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Kapitel 4: Trapper 1865

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Der Süden kapitulierte am 23. Juni 1865 endgültig.

Dave und Jonny hatten Robins Leiche in zwei Decken gewickelt und mit Riemen fest verschnürt. Darauf befestigten sie Robins Säbel. Dann fingen sie ein herrenloses Pferd ein, banden den Leichnam darauf fest und machten sich auf den Weg zur Delarosa-Ranch. Als sie dort ankamen, stank die Leiche schon erbärmlich.

Sie wurden von Robins Vater, seiner Mutter und dessen Bruder auf der Ranch empfangen. Dave übernahm es, über Robins Tod zu berichten und dessen Wusch, zu Hause beerdigt zu werden. Robins Vater und Bruder hörten sich ihre Geschichte mit ausdruckslosen Gesichtern an. Sie hatten den Mund fest zugekniffen. Die Mutter begann zu schluchzen. Lange sagte keiner ein Wort. Schließlich rief der Vater einen Mexikaner herein und ordnete an, er solle auf dem Familienfriedhof ein Grab ausheben.

Nach der Beerdigung folgte ein überaus üppiger Leichenschmaus, an dem alle Frauen und Männer teilnahmen, die auf der Ranch beschäftigt waren. Am Ende traf sich der Delarosas-Clan in einem geräumigen, mit teuren ausländischen Möbeln und Ledergarnituren ausstaffierten Salon.

Wieder war es an Dave, das Wort zu ergreifen. Dank seines guten Gedächtnisses und seines Sinns für Dramatik gelang es ihm, seine Zuhörer zu fesseln. Während er von ihren Kriegserlebnissen erzählte, entdeckte er mit Erstaunen sein erzählerisches Talent. Als er von Robins letzter Kavallerieattacke berichtete, merkte er, wie Robins Vater sich kerzengerade aufrichtete. Tränen der Rührung traten in seine Augen. Am nächsten Tag zierte Robins Kavallerie-Säbel eine der Wände des Salons.

*

Dave und Jonny blieben vier Wochen auf der Delarosa- Ranch. Dave erlernte in dieser Zeit die Grundzüge der Rinderzucht und die Handhabung eines Lassos. Ferner verbesserte er seine Spanisch-Kenntnisse. Über Langeweile konnte er sich also nicht beklagen, zumal er vom Nachwuchs der Delarosas pausenlos in Beschlag genommen wurde. Den Jungen musste er immer wieder seine Fertigkeiten vorführen, einen Revolver zu ziehen und damit zu treffen sowie ein Messer, ein Scheit Holz oder auch einen Stein zielgenau zu werfen. Ferner unterrichtete er sie in japanischer Kampftechnik. Die Mädchen himmelten ihn an, auch wegen der kurzweiligen, lustigen Geschichten, die er sich ausdachte und ihnen erzählte. Der Versuch, mit einem kessen mexikanischen Stubenmädchen anzubandeln, scheiterte an ihrer erzkatholischen Erziehung. Es blieb bei einem Flirt.

Er nutzte die Zeit, um einige Briefe an seine Mutter zu schreiben. Die Delarosas versprachen, diese bei Gelegenheit einer Postkutsche mitzugeben.

Dann machten sie sich, neu beritten und mit zwei Packpferden versehen, in Richtung Süden auf. Jonny zog es zu seiner Mutter. „Ich fühle, dass sie mich noch einmal sehen will, bevor sie sich auf die Reise zu unseren Ahnen aufmacht,“ sagte er in bedächtigem, ernstem Ton.

Dave sträubten sich die Haare, sobald er die ganze Tragweite dieser Aussage verinnerlicht hatte. ‚Wie kann man solche Dinge fühlen,‘ fragte er sich. ‚Wenn die Indianer das tatsächlich können, sind sie uns hierin weit überlegen.‘

*

Die Delarosa-Ranch lag im Norden von Texas. Sie mussten in den Südwesten. Sie überquerten einige Quellflüsse des Red Rivers und machten einen Bogen um das Llano Estacado. Sie ritten durch spärlich besiedeltes Hügelland. Talsenke folgte auf Talsenke, so ging das endlos. Das Land schien kein Ende zu nehmen. Kamen sie an einer Ranch oder an einer kleinen Ortschaft vorbei, füllten sie ihre Vorräte auf, vor allem Bohnen und Mehl. Mit Fleisch versorgten sie sich selber; Präriehasen und Kojoten schienen die im Schritt daherkommenden Reiter nicht als Fressfeinde zu betrachten.

