Читать книгу Von A(usbildung) bis Z(agreb) - Harald Seibel - Страница 8
ОглавлениеDank den Müttern dieser Welt
Wie kam ich überhaupt in den Auswärtigen Dienst? Anders als für manche der Aspiranten, die mit mir zusammen das Auswahlverfahren durchliefen, war das Auswärtige Amt einer von vielen potenziellen Arbeitgebern, bei denen ich mich 1979, im Jahr vor meinem Abitur, beworben hatte. Das Tätigkeitsprofil eines Beamten im „gehobenen auswärtigen Dienst“, über das ich zuvor in einer Broschüre des Arbeitsamts gestolpert war, entsprach genau meinen Vorstellungen: eine Tätigkeit, in der ich aktiv meine auf dem Gymnasium erworbenen Fremdsprachenkenntnisse (Englisch, Französisch, Russisch) anwenden konnte.
Die Einladung zum zweitägigen Auswahlverfahren in Bonn erreichte mich im Frühjahr 1980, kurz vor Eintritt in die Prüfungsphase des Abiturs. Eigentlich war mir zum damaligen Zeitpunkt bereits ein Ausbildungsplatz sicher, hatte ich doch im Herbst 1979 einen Lehrvertrag zum Bankkaufmann bei einer namhaften Bank in Schleswig-Holstein mit intensivem Osteuropageschäft unterschrieben. Perspektivisch hatte ich mein berufliches Wunschziel also schon erreicht. Warum also weitersuchen? Was mehr konnte mir das Auswärtige Amt, bei dem ich mich, siehe oben, aus genau denselben Gründen beworben hatte, bieten?
Die Antwort auf diese Frage gab mir meine Mutter: Eine Einladung vom Auswärtigen Amt könne man unmöglich ausschlagen! Auch wenn ich die Aufnahmeprüfung nicht schaffen sollte, hätte ich es zumindest versucht. Ihr Motto: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt! Und außerdem: Falls es nicht klappen würde, sei ich wenigstens einmal in der (damaligen) Bundeshauptstadt gewesen. Für ein Landei wie mich sei allein das schon die Reise wert. Letzteres überzeugte mich vollends! Mehr um meiner Mutter zu gefallen als aus Überzeugung setzte ich mich also eines Tages in den Nachtzug von Hamburg nach Bonn, machte mich kurz nach Ankunft in der Ausbildungsstätte des Auswärtigen Amts frisch und ging in den schriftlichen Test. Völlig erschlagen sank ich abends im Hotel ins Bett. Der nächste Tag stand im Zeichen des mündlichen Auswahlverfahrens. Mehrfach hatte ich in diesem Teil der Prüfung das Gefühl, mich bei Vorträgen, Fragerunden und Gruppendiskussionen vor einer riesigen Kommission um Kopf und Kragen zu reden. Während sich einige der mit mir leidenden Bewerberinnen und Bewerber am Ende des Tages sarkastisch mit „Na dann bis zum 1. Oktober!“ (dem Einstellungsdatum) verabschiedeten, versuchte ich mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass für mich die große weite Welt an den Landesgrenzen Schleswig-Holsteins enden würde. Frustriert bestieg ich wieder den Nachtzug in Richtung Hamburg, um meiner Mutter am nächsten Tag zu melden, dass ich von Bonn als Hauptstadt nichts gesehen hatte, die Reise also völlige Zeitverschwendung gewesen sei.
Bis – ja bis eines Tages ein großer brauner Briefumschlag mit der Zusage eintraf. Ich hatte es also tatsächlich geschafft, die anspruchsvolle Aufnahmeprüfung des Auswärtigen Amts – einer Behörde, mit deren Aufgaben und Struktur ich mich erst wenige Monate zuvor erstmals im Detail befasst hatte – zu bestehen! Es lockte tatsächlich „die Welt als Arbeitsplatz“ (lange Zeit ein Werbeslogan des Auswärtigen Amts)! Aber: Ich hatte ja schon einen Ausbildungsvertrag unterschrieben. Plötzlich war das ein Problem. So, wie man eine Einladung vom Auswärtigen Amt nicht ausschlug, so löste man auch nicht einfach einen Ausbildungsvertrag wieder auf. Doch ich hatte Glück. Als der Personalleiter der Bank hörte, dass ich zum Auswärtigen Amt gehen wollte, gratulierte er mir mit den Worten: „Herzlichen Glückwunsch! Gehen Sie. Mit dem Auswärtigen Amt wollen und können wir uns nicht messen. Alles Gute!“
So begab es sich, dass ich am 1. Oktober 1980 als frisch gebackener Abiturient in Bonn-Ippendorf aufschlug, um am Rande des „Kottenforst“ in einem dem damaligen „state of the art“ entsprechenden Sichtbetonklotz zwischen Schwesternschülerinnen- auf der einen und Seniorenwohnheim auf der anderen Seite zum „Diplomverwaltungswirt“ ausgebildet zu werden. Anders als manch alter Freund aus meinem Ausbildungsjahrgang kann ich nicht behaupten, dass von Beginn an für mich ein Lebenstraum in Erfüllung ging. Dafür wusste ich viel zu wenig von dem, was mich bei Auswärtigen Amt erwartete. Ja, ich war gespannt, Neugier und Vorfreude waren groß. Ich war bereit (oder naiv genug?), mich auf ein großes Abenteuer einzulassen. So unbekannt das Terrain damals war, so froh bin ich heute, dass ich es betreten habe, dass ich den Mut aufgebracht habe, mein Dorf in Schleswig-Holstein zu verlassen und mir „die Welt als Arbeitsplatz“ zu erschließen. Dank sei meiner Mutter – bzw. der Hartnäckigkeit, mit der sie mich dazu brachte, diesen ersten Ausflug in die große weite Welt zu unternehmen. Ihre Freude über meinen Erfolg war groß, zumindest so lange, bis ich ihr ein paar Jahre später erzählte, ich würde nun nach Afrika versetzt. Doch dazu später mehr!