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Und Whitehead?

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Forstner: Und Whitehead stand für uns eigentlich immer fest, nicht!?

Lesch: Ja, klar!

Forstner: Wollen wir dazu noch ein paar Sätze verlieren? Weil Bildung für viele – und wahrscheinlich für alle, die Kinder haben – ganz selbstverständlich ein Thema ist. Aber warum Whitehead?

Lesch: Weil Whitehead jemand ist, der Fragen stellt und Probleme thematisiert, ohne sie direkt anzusprechen. Er hilft uns, Hoffnung zu behalten. Er hilft uns, aus der Vergangenheit genauso zu lernen, wie eine Zukunft zu erwarten, wo noch etwas möglich ist. Whitehead ist für mich wirklich ein Hoffnungsträger! Er trägt in seiner Prozessmetaphysik immer die Möglichkeit des Neuen mit, und er sieht den Menschen als ein Initium, als einen Anfang. Denn jeder Mensch ist für ihn immer wieder ein Anfang. Und deswegen kann er auch Initiative ergreifen. Er kann von sich aus etwas Neues schaffen. In der europäischen Philosophie war dagegen bis zur Aufklärung Philosophie die Kunst zu sterben, ars moriendi: »Man ziehe sich zurück und lasse alle Welt los …« Nicht so Whitehead! Er ist einer, der mitten im Leben steht, ihn interessiert die ars vivendi, die Kunst des Lebens. Einer, der dann auch weitermacht, einer, der sieht, dass es weitergehen wird. Er ist ein Hoffnungsträger!

Forstner: Er bleibt auch immer Optimist … durch zwei Weltkriege hindurch und immer …13

Lesch: Er hat einiges erlebt, genau, und da Optimist zu bleiben, gerade bei diesen katastrophalen Entwicklungen, bei denen er mit dabei war … Ich muss es einfach noch mal sagen: White-head ist ein Hoffnungsträger! Es gibt von Tomáš Halík, einem tschechischen Theologen, einen wunderschönen Ausspruch des Inhalts: »Hoffnung ist eine Art der Geduld mit Gott. Glaube, Liebe und Hoffnung sind drei Arten der Geduld mit Gott.«14

Forstner: Das ist schön.

Lesch: Und Halík sagt dann weiter, dass die Atheisten nur einfach noch nicht genügend Geduld mit Gott haben. Ich glaube, Whitehead hatte unglaublich viel Geduld, mit den Menschen und mit Gott. Er hatte vielleicht nicht genügend Geduld mit sich, um Dinge so zu formulieren, dass man sie auch wirklich, ich will mal sagen »relativ schnell« versteht, nachdem man sie gelesen hat, um nicht zu sagen »sofort«.

Forstner: Er las ungern Korrektur. Wenn er etwas zu Papier gebracht hatte, war die Sache für ihn erledigt. Da schaute er nicht noch mal drauf.

Lesch: Das kann ich teilweise sehr, sehr gut nachvollziehen. Idee gehabt, aufgeschrieben und fertig. Dann kommt aber erst die Feinarbeit am Text. Und hier neige ich dann dazu, einfach zu sagen: »Kommt lasst mich in Ruhe, jetzt ist es gut!« Aber was das Entscheidende ist: Whitehead schafft es, eben nicht nur das zu sehen, was man bei einer Inventur sehen würde. Dann hätte man eine Objektklasse, die man nach bestimmten Kriterien irgendwie ordnet. Er fragt auch nicht einfach: »Wie gewinne ich Erkenntnis?« Darüber könnte man sich zum Beispiel ja auch Gedanken machen, gerade wenn es um Bildung geht. Sondern Whitehead hat eben diese Gabe, die Themen in ihrem Verlauf zu sehen. Wahrscheinlich war Heraklit immer in seiner Nähe: Panta rhei15, die Dinge sind im Fluss, und es kann sich im nächsten Moment schon alles wieder ändern. Es wird sich hoffentlich nicht so ändern, dass es zur Katastrophe wird. Aber es wird sich etwas tun, es werden Veränderungen stattfinden. Das finde ich natürlich auch als Physiker so herrlich an ihm! In der beginnenden Neuzeit gab es ein Problem damit, dass die newtonschen Gesetze nicht richtig funktionierten. Kritische Stimmen sagten: »Da muss ja Gott ständig in den Keller runter und muss nachdrehen!« Kommt er unten aus dem Keller raus, fragt er: »Und? Funktioniert’s jetzt? Nein? Dann muss ich noch mal nachdrehen!« Also, der Prozesscharakter von allem, was da ist, auch der Prozesscharakter der wissenschaftlichen Forschung selbst, ist für mich eine wirklich zentrale Erkenntnis. Niemand hat das so betont wie Whitehead. Und keiner hat es dann so eng mit moderner Wissenschaft verknüpft wie er, keiner! Er war der Einzige, der all diese wissenschaftlichen Entwicklungen des frühen 20. Jahrhunderts ernst genommen hat.

Forstner: Dabei war er eigentlich Mathematiker.

Lesch: Genau, und nicht alle Mathematiker nehmen Naturwissenschaften ernst. Viele glauben, ihre Strukturwissenschaft schwebe über allem. Whitehead dagegen hat über die Relativitätstheorie, über die Kosmologie, über die Quantenmechanik nachgedacht. Er war überall dabei! Hier in Kontinentaleuropa gab es dagegen praktisch keine Philosophen, die sich damit auseinandersetzten.

Forstner: Und trotzdem sind die alle bekannt: Ein Wittgenstein ist hoch gelobt. Einen Whitehead kennt niemand. Vielleicht war er wirklich zu schwierig?

Lesch: Ich hab mit Wolfram Eilenberger darüber gesprochen, warum es denn kein Whitehead-Buch gibt. »Ja«, sagt er, »das ist einfach zu …« Ich sollte mal einen Vortrag über White-head halten bei dem Philosophie-Festival in Köln, den phil. cologne-Tagen. Wolfram Eilenberger hatte das als Organisator vorgeschlagen. Seine Mitorganisatoren hielten Whitehead aber schlicht für zu kompliziert und haben es abgelehnt. Eilenberger hat sogar gesagt: »Aber der Lesch, der erzählt das doch.« – »Nein, nein, das schafft der Lesch auch nicht.« – So, und wir schaffen das jetzt eben doch!

Forstner: Ja, wir machen das jetzt einfach.

Lesch: Das find ich großartig, das find ich wunderbar!


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