Eines Abends am Lagerfeuer erzählte Jonny Dave seine Geschichte:

Sein Vater sei Engländer gewesen und hieß Jonathan Jones. Er stammte wohl aus einem reichen Hause. Damals war die Zeit, in der vor allem Engländer aufbrachen, um überall in der Welt unerforschte Landstriche zu bereisen. Im Alter von 25 Jahren beschloss Jonathan nach Amerika zu segeln und hier im „wilden Westen“ bis zu den dort lebenden Indianern vorzustoßen. Das war im Jahre 1820, ein Jahr, bevor Mexico unabhängig von Spanien wurde. Jonathan fand die Indianer nicht, aber sie fanden ihn. Sein Pferd hatte sich im Gebirge das Bein gebrochen und so musste er sich zu Fuß auf den weiteren Weg machen. Die Apachen fanden ihn völlig entkräftet und halb verhungert in einer Schlucht und nahmen ihn mit in ihr Zelt-Dorf. Er war ein gutaussehender Bursche und beschloss, eine Zeit lang bei den Apachen zu leben. Die Tochter des Häuptlings und Medizinmannes, Heller Stern, verguckte sich in ihn und er in sie. Sie bezogen ein gemeinsames Tipi; ein Jahr später wurde ihr Sohn geboren. Sie nannten ihn nach seinem Vater, riefen ihn aber Jonny. Das Paar bekam noch eine Tochter, die aber als Säugling starb. Als Jonny 5 Jahre alt war, fiel sein Vater in einem Gefecht mit den Komantschen.

Seine Mutter heiratete Ulzana, der später Unterhäuptling der Chokonen werden sollte. Jonny bekam in der Folge 3 Halbbrüder und 2 Halbschwestern. Ulzana behandelte ihn wie einen Fremdkörper. Er schlug ihn regelmäßig. Als Jonny 15 wurde und die Mannbarkeits-Prüfung bestanden hatte, also zum vollwertigen Krieger avancierte, kleidete er sich wie ein Weißer und ritt davon. Er nannte sich fortan Jonny Jones und trat als Freiwilliger in die texanische Armee ein. Er kämpfte mit dieser erfolgreich gegen die Mexikaner, die die Schmach ihrer Niederlage vom 21. April 1836 nicht verkraften konnten. Texas wurde unabhängig.

Als 1845 Texas in die USA aufgenommen wurde und die texanische Armee mit der Bundesarmee verschmolz, wurde auch Jonny übernommen. Er diente als Scout und kam im Kampf gegen die Sioux zum Einsatz. Hier lernte er Robin Delarosas kennen und schätzen. Er folgte ihm als sich 1861 die US-Armee in eine Nord- und eine Süd Armee aufspaltete und gegeneinander ins Feld zog.

*

Sie kamen ins Gebirge und damit ins Apachen-Gebiet. Eines Abends versetzte sich Jonny in Trance und versuchte, gedanklich Kontakt zu seiner Mutter aufzunehmen. Am nächsten Morgen gebot er Dave, seine Bison-Büchse und seinen Revolver, so wie er selbst, in Decken zu packen und auf dem Packpferd zu verstauen. Die einzige Waffe, die sie am Leib trugen, war fortan das Messer. Jonny lenkte sein Pferd zielsicher in eine enge Schlucht. Er ignorierte die Wachen, die sich hinter den Felsen versteckt hielten, von ihm aber sehr wohl entdeckte wurden, und ritt unbeirrt weiter. Die Schlucht weitete sich zu einem großen, grünen Tal.

Am Ende des Tales befand sich eine Anzahl Tipis. Sie wurden schon erwartet. Links und rechts hatte sich eine Anzahl junger Krieger, bewaffnet mit Pfeil und Bogen in Stellung gebracht. Sie ritten geradewegs auf das große Versammlungszelt zu. Jonny erkannte schon von weitem seinen Stiefvater Ulzana, ohne das umgekehrt der ihn, seiner Aufmachung wegen, auch erkannt hätte. Sie stiegen von den Pferden ab, aber ehe ein Wort gefallen wäre, kam eine alte, hinfällige Frau angehumpelt und fiel Jonny um den Hals.

Schweigen breitete sich aus. Selbst das allgemeine Rumoren verstummte. Jetzt, nachdem er seinen Hut abgenommen hatte, erkannte auch Ulzana seinen Stiefsohn wieder. Das Wiedersehen nach so vielen Jahren verschlug ihm die Sprache. „Jonny, du?“ - brachte er gerade noch heraus. Seine Mutter strich Jonny immer wieder über das Gesicht. So, als wollte sie sich versichern, dass er es wirklich war. „Mein Sohn, mein Sohn,“ stammelte sie in einem fort.

