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Albert Stoll, Herberts Grossvater

Unter der Last des Rucksacks keuchend, musste Linda stehen bleiben. Nur noch wenige Schritte von der Bank entfernt, auf der sie sich gewöhnlich einen kurzen Zwischenhalt gönnte. Immer schneller drehte sich der steinige Weg mit den beidseits hohen Böschungen, die Bäume vor ihren Augen. Zu stolz, als noch nicht fünfunddreissig Jahre zählende Frau an einem Gehstock zum Einkaufen zu gehen, hatte sie nichts, woran sie hätte Halt finden können. Sie zog die heisse Luft ein, die dann geräuschvoll pfeifend aus ihren Lungen strömte. Mit geschlossenen Augen versuchte sie sich zu sammeln und schaffte die wenigen Schritte zur Bank doch noch. Den schweren Rucksack stellte sie daneben und setzte sich. Es stand noch eine steile Strecke bis zum Hof vor ihr. Der Hohlweg, von Sommergewittern ausgeschwemmt, mit Geröll übersät, so wie ungepflegte Wege im Jura aussehen. Kaum mit einem Wagen befahrbar, war dieser bachbettartige Weg die kürzeste Verbindung zum Städtchen.

Das von ihren Bewohnern liebevoll «Städtli» genannte Waldenburg war eigentlich ein Dorf, das seine vor der Neuzeit liegende Wichtigkeit verloren hatte.

Die Zufahrt zum Hof führte über eine lang ansteigende, kurvige schmale Strasse. Mit Ross und Wagen brachte Albert über diese Zufahrt jeden Tag zwei Mal die Milch zur Sammelstelle.

Der Fussweg, den Linda zum Gang ins Städtchen und wieder zurück zum Hof benutzte, war auch jener, auf dem ihre Kinder zur Schule gingen. Üblicherweise machte Elsi, das älteste ihrer Kinder, nach der Schule die täglichen Besorgungen. Doch an diesem heissen Sommertag hatte Linda selbst ins Städtchen hinabgehen müssen. Den Besuch beim Doktor konnte ihr niemand abnehmen.

Die regelmässigen Visiten bei Dr. Baldinger waren Linda zuwider. Sie schämte sich, sich vor dem jungen Arzt zu entblössen. Er horchte jeweils ihre Brust ab, nickte dabei wissend, doch was er dabei feststellte, konnte oder wollte er ihr nicht sagen. Mit den lateinischen Ausdrücken, die sie hörte, wenn er mit seinem Vater sprach, konnte sie nichts anfangen. Ihre schwachen Lungen, das mühsame Atmen, behandelte der Doktor nun seit über drei Jahren. Linderung brachten die Medikamente, die sie erhielt, jeweils nur für eine kurze Zeit. Auch war es für sie rätselhaft, weshalb der alte Doktor sie an den jungen zur Behandlung weitergeben hatte. Nach den Gründen zu fragen, traute sie sich nicht.

Das schwül-heisse Wetter, das an jenen Sommertagen des Jahres 1927 herrschte, raubte Linda fast den Atem. Auf der Bank sitzend, erholte sie sich langsam. Da blieb ihr Blick an der schroffen, hohen, scheinbar am Berg klebenden Fluh auf der anderen Talseite hängen. Kahl thronte sie fast zweihundert Meter hoch über dem Seitental. Von ihrer Bank aus gesehen schienen die schon vor Jahrhunderten unter der Fluh gebauten Häuschen jeden Augenblick gefährdet. Eines Tages zerdrückt von herabfallenden Felsbrocken oder begraben zu werden von der sich vom Berg lösenden Fluh, schien jederzeit möglich zu sein. Doch war seit Menschengedenken niemand zu Schaden gekommen. Nein, die Fluh diente seit Urzeiten den darunter lebenden Menschen als Schutz vor Unwettern und Feinden.

Lindas Besuch bei Dr. Baldinger war ausserhalb des vereinbarten halbjährlichen Zyklus’ erfolgt. Zur Atemnot, die ihr in der Sommerhitze die Kehle zuschnürte, waren neue Beschwerden gekommen. Seit acht Wochen waren ihre Monatsblutungen ausgeblieben. Unregelmässige Blutungen hatte sie zwar schon früher gehabt. Doch ihre Befürchtungen bestätigten sich, der Doktor diagnostizierte eine Schwangerschaft. «Sie sind in guten Umständen», hatte er mit besorgtem Gesichtsausdruck gesagt. Mit ihrer Lunge sei das gar nicht gut, und er erwarte grosse Komplikationen. Dass es Schwierigkeiten geben würde, war Linda nach dem Befund augenblicklich bewusst. Nur dachte sie nicht an dieselben wie der Doktor.

«Wie bringe ich Albert meinen Zustand bei? Wann wird der beste Zeitpunkt sein, ihm zu sagen, dass ich ein Kind erwarte?» Linda kannte ihren Mann zu gut; so sicher, wie es vom Kirchturm zwölf schlägt, würde er sie beschimpfen, schlagen, gar treten. Schon im Voraus wusste sie, was er ihr entgegenschleudern würde. Er würde vor Wut schäumen und ihr vorhalten, dass er schon ohne einen zusätzlichen Balg nicht wisse, wie er seine Schulden bezahlen solle. Und dass sie, mit einem Kind im Bauch, nicht mehr wie sonst im Stall und auf den Feldern werde mitarbeiten können.

Linda seufzte beim Gedanken, dass es auch sein Kind war und er schliesslich der Vater sei. Dass er sich oft, mitten in der Nacht, ohne sie zu wecken, auf sie legte und in sie drängte und sich dann wortlos zur Seite rollte, um schnarchend in einen Tiefschlaf zu fallen. «Wie eine Kuh komme ich mir dann vor», dachte sie. «Nur – bei einer Kuh freut er sich, wenn diese trächtig wird, das gibt ein Kalb, das gibt Geld, das ist erwünscht.»

Linda beschloss, Albert noch nicht über ihren Zustand aufzuklären. Sie würde abwarten, bis sie nur mit Elsi und Albert in der Küche war. Dann, wenn die beiden Zwillinge noch in der Schule oder sonst irgendwo draussen waren. Vor Elsi mässigte sich Albert mit seinen groben Ausbrüchen. Wenn Albert sie schlagen wollte, trat die Tochter jeweils schützend vor die Mutter. Elsi, die älteste Tochter, war ein mutiges Mädchen. Mit ihrem forschen Auftreten hatte sie sich Respekt verschafft und ergriff, je länger, umso bestimmter, wortreich Partei für die Mutter.

Wie nach jedem seiner Wutausbrüche würde Albert sich für einige Tage im Stall und in der Scheune verkriechen, kurz zum Essen an den Tisch kommen, um sich dann zum Mittagsschlaf auf den Heustock zu verziehen. Tagelang würde er wie ein räudiger Hund umherschleichen. Bei günstiger Gelegenheit würde er Elsi über die Ergebnisse der Untersuchungen beim Doktor und über den Zustand der Mutter ausfragen, um dann bis zum nächsten Wutausbruch still, mürrisch und in sich gekehrt seiner Arbeit nachzugehen.

