Читать книгу Eine spanische Eröffnung - Harald Kiwull - Страница 5
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Das heisere Bellen des Hundes wurde lauter. Die Männer hinter mir hatten aufgehört, sich durch Zurufe zu verständigen. Es waren jedenfalls zwei, vielleicht drei. Ich hetzte den Berg hinauf. Das niedrige Gestrüpp am steilen Hang behinderte mich. Die trockenen Äste krallten sich in meine Hose, und ich merkte, dass Blut mein rechtes Bein hinunterlief. In der letzten Querrinne war ich gestürzt und hatte mir das Knie aufgeschlagen. Aber ich spürte keinen Schmerz. Den schmalen Weg parallel zum Abhang hatte ich schon lange verlassen. Auf ihm wäre ich den Kerlen ausgeliefert gewesen.
Ich zwängte mich durch einen schmalen Spalt zwischen zwei großen Felsblöcken hindurch und hastete eine steile Böschung hinauf. Einen Augenblick hielt ich an und klammerte mich an den tief hängenden Zweig einer Pinie. Ich blickte zurück, das Gefälle der Sierra d‘Irta hinunter. Aber von meinen Verfolgern konnte ich durch die Bäume und Sträucher hindurch nichts sehen. Der Schweiß brannte mir unerträglich in den Augen.
Rechts, tief unter mir, sah ich durch eine Reihe von alten, unwirklich windgebogenen, fast skulpturartigen Kiefern in der Nachmittagssonne das ruhige Meer glitzern und ganz klein am Horizont die Felsen der Columbretes.
Ich hatte inzwischen vollkommen mein Zeitgefühl verloren, aber weit entfernt erblickte ich die unregelmäßige Karawane der Fischerboote mit ihren weißen Gischtschnauzbärten und endlos langen Furchen im tiefblauen Wasser hinter sich in Richtung Norden, nach Peñíscola, ziehen. Sie kehrten, wie immer um vier, halb fünf, vom nächtlichen Fischfang zurück.
In einer Stunde würden die Männer in ihrer gelben Ölkleidung die großen, flachen, tischartigen Wagen mit der schlüpfrigen Fracht die Hafenmole entlang in die Versteigerungshalle schieben, belauert von mageren Katzen und neugierig beobachtet von den Touristen an ihren Tischen vor der kleinen Hafenbar. Und nicht lange danach würde das Meeresgetier auf den Tellern der Lokale im Ort landen.
Kaum einer der ihren kühlen Weißwein trinkenden, die „Gambas al Ajillo“ genießenden Beobachter machte sich wohl Gedanken über die Vergänglichkeit der Zeit und darüber, dass dieses abendliche Ritual seit vielen Jahrhunderten zur gleichen Zeit hier stattfand – wahrscheinlich eher darüber, dass hier Teile des Films „El Cid“ mit Charlton Heston gedreht worden waren.
Ein leichter Wind den Hang herauf, mit einem Duft von Rosmarin, Thymian und Lavendel, aber auch mit dem scharfen, kurzen Bellen des Hundes brachte mich in die Gegenwart zurück. Meine Verfolger waren mir jetzt nah auf den Fersen.
Den Hund musste ich irgendwie loswerden. Gegen die Männer allein hatte ich eher eine Chance. Durch mein regelmäßiges Lauftraining auf den Wanderwegen am Rande des Schwarzwaldes war ich ganz gut in Form, und oft war ich hier oben in den letzten Jahren auch unterwegs gewesen. Ich kannte mich aus.
Ich änderte meine Richtung und lief jetzt, auf gleicher Höhe bleibend, den Hang entlang, versuchte Hindernisse vorauszusehen und sie weiträumig zu umgehen. Irgendwo voraus musste er sein, dieser merkwürdige tiefe Einschnitt in den Berg, diese schmale, gezackte Schlucht, von oben den Berg herab, wie von überdimensionalen Axthieben in den Fels geschlagen.
Im letzten Herbst fand ich diese Kluft, und es hatte mich damals gereizt, hinunterzusteigen. Mit meiner Routine, die ich mir auf den zahlreichen Bergwanderungen und Klettertouren mit meinem Freund Henner in Südtirol angeeignet hatte, war mir das auch gelungen. Und mit Erstaunen stellte ich fest, dass sich in den Jahrhunderten am Boden des Einschnittes Erde angesammelt und eine überraschende Vegetation gebildet hatte. Auch einzelne Bäume bemühten sich, ihre Köpfe aus der Tiefe der Schlucht heraus zu erheben. Ich hatte es nicht geschafft, die glatte Wand auf der anderen Seite der Spalte wieder emporzusteigen.