Jonny kämpfte mit seinen Gefühlen. Das war alles schon so lange her. Doch nun kamen die Erinnerungen wieder hoch. Er erinnerte sich, wie seine Mutter, immer wenn sein Stiefvater ihn geschlagen hatte, ihn durch die Berührung ihrer Hände tröstete. Wie hatte Jonny sie dafür geliebt! Und er liebte sie immer noch! All die Jahre hatte er ihr Bild in seinen Gedanken aufbewahrt, das Bild einer schönen, stolzen, energischen Frau. Nun fiel es ihm nicht schwer, dieses Bild auf die hinfällige, zerknitterte Gestalt, die seine Mutter war, zu projizieren. Er fühlte deutlich, dass sie sich nur deshalb am Leben gehalten hatte, um ihn noch einmal zu sehen.

Die drei wurden nach und nach von Jonnys Halbgeschwistern und den übrigen Dorfbewohnern umringt. Man setzte sich vor dem großen Zelt auf die Erde. Alle, alte und junge, bildeten um sie einen Kreis und Jonny musste erzählen. Er berichtete knapp von seinen Kämpfen gegen die Mexikaner und dann vom großen Krieg mit seinen Bergen von Toten. Er verzichtete darauf, ihnen darzulegen, über welches geradezu unerschöpfliche Reservoir an Soldaten und Waffen die Weißen verfügten. Er kannte ihre diesbezügliche Naivität und das Unvermögen, sich Dinge vorzustellen, die über ihren Erfahrungs-Horizont hinausgingen.

Dave sorgte für Aufsehen, erstens wegen seiner Größe und seiner hellen Haare, zweitens wegen seines glatten, freundlichen Gesichts. Vor allem die Frauen starrten ihn unverhohlen an. Dave, der es nicht gewohnt war, dass man ihm ungeniert in die Augen sah, wusste zunächst nicht, wie er darauf reagieren sollte. Als geborener Komödiant stellte er sich aber fast sofort darauf ein und blickte seinerseits schelmisch zurück. Er hörte mit Erstaunen, was die Frauen einander zuraunten. In der Annahme, er verstünde ihre Sprache nicht, ̶ und er sah vorerst keine Veranlassung, ihren Irrtum aufzuklären ̶ sprachen sie ungeniert ihre Gedanken aus. So hörte er zum Beispiel, wie eine jüngere, größer gewachsene, etwas mollige Schönheit zu ihren Nachbarinnen kokett bemerkte: „Wenn die Größe seines Penis seiner Körpergröße entspricht, möchte ich gerne auf ihm davonreiten.“ Sie erntete lautes Gelächter, während Dave betreten den Blick abwandte.

Er tat das Gesagte als eine dahingeplapperte freche Redensart ab. In den folgenden Nächten, als Jonny bei seiner Mutter wachte, wurde er aber eines Besseren belehrt. Die junonische Schönheit schlüpfte ungeniert in sein Tipi. Nun verstand er auch, was sie mit ‚auf ihm davonreiten‘ meinte.

Des morgens erregte Dave noch ein drittes Mal Aufmerksamkeit. Er hatte sich angewöhnt, nach dem Aufstehen eine halbe Stunde Bujikan-Übungen zu machen. Zugegeben, diese Übungen wirkten für einen Außenstehenden grotesk. Die Indianer, die ihn schweigend ganz genau beobachteten, errieten jedoch bald, dass es sich bei den blitzschnellen Bewegungen um Kampfübungen handeln musste und sprachen ihn neugierig darauf an. Bereitwillig bot er ihnen eine Demonstration an. Die Apachen waren schnelle, geübte, trickreiche Kämpfer. Nachdem aber eine Handvoll von ihnen gegen Dave auf eine so einfach scheinende Art den Kürzeren gezogen hatte, schauten sie alle betreten drein. Dave bot an, ihnen einige Tricks beizubringen. Doch viel Zeit blieb ihm dafür nicht mehr.

Jonny verbrachte die ganze Zeit bei seiner Mutter. Diese war aber, jetzt, da sich ihr sehnlichster Wunsch erfüllt hatte, entschlossen zu sterben. Sie lag auf einem Bisonfell auf der Erde, aß und trank nichts mehr und schaute nur unverwandt ihren ältesten Sohn an. Der streichelte ihre Hände. Eine Woche später schlief sie für immer ein. Im Tod sah ihr Gesicht entspannt und glücklich, fast jugendlich aus.

Gefolgt vom halben Dorf trugen Jonny und seine Halbbrüder den Leichnam in die Berge zum Bestattungsplatz. Am zweiten Morgen nach dem Leichenschmaus verließen Jonny und Dave das Apachen-Lager.