Linda erhob sich, schnallte den mit Mehl, Zucker und Hefe beladenen Rucksack an und stieg langsam weiter den karstigen Weg hoch. Noch nicht in Sichtweite des im Schatten des Hügels gelegenen Hofes kam ihr auch schon Schäfli, der Hofhund, entgegen. Er umkreiste und begrüsste sie mit wedelndem Schwanz und gab dabei fast jauchzende Laute von sich. «Du bist ein lieber Hund, es ist brav von dir, mir entgegenzukommen, leider habe ich keinen Knochen, ich war heute nicht beim Metzger.» Nur zu gerne hätte Linda einen Knochen mitgebracht, aber Fleisch zu kaufen lag im Moment nicht im Budget. Möglicherweise würde Albert nächstens das kleine Kälbchen, das mit zwei krummen Beinen geboren worden war, zum Metzger bringen. Dann käme wieder einmal Fleisch auf den Tisch. Nach der Biegung verflachte sich der Weg zum Haus mit dem von Weitem sichtbaren, tief heruntergezogenen Dach. Kein Bewohner war zu sehen. Die Zwillinge hatten an ihrem schulfreien Tag den Auftrag erhalten, Unkraut zu jäten. Keiner der beiden war im Gemüsegarten, obwohl sie während ihres Besuchs im Städtchen wohl kaum mit ihrer Arbeit fertig werden konnten. «Sicher haben sie sich vergessen und tollen wieder irgendwo rum», dachte Linda, als sie auf die Tür zuging.

Der einzige Schmuck am tristen Haus waren die beidseits des Eingangs aufgestellten, von Elsi liebevoll gepflegten Blumenkisten. Sie hegte diese, obwohl ihr der Vater dauernd zu verstehen gab, dass die für die Pflege aufgewendete Zeit für nützlichere Handreichungen fehle.

Vor der Haustür kauerten die beiden Buben auf dem Boden und weinten bitter. Warum sie denn heulten, wollte Linda erfahren. Max, der etwas aufgewecktere der beiden, erzählte: «Als Müri, die Katzenmutter, am Mausen auf der frisch gemähten Wiese war, hat Vater deren junge Kätzchen im Brunnen ersäuft. Und als Müri stolz mit einer gefangenen Maus zurück zum Hof gekommen ist, fand sie ihre Jungen nicht mehr. Nun streift sie jammernd und miauend durch Hof und Scheune und sucht ihre Kleinen. Vater hat mich und Ruedi nur ausgelacht; kleine Heuler und Weichlinge seien wir.»

«Typisch Albert», dachte Linda, «rücksichtslos und ohne Feingefühl.»

Das Töten von jungen Kätzchen war eine Notwendigkeit, Jahr für Jahr gab es Nachwuchs. Ohne das Töten würde die Katzenschar auf dem Hof zu gross. Da war Linda mit Albert einer Meinung. Doch mit etwas Mitgefühl und Rücksichtnahme auf die noch kleinen Kinder wäre es möglich gewesen, die schwächsten der Katzen zu töten. Aber nicht vor den Augen der Kinder. Aber so war Albert, er schaffte es, die eine Schandtat mit einer anderen zu verbinden und sich dabei köstlich zu amüsieren.

«Kommt mit in die Küche», rief Linda den beiden zu. «Ich giesse einen Tee auf, und dazu gibt es aus der Brotkammer für jeden einen Keks. Die habe ich beim letzten Mal extra für euch gebacken.»

Sie beeilte sich, sodass die beiden rasch wieder draussen am Jäten waren.

Linda war es nicht vergönnt, sich vom mühsamen Aufstieg zu erholen. Der Haushalt durfte nicht ruhen, bald würde Albert mürrisch den Zvieri-Kaffee verlangen. Nie würde er Linda direkt zum Befund der Untersuchung und der medizinischen Kontrolle fragen. Über den Arzt würde er schimpfen und sich unflätig über ihn äussern. Ordinäre Worte über Dr. Baldinger gehörten zu Alberts beliebtem und immer wieder durch neue Kraftausdrücke ergänztem Repertoire.

Der Hass gegen den Doktor lag tief in Alberts Seele. Denn ein Jahr zuvor war es zu einem Streit zwischen den beiden gekommen. Eine Auseinandersetzung, an der der Doktor nicht ganz unschuldig war.

Der junge Arzt, noch ganz ohne Erfahrungen und ohne besonderen Leistungsausweis, Spross einer alteingesessenen Familie, hatte den Ehrgeiz, überall Anerkennung zu finden. Er liess sich in den Gemeinderat wählen. In der Fabrik, die seine Mutter geerbt hatte, nahm er Einsitz im Verwaltungsrat. Selbst sein Vater konnte ihn nicht bremsen, er wollte in der Gemeinde derjenige sein, der in allen Belangen das Sagen hatte. Noch keine dreissig, tanzte die halbe Gemeinde nach seiner Pfeife. Er war schon wohlhabend geboren worden. Seiner Familie wollte er aber beweisen, dass es ihm gelingen würde, trotz der schwierigen wirtschaftlichen Zeiten das Familienvermögen zu mehren. Seinen Einfluss in der Fabrik und der Gemeinde nutzte er schamlos für seine Zwecke. Keiner traute sich, gegen ihn aufzubegehren. Wer sich als Gemeindebürger gegen ihn als Gemeinderat auflehnte, hatte als Angestellter der einzigen Fabrik im Ort Konsequenzen zu gewärtigen.

Kaum war der junge Herr nach dem Studium als Arzt ins Städtchen zurückgekehrt, war er mit Albert in Streit geraten. Der Familie des Doktors gehörte ein hoch über dem Ort gelegenes, sonniges Grundstück. Dort, dachte der noch ledige Doktor, würde er dereinst für seine eigene Familie eine Villa bauen. Der steile Feldweg, der zum Grundstück führte, hätte als Zufahrt zum Gelände in eine gewundene Strasse ausgebaut werden müssen. Für diese Strasse hätte Albert von seinem eigenen Land etwas abtreten sollen. Zudem wäre ein bestehendes Wegerecht an die neue Nutzung anzupassen gewesen.

Jeder andere wäre mit seinem Anliegen diplomatischer vorgegangen. Anstatt von seinem hohen Ross herunterzusteigen, den Bauern Albert auf seinem Hof aufzusuchen und ihm sein Anliegen auf gleicher Augenhöhe vorzubringen, hatte ihn Baldinger auf die Gemeindekanzlei zitiert. Noch im Stehen war er gleich zur Sache gekommen – ohne lange Vorrede: «Du musst mir für die Zufahrt zu meinem Grundstück etwas von deinem Land verkaufen und das Wegerecht zu meinen Gunsten anpassen. Für das Land zahle ich den Preis, der für Landwirtschaftsland derzeit gehandelt wird. Die Kosten für den Eintrag des neuen Wegerechts teilen wir.»

Hasserfüllt ob so viel Hochmut und Arroganz, hatte Albert zurückgegeben: «Was fällt dir ein, du verdammter, junger Schnösel. Erstens mag ich mich nicht erinnern, dass wir zwei per Du sind. Ich bin älter als du und kenne dich, seit du als dummer Bub in die Hosen gemacht hast. Zweitens kannst du die Sache mit dem Land vergessen, dir verkaufe ich keinen Quadratmeter. Und die grösste Frechheit, die du dir erlaubst, ist die Lächerlichkeit, dass ich mich an den Kosten für ein Wegerecht, das zu deinen Gunsten geändert wird, auch noch beteiligen soll.» Rot im Gesicht, wurde er immer lauter: «Und zu alledem lässt du mich an einem Nachmittag, an dem ich Heu einbringen sollte, hierher ins Gemeindehaus kommen.»

