. Anstatt von dir mussten wir es von Frau Berner erfahren.» Sie schluchzte auf. «Und wie sich der Chef verhalten hat, als ihm Frau Berner ihr Beileid aussprach. Ich dachte, der fällt wie ein Baum im Sturm zu Boden, er wirkte geschlagen, es schien, als hätte auch er erst von ihr vom Tod seiner Mutter erfahren.»

Alle anderen, die sich im Raum aufhielten, blieben stumm, während Lisa sprach, hatten ihre Arbeit unterbrochen und schauten zu Frau Waldmeier. Diese reagierte erst verwirrt und dann ungläubig.

Lisa könnte recht haben, ging es ihr durch den Kopf. Ihr Chef hatte heute tatsächlich von Frau Berner zum ersten Mal vom Tod seiner Mutter erfahren. Frau Berner war, ohne es zu wissen, die Überbringerin der traurigen Mitteilung. Eine Nachricht, die auf andere Weise hätte überbracht werden müssen.

Mit einem Mal verstand Frau Waldmeier das Verhalten von Herbert, auch dass Lisa verärgert und hilflos war, konnte sie nun nachvollziehen. Zu Lisa sagte sie: «Es tut mir wirklich leid, was geschehen ist. Dass unser Chef nichts vom Tod seiner Mutter gewusst hatte, kann gut sein. Wenn du aber denkst, ich hätte dir und allen anderen die Nachricht vorenthalten, liegst du falsch, erst durch dich habe ich davon erfahren. Ich bin genauso schockiert wie ihr alle.»

Zurück in ihrem Büro, setzte sie sich mit weichen Knien hin. Sie starrte auf das Gemälde einer finnischen Landschaft, das an der Wand hing. Ein Bild, das ihr in hektischen Zeiten half, sich zu beruhigen und abzulenken. Doch an diesem Morgen schien ihr diese Szenerie neblig und trüb, der See und die Bäume verschwommen, ohne Konturen. Was sollte sie als Nächstes tun, wie sich verhalten? Beherzt ins Büro zu Herbert treten oder warten, bis er sich meldete? Das Telefon riss sie aus ihren Gedanken.

Sie nahm sich zusammen, griff nach dem Hörer und meldete sich wie gewohnt: «Druckerei Stoll, Rosmarie Waldmeier am Apparat, was kann ich für Sie tun?»

Ein Kunde wollte sich informieren, wann die bestellten Kataloge von seiner Winterkollektion geliefert würden. Sie fragte in der Abteilung nach und bestätigte dem Kunden die Lieferung in zwei Tagen. Nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, drehte sie sich auf ihrem Bürostuhl um. Herbert, der während des Gesprächs eingetreten war, hatte sie nicht bemerkt. Kein Schatten, kein Geräusch hatte auf ihn aufmerksam gemacht. Sie erschrak, als er so unerwartet neben ihr stand. Eine kümmerliche Figur, wie ein geschlagener Hund stand er mitten im Raum.

«Geben Sie mir das Telefonbuch», forderte er mit gebrochener Stimme.

«Herbert, es tut mir so leid, was passiert ist. Ich erfuhr es erst vor wenigen Minuten von Lisa. Was kann ich für dich tun?», versuchte Frau Waldmeier sich heranzutasten.

«Nichts und niemand kann jetzt etwas für mich tun, ich will in Ruhe gelassen werden. Geben Sie mir jetzt das Telefonbuch bitte.» Ein letzter Versuch, mit Herbert ins Gespräch zu kommen, war ihr Angebot, für ihn die gewünschte Nummer herauszusuchen. Doch er lehnte ab und zog sich wieder zurück in sein Büro.

Mit zitternden Fingern suchte Herbert die Telefonnummer seiner Schwester Michele. Vier Jahre zuvor hatte er das letzte Mal mit ihr gesprochen. In seiner privaten Agenda war ihre Adresse und Telefonnummer nicht eingetragen. Alle Kontakte zu seiner jüngeren Schwester hatte er damals abgebrochen. Seither hatte es keine Gründe gegeben, mit ihr zu reden. Sollte sie, seitdem er zuletzt von ihr gehört hatte, nicht umgezogen sein, würde er ihre Nummer finden. Tatsächlich, da stand sie. Wie sollte sie auch umziehen, ging es ihm durch den Kopf. Er hatte ihr ja damals im Erdgeschoss des Hauses, in dem sie wohnte, ihren Coiffeursalon finanziert.

Zögerlich wählte Herbert die Nummer seiner Schwester. Eine junge Stimme meldete sich.

«Rolf Stoll.»

«Rolf, hier ist Herbert, dein Onkel, bitte ruf deine Mutter ans Telefon.»

Am anderen Ende der Leitung hörte Herbert, wie sein Neffe nach der Mutter rief. Darauf Micheles Stimme: «Muss das denn jetzt sein, das passt mir gar nicht, warum ruft der mich an, das stinkt mir.» Sie seuftzte: «Wenn es denn sein muss, gib mir den Hörer.»

«Was ist?», ertönte die eiskalte, schnippische Stimme Micheles.

«Was ist, wäre eigentlich an mir, zu fragen», begann Herbert. «Was ist mit Mutter?»

«Hat man dir also erzählt, dass Mutter gestorben ist. War wohl kaum zu vermeiden, dass du davon erfahren würdest.»

Herbert antwortete: «Ich bitte dich, egal was du von mir hältst, was auch immer vorgefallen ist, deine Mutter war auch meine. Wann und wo starb Mutter, wie ist sie gestorben, warum wurde ich nicht von dir oder von Vater benachrichtigt?»