*

Jonnys Stamm hatte sein Revier im Grenzgebiet von Texas, Mexico und New Mexico. Er gehörte zum Volk der Mescalero-Apachen, die nördlich von ihnen lebten. Jonny erinnerte sich noch gut an die Erzählungen älterer Krieger, die von gemeinsamen Bison-Jagten in den Prärien New Mexicos schwärmten, von der dortigen schönen Landschaft, der trockenen Luft, dem klaren Himmel. Er hatte sich damals vorgenommen, so erzählte er Dave, das alles einmal zu erleben. Nun verfügten beide über Zeit und Muße, Jonnys Traum Wirklichkeit werden zu lassen.

Sie hatten vor, New Mexico vom flachen Südosten bis zum bergigen Nordwesten zu überqueren. Da für sie Zeit eine untergeordnete Rolle spielte, hatten sie ihre schnellen Texas-Pferde gegen die vielseitigeren, aber nicht so wertvollen Maultiere eingetauscht. Als Kompensation erhielten sie von Jonnys Brüdern reichlich Proviant dazu einen Bogen samt Pfeilen sowie ein mit indianischen Zeichen versehenes Stück Leder, das die Landkarte von New Mexico darstellen sollte. Jonny und Dave verfügten zwar seit ihrem Clou in St. Louis über reichlich Barmittel, doch mistrauten Indianer allgemein den Dollars des weißen Mannes.

Ihr Ritt führte sie zunächst am Pecos River entlang nach Norden. Dave übte sich, wann immer möglich, im Bogenschießen, bis er es ebenso gut beherrschte wie Jonny. Mancher Präriehund musste daran glauben und landete am Bratspieß. Sie hatten den Bogen erworben um zum einen, ihre Gewehr-Munition zu schonen, zum anderen, um lautlos zu bleiben. Sie hatten sich vorgenommen, ein Zusammentreffen mit Indianern zu vermeiden; schließlich gab es hier nicht nur Apachen sondern auch deren Feinde, die Comanchen. Immer bevor sie einen Landstrich unter die Hufe nahmen, beobachteten sie ihn genau durch ihr Fernglas und sie bewegten sich so, dass sie notfalls schnell in Deckung gehen konnten.

Sie ritten nebeneinander und unterhielten sich. Dave konnte es nicht begreifen, wie Jonnys Telepathie mit dessen Mutter funktionierte. Er selbst dachte oft und intensiv an seine Mutter zurück und träumte manchmal von Zuhause, aber irgendeine gedankliche Verbindung kam dabei nicht zustande. Jonny konnte allerdings das Phänomen auch nicht erklären; es war eben da!

Sie unterhielten sich über dies und jenes, so auch über Sex. Dave erzählte Jonny das Abenteuer mit der flotten Apachin. Jonny lachte nur. „Wir nehmen es nicht so genau damit, wer mit wem schläft. Hauptsache es macht Spaß!“ Er erzählte Dave, dass er mit 15 unsterblich in seine Kusine verliebt gewesen sei und unzählige Male mit ihr Liebe gemacht habe. Dann wurde sie von ihren Eltern mit einem Häuptlingssohn eines befreundeten Stammes verheiratet. Das sei unter anderem der Grund gewesen, warum er seinerzeit von zu Hause weglief. Dave war drauf und dran, von seinen eigenen ersten Liebeserfahrungen, die denen Jonnys auffallend ähnelten, zu erzählen, tat das dann aber doch nicht. Stattdessen erging er sich über seine Erlebnisse mit Liebesdamen in den Bordellen von Bristol, Lissabon, Teneriffa und Charleston. Auch Jonny konnte von Bordell-Besuchen berichten.

Eines schönen Tages entdeckten sie durchs Fernglas eine große Bisonherde. Der Anblick war unbeschreiblich. Sie konnten sich daran kaum satt sehen, wagten aber nicht, sich ihnen zu nähern, aus Angst, auf indianische Jäger zu treffen.

Es war Herbst geworden. Sie hatten die Hochebene von Jicarilla durchritten. Die Sonne stand nach wie vor am wolkenlosen Himmel und sorgte für klare und trockene Luft. Des Nachts schien der Mond. Eingehüllt in ihre Decken lagen sie lange wach und konnten sich am Sternenhimmel nicht sattsehen. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.

Auch tagsüber ritten sie meist schweigend nebeneinander her. Besonders Jonny gab sich einsilbig und wirkte mehr und mehr entrückt. Sie erreichten Anfang Oktober Albuquerque am Rio Grande.

Sie stellten ihre Maultiere in einem Mietstall ein, mieteten ein Hotelzimmer, gönnten sich ein warmes Wannenbad, ließen ihr dreckiges Unterzeug waschen sowie ihre Kopf- und Barthaare schneiden, aßen ein T-Bone-Steak, tranken drei große Gläser Bier, vergnügten sich mit 1-Dollar-Mädchen und fielen todmüde in die Betten.