Sein Aufbrausen hatte den in einem Nebenzimmer arbeitenden Gemeindeschreiber aufgeschreckt. Ohne anzuklopfen stürmte er ins Zimmer des Gemeinderats. Dies hatte Albert genutzt, um mit lautem Getöse den Raum und das Gemeindehaus zu verlassen.

Noch nie zuvor hatte sich jemand erlaubt, ihm, dem vielleicht einflussreichsten Mann der Gemeinde, ein Anliegen auszuschlagen und ihm derart unverblümt seine Meinung zu sagen. Aufgrund seiner besonderen Stellung hatte er sich bis dahin immer durchsetzen können. Sein Unverständnis stand ihm ins Gesicht geschrieben. Zum Gemeindeschreiber sagte er: «Da verhelfe ich dem verschuldeten armen Bauer mit dem Kauf eines kleinen Stückes Ackerland zu etwas Bargeld und muss mir dann gefallen lassen, dass er mir beinahe an die Gurgel springt! Wären Sie, Herr Gemeindeschreiber, nicht dem Geschrei gefolgt, hätte ich um mein Leben fürchten müssen.» Ausser sich vor Empörung, steigerte sich der beleidigte Herr weiter in seinen Ärger hinein. «Ich werde diesen Stoll verklagen wegen all der Drohungen und Beschimpfungen, die er gegen mich als Amtsperson, hier im Zimmer des Gemeinderates, ausgestossen hat.»

Der Gemeindeschreiber versuchte, den Doktor zur Vernunft zu bringen: «Sie sollten eines wissen: Einen Bauern kann man nicht nötigen, den muss man in ein Gespräch verwickeln, übers Wetter reden, fragen, wie es im Stall geht und wie die Aussichten auf die Ernte sind. Erst dann kann man langsam sein Thema anschneiden und versuchen, die Vorteile des Geschäfts aus der Sicht des Bauern zu erklären.» Er kannte seine Leute. Selbst Sohn eines Bauern, waren ihm deren Sorgen und Nöte vertraut. Mit ihnen redete er in deren Sprache.

Der Doktor hingegen war in gutem Hause wohlbehütet aufgewachsen. In seinem Umfeld waren spontane Gemütsausbrüche verpönt und galten als unschicklich.

Der unbelehrbare und rechthaberische, keinen Widerspruch gewohnte Doktor, hatte auf einer Klage gegen Albert beharrt. «Drohung gegen eine Amtsperson», lautete die Anklage. «Und Sie, Herr Gemeindeschreiber, werden als Zeuge vor dem Statthalter antreten», sagte es und verliess das Haus.

Die Macht und den Einfluss des Doktors auf seine eigene Position fürchtend, hatte der Schreiber die Klage gegen Albert verfasst.

Dieser, wütend auf den Doktor und die Gemeinde, hatte nach dem Zusammenstoss den direkten Weg ins «Pöstli» genommen. Dort hatte er seiner Wut freien Lauf gelassen, dort fand er Zuhörer für seine Schimpftiraden. Mit jedem Most, den er zu sich nahm, wurde er lauter und ausfälliger. Je länger der Nachmittag dauerte, umso mehr verlagerten sich seine Anschuldigungen und Beschimpfungen. Vom Doktor auf die Gemeinde, zu deren Bewohner und zu seinen Nachbarn. Später wurden die anderen Wirtshausbesucher zur Zielscheibe seiner unflätigen Anwürfe. Er hatte die Zeit vergessen, war im Pöstli sitzen geblieben, bis es draussen dunkel war. Erst dann kehrte er schwankend, laute Verwünschungen ausstossend, durchs Städtchen zu seinem Hof zurück.

Linda hatte es geahnt: Jedes Mal, wenn Albert nicht zeitig zum Melken und zur Besorgung der Tiere von einem Gang ins Städtchen zurückgekehrt war, hatte es Feuer im Dach gegeben. Zusammen mit Elsi hatte sie dann den Stall gemacht, die Kühe gemolken und gefüttert. Elsi hatte jeweils das Pferd vor den leichten Karren gespannt und die Milch zur Sammelstelle gebracht. An solchen Tagen waren sie stumm ihrer Arbeit nachgegangen, wohl wissend, dass das Donnerwetter erst mit Alberts Heimkehr ausbrechen würde.

Auch an diesem Abend hatten sie leiden müssen. Linda und Elsi hatten die ganze, in Albert aufgestaute Wut zu spüren bekommen. Er hatte sie mit Fäusten geschlagen, mit seinen schweren Nagelschuhen getreten. Selbst die Zwillinge, die vom Lärm in der Küche aufgewacht waren und weinend unter der Küchentür standen und zuschauen mussten, wie Linda geschlagen wurde, hatten ihre Prügel bekommen. Nach der Gewaltorgie hatte sich Albert verzogen und die Nacht auf dem Heustock verbracht.

In den gleichen Kleidern, in denen er schon tags zuvor unterwegs gewesen war und die Nacht verbracht hatte, war er am folgenden Morgen zum Frühstück gekommen. Ungewaschen hatte er sich an den Küchentisch gesetzt und die Rösti, die Linda jeden Morgen frisch zubereitete, verschlungen. Kein Wort des Bedauerns, keine Entschuldigung war von ihm zu hören. Bevor er die Küche wieder verliess, brummte er noch, dass Elsi an diesem Tag nicht zur Schule gehen dürfe. Er wollte nicht, dass sie irgendjemandem erklären musste, woher die blauen Flecken auf ihren Oberarmen stammten. Das blaue Auge von Linda hatte ihn nicht interessiert, in den darauffolgenden Tagen war kein Gang ins Städtchen vorgesehen gewesen. Die Gefahr, dass eine aussenstehende Person Linda mit ihrem malträtierten Gesicht hätte sehen können, war gering. Die beiden Buben wussten wohl, was für Folgen sie zu gewärtigen hätten, wenn sie im Städtchen vom Verhalten ihres Vaters berichteten.

Zwei Wochen nach dem Vorfall auf der Gemeinde hatte der Weibel eine Vorladung des Bezirksgerichts gebracht. Albert war vom Doktor wegen Drohungen gegen eine Amtsperson verklagt worden. Mit der Peitsche in der Hand hatte Albert den Weibel vom Hof gejagt. Die Vorladung landete im Herdfeuer.

Zwei Dickköpfe waren in einen Streit verwickelt. Einer der beiden konnte sich die Starrköpfigkeit leisten, der andere war ein hoch verschuldetes Bäuerlein auf einem kleinen Hof in den Jurahöhen. Keiner im Ort hätte darauf gewettet, dass Albert vor Gericht zu seinem Recht kommen würde. Nicht etwa, weil es niemanden gegeben hätte, der in dieser Angelegenheit auf Alberts Seite stand. Diejenigen, die in der Fabrik angestellt waren, kannten die rechthaberische Art des jungen Chefs. Doch nicht einmal hinter vorgehaltener Hand hätten sich die Leute getraut, sich zum Fall zu äussern.