«Mutter starb vorgestern im Spital, sie hatte vier Tage zuvor einen Hirnschlag. Vater hat uns ausdrücklich untersagt, dich über den Spitalaufenthalt und den Tod von Mutter zu informieren. Morgen erscheint im Tagblatt die Todesanzeige, darin steht auch, wann und wo die Abdankung stattfindet. Und jetzt muss ich weg, ich habe einen Termin beim Friseur.»

Ohne ein weiteres Wort hatte Michele die Verbindung abgebrochen, Herbert konnte nur noch den Freiton hören.

Während des Gesprächs sank Herbert immer tiefer in seinen Sessel. Er weinte. Dass seine Schwester Michele ihre eigene Dummheit durch arrogantes Auftreten überdeckte, war ihm nicht neu. Auch dass sie eine kalte, empfindungslose Person war. Dass sie aber bei einem so traurigen Anlass derart gefühllos handelte, dafür fiel ihm keine Entschuldigung ein.

Herbert blieb lange in seinem Sessel sitzen. Er beachtete nicht die aufziehenden Wolken, die den Tag verdunkelten. Er überlegte sich, Haneen anzurufen. Mit ihr konnte er über alles reden, immer wenn es galt, ihn aus einer tiefen Niedergeschlagenheit aufzurichten, fand sie die richtigen Worte. Doch Haneen war ja seit einer Woche bei ihrer kranken Mutter im Libanon. Er schob den Gedanken, sie jetzt anzurufen, beiseite. Er würde, wie jeden Abend, von zu Hause aus mit ihr telefonieren.

Kurz entschlossen nahm Herbert seine Jacke vom Kleiderhaken, sagte zu Frau Waldmeier nur ein knappes «Ich bin dann weg» und ging zielstrebig und auf dem kürzesten Weg zum nahe gelegenen Wald zu einer Lichtung. Schon als Jugendlicher hatte es ihn oft dorthin gezogen. Hier fühlte er sich wohl, hier konnte er entspannen. «Seine» Waldlichtung war ringsum von grossen Findlingen umsäumt. Findlinge, die ein Gletscher vor Jahrmillionen ins Tal getragen und auf seinem Rückzug in die Alpen liegen gelassen hatte. Zu dieser Lichtung zog es Herbert, wenn er allein sein wollte, wenn eine schwierige Entscheidung zu treffen war oder er sich still an einem gelungenen Geschäft freuen konnte. Diesen Ort des Rückzugs aus dem Alltag suchte er auch auf, wenn jemand, der ihm nahestand, beerdigt wurde.

Herbert hasste Beerdigungen, er konnte die heuchlerischen Worte, mit denen Pfarrer und Priester selbst die hinterhältigsten Menschen nach deren Tod nur im besten Licht darstellten, nicht ausstehen. Auch konnte er Trauernde nicht leiden, denen er ansah, dass sie noch am Grab eines Verstorbenen über das nun endlich fällige Erbe nachdachten. Verstorbenen, die Herbert gut gekannt hatte, mit denen er befreundet war, die er zu deren Lebzeiten hoch geachtet hatte, gedachte er lieber in aller Stille in seiner Waldlichtung.

In der Ruhe des Waldes fand er zu sich selbst. Er liebte die Gerüche, die sich in jeder Jahreszeit neu komponierten. Den Moder der langsam zu Humus zerfallenden Blätter, die vielfältigen Düfte der Blüten. Nicht, dass es im Wald nur friedvoll zugeht, der Kampf ums tägliche Überleben findet auch dort auf brutale Weise statt. Die hohen Bäume nehmen den kleinen – selbst denen, die aus ihrem eigenen Samen gewachsen sind – das zum Leben notwendige Licht. Mit ihren tiefen Wurzeln saugen sie das zum Wachstum der Jungen notwendige Wasser hoch in ihre Blätter. Die Macht der Grossen, der Etablierten wird im Wald schonungslos gelebt. Doch ausgerechnet deren Grösse wird ihnen irgendwann zum Verhängnis. Der eine wird vom Wintersturm, der in den hohen Kronen Widerstand findet, ein anderer von der Motorsäge des Försters gefällt. Dann beginnt das neue Leben der bis dahin Unterdrückten. Die kleinen jungen Bäumchen erhalten Licht und streben zur Höhe. Natur pur, sagte sich Herbert, altes Leben wird ausgelöscht, junges erhält Chancen zum Leben.

Herbert setzte sich auf einen der Steine. Er nahm die Nässe des Regens nicht war, nicht die Kälte, die durch seine dünne Bekleidung kroch. Mit seinen Gedanken war er woanders. Ungeordnet waren sie; mal weit weg, dann wieder ganz nah. Das Zeitgefühl hatte ihn verlassen, er sass einfach nur da. Zögerlich und zuerst nur halb bewusst, begann er über seine Lage nachzudenken. Wie war es so weit gekommen, dass er sich mit seiner Familie derart zerstritten hatte? Wie weit zurück lagen die Ereignisse, die sein Leben und das seiner Familie in diesem Mass beeinflusst hatten? Wie war es gekommen, dass Hass und Missgunst seine Familie derart vergiften konnten.

Dies zu ergründen, würde er sehr tief graben und weit zu den Wurzeln seiner Familiengeschichte zurückgehen müssen.

Wo wurde sein Vater geboren, wie war er aufgewachsen? Wie war das Milieu, in dem seine Mutter aufwuchs und was waren die Gründe ihrer oft tiefen Depressionen?

Schuldig geboren

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