Als sie am nächsten Morgen das Frühstück-Restaurant betraten, war dieses schon recht voll. In der hintersten Ecke entdeckten sie noch zwei freie Plätze. Am Tisch saß bereits ein Mann in einer auffallenden Kleidung. Er trug ein hirschledernes Wams und hatte eine Waschbär-Mütze auf dem Kopf. Er nickte ihnen freundlich zu und sagte mit theatergeschulter Stimme: „Hereinspaziert und reichlich Platz genommen, ihr edlen Herren!“

Die beiden sahen sich ob dieser Anrede etwas verwirrt an. Dave reagierte als erster und antwortete, indem er den gerade gehörten Tonfall nachahmte: „Verbindlichsten Dank Eure Durchlaucht! Danke, dass Ihr uns unwürdigen Gesellen erlaubt, unter Eurer Tafel unsere Beine auszustrecken und uns an Eurem reichlich gedeckten Tisch zu laben.“

Der Fremde sah den Sprecher mit großen Augen an, dann brach er in ein fröhliches, nicht enden wollendes Gelächter aus. Dave und Jonny mussten zwangsweise mitlachen und auch die anderen Gäste fielen vereinzelt in das Gelächter ein. Es verebbte abrupt, weil der Fremde einen heftigen Hustenanfall bekam, der sich erst Minuten später legte.

„Ich nenne mich Peter de Swan, bin ehemaliger Schauspieler, jetzt, wie Sie sehen, Trapper.“

„Wir heißen Jonny Jones und Dave Andrews und sind ehemalige Krieger für die Sache der Südstaaten, jetzt neugierige Prärie-Bummler,“ stellte Dave sie vor, indem er aber diesmal den breiten Texas-Jargon und nicht das gestelzte Dramen-Englisch, benutzte. Peter stutzte unmerklich, als er die Namen hörte, schüttelte dann aber gedankenverloren den Kopf.

Sie bestellten ein reichhaltiges Frühstück und ließen sich beim Essen Zeit.

Peter erzählte, dass er sich seines Hustens wegen im trockenen Hochland von New Mexico aufhalte und im Winter in den Wäldern nordwestlich von Santa Fe schon seit mehreren Jahren Pelztiere jage. Das sei ein einträgliches Geschäft. Sie seien immer zu zweit gewesen, aber sein Partner sei vor einigen Wochen plötzlich gestorben. „Man sollte es nicht für möglich halten, aber er starb infolge eines Herzstillstandes im Bett eines Mädchens. Na ja, wenigsten hatte er einen schönen Tod.“ Peter lachte sarkastisch. „Habt Ihr nicht Lust, seinen Platz einzunehmen?“

Peter rückte spontan mit dieser Schnaps-Idee heraus. Offenbar neigte er dazu, aus dem Bauch heraus Entschlüsse zu fassen. Wie oft im Leben mochte er wohl damit schon auf eben diesen Bauch gefallen sein?

Aber er konnte es eben nicht lassen, zumal besonders Dave ihm vom ersten Anblick an sympathisch war und vage Erinnerungen in ihm erweckt hatte. Er war sich des Risikos wohl bewusst. Wie, wenn es sich bei den Beiden um vagabundierende Revolverhelden, um eiskalte Killer, handeln würde. Er kannte sie gerade mal eine Stunde. Aber ein Blick in ihre offenen, ehrlichen Gesichter ließen keinen Platz für Zweifel. Peter bildete sich auf seine Menschenkenntnis, die er in den Jahren als fahrender Schauspieler erworben hatte, viel ein.

Für Dave und Jonny kam dieses Angebot mehr als überraschend. Jonny, der bisher an der Unterhaltung nur sporadisch teilgenommen und stattdessen längere Zeit mit einem prüfenden Blick mal Peter mal Dave beobachtet hatte, meldete sich plötzlich zu Wort: „Warum eigentlich nicht? Aber lass uns den Plan überschlafen. Morgen sehen wir weiter. Wir treffen uns wieder hier beim Frühstück.“

Sie gingen auseinander. Dave stellte Jonny zur Rede: „Erzähl mal. Weißt Du was, was ich nicht weiß? Ich kenne Dich und sehe Dir an, dass Dich wieder eine Eingebung bedrückt.“

Aber Jonny grinste ihn nur an, nahm ihn am Arm und schleppte ihn zu den 1-Dollar-Mädchen.

Erst am Abend, als sie auf ihren Betten saßen, setzte Jonny zu einer Rede an, seiner längsten, die er je gehalten hatte:

„Weißt Du Dave, wir kennen uns schon über vier Jahre. Ich hatte nie einen besseren Freund als Dich. Du bist ein stets fröhlicher, liebenswerter, verlässlicher Kumpel. Aber jetzt glaube ich, unsere Wege müssen sich trennen.“

Er machte eine Pause.