Den Bescheid des Bezirksgerichts, das ohne Albert getagt hatte, wurde ihm vom Weibel in Begleitung des Ortspolizisten überbracht. Der Statthalter hatte ihm eine Busse von fünfzehn Franken aufgebrummt. Im Begleitbrief hatte er Albert aufgefordert, die Busse innerhalb von dreissig Tagen zu begleichen, ansonsten würde er als Vorsteher der Milchgenossenschaft dafür sorgen, dass der fällige Betrag bei der nächsten Milchrechnung abgezogen würde.

Die Kumulation von Ämtern und die Vermischung von Rechtsansprüchen waren im abgelegenen Städtchen bekannt. Niemand wagte aufzubegehren und diese unhaltbaren Zustände öffentlich anzuprangern.

Die Leidtragende des Verdikts war einmal mehr Alberts Familie gewesen. Alle hatten sie etwas abbekommen, selbst die Zwillinge hatten die aus einer alten Leiter stammende Sprosse, den gefürchteten Seigel, zu spüren bekommen und mussten ohne Essen zu Bett. Länger als eine Woche hatte Albert danach auf dem Heustock übernachtet. Sein Kommen kündigte jeweils der ihn begleitende Gestank an.

Seit diesem Zusammenstoss und der ungerecht ausgesprochenen Strafe war Linda, wenn sie von ihren Arztbesuchen zurückkam, jeweils schon von vornherein in einer verlorenen Stellung. Was immer der Arzt bei Linda feststellte und befand, in Alberts Augen war «dieser Wichtigtuer und Blödling» unfähig und seine Therapien nutzlos. Und die Tatsache, dass der Doktor von Linda kein Geld für seine Behandlungen annehmen wollte, machte Albert nur noch misstrauischer.

Eine Woche nach Lindas letztem Arztbesuch hatte es noch keine Gelegenheit gegeben, Albert über die Schwangerschaft aufzuklären. Linda ging es schlecht. Sie schrieb ihr Unwohlsein der über dem Tal liegenden feuchten Sommerhitze und den anstrengenden Arbeiten auf dem Hof zu.

Am ersten Sonntag im August musste Linda erstmals seit Langem erbrechen. Im Erbrochenen war Blut.

In den folgenden Wochen magerte die schon immer schlanke Linda zusehends ab. Das Wenige, das sie appetitlos zu sich nahm, erbrach sie kurz nach dem Essen. Schwach war sie geworden. Ihr Husten wurde stärker, immer öfter war Blut in ihrem Ausfluss. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit hatte sie Elsi von ihrer Schwangerschaft erzählt. Elsi ahnte, dass ihre Mutter sehr krank, gar unheilbar krank war. Sie malte sich aus, was auf sie zukommen würde, wenn die Mutter nach der Geburt des Kindes sterben würde. Sie müsste dann die ganze, schwere Last auf ihren Schultern tragen. Sie würde bei Vaters jähzornigen Wutausbrüchen der Prellbock sein. Nebst dem Neugeborenen müsste sie auch die Zwillinge versorgen. Ihre Pläne, im «Leuen» im Nachbardorf eine Lehre als Köchin zu machen, müsste sie begraben. Der Fluch, die ganze Verantwortung aufgehalst zu bekommen, die Perspektivlosigkeit ihrer Zukunft, liessen sie verbittert und mürrisch werden.

Auch die Zwillinge fühlten, dass es der Mutter sehr schlecht ging. Die ganze Schwere der Krankheit und den damit möglichen Konsequenzen konnten sie sich aber nicht vorstellen. Elsi und die Mutter versuchten, die Krankheit so gut wie möglich zu vertuschen. Kündigte sich ein Hustenanfall an, schickten sie die beiden Buben unter einem Vorwand aus dem Haus. Albert sah sehr wohl, dass Linda litt. Er hatte zufällig auch das Blut, das sie hustete, gesehen. Sie solle nur noch häufiger zum Doktor gehen, der mache sie sowieso noch kranker, als sie schon sei, schleuderte er ihr ins Gesicht, als sie eines Abends im Stall zusammengebrochen war.

Wie jeden Tag hatte sie die gereinigten Milchgeschirre gebracht. Albert hatte die Mutter auf dem Stallboden liegen gelassen. Elsi musste ihr helfen, aufzustehen und sie in die Küche begleiten. Nachdem Albert von der Milchsammelstelle zurückgekehrt war, schrie er Elsi wutentbrannt an. Es sei jetzt an ihnen zu beraten, wer von ihnen künftig für das Milchgeschirr zuständig sei. Weil sie wusste, dass es Ärger gab, wenn das Essen nicht bereitstand, hatte Elsi die Bratpfanne mit der Rösti auf den Küchentisch gestellt. Linda hatte sich in der Stube hingelegt.

Bei Tisch traute sich keines der Kinder zu reden. Sie kannten ihren Vater; ein falsches Wort, und Albert explodierte. Einzig das Knistern des Feuers im Herd war zu hören. Stumm sassen die Kinder auf den Bänken am grossen Holztisch und starrten auf einen imaginären Punkt an der Wand. Elsi legte ein weiteres Scheit nach. Sie brauchte für den Abwasch warmes Wasser. Auch wollte sie die blutige Wäsche ihrer Mutter waschen. Ganz in seiner Bosheit verhaftet, begann Albert zu gifteln: «So ist gut leben, einfach gedankenlos Holz ins Feuer legen und abbrennen zu lassen. Wisst ihr eigentlich, wie im Winter das Holz geschlagen wird, wie es mühsam nach Haus geschleift, zersägt und gespalten werden muss? Und wer ist es, der das alles tut? Wer sorgt dafür, dass ihr das Holz einfach von der Beige holen könnt, das ihr dann hirnlos, wie ihr seid, im Herd verbrennt? Ich, euer Vater, bin es, ich bin es, der täglich für euch schuftet, sich abrackert, damit ihr euch ein schönes Leben machen könnt. Ihr alle geniesst es, doch keiner von euch schätzt meine Plackerei. Auch eure ach so arme Mutter lebt von meiner Arbeit.»

Nichts konnte ihn jetzt noch halten, jedem am Tisch machte er derbe Vorwürfe. Keiner traute sich, nur einen Mucks zu machen. Vaters Hand war gefürchtet und der Seigel nicht weit.

Schon während Vaters Monolog hatte Elsi ein Stöhnen gehört. Doch um aufzustehen und zur Mutter zu schauen fehlte ihr der Mut. Erst ein lauter Schrei liess sie die Angst vor dem Vater vergessen und von der Bank aufspringen. Ohne einen Blick zum Vater eilte sie in die Stube. Die Mutter hielt sich mit beiden Händen den Bauch und wimmerte. «Elsi, ich habe das Kind verloren.»

Linda kannte diesen Schmerz. Seit der Heirat mit Albert hatte sie bereits vier Fehlgeburten erlitten. Der Schmerz war diesmal jedoch grösser als je zuvor. Sie keuchte auf der Liege und rang nach Luft. Die Liege war blutbefleckt von der Frühgeburt, ihre Kleider blutig vom Husten. Für die erst vierzehnjährige Elsi ein schrecklicher Anblick.

«Elsi, ich werde sterben, ich bekomme keine Luft, ich werde ersticken.»

