Читать книгу Urknall, Weltall und das Leben - Harald Lesch - Страница 8

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Prolog

„Auf einem stark abgekühlten Aschehaufen stehend, beobachten wir das allmähliche Erlöschen der Sonnen, und wir versuchen uns des entschwundenen Glanzes des Ursprungs der Welten zu erinnern.“


1.1 Georges Lemaître (1894 - 1966)

Gaßner: Spüren Sie, verehrte Leserinnen und Leser, die tiefe Sehnsucht in diesen Worten von Georges Lemaître? Genau diese Sehnsucht ist es, die viele Generationen von Menschen bis heute motiviert, Astronomie und Kosmologie zu betreiben. Es ist der ureigene Wunsch, die Welt zu verstehen, in der wir leben.

Lesch: Genau. Es geht schlichtweg um die Frage, woher alles kommt. Es gilt, die größtmögliche Geschichte zu ergründen und zu erzählen. Das Hauptproblem besteht letztlich darin, dass wir auf die Welt kommen – und die Welt ist schon da. Wir versuchen von Kindesbeinen an, diese faszinierende Welt zu erforschen.

Gaßner: Ein Universum, das in einem Urknall sämtliche Voraussetzungen in sich trägt, nach Jahrmilliarden die unglaubliche Metamorphose von toter Materie zu lebenden Organismen zu vollziehen, ist für reflektierende Lebewesen zwangsläufig ein bestaunenswertes Rätsel.

Lesch: Deshalb ist es ja auch naheliegend, dass der Mensch der Vorzeit bis weit in die Antike die Gründe für die Existenz und Funktionsfähigkeit der kosmischen Vorgänge zunächst im Bereich der Götter und Mythen suchte. Um sich eine vielfältige Welt mit all ihren Einzelheiten zu erklären, bedurfte es Wesen, die das wollten und mittels übermenschlicher Fähigkeiten bewerkstelligen konnten. Dass sich die Welt aus dem Nichts beziehungsweise einem völlig ungeordneten Chaos in einen geordneten Kosmos entwickelt haben könnte, war lange Zeit nicht vorstellbar und ist es im Grunde bis heute nicht. Für den nachfragenden Geist war das ewige Universum aber schon damals eine Provokation. Für weniger kritische Gemüter stellte es jedoch eine große Beruhigung dar.

Gaßner: Für das frühe Interesse der Menschheit an den Vorgängen am Himmel gibt es sogar einen archäologischen Beweis, die Himmelsscheibe von Nebra. Sie ist die älteste bekannte Himmelsdarstellung und wurde etwa 2100 bis 1700 v. Chr. von unseren Vorfahren angefertigt. Über ihre genaue Bedeutung gibt es seit ihrem Fund 1999 in einer Steinkammer nahe der heutigen Stadt Nebra in Sachsen-Anhalt die unterschiedlichsten Theorien.

Lesch: Der Anblick des Himmels hat von jeher in den Menschen das tiefe Verlangen ausgelöst zu verstehen. Selbst vor 4.000 Jahren, und da hatte man ja wirklich noch andere Probleme.

Gaßner: Der römische Philosoph Lucio Annaeus Seneca schrieb bereits zu Beginn unserer Zeitrechnung: „Wenn die Sterne nur von einem einzigen Ort aus auf der Erde sichtbar wären, würden die Menschen nie aufhören, dorthin zu reisen, um sie zu sehen.“

Vom Staunen ist es nur ein kurzer Schritt zum Verstehenwollen. Der Durchbruch in puncto „Verstehen“ kam aber erst mit dem Beginn der Neuzeit und den sich entwickelnden empirischen Naturwissenschaften. Die Forschung machte auch vor dem Kosmos als Ganzes nicht mehr halt. Die Entwicklungslinien wurden immer klarer. Letztlich konnte die Vorstellung eines ewigen Kosmos nicht länger aufrechterhalten werden.


1.2 Die Himmelsscheibe von Nebro. Sie besteht aus etwa 2,3 kg Bronze und ist mit Goldapplikationen versehen, die den Verlauf der Sonnenaufgänge darstellen und Sterne kennzeichnen. Anhand von Verunreinigungen in der Bronze, insbesondere radioaktiver Bleiisotope, konnte die kreisrunde Platte mit 32 cm Durchmesser auf 2100 bis 1700 v. Chr. datiert werden. Am Abend der Sommersonnenwende (21. Juni) wurde die Scheibe auf dem Mittelberg stehend in Richtung Brocken justiert. Die Sonnenuntergänge wanderten anschließend bis zur Wintersonnenwende (21. Dezember) entlang des Horizontbogens und kehrten von dort wieder zum Ausgangspunkt zurück. Ein zweiter, leider nicht mehr erhaltener Horizontbogen kennzeichnete analog die Sonnenaufgänge. Beide spannten jeweils einen Winkel von 82 Grad auf. Der Bogen am unteren Rand stellt vermutlich eine sogenannte Himmelsbarke dar und hatte keine astronomische Bedeutung.

Lesch: Als in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts immer mehr Beobachtungen sogar auf eine Expansion des Kosmos hindeuteten, kam es zum finalen Aufbäumen der Hypothese vom ewigen Universum. Die Liste der Expansions-Kritiker liest sich wie das damalige Who’s Who der Wissenschaft, von Fred Hoyle, Max Born, Robert Millikan, Louis de Broglie, Walther Nernst, Erwin Freundlich bis Fritz Zwicky. Gestützt wurde die Skepsis durch ein theoretisches Alter des Universums, dass geringer war als das nachweisbare Alter unseres Sonnensystems. Zudem erschien vielen ein kosmologisches Prinzip in Raum und Zeit ansprechender.

Gaßner: In den folgenden Jahren geriet die Frage mehr und mehr zum Politikum. Selbst Papst Pius XII. äußerte sich zum Thema.

Lesch: Zum Glück wurde mit der Zeit die Entfernungsmessung immer weiter verbessert und damit auch die Bestimmung des Alters des Universums. Mit der Entwicklung der Radioastronomie gelang schließlich sogar der direkte Nachweis, dass Galaxien früher dichter standen als heute.


1.3 Sir Fred Hoyle (1915 - 2001)

Gaßner: Ausgerechnet Sir Fred Hoyle, einer der Hauptvertreter des statischen Universums, hat in einer Radiosendung das Modell eines sich dynamisch entwickelnden, expandierenden Kosmos mit der abfällig gemeinten Bezeichnung „Big Bang“, also „großer Knall“, abgetan und wurde so unfreiwillig zum Namensgeber dieser bis zum heutigen Tage gültigen Theorie. Das Modell vom Urknall hat sich durchgesetzt. Es ist zum anerkannten Standardmodell der Kosmologie geworden.

Lesch: Das nennt man ein klassisches „Branding“. Das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden. Das Urknallmodell war in der Zeit damals ja heiß umstritten und gerade der Herr, den du angesprochen hast, kämpfte noch jahrzehntelang dagegen an.

Gaßner: Die Vorbehalte von Fred Hoyle und seinen Kollegen sind aus damaliger Sicht durchaus nachvollziehbar. Ein Universum, das sich fortwährend ausdehnt, war offensichtlich gestern kleiner und wärmer als heute und letzte Woche noch kleiner und noch wärmer. Konsequent zu Ende gedacht liefert diese rückwärtige Betrachtung immer weiter steigende Temperaturen und Dichten. Man landet zwangsläufig bei einem unvorstellbar heißen und dichten Urknall, mit dem alles seinen Anfang nahm. Damit ist unweigerlich eine Reihe von weitreichenden Fragen verbunden.

Lesch: Die erste Frage ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Ich kann jetzt förmlich spüren, was bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, im Gehirn abläuft. Der Homo sapiens kann gar nicht anders, er muss diese Frage stellen. Wenn ich jetzt behaupte: „Es hat den Urknall gegeben!“, dann stellen Sie sofort die Frage, eine der wichtigsten Fragen: „Und was war vor dem Urknall?“ Habe ich nicht recht?

Gaßner: Aber damit ist noch lange nicht Schluss, weitere bohrende Fragen kommen unweigerlich auf: Wie kann überhaupt irgendetwas aus dem Nichts entstehen, geschweige denn das gesamte Universum, das wir heute beobachten? Woher kommt die notwendige Energie? Wird das Weltall ewig expandieren oder irgendwann wieder zusammenstürzen? Und last but not least: Wie konnten sich Atome selbst organisieren zu lebenden Organismen?

Lesch: Fragen über Fragen, denen man sich als theoretischer Astrophysiker im Freundes- und Bekanntenkreis zu fortgeschrittener Stunde bei einem Glas Rotwein ausgesetzt sieht. Dann gilt es, Antworten zu finden – allgemein verständlich, ohne wissenschaftlichen Habitus, also ohne dass man sich jetzt so aufführt wie ein Wissenschaftler, also – ganz Mensch eben.

Gaßner: Es sollte aber bitteschön nur soweit vereinfacht sein, dass es wissenschaftlich korrekt bleibt.

Lesch: Das fordert beide Seiten und ist übrigens auch für beide Seiten lehrreich. Bei dem Versuch, die Zusammenhänge für andere klar und anschaulich zu formulieren, stellt sich bei mir oft selbst ein verändertes Verständnis ein.

Gaßner: Bevor wir zwei aber jetzt loslegen und das aktuelle Modell der Kosmologie ausbreiten, gilt es noch eine übergeordnete Frage zu beantworten: Woher wissen wir das alles eigentlich? Wie können wir uns so sicher sein mit dem heißen Urknall? Schließlich war doch niemand dabei. Dafür begeben wir uns weit zurück ins 20. Jahrhundert, dahin, wo alles seinen Anfang nahm.

Lesch: Damals, in den Goldenen Zwanziger Jahren, da konnte es schon mal vorkommen, dass aus einem Boxer und Rechtsanwalt ein Kämpfer für die Naturgesetze wurde.

Urknall, Weltall und das Leben

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