„Wir haben zusammen den großen Krieg erlebt. Es war ein Krieg der Weißen untereinander. Ich spüre es genau, jetzt kommt der Krieg der Weißen gegen uns Ureinwohner. Und wir werden diesen Krieg verlieren; Ihr seid einfach zu viele. Ich bin zwar nur ein halber Indianer, aber mein Herz hängt mehr an meinem Stamm, als ich mir das eingestehen wollte. Das weiß ich, seit ich meine Mutter in die Berge getragen habe.

Du kannst nicht mit mir mitkommen. Ich weiß, wie die Weißen kämpfen und kann den Meinen helfen, unsere Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. Es wird mein letzter Kampf sein!“

Er musste sich vor Rührung räuspern.

„Geh mit Peter in die Berge. Glaube mir, Ihr beide seid Euch überaus ähnlich und werdet gut miteinander auskommen. Vielleicht kommt mehr als eine gute Freundschaft dabei heraus!“

Er legte sich hin und machte keine Anstalten, noch etwas zu sagen. Wenige Augenblicke später war er eingeschlafen.

Dave war erst einmal schockiert. Er konnte vor Aufregung nicht einschlafen. Er musste sich eingestehen, Jonny doch nicht so gut zu kennen, wie er es geglaubt hatte. Ihr Denken und Fühlen stimmte offenbar nur zu einem Teil, und zwar zu einem unwesentlichen Teil überein. Er erinnerte sich, dass Jonny während ihres Ritts oft mit seinen Gedanken abwesend war und bildete sich plötzlich ein, Jonny habe ihre Begegnung mit Peter vorhergesehen und ihn, Dave, nur so lange begleitet, bis er ihn in sicherer Obhut wusste. Er schlief erst gegen Morgen ein.

Als er aufwachte, blieb er noch eine Weile auf dem Rücken liegen und ordnete seine Gedanken. ‚Ich war 15, als ich von zu Hause weglief und auf einem Schiff anheuerte. Mit 17 wurde ich mir nichts, dir nichts Soldat. Jetzt bin ich 21, warum sollte ich nicht etwas Neues anfangen, zum Beispiel Trapper werden?‘ Seine Unbekümmertheit kehrte zurück.

Er sprang wild entschlossen und gut gelaunt auf, spritzte sich Wasser ins Gesicht und zog sich seine Oberkleidung über. Jonny wartete schon draußen vor dem Hotel auf ihn. Sie begrüßten sich so unbefangen, als ob es den gestrigen Abend nicht gegeben hätte.

*

Sie mussten mit dem Frühstück auf Peter warten. Kaum saßen alle am Tisch ergriff Jonny das Wort:

„Wir haben uns Dein Angebot überlegt. Dave wird mit Dir gehen, mich zieht es zurück zu den Kriegern.“

Nur Dave, der wusste, dass Jonny ein Halbblut-Indianer war, erkannte an dieser Stelle die Doppelbedeutung des Wortes ‚Krieger‘. So ironisch hatte er Jonny noch nie erlebt.

Peters Augen leuchteten auf. „Das nenne ich eine gute Nachricht,“ platzte es aus ihm heraus.“ Er bekam vor Aufregung einen Hustenanfall und als er wieder Luft bekam: „Schade, dass Du, Jonny, nicht mitkommst. Aber, wenn ich mir das genau überlege, hat die Sache sogar etwas Gutes. Zu dritt wäre es in meiner Jagdhütte etwas eng geworden. Lasst uns zusammen den Tag feiern!“

Das Feiern musste auf den Nachmittag verschoben werden. Jonny wollte nämlich am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe aufbrechen und brauchte etwas Zeit für die Vorbereitungen.

„Als erstes kaufe ich mir zwei Indianer-Ponys, die sind schneller als unsere Mulis. Peter, kannst Du zwei Maultiere gebrauchen oder soll ich sie in Zahlung geben?“

„Gib alle vier in Zahlung, wir fahren mit dem Kanu,“ sagte Peter.

„Dave, überlass mir bitte das Fernglas. Ich denke, ich werde es brauchen. Stattdessen kannst Du Robins Taschenkompass, seine Taschenuhr und die indianische Landkarte haben, damit Du Dich in der Gegend zurechtfindest,“ feixte er.

„Ebenso hätte ich gern Pfeil und Bogen; meine Büchse werde ich nämlich auf dem Packpferd verstauen.“ Und als er ihre fragenden Blicke sah: „Na ja, Bisons will ich nicht schießen und von einem Präriehund bliebe nach einem Gewehrtreffer nicht mehr viel übrig.“

Jonny war ausgesprochen gut aufgelegt und musste über seinen Witz herzlich lachen.