Elsi ging zurück in die Küche. Alle starrten sie an. «Was ist mit Mutter?», fragte Max. «Der Doktor muss sofort geholt werden, Mutter erstickt sonst», schrie Elsi aufgeregt ihren Vater an. Albert, der noch Minuten zuvor keinen guten Faden an seiner Familie gelassen hatte, erkannte mit einem Schlag, dass er, sollte Linda sterben, seinen Hof nicht mehr weiterbewirtschaften könnte. Die wichtigste Arbeitskraft würde fehlen. Wenn es denn sein müsse, solle Max ins Städtchen rennen und den Arzt holen. Max war im Nu auf den Beinen, schlüpfte in seine ausgetretenen Holzschuhe und rannte den steilen Weg hinunter ins Städtchen. Seine Furcht, in der Dunkelheit durch den Wald zu gehen, war verflogen. Keuchend und ausser Atem nahm er die kurze Treppe hoch zum Haus des Doktors. Stürmisch läutete er an der Türglocke. Die Frau des alten Doktors öffnete. Eine Frau, die selten unter den Leuten zu sehen war. Anders als ihr Mann und ihr Sohn galt sie als gütig, denn sie wusste um die Leiden der Menschen. «Der Doktor muss sofort zu meiner Mutter kommen», brachte Max hervor. Was ihr den fehle, wollte sie wissen. Er wisse es nicht, seine Schwester habe gesagt, dass alles blutig sei und die Mutter keine Luft bekomme.

Er solle unter der Tür warten, sagte die Frau, bevor sie sich ins Innere des Hauses begab. Ihr Mann und der Sohn waren im Lesezimmer und unterhielten sich über Probleme in der Fabrik. Der junge Stoll sei hier, unterbrach die Doktorsfrau das Gespräch, seine Mutter liege in ihrem Blut. Ihr Sohn begann zu berichten: Die Frau sei kürzlich in seiner Sprechstunde gewesen, er frage sich, weshalb schon schwer kranke Frauen noch schwanger werden müssten. Die Stoll müsste mit ihrer Tuberkulose in eine Kur fahren. Dazu fehle dem Stoll aber das Geld und die Gemeinde sollte mit solchen Kuren nicht belastet werden.

«Darüber werden wir reden, wenn du wieder vom Besuch bei Frau Stoll zurück bist», gab ihm seine Mutter resolut zu verstehen. «Deine ethische Haltung entspricht nicht der eines Arztes und auch nicht meinem Verständnis als Arztfrau. Den kleinen Jungen, der mitten in der Nacht den langen Weg vom Hof zu uns gerannt ist und jetzt vor der Haustür wartet, lässt du in deinem Wagen mitfahren.»

Mürrisch zog Dr. Baldinger eine Jacke an, nahm seinen Arztkoffer und begab sich nach draussen. Widerwillig forderte er Max auf, sich auf den Hintersitz seines Lancias zu setzen. Nie zuvor war Max mit einem Automobil mitgefahren.

Der Doktor ahnte, was ihn erwartete. Nur ungern machte er seine Visiten auf den Höfen. Zu offensichtlich waren die Unterschiede zu seinen Lebensumständen in der Villa, in der er geboren worden und aufgewachsen war und wo Dienstboten und eine Köchin für das Wohl der Herrschaften sorgten. Die Nöte der Leute im Städtchen und die der Bauern verstand er nicht. «Wenn die fleissiger wären, die Wirtshäuser meiden und ihre Kinderschar geringer halten würden, müssten auch sie zu Wohlstand und Reichtum kommen», pflegte er zu dozieren. Das Studium zum Arzt hatte er nicht aus Berufung ergriffen. Vielmehr hatte ihn sein Vater dazu gedrängt. Aus der Tätigkeit als Arzt und Inhaber der einzigen Fabrik im Städtchen ergaben sich erhebliche Vorteile. Die Kenntnisse der intimsten Dinge seiner Patienten nützten ihm als Verwaltungsratspräsident der Firma. Der Umstand, dass er in der Fabrik nicht operativ tätig war, liess ihn im Hintergrund die Fäden ziehen und seine Leute wie Marionetten steuern. Baldinger hatte die Vorteile dieser Kombination erkannt. Wenn schon die Fäden ziehen, dann wollte er das konsequent tun. Als Gemeinderat und künftiger Gemeindevorsteher.

Der Wagen holperte knatternd über den ungepflegten Weg hinauf zu Alberts Hof. Elsi hatte die Scheinwerfer des langsam die kurvenreiche Strasse herankriechenden Autos gesehen und erwartete den Doktor vor dem Haus. Der bemühte sich, beim Aussteigen seine Schuhe vor dem Schmutz auf dem Vorplatz zu schützen. Mit seiner Tasche in der Hand folgte er Elsi ins Haus.

Max hatte auf der ganzen Fahrt mucksmäuschenstill auf dem Hintersitz des Autos gesessen. Wie der Doktor mit den Füssen auf die Pedale drückte, mit seiner rechten Hand den Schalthebel bediente und dazu noch steuerte, hatte ihn erstaunt. Von der Mechanik und der Funktionsweise eines Autos hatte er keine Ahnung. Seinem Bruder Ruedi erzählte er von der Fahrt und den Fähigkeiten des Doktors, der die komplizierte Mechanik des Fahrzeugs spielend beherrsche. Das wolle er auch einmal können, gab er seinem Bruder zu verstehen. In seiner Bewunderung hatte er die Sorgen um seine Mutter ganz vergessen.

Hinter Elsi trat der Doktor in die Stube, in der Linda auf einer Liege lag. Während sie auf ihn gewartet hatten, hatte Elsi ihre Mutter gewaschen und ihr ein frisches Nachthemd angezogen. In einem Becken lag die blutige Frühgeburt.

«Das musste ja so kommen», waren die ersten Worte, die der Arzt an Linda richtete. Er schickte Elsi aus der Stube. Mit einem Blick auf die Frühgeburt sagte er Linda, dass sie wieder Zwillinge erwartet hatte. Es sei wohl das Beste für sie, dass sie die Kinder verloren habe. Darob erschrak Linda, denn sie erinnerte sich an die Andeutungen, die er Monate zuvor in seiner Praxis gemacht hatte. Bemerkungen, die sie damals nicht verstanden hatte. Der Doktor schaute auf die blutigen Tücher, die sie beim Husten vor ihren Mund hielt.

«Sie sind schwer krank und sollten zur Kur nach Davos fahren, dort besteht eine geringe Chance, dass die Tuberkulose geheilt werden kann. Ich werde mit Ihrem Mann darüber reden», brummte der Doktor leise und mit wenig Begeisterung. Linda hatte geahnt, wie es um sie stand, die Schwere ihrer Krankheit war ihr nicht neu. Erinnerungen an ihre Kindheit stiegen in ihr auf. Sie dachte daran, wie ihre eigene Mutter jämmerlich hatte sterben müssen. Mit schwacher Stimme, doch klar und bestimmt, sagte sie zum Arzt: «Reden Sie nicht mit Albert, wir könnten eine Kur unmöglich bezahlen. Albert würde mich ohnehin niemals gehen lassen, und wer würde zu den Kindern schauen?» Der Doktor antwortete: «Wenn Sie nicht zu Kur gehen und wieder gesund werden, wird bald die Zeit kommen, wo Sie gar nicht mehr zu den Kindern schauen können. Sie werden eine Last für die Familie sein und bald sterben.»