Aber während ich auf die Schlucht zu rannte, formte sich in mir eine Idee.
Der Hund und mit ihm die Männer hatten meinen Richtungswechsel offenbar ohne Probleme nachvollzogen. Ich hörte ihre Geräusche im Unterholz hinter mir.
Ich stürzte fast über eine querliegende, dicke Wurzel und konnte mich gerade noch vor dem Sturz in die Tiefe abfangen. Atemlos blickte ich nach beiden Seiten und erkannte tatsächlich die Stelle.
Langsam ließ ich mich auf den kleinen Absatz schräg unter mir hinab, fand die ersten Tritte abwärts und konnte mich mit den Händen an kleinen, aus den Spalten wuchernden Zweigen festhalten. Vorsichtig stieg ich weiter. Plötzlich rutschte mein rechter Fuß ab und unter mir polterten kleine Steinbrocken den Abhang hinunter in die Tiefe. Mein Inneres krampfte sich zusammen. Ich klammerte mich an die kleinen Äste, hoffte, dass sie halten würden, bemühte mich, ruhig zu sein, mich zu konzentrieren. Langsam, Tritt für Tritt, kletterte ich weiter. Zur Talsohle hin wurde es leichter. Einen Augenblick horchte ich nach oben. Aber ich nahm jetzt kein Geräusch von den Männern wahr. Bevor sie die Kante erreichen würden, musste ich unten und um die Krümmung der Schlucht gelaufen sein. Sonst war ich ihnen ausgeliefert.
Aufatmend sprang ich den letzten Meter nach unten. Sah hoch. Es war immer noch nichts zu sehen und zu hören. Der Abstieg war mir ewig vorgekommen, aber tatsächlich war ich wohl ziemlich schnell gewesen.
Kurz orientierte ich mich, dann hastete ich nach links den schmalen, etwa zwei bis drei Meter breiten Grund entlang und nach wenigen Metern um eine Krümmung. Kaum um die Felsenecke herum, hörte ich oben, hinter mir ein wütendes Gebelle und lautes Schimpfen. Die Worte konnte ich nicht verstehen. Leise schlich ich weiter. Nach wenigen Metern war ich hinter einer Biegung. Jetzt atmete ich tief aus und merkte, dass ich total angespannt gewesen war.
Ich betrachtete den Felsen rechts von mir. Glatt, steil, unüberwindbar. Jetzt verbreiterte sich der Boden und ein stärkerer Bewuchs mit kleinen Fächerpalmen, kräftigen Ligusterbüschen, auch mit einzelnen Bäumen behinderte mich im Vorankommen.
Was würden die Kerle machen? Der Hund war keine Hilfe mehr. Ob sie versuchen würden, mit ihm hinunterzusteigen? Vielleicht eine bessere Stelle dafür finden? Natürlich würden sie versuchen, dem Verlauf der Schlucht zu folgen, um mich aufzuspüren.
So schnell wie möglich rannte ich weiter, zwängte mich durch die Büsche. Rechts und links die steilen Wände.
Als ich vor einem Jahr hier unten alles erkundete, kletterte ich anschließend an der gleichen Stelle wieder nach oben. Aber damals hatte es mich schon „in den Fingern gejuckt“, auch die andere Seite zu bezwingen. Und ich fand auch einen Platz, an dem es vielleicht möglich war.
Ich lief um die nächsten Krümmung – und wirklich, da war der Ort: Hier erweiterte sich der Grund, und in der Mitte wurzelte diese mächtige, abgestorbene Pinie, ragte schräg empor und lehnte sich oben gegen den Rand der Schlucht. Ein eindrucksvoller, uralter Baum. Seine Rinde hatte er fast vollständig verloren, das Holz war grau und glatt. Von den Zweigen und vom Geäst waren zumeist nur noch Stummel vorhanden.
Ich blickte am kahlen Stamm hinauf. Der erste Halt war hoch, auch für mich mit meinen 1 Meter 96 kaum zu erreichen. Ich sprang, berührte knapp den armdicken Ast mit der rechten Hand. Auch ein zweiter Versuch war erfolglos.
Ich horchte. Aber es war nichts zu hören.
