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Uneingeschränkt versetzungsbereit

Erster Oktober 1980 - da saß ich nun mit 66 anderen Kommilitoninnen und Kommilitonen aus ganz Deutschland am Bonner Waldesrand. Von meinem Zimmerfenster aus beobachtete ich, wie im Seniorenwohnheim nebenan ein schwarzer Kastenwagen vorfuhr, in dem kurz darauf ein Sarg abtransportiert wurde. Mir fiel der Spruch ein, den man bei uns auf dem Dorf gerne über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung machte: „Von der Wiege bis zur Bahre – Formulare, Formulare!“ Sollte das mein künftiges Leben sein? Um es vorweg zu nehmen: Keineswegs!

Meine erste „Amtshandlung“ bestand darin, zu unterschreiben, dass ich ein Leben lang uneingeschränkt versetzungsbereit sein würde. Genau wie ich hatten alle Kolleginnen und Kollegen „Konsulatssekretärsanwärter“ (eine von vielen Amtsbezeichnungen, die das stark in der Tradition verhaftete Auswärtige Amt zur allgemeinen Verwirrung der Außenwelt aus seiner Gründerzeit in die Moderne herübergerettet hat) dies zuvor schon einmal versichert, nämlich während des Auswahlverfahrens. Und das offenbar so glaubhaft, dass es mit der Einstellung geklappt hat. Rückblickend erscheint mir diese „Zusage“ wie eine Jugendsünde. Ganz ehrlich: Mein Blick auf die Welt reichte bis London, Paris, Washington und vielleicht noch nach Peking und Moskau (schließlich hatte ich ja – obwohl in Westdeutschland sozialisiert – Russisch gelernt). Woher sollte ich wissen, wo Ouagadougou, Antananarivo oder Bandar Seri Begawan Darussalam lagen? Bagdad, Teheran, Islamabad? Egal, ich war jung und brauchte das Geld! Also unterschrieb (auch) ich.

Scherz beiseite. Das Prinzip der uneingeschränkten Versetzungsbereitschaft ist oberste Bedingung für die Einstellung beim Auswärtigen Amt. Es ist aber auch und vor allem Voraussetzung für das reibungslose Funktionieren eines Dienstes, der seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht nur schöne Einsatzorte zu bieten hat, sondern der auch an Plätzen dieser Welt präsent ist, wo die Arbeits- und Lebensbedingungen beschwerlich sind und die der/dem Einzelnen und ihrer/seiner Familie Einiges abverlangen: Orte ohne ausreichende medizinische Versorgung, Megastädte mit extrem hoher Luftverschmutzung, schlechter Wasserqualität, z.T. lebensbedrohender Kriminalität, belastenden klimatischen Bedingungen, Tropenkrankheiten, schlechten Schulen oder Arbeitsverbot für die/den mitausreisende(n) Partner(in), um nur einige herausragende Beispiele zu nennen.

Spätestens nach meinen Jahren in Afrika war mir klar, dass diese Rotation, d.h. die Notwendigkeit, alle drei bis vier Jahre den Dienstort zu wechseln, Teil eines Systems der Lastenteilung, des „burden sharing“ ist. Jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin muss die Chance haben, nach einem Einsatz auf einem sogenannten „Härteposten“ einen fairen Ausgleich durch Einsatz auf einem weniger belastenden Posten zu erhalten. Dies funktioniert nur mit einer regelmäßigen Rotation. Man kann darüber streiten, wie lang die jeweilige Standzeit auf einem bestimmten Dienstposten sein sollte. Das Prinzip des regelmäßigen Standortwechsels als solches aber wird im Auswärtigen Amt nicht in Frage gestellt.

Die Rotation beinhaltet im Übrigen auch eine regelmäßige Rückkehr in die Zentrale des Außenministeriums, früher also nach Bonn, seit 1999 nach Berlin (oder Bonn, wo dank des Bonn-Berlin-Gesetzes immer noch ein nennenswerter Teil der Belegschaft arbeitet). Was für eine ganze Reihe meiner Kolleginnen und Kollegen eher wie ein vorübergehender Hausarrest oder gar eine Strafversetzung anmutet, hat meiner Auffassung nach eine wichtige Funktion, nämlich eine Art „Resozialisierung“. Wir alle, die wir im Auswärtigen Amt (in der Rotation) tätig sind, nehmen für uns in Anspruch, im Ausland unser Land zu vertreten. Diesem Anspruch kann ich jedoch nur gerecht werden, wenn ich in regelmäßigen Abständen wieder für ein paar Jahre in Deutschland lebe, wieder Teil dieser Gesellschaft werde, teilnehme am politischen und gesellschaftlichen Diskurs und fühle, wie es den Menschen in Deutschland geht, was sie bewegt und warum sie genau so denken wie sie denken. All das ist notwendig, um die Bodenhaftung nicht zu verlieren, Deutschland und die Deutschen zu verstehen und im Ausland erklären zu können.

Nun klingt „uneingeschränkt versetzungsbereit“ bedrohlicher als es die Lebenswirklichkeit ist. Ich bin oft von Außenstehenden, d.h. Freunden, Bekannten, Verwandten gefragt worden, wie denn eine Versetzungsplanung funktioniert. Meine Antwort darauf lautet wie folgt: Ich bewerbe mich auf eine Liste mit im Jahr meiner Versetzung frei werdenden Dienstposten, reiche die „Wunschliste“ dann bei meinem Personalreferat ein und überlasse es der Weisheit meiner dort tätigen Kolleginnen und Kollegen, zu wissen, was das Beste für mich ist! Keine Sorge, ich will an dieser Stelle keine Kollegenschelte betreiben. Zum einen ist deren Aufgabe, ein gerechtes (oder als gerecht empfundenes) Versetzungstableau zusammenzustellen, eine nervenzehrende Mammutaufgabe. Zum anderen war ich selbst mehrere Jahre lang im Personalgeschäft tätig, so dass ich glaube, mir einen solchen Satz erlauben zu dürfen, ohne missverstanden zu werden. Bei der Versetzungsplanung gibt es eine ganze Reihe von Kriterien, die in die Planung einfließen und am Ende das Ergebnis beeinflussen: allem voran dienstliche Belange (alle Posten weltweit müssen besetzt werden), persönliche Qualifikation für einen bestimmten Arbeitsplatz, Familienstand, geschlechtliche Orientierung (in einigen Ländern der Erde sind Beziehungen zwischen gleichgeschlechtlichen Partnerinnen oder Partnern verboten), Gesundheitszustand der zu versetzenden Personen, Schulerfordernisse, in Ausnahmefällen auch die Berufstätigkeit des Partners/der Partnerin und Vieles mehr. Die Personalplaner haben also keine leichte Aufgabe, wenn sie unter Berücksichtigung all dieser Faktoren ein nachvollziehbares Planungstableau zusammenstellen wollen – schließlich werden Jahr für Jahr ca. 1.500 bis 2.000 Kolleginnen und Kollegen aus allen Laufbahnen versetzt.

Von A(usbildung) bis Z(agreb)

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