Elsi, die er gerufen hatte, gab er ein Pulver. Dies komme aus England und heisse Stevens Cure. Davon solle sie der Mutter drei Mal täglich einen Esslöffel mit etwas Wasser verabreichen. Er könne Linda aber nur helfen, wenn sie zur Kur gehe, und er werde in einer Woche wiederkommen. So lange solle sie das Bett hüten. Er sagte es und wusste, dass Linda spätestens am nächsten Morgen wieder in der Küche stehen würde. Beim Hinausgehen fragte er Elsi nach ihrem Vater. Er wollte ihn von der Schwere der Krankheit seiner Frau unterrichten und ihm beibringen, dass er Linda schonen müsse. Aber Albert hatte sich, als er das Auto des Doktors hörte, davongeschlichen. Dem Arzt wollte er nicht begegnen. Zu gross war sein verletzter Stolz. Den Realitäten verschloss er sich. Er lag auf den Strohballen in der Scheune und wartete auf die Abfahrt des Arztes.

Kaum war er weg, kroch Albert aus seinem Versteck. Noch Stroh in den Haaren, trat er in die Küche. Ob der Wichtigtuer endlich weg sei, polterte er. Was mit der Mutter sei, er wolle anderntags emden, und dazu sei jede Hand vonnöten. Elsi hatte an der Tür gehorcht, als der Doktor mit Linda gesprochen hatte. Jetzt begehrte sie auf. Die Mutter werde nicht helfen können, sie sei schwer krank, es wäre das Beste, wenn sie zur Kur gehen würde, habe der Doktor gesagt. Sie habe von ihm ein Pulver erhalten, das sie der Mutter geben müsse.

Die Frühgeburt hatte Elsi schon weggebracht. Wenn der Vater mit der Milch ins Städtchen fuhr, wollte sie diese hinter dem Haus vergraben. Der Vater sollte davon nichts erfahren.

Albert wurde still. Wenn es wirklich so war, wie Elsi berichtete; wenn Lindas Krankheit derart schwer war, kämen harte Zeiten auf ihn zu. Ohne Linda würde er den Hof nicht halten können.

Wie sollte er eine Kur für Linda bezahlen? Er wusste schon jetzt nicht mehr, wie er den nächstens fälligen Zins bezahlen sollte. Und selbst wenn er die Mittel für eine Kur hätte, die Kur keine Heilung brächte, wenn Linda trotzdem sterben würde, dann wäre es hinausgeworfenes Geld. Der Geizhals in ihm gewann Oberhand. «Abwarten», dachte er und sagte: «Wenn Mutter mir beim Emden nicht helfen kann, werden du und die beiden Buben morgen nicht zur Schule gehen, ihr werdet mir helfen.»

Es folgte ein Jahr der Hoffnungslosigkeit. Lindas Körper zerfiel zusehends, die immer häufiger wiederkehrenden Hustenanfälle waren blutig und schleimig. Über die Hälfte ihrer Zeit verbrachte Linda im Bett. Vom Arzt, der sie regelmässig besuchte, erhielt sie das neue Medikament, von dem sich die Mediziner Linderung und Heilung versprachen. Der stete Verlust ihre Kräfte machte Linda jedoch bewusst, dass ihr Leben zu Ende ging. Sie sorgte sich um ihre Kinder, die nach ihrem Tod mutterlos aufwachsen müssten. Den Doktor bat sie, seine Besuche einzuschränken. Sie machte sich Sorgen über die Kosten, die irgendwann in Rechnung gestellt würden.

Darüber solle sie sich den Kopf nicht zerbrechen, es werde sich schon finden, waren jeweils die Worte des Doktors. Während all seiner Besuche war Albert für ihn unsichtbar. Wenn er den Motor des Autos hörte, verschwand er auf den Heustock, im Wald oder hatte auf einer entfernten Wiese zu tun.

Elsi hatte ihre Schulzeit beendet. Sie blieb auf dem Hof und übernahm Lindas Arbeiten. Dazu kam die Pflege der kranken Mutter. Für das junge Mädchen eine schier unlösbare Aufgabe. Kein Tag verging, an dem sie nicht vom Vater beschimpft wurde. Er rügte sie wegen nichtigen Dingen, schalt sie faul und ungeschickt. Nichts konnte sie recht machen, dauernd polterte er und beklagte sein hartes Los. Elsi schwor sich, nach dem voraussehbaren Tod der Mutter vom Hof wegzugehen. Solle der Vater selbst schauen, wie er zurechtkomme.

So wie es früher ihre Mutter getan hatte, musste Elsi jetzt einmal die Woche ins Städtchen zum Einkaufen. Einen dieser Gänge nutzte Elsi zu einem Besuch beim Pfarrer.

Von seinen Kindern hatte Albert keines taufen lassen. Weder die Sonntagsschule noch den Konfirmandenunterricht durften sie besuchen. Den Pfarrer kannte Elsi von der obligatorischen Religionsstunde in der Schule. Der junge Pfarrer kannte die Geschichte und die Gründe, weshalb Albert nichts mit der Kirche zu tun haben wollte. Er hatte sich seine eigene Meinung zum Verhalten seines Vorgängers und über die Gründe, die zum Bruch zwischen Kirche und dem Ehepaar Stoll geführt hatten, gemacht. Albert hatte ihm nicht erlaubt, die schwer kranke Linda zu besuchen. Alle Bemühungen um eine Erlaubnis zum Besuch hatten in wüsten Beschimpfungen geendet. Seelenkrämer, Betrüger und Tunichtgut waren die harmloseren Anwürfe, mit denen der Pfarrer vom Hof gejagt worden war. Albert traute keinem Menschen, der Hass zur Institution Kirche hatte seine Hintergründe.

Zuhinterst in einem engen Krachen im Emmental waren Linda und ihre Schwester geboren und aufgewachsen. Die meisten Bewohner der einsam gelegenen Höfe waren Angehörige der Täufer. In dieser strengen Glaubensgemeinschaft herrschte Zucht und Ordnung. Die täglich eingetrichterten Glaubensgrundsätze zu hinterfragen war ein Sakrileg, das bestraft wurde. Heiraten war nur innerhalb der Gemeinschaft möglich und vom Willen und Einverständnis der Oberen und Älteren abhängig.

Linda war aus diesem Gefängnis des Denkens ausgebrochen und ohne zu fragen nach Waldenburg gezogen. Als Magd hatte sie sich auf dem Hof von Alberts Eltern verdingt. Ihre Familie hatte sie verstossen und jeden Kontakt abgebrochen. Über unbekannte Kanäle hatte Lindas Vater von ihrer Verlobung mit dem «ungläubigen» jungen Albert erfahren.

Ihre ältere Schwester Anna hatte sich in ihrer Gemeinschaft als williges, sich den Vorschriften unterziehendes Mitglied hervorgetan. Ein herumreisender Prediger aus Holland fand Gefallen an ihr. Der Rat der Gemeindeältesten verhandelte mit dem Prediger die Heirat mit Anna. Die Prüfungen und Abklärungen der holländischen Gemeinde hatte sie bestanden. Als demütige, sich ihrem Ehemann unterwerfende Frau würde sie die ideale Gattin des Predigers werden. Alles wäre perfekt gewesen, wenn da nicht die Schwester ausgebrochen wäre und mit einem Ungläubigen die Ehe eingehen wollte.

Der Rat der Ältesten beauftragte Anna und den Gemeinschaftsvorsteher, Linda zu besuchen und wieder zurück auf den rechten Weg zu bringen. Der Besuch auf dem Hof von Alberts Eltern endete handgreiflich. Linda widerstand den zuckersüssen, mit Bibelzitaten geschmückten Aufforderungen zur Rückkehr und schickte die beiden weg. Da begannen die beiden Besucher zu drohen, mit dem Teufel und dem Fegefeuer; die Pest und andere schlimme Krankheiten wünschten sie ihr. Albert, der sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten hatte, verlor die Beherrschung. Mit einem Seigel bewaffnet verprügelte er den Gemeinschaftsvorsteher, der blutend und schnellen Schrittes den Hof verliess. Nicht ohne dabei wüste, aus der Bibel zitierte Flüche auf den Hof und seine Bewohner zu schreien.

Kurz nach diesem Ereignis wollten Linda und Albert heiraten. Aus seiner fundamental begründeten Überzeugung verweigerte der Pfarrer ihnen die kirchliche Trauung. Linda war ungetauft. Bei den Täufern wäre sie als erwachsene Frau getauft worden. Ohne Taufe keine Ehe. Nach dem Verständnis des Pfarrers hätte Linda während eines Jahres den Konfirmandenunterricht besuchen müssen, um dann anlässlich einer Zeremonie gleichzeitig getauft und konfirmiert zu werden. Das war Linda und Albert zu viel. Sie wollten kein weiteres Jahr unverheiratet bleiben. In dieser Situation war der Bruch mit der Kirche unvermeidlich. Sie blieben ein Paar ohne kirchliche Trauung. Ein Paar, das sich nur vor dem Zivilstandsamt trauen liess, hatte es zuvor im Städtchen Waldenburg noch nie gegeben. Das konnte nicht gut gehen. In der Bibel hatte der Pfarrer am folgenden Sonntag die für sein Predigtthema geeignete Stelle gefunden. Statt Toleranz und Verständnis zum Los der beiden säte er Zwietracht und Ausgrenzung.

Das Pfarrhaus befand sich in einer hinter hohen Mauern liegenden alten Villa. Verstohlen hatte Elsi das grosse Tor in der Mauer so weit geöffnet, dass sie sich hindurchquälen konnte. Keiner sollte sie sehen, niemand ihrem Vater vom Besuch im Pfarrhaus erzählen. Nach dem Ziehen an der Kordel, die die Hausglocke zum Schellen brachte, öffnete der Pfarrer die Tür und bat Elsi ins Haus. Sie berichte ihm von ihren Ängsten, der Schwere der Krankheit ihrer Mutter. Dass diese bald sterben müsse und sie nicht wisse, was nachher komme und was mit ihr und ihren Brüdern geschähe. Und wie es sei, wenn ihre Mutter als Ungetaufte sterbe. Ob sie ein anständiges Begräbnis bekomme.

Tief beeindruckt von Elsis Sorgen musste sich der Pfarrer erst sammeln. Er rief seine Frau und bat sie, ihnen Tee und Konfekt zu bringen. Er werde dafür sorgen, dass ihre Mutter ein würdiges Begräbnis erhalte. Eine Totenfeier wie jede andere Person im Städtchen. Sie brauche sich darüber keine Gedanken zu machen.

Schwieriger werde es, für die beiden Buben eine Familie zu finden, die sie aufnehmen werde. Es könnte so weit kommen, dass sie getrennt, an verschiedenen Orten, aufwachsen müssten. Er werde in der Vormundschaftskommission, der er angehöre, das Problem zur Sprache bringen. Sicher werde eine sachdienliche Lösung gefunden. Ob ihr Vater dannzumal den Vorschlägen der Vormundschaft zustimme, werde sich zeigen. Den Hof würde ihr Vater kaum allein weiter bewirtschaften können. Ob sich jemand finde, der mit dem cholerischen Mann leben wolle, stehe in den Sternen. Auch Elsi benötige von ihrem Vater das Einverständnis, eine Lehre als Köchin anzutreten. Alles werde schwierig werden. Zu hoffen sei, dass nach dem Tod der Mutter ihr Vater eher mit sich reden lassen werde. Im Moment könne er nichts mehr tun als zu versprechen, sich in den kommenden Wochen gründlich mit den zu erwartenden Problemen zu befassen.

Der von der Wanduhr jede Viertelstunde klingende leise Ton ermahnte Elsi zum Aufbruch. Sie durfte nicht allzu lange wegbleiben, ihr Vater würde sonst nach den Gründen für das Ausbleiben fragen. Beim Pfarrer, der sie bis zum Tor begleitete, bedankte sie sich und eilte den Hügel hoch.

Keine fünf Wochen später lag Linda an einem Morgen tot in ihrem Bett. Albert verzog sich in eines seiner Verstecke und überliess es Elsi, alles Notwendige zu veranlassen.

Dem Leichenwagen, der Lindas Sarg zum Friedhof unterhalb des Städtchens fuhr, folgte eine grosse Trauergemeinde. Der Pfarrer hatte sein Versprechen eingehalten. In der Sonntagspredigt redete er über die Schriftgelehrten und Pharisäer, über Besserwisser und Fundamentalisten. Über solche, die lieber ausgrenzen als tolerant leben. Er entschuldigte sich bei Lindas Seele über das Verhalten seines Vorgängers. Auf der Kanzel stehend, schüttete er aus einem Becher Asche auf sein Haupt.

Albert ging hinter dem Leichenwagen bis zum Friedhof. Während vier Männer den Sarg aus dem Wagen trugen, verschwand er wortlos vom Friedhof.

Elsi blieb mit ihren Brüdern, bis das Grab zugeschaufelt war und begab sich dann zurück zum Hof, wo sie ihren Vater weinend in der Küche sitzend fand.

Eine Woche danach überbrachte der Weibel eine Vorladung des Gemeinderats. Widerwillig folgte ihr Albert. Auch er hatte sich Gedanken um die Zukunft seiner Buben gemacht, doch fand er keine ihm zusagende Lösung. Mit einem unguten Gefühl trat er vor den Gemeinderat. Vor den jungen Doktor, der seit ihrem heftigen Zusammenstoss vor einigen Jahren mittlerweile zum Gemeindevorsteher gewählt worden war.

Vor dem Sitzungszimmer wachte der Dorfpolizist. Er war aufgeboten, um einzugreifen, falls Albert ausfällig werden sollte. Rasch und ohne Umschweife verlas der Gemeindeschreiber den Sachverhalt:

Alberts Hof sei hoch verschuldet. Nach dem Tod seiner Frau habe der Arzt die Kosten für die seit dem Ausbruch ihrer Krankheit geleisteten ärztlichen Behandlungen und die verabreichten Medikamente erhoben.


Er bezifferte die Summe und fragte Albert, wie er gedenke, die Rechnung zu bezahlen. Zur Säule erstarrt, begriff Albert, dass er nie im Leben diese Summe würde aufbringen können. Sein Hof war zu hoch verschuldet, als dass er diesen noch zusätzlich belehnen konnte. Er zischte den Doktor an: «Jetzt hast du Gauner, was du schon immer geplant hast.» Er solle sich benehmen, sonst rufe er den Polizisten, mahnte der Gemeindeschreiber und verlas den vorbereiteten Beschluss:

Die bestehenden Schulden auf dem Hof von Albert Stoll erhöhen sich um den Betrag der Rechnung des Doktors. Damit übersteigen die Schulden den Wert des Hofes. Sollte der Schuldner die Rechnung des Doktors nicht binnen dreissig Tagen begleichen, wird der Hof mit der ganzen Fahrhabe versteigert. In Anbetracht des tragischen Todes der Ehefrau Linda und den dadurch zu Halbwaisen gewordenen Kindern macht der Doktor wohlwollend eine grosszügige Geste.


Das Angebot, das er verlesen werde, gelte jedoch nur, wenn Albert diesem innerhalb von zehn Minuten nach dem Verlesen zustimme. Das Angebot des Doktors laute wie folgt:

Der Gläubiger Dr. Baldinger kauft den Hof zum Preis der heute auf dem Hof lastenden Schuld. Er verzichtet auf die Geltendmachung von Ansprüchen, entstanden aus ärztlichen Leistungen zugunsten der verstorbenen Linda Stoll. Die Gemeinde bietet Albert Stoll die Stelle eines Wegmachers und Totengräbers an. Die Vormundschaft wird innerhalb der kommenden vier Wochen über eine Fremdplatzierung der beiden dreizehnjährigen Buben befinden. Die Tochter Elsi kann über ihre Zukunft mitentscheiden.

Albert hatte verstanden. Die Rache des Doktors war angekommen. Er musste büssen für sein Aufbegehren gegen den Landkauf und das von ihm verweigerte Wegrecht. Kurz bevor er zu explodieren drohte, verliess er den Raum. Auf der Wartebank im Treppenhaus sitzend, stierte er bewegungslos auf den abgetretenen Steinboden. Er beobachtete die teilweise ausgebrochenen Fugen zwischen den Steinplatten. Sah die abgesplitterten Ecken der Schiefersteine und verfolgte die in den Platten sichtbaren Venen, die am Ende der Platten rücksichtslos getrennt worden waren und an der Folgeplatte keine Fortsetzung fanden.

«Sogar die harten Steine haben die Leute nach ihrem Willen zerschnitten. Wie soll sich ein Mensch, der weich und verletzlicher ist als hartes Gestein, gegen die Stärke der Mächtigen und der Behörden wehren. Wo bleibt eines armen Mannes Würde? Wie soll sich jemand wehren, der keine Freunde hat?» Keinen Gedanken verlor er über eigene Fehler, über die Gründe, warum er keine Freunde hatte. Selbstkritik blieb ihm fremd.

Trotz der Empörung erkannte er seine und die für die Kinder aussichtslose Lage, er sah keinen anderen Weg, den er hätte präsentieren können. Es wurde ihm bewusst, dass er weder die notwendigen finanziellen Mittel aufbringen konnte, noch in der Lage war, den Hof ohne fremde Hilfe weiter zu bewirtschaften. Die Einsicht schmerzte, aber es blieb ihm kein anderer Weg, er musste das Angebot annehmen. Auf seinen Hof verzichten und in den Dienst der Gemeinde treten!

Geknickt, mit hängendem Kopf, ging er zurück in den Ratssaal. Er sei einverstanden mit dem Vorschlag, sein einziger Wunsch sei, dass seine beiden Buben nicht bei fremden Leuten aufwachsen müssten.

Erst spät in der Nacht kehrte Albert im Vollrausch auf den Hof zurück. Auch am Tag danach erfuhren Elsi und die Zwillinge nichts von dem, was vorgefallen war. Nichts darüber, dass sie in Kürze den Hof verlassen mussten, dass die Gemeinde eine Familie suchte, in der die Buben künftig leben könnten.

Unter der Leitung des Pfarrers suchte die Vormundschaft in der Verwandtschaft von Albert und Linda nach Angehörigen. Ein Vetter Alberts anerbot sich, einen der beiden Jungen bei sich aufzunehmen. Beide seien zu viel, habe er doch schon sechs eigene Mäuler zu stopfen. Von Lindas Tod erfahren hatte auch ihre in Holland lebende Schwester Anna. In einem Schreiben an die Gemeinde anerbot sie sich, beide Buben bei sich aufzunehmen und ihnen eine christliche Erziehung angedeihen zu lassen. Es sei ihre Christenpflicht, als engste Verwandte der Verstorbenen für die Erziehung und den Lebensunterhalt der Kinder zu sorgen. Der Gemeinde würden dafür keine Kosten entstehen.

Der Streit zwischen dem Pfarrer als Vorsteher der Vormundschaftsbehörde und dem Doktor als Gemeindevorsteher war heftig und nachhaltig. «Auf keinen Fall kommen die Buben in die Fänge dieser Sektierer», polterte der Pfarrer. Anders sah es der Doktor, dem die Gemeindekasse näher lag als das Wohl der Kinder. Es sei ein Glücksfall, wenn eine nahe Angehörige sich der Zwillinge annehme. Am Ende gewann der Doktor. Der einzige Kompromiss, zu dem er Hand bot, war, dass nur einer der beiden Buben der Tante in Holland anvertraut wurde. Albert musste eine weitere Demütigung erleiden. Dass ausgerechnet seine von ihm gehasste Schwägerin die Erziehungsgewalt über eines seiner Kinder erhielt, machte ihn wütend und traurig.

Der Pfarrer, der sich für die Fehler seines Vorgängers öffentlich entschuldigt und Asche auf sein Haupt gestreut hatte, musste büssen. Von den Räten der Kirchgemeinde wurde er gerügt und musste sein Verhalten rechtfertigen. Anders als die Bevölkerung, die dem fortschrittlichen Pfarrer grossen Respekt für seine Offenheit und selbstkritischen Worte zollte, fanden sie sein Verhalten unwürdig. Er sei zu progressiv, ein Theater habe er auf der Kanzel aufgeführt. Und alles wegen der verstorbenen Frau des mit den meisten Gemeindemitgliedern zerstrittenen Stoll. Kurzum, dem Pfarrer wurde nahegelegt, eine neue Wirkungsstätte zu suchen. Ein sich dem Wort der Bibel, an der Frömmigkeit der ernsten, schnörkellosen protestantischen Kirche verpflichteter Pfarrer war bald gefunden und an die Stelle des jungen gesetzt. Man nahm es hin, dass die Zahl der Kirchenbesucher merklich abnahm. Der Versuch eines Pfarrers, der Kälte des Protestantismus etwas mehr Wärme zu verleihen, war an der Sturheit einiger intoleranter, einflussreicher und in der Vergangenheit verhafteten alten Herren gescheitert.

An einem kalten Novembermorgen brachte der Gemeindeschreiber den kleinen Max nach Basel. Ein Stück Brot und etwas Käse als Proviant und unter dem Arm eine Kartonschachtel mit seinen wenigen Habseligkeiten, stieg Max in Basel in den Zug nach Utrecht. Sein Bruder Ruedi wurde am gleichen Tag vom Vetter seines Vaters abgeholt. Elsi trat auf einem Gutsbetrieb eine Lehre als Köchin an.

Nur wenige Möbelstücke konnte Albert in die kleine, von der Gemeinde zugewiesene Dreizimmerwohnung mitnehmen. Dr. Baldinger liess den Hof als Gerätehaus umbauen, in die Wohnung kam der Hausgärtner, der alles rund um seine neu gebaute Villa in Ordnung hielt.

Schuldig geboren

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