Ich nahm einige Schritte Anlauf, konzentrierte mich, rannte vor, sprang mit aller Kraft und setzte gleichzeitig den rechten Fuß gegen den schrägen Stamm, als wollte ich an ihm hinauflaufen. Und da hatte ich ihn. Mit der rechten Hand umklammerte ich den knorrigen Stummel, sammelte mich, dann fasste ich auch mit der linken Hand nach. Einen Augenblick hing ich so. Etwa zwanzig Zentimeter über meinen Händen, etwas seitlich, ein weiterer Halt, um höher zu klettern. Ich machte einen Klimmzug und fasste ihn blitzschnell mit der linken Hand. Ich zog mich nach oben und schaffte es, ein Bein über den unteren Ast zu bringen.
Wenig später hatte ich die steile Wand bezwungen. Ich blickte zurück in den Abgrund, meine Beine zitterten, aber plötzlich erfasste mich ein verblüffendes, starkes Glücksgefühl. Ich hatte die Schlucht bewältigt und es den Burschen gezeigt. Ich hielt es für ausgeschlossen, dass sie mir bis hierher folgen konnten.
Nach einigen Schritten ließ ich mich auf einer grasbewachsenen, schrägen Böschung auf den Rücken fallen. Versuchte ruhig durchzuatmen. Der Wind war etwas stärker geworden und rauschte leise in den Bäumen, bewegte leicht ihre Kronen. Das Grün der Blätter und Nadeln glitzerte über mir vor dem tiefdunklen Blau des Himmels in der Abendsonne.
Die Fischer drüben in Peñíscola hatten ihre Fracht längst abgeladen, und in den Lokalen am Hafen und in der Altstadt mit den kleinen, in der Abendsonne blendend weißen, ineinander verschachtelten Häusern den Berg hinauf machten sich die Köche daran, die Fische für die abendlichen Gäste vorzubereiten.
Und über allem ragte die auf den Grundmauern einer maurischen Burg erbaute Zitadelle des Templerordens aus dem vierzehnten Jahrhundert empor, in der der Gegenpapst Benedikt XIII. bis zu seinem Tod Zuflucht gesucht hatte.
Ich schloss die Augen. Was war eigentlich passiert? Ich konnte mir das alles nicht erklären. Warum hatten mir die Kerle dort unten vor dem kleinen Haus am Rande der Sierra, das ich für drei Wochen bewohnte, aufgelauert?
Meine Gedanken gingen zurück. In einem dieser „Weißen Dörfer“ in den Bergen Andalusiens war es gewesen. Ich befand mich zum ersten Mal in Spanien und hatte fern von allen Sprachkenntnissen in dem kleinen Dorfladen vor mich hin gemurmelt: „Verdammt noch mal. Gibt es denn hier kein Schwarzbrot?“
„Nein. Das werden Sie hier nicht finden.“
Eine zierlich, grauhaarige Frau hinter mir lächelte mich liebenswürdig an. Und so lernte ich Gerda kennen. Sie wirkte auf mich unglaublich beeindruckend und sympathisch. Über viele Jahre trafen wir uns immer wieder. Eine tiefe Freundschaft entwickelte sich. Sie wohnte seit Jahren im Dorf. In Frigiliana. Und einige Zeit, nachdem wir uns kennengelernt hatten, erzählte sie mir ihre Geschichte.
Als sie in Deutschland ins Rentenalter gekommen war, fühlte sie sich von Jahr zu Jahr unwohler. Ihre Tochter wollte nichts von ihr wissen. Ihre Freunde und Bekannten erschienen ihr immer nichtssagender. Eines Tages las sie in der Zeitung „Die Zeit“ einen Reisebericht über Andalusien und die „Weißen Dörfer“. Nachdem sie einige Zeit darüber nachgedacht hatte, schrieb sie einen Brief an den Bürgermeister des Dorfes. Auf Deutsch! Sie schrieb ihm, sie würde gern zu ihm kommen und in seinem Dorf wohnen.
Ein Vierteljahr verging, sie hatte ihre Hoffnung auf eine Antwort schon längst aufgegeben. Aber an einem Freitag, den dreizehnten, – sie konnte sich genau daran erinnern – überreichte ihr der Postbote einen Brief mit einer spanischen Briefmarke. Eine ganze Weile zögerte sie, ihn zu öffnen. Dann fasste sie Mut.
In unbeholfenem Deutsch schrieb ihr der Alkalde, der Ortsvorsteher, sie könne kommen. Er habe eine Wohnung für sie. Und er freue sich.
Einen Monat später hatte sie in Deutschland alles aufgelöst und ihrer Tochter und den Bekannten mitgeteilt, sie wohne in Zukunft in Spanien.
Erst ewig mit der Bahn und dann mit dem Bus die Berge hinauf gelangte sie nach Frigiliana. Sie stieg aus und wanderte aufgeregt mit ihrem kleinen Koffer in der Abenddämmerung die Dorfstraße entlang. Rechts und links saßen alte Frauen und Männer vor ihren weißen, kleinen Häusern. Kinder spielten. Und von allen Seiten wurde ihr zugelächelt und sie in dem ihr unverständlichen Spanisch begrüßt. Und da beschloss sie: Hier fühle ich mich wohl. Hier bin ich jetzt zu Hause.
Damals war sie gerade siebzig geworden.
Das war vor vielen Jahren. Gerda lernte Spanisch. Wurde nach einiger Zeit von allen Dorfbewohnern geliebt. Kümmerte sich um die zahlreichen herrenlosen Hunde und Katzen. War glücklich.
Oft besuchte ich sie in diesen Jahren in ihrem Dorf. Wir führten lange Gespräche, und sie bereicherte mich in ihrer liebevollen, menschlichen Art. Ich begann in dieser Zeit, Spanisch zu lernen und bekam damit auch einen Zugang zu ihren Nachbarn und den vielen Freunden.
Als sie die Neunzig überschritten hatte, entschloss sie sich, nach Deutschland zurückzukehren. Auch diesen Umzug ging sie entschlossen und selbstbewusst an. Sie mietete sich in einem bayerischen Kurort eine Wohnung in einem Haus, in dem sie auch betreut werden konnte. Ihr spanisches Dorf dort oben in den Bergen gestaltete ihr einen unglaublichen Abschied. Und an jedem ihrer Geburtstage in Bayern reist eine Gruppe von früheren Freunden aus Frigiliana an.
Auch ich besuchte sie an einem dieser Tage. Und da erzählte sie mir dann am späten Abend die wahre Geschichte ihrer Flucht damals aus Deutschland nach Spanien und saß dabei Hand in Hand mit einem weißhaarigen, sehr sympathischen Herrn neben sich auf der Couch, der sicher auch schon an die neunzig Jahre alt war.
Nicht nur wegen der Familie und der Freunde hatte sie Deutschland verlassen, sondern vor allem wegen ihrer großen Liebe zu diesem Mann, zu Henrik. Aber Henrik war verheiratet und hatte zwei Kinder. Sie wollte diese Ehe nicht zerstören. Und deswegen kehrte sie dem gemeinsamen Ort und ihm den Rücken und ließ sich im Süden nieder.
Seine Briefe, die er ihr regelmäßig schickte, legte sie ungelesen in eine Schublade. Ihr Gefühl für ihn blieb über all die Jahre so groß, dass sie es nicht verkraften konnte, sie zu lesen. Deshalb erfuhr sie auch erst nach ihrer Rückkehr von ihm persönlich, dass er schon seit Jahren Witwer war, aber auch, dass er sich die ganze Zeit nach ihr gesehnt hatte und sie immer noch liebte.
Da saß Gerda nun vor mir neben der großen Liebe ihres Lebens. Die beiden 90-Jährigen glücklich lächelnd nebeneinander. Ich machte keinen Versuch, meine Rührung zu verbergen.
Einige Jahre vor ihrer Rückkehr nach Deutschland hatte sie zu ihrer Überraschung von einem Patenonkel ein kleines Haus oberhalb von Alcossebre in der Sierra geerbt. Er hatte dort über Jahre gewohnt und war wohl so begeistert über ihre Umsiedlung nach Spanien, dass er es ihr überlassen wollte.
Natürlich zog sie nicht dahin um, aber mit der Sommervermietung konnte sie ihre schmale Rente etwas aufbessern. Und so war ich an dieses Haus gekommen. Den Schlüssel hatte ich, wie sie mir am Telefon sagte, unter einem Stein gefunden.
Nach einem üblen Prozess über sechs Verhandlungstage mit drei renitenten Angeklagten, großspurigen Anwälten aus Frankfurt und lügenhaften Zeugen hatte ich kurzentschlossen meine Sachen gepackt, Urlaub genommen und war hierher gefahren. Der Justizbetrieb mit seinem Stochern im menschlichen Unrat war mir wieder einmal entsetzlich auf die Nerven gegangen. Meine Termine ließen die Reise glücklicherweise zu. Den nächsten umfangreichen Verhandlungstermin hatte ich wegen der Erkrankung eines wichtigen Zeugen verschieben müssen. Es passte gut.
Und ich, ich bin Richter am Landgericht Karlsruhe, Strafsachen seit vielen Jahren, und heiße Maximilian Knall, genauer gesagt Dr. Maximilian Knall.
So großartig dieser Beruf auch sein kann, und eigentlich habe ich auch nie bereut, ihn ergriffen zu haben, führt er uns Richter doch immer mal wieder an die Grenzen unserer, auch psychischen Belastungsfähigkeit und an die Grenzen unserer Geduld.
Ich hatte die Hoffnung, dass mir die Tage hier, in meinem geliebten Alcossebre, gut tun würden. Schon viele Jahre verbrachte ich Zeit in diesem Ort, und mit meinen sich verbessernden Sprachkenntnissen fand ich immer mehr Zugang zu den sympathischen spanischen Bewohnern und dem Vielvölkergemisch, das sich hier angesiedelt hatte.
Etwa eine Woche nach meiner Ankunft bekam ich von Paquita eine merkwürdige, etwas beunruhigende Mitteilung.
Am ersten Tag meines Aufenthaltes hatte ich sie am Abend sehr spät in der urigen, mit viel schwarzem Holz ausgestatteten Bar von Antonio, der Casa Antonio, kennengelernt. Ziemlich groß, schlanke, gute Figur, eine etwas gebogene, nicht gerade besonders kleine Nase, dunkle Augen und blondes Haar. Ein energisches, gebräuntes Gesicht. Eine wirklich sehr attraktive Frau und ein eher ungewöhnlicher Typ für eine Spanierin. Später erzählte sie mir, dass ihre Mutter aus Marokko stammt.
Eine Bar in Spanien ist übrigens nicht vergleichbar mit einer deutschen. Hier gibt es normalerweise immer eine lange Theke, an der die Gäste – ohne Weiteres auch Frauen allein – herumstehen, ihren Wein trinken und frei von Kontaktproblemen miteinander plaudern.
Jedenfalls kam ich mit Paquita ins Gespräch. Sie fand mich wohl ganz nett und nach einer Weile und mehreren vinos tintos erzählte sie mir die unendliche Geschichte der Beziehung zu ihrem Freund Vincente mit einem ewigen Auf und Ab. Immer wieder begann sie, ganz im Gegensatz zu dem energischen Eindruck, den ihr Aussehen vermittelte, zu weinen und blickte mich zwischendurch mit großen Augen hilflos an, erhoffte wohl problemlösende Ratschläge von mir.
Es ist schon erstaunlich, was die Liebe auch mit selbstbewussten Frauen anstellt. Nachdem ich ihr schließlich nach zwei Stunden sagte, sie solle den Kerl auf den Mond schießen, brach sie in einen lauten Heulkrampf aus.
Als ich am nächsten Tag sehr entspannt und hochzufrieden in Las Fuentes, einem Ortsteil von Alcossebre, aus der „Taberna Pikapote“ meiner spanischen Freundin Ana trat, nach einem fantastischen Seehecht, in Knoblauch-Olivenöl gebraten, mit in feine Scheiben geschnittenen Artischockenherzen, bremste ein Motorrad scharf neben mir ab. Verblüfft schaute ich zur Seite. Die in schwarzes Leder und eine gelbe Weste gekleidete Fahrerin nahm ihren Helm ab und schüttelte ihre blonde Mähne. Es war Paquita. Sie war tatsächlich die Postbotin des Ortes und fuhr mit ihrer Maschine und großen Satteltaschen die Sendungen im Ort und den umliegenden Ansiedlungen aus. Ein eindrucksvoller Anblick, wenn sie mit ihrer Maschine und oft mit einem dicken Zopf hinten unter dem Sturzhelm heraus die Straße entlangbrauste.
Der traurige Abschluss des Abends hatte sie nicht gehindert, mich ins Herz zu schließen. Und in der Folgezeit stoppte sie bei ihren Touren, wenn sie mich sah, um mir das neueste Kapitel ihrer Liebesbeziehung zu erzählen.
Jetzt berichtete sie mir, zwei etwas merkwürdige Typen hätten sie gefragt, ob sie einen sehr großen Deutschen kennen würde und wo der wohne. Die beiden kamen ihr ziemlich gefährlich vor. Deswegen habe sie ihnen gesagt, dass sie von so einem Mann nichts wisse. Sie sah mich dabei mit ihren schönen dunklen Augen besorgt an und riet mir, auf der Hut zu sein, bevor sie davondonnerte. Einen Tag später hielt sie noch einmal und sagte, sie habe vergessen zu erzählen, dass die beiden Männer einen schwarzen Mercedes mit einer deutschen Nummer gefahren hätten.
Diese Mitteilung gefiel mir nicht besonders gut. Aber es konnte ja auch ganz harmlos sein, denn schließlich wussten viele Bekannte in Deutschland, dass ich hier war, und vielleicht wollte mich eben jemand überraschend besuchen. Aber ich war durch meine – gelinde gesagt – etwas unübersichtliche und katastrophale Vergangenheit besonders sensibel. Vor einiger Zeit war ich lebensgefährdend bedroht worden und man hatte mich schwerer Straftaten verdächtigt.
Also bat ich Paquita, die Augen offen zu halten und mir zu berichten, wenn ihr die Burschen wieder über den Weg laufen sollten. Falls sie das Auto vor einem Haus sehen würde, wäre ich ihr dankbar, wenn sie mir das berichtete.
Ich überlegte, ob ich an Verfolgungswahn litt, als ich in der Folgezeit jedes Mal, wenn ich nun das Haus in der Sierra verließ, ein kleines Blatt als Überwachungsmaßnahme wenige Zentimeter über dem Boden zwischen Tür und Rahmen klemmte, so dass nur der Stiel hervorragte.
Immer war es noch da gewesen, wenn ich zurückkam – bis vor zwei Tagen. Da klemmte es nicht mehr dort. Ich starrte auf den Türspalt. Ich konnte es nicht glauben. Die Tür war verschlossen. Als ich sie öffnete, sah ich es. Es lag auf dem Boden. Jemand war im Haus gewesen.
Ich konnte nicht feststellen, ob etwas entwendet worden war. Es waren Profis gewesen. Für was hatten sie sich interessiert? Was könnten sie gesucht haben? Mein Heile-Welt-Gefühl für diesen wunderbaren Ort war jedenfalls ziemlich angeknackst. Es war aus mit der Entspannung.
Neben meinen normalen Sachen hatte ich einen ganzen Schwung Strafakten aus Deutschland mitgebracht. Eine große Tasche voll. Ein besonders schwieriger, unerfreulicher Prozess war angesetzt, und ich hatte mir überlegt, dass ich hier in aller Ruhe auf der Terrasse mit Blick aufs Meer etwas daran arbeiten könnte. Ich hatte aber bisher die Tasche kein einziges Mal angerührt. Und die Einbrecher offenbar auch nicht. Jedenfalls war alles so, wie es sein sollte. Schien mir jedenfalls.
Aber ich war aufmerksam geworden, und als ich am frühen Nachmittag einen schwarzen Mercedes in der unteren Schleife des Weges zum Haus zwischen die Bäume fahren sah, kam mir das doch etwas merkwürdig vor. Wenn mich jemand besuchen wollte, dann wäre er wohl weiter bis zu mir hochgefahren. Also holte ich mein Fernglas und konnte immer wieder verdeckt zwischen Bäumen zwei oder drei Männer mit einem Hund verfolgen, die in Richtung auf das Haus durch den Wald den Hang hinaufstiegen. Einen von ihnen mit einem ziemlich prägnanten, unrasierten, dunklen Gesicht mit großer Nase sah ich einen Augenblick durch das Glas sehr genau, als er kurz stoppte.
Sie versuchten offenbar, sich hinter den Bäumen in Deckung zu halten. Das verursachte natürlich bei mir ein ziemlich mulmiges Gefühl. Ich verließ das Haus aus dem Hinterausgang, rannte über die Lichtung an den oberen Waldrand und stellte mich zwischen die Bäume um zu beobachten, was die Kerle vorhatten.
Nach kurzer Zeit konnte ich einen Mann erkennen, der um das Haus herumschlich und versuchte, in die Fenster hineinzuspähen. Ich lehnte mich vor, um ihn besser zu sehen, aber in diesem Augenblick bog der zweite mit dem Hund an der Leine um die Ecke, der Köter bemerkte mich und fing an, wie wild in meine Richtung zu kläffen. Ich zuckte zurück, aber der Typ hatte mich auch schon erblickt, rief seinem Kumpan etwas zu und rannte mit dem Hund in meine Richtung. So begann die wilde Hetzjagd durch die Berge.