Gegen Mittag war Jonny mit seinen Vorbereitungen fertig. Sie verschlangen auf Peters Rechnung je ein riesiges Steak mit Bratkartoffeln. Im Saloon war noch nicht viel los. Sie tranken drei Biere. Ein schon etwas betrunkener Barpianist klimperte lustlos auf dem bedenklich verstimmten Klavier herum. Erst als Peter seine Mundharmonika aus der Tasche holte und sie im Duett flotte Dixi-Songs anstimmten, kam Stimmung auf. Bis zum Abend brachte es jeder auf fünf Pints Bier. Ein gesteigertes Interesse an 1-Dollar-Mädchen hatten sie jetzt nicht mehr.

Dave begleitete Jonny am nächsten Morgen aus dem Ort. Jeder hatte ein Kloß im Hals. Ihre Gedanken waren wie mit feuchten Tüchern verhangen. Sie brachten kein Wort heraus. Als die Prärie offen vor ihnen lag, stiegen sie von ihren Reittieren ab und umarmten sich. Trauer sprach aus ihren Augen. Jonny gab Dave sein restliches Geld. „Dort, wo ich hingehen, brauche ich es nicht. Lass es Dir gut ergehen!“

Er stieg auf. Die beiden Pferde setzten sich von allein in den für Ponys typischen Zotteltrab. Dave schaute wehmütig hinterher. Als der Reiter am Horizont kaum noch auszumachen war, hielt er an und winkte. Dave winkte zurück. Jonny stieg ab und wechselte die Kleidung. Er sah jetzt aus wie ein Indianer und war es auch.

Jonny erreichte eine Woche später seinen Stamm. In der Folgezeit schloss er sich dem Häuptling Geronimo an. Er hatte einen entscheidenden Anteil an dessen erfolgreichem, jahrelangen Widerstand gegen die mexikanische und amerikanische Armee. Er starb durch eine verirrte Sprenggranate, die vor ihm einschlug und detonierte, gerade als er sein Pferd besteigen wollte. Er war auf der Stelle tot.

*

Peter und Dave gewöhnten sich eine Woche aneinander, was erstaunlich gut funktionierte. Sie stellten fest, dass sie ähnlich dachten, beide ein hervorragendes Gedächtnis besaßen und beide gern lachten. Sie nutzten die Zeit, um Dave eine Trapper-Ausrüstung für das Überleben in Schnee und Kälte anzuschaffen: Filzstiefel, warmes Unterzeug, wattierte Hosen, wattierte Jacke, Fellmütze, Fellhandschuhe, Schneeschuhe, Schneebrille. Decken und Regenumhang besaß Dave bereits. Außerdem musste der Proviant ergänzt werden. Sie kauften unter anderem Mehl, Bohnen, Zwieback, Räucherspeck und Äpfel ein. Hinzu kamen Sauerkraut und Zwiebeln gegen Skorbut. Draht, verschiedene Schnüre, Nägel, Nähzeug, Seife und so weiter hatte Peter schon vorher besorgt.

„Spielst Du zufällig ein Musikinstrument?“ Überrascht blickte Dave bei dieser Frage auf. „Die Tage, wenn man vor lauter Schnee und Sturm nicht aus der Hütte kann, können ganz schön lang werden. Und immer Karten spielen wird auf Dauer auch langweilig. Da bringt das gemeinsame Musizieren eine willkommene Abwechslung.“

Dave musste an seine Flöte denken, die er bei seinem überstürzten Aufbruch auf der Savannah leider vergessen hatte. „Ich kann Flöte spielen, die ist mir aber abhandengekommen.“

Sie fahndeten vergeblich nach einer brauchbaren Flöte und kauften stattdessen eine Mundharmonika und ein Banjo. Außerdem beschaffte sich Dave nach langem Suchen noch drei leere Tagebücher und Zeichenblocks sowie Bleistifte und Zeichenkohle.

In der letzten Oktoberwoche brachen sie auf. Peters Kanu war geräumig. Dave staunte, wieviel man darauf unterbringen konnte. „Warte erst auf unsere Rückfahrt, wenn wir die Felle geladen haben,“ lachte Peter. Sie musste zunächst den Rio Grande dann den Jemez flussaufwärts paddeln. Dave hatte noch nie in einem Kanu gesessen. Peter erklärte ihm erst theoretisch, dann praktisch wie man paddelt. Nach einer Stunde klappte es schon ganz gut. Im Herbst führten die Flüsse nicht so viel Wasser, trotzdem mussten sie sich streckenweise ganz schön ins Zeug legen, um gegen die Strömung anzukommen. „Auf dem Rückweg geht es dafür umso leichter,“ bemerkte Peter trocken.

Die unberührten Bergwälder, die sich hier im regenreichen Westen der Rocky Mountains-Ausläufer vor Urzeiten ausgebreitet hatten, nahmen sie auf. Das Wetter war seit Wochen trocken. Tagsüber schien die Sonne, aber nachts sanken die Temperaturen unter den Gefrierpunkt. Die Bäume waren noch bis weit in den Nachmittag in Raureif eingehüllt.

Die Hütte lag oberhalb der Stromschnellen des Jemez auf einer versteckten Lichtung, an deren Rand eine muntere Quelle sprudelte. Nordwestlich erhob sich der Peak Redondo. Das hiesige Waldgebiet war reich an Bächen und Flüsschen, ein Eldorado für Biber, Nutrias und Fischottern.

Im kleinen Ort Jemez Springs war ihre Reise zu Ende. Peter steuerte eine halbverfallene Hütte am Ufer an. Deren Eigner half ihnen beim Anlegen und begrüßte Peter herzlich. Froh ein bekanntes Gesicht zu sehen, verwickelte er diesen in ein längeres Gespräch, wie es ihm ergangen sei, was sein Husten mache, warum er einen neuen Partner habe, ob dieser Partner sein Sohn sei und derlei Dinge. Sie entluden das Kanu und schleppten es zu einem höher gelegenen Unterstand.

*

Jeden Abend ihrer Reise führte Dave Tagebuch. Aus dem Gedächtnis zeichnete er eine Karte. Sie enthielt Skizzen zur Topographie der Landschaft, dazu Vermerke über deren Besonderheiten. Da er zwar immer wieder die Richtung, in die sie fuhren, mit Hilfe des Kompasses in etwa bestimmt hatte, aber ihre Geschwindigkeit, mit der sie vorangekommen waren, nicht kannte, sie also anhand von Landmarken schätzen musste, war die Karte nicht maßstäblich. Als er sie nach einigen Tagen dem neugierig gewordenen Peter zeigte, war dieser trotzdem von dem Werk beeindruckt. „Woher kannst Du das in Deinem jugendlichen Alter?“

*

Sie mussten zwei Mal den Weg bergauf machen, bis sie alles Gepäck bei der Hütte hatten. Diese Hütte stand inmitten dicht an dicht wachsender kniehoher Baumschösslinge. Offenbar hatte sich die Natur beeilt, den leeren Platz wieder in Besitz zu nehmen.

Die Hütte maß etwa zweieinhalb Meter mal dreieinhalb Meter. Sie war erstaunlich solide gebaut. Für die Wände hatten die Erbauer etwa acht Zentimeter dicke Baumstämme nach Art der Palisadenzäune nebeneinander in die Erde gegraben und festgestampft. Die Fugen waren mit runden, vier/fünf Zentimeter messenden Stangen ausgefüllt. In gleicher Weise wie die Wände war das etwa 45 Grad geneigte Walmdach ausgeführt. Dessen Ritze hatte man mit Lehm verschmiert. Das Dach stand beidseitig etwa ein Meter über und glich einem Beet für Gräser, Farne und Moose. Im hinteren Teil des Firstes befand sich ein gegen das Hineinregnen abgesicherter Rauchabzug. Die seitlichen Wände ragten um die zwei Meter aus dem Boden. Alle Wände wiesen je zwei Schießscharten aus, die auch für die Frischluftzufuhr sorgten. Auf der nach Süden zeigenden Stirnwand gelangte man über eine verschließbare Luke ins Innere. Der Boden der Hütte bestand aus gestampftem Lehm, das so genannte Mobiliar aus zwei einfachen Bettgestellen, die beidseitig der Längswände standen, sowie einem Tischchen und zwei Stühlen. Auf dem Tischchen stand ein Öllämpchen, über der Feuerstelle ein eiserner Dreifuß, in den man wahlweise einen Topf oder eine Pfanne einhängen konnte. Dave schaute sich nach den Fallen und Werkzeugen um. „Die haben wir in einer nahen Höhle versteckt,“ klärte Peter ihn auf. Sie holten zunächst die Werkzeuge hervor. Dave schnappte sich ein Haumesser und begann den Platz vor der Hütte freizuhauen. Dann sammelte er trockenes Holz und entfachte ein Feuer. Peter hatte ihre Vorräte in die Hütte geräumt, den Dreifuß, das Tischchen und die Stühle nach draußen geschleppt und begann ein karges aber sättigendes Mahl zu bereiten.

Es war Nachmittag. Die Sonne stand schräg am Himmel. Sie saßen gesättigt vor der Hütte und genossen die Ruhe und den Sonnenuntergang. Dave konnte sich an der schönen Landschaft nicht sattsehen.

„Es war fast genau vor 20 Jahren,“ ergriff Peter, nachdem er einen seiner Hustenanfälle überwunden hatte, unvermittelt das Wort. Der vor sich hindösende Dave merkte, dass da noch mehr kommen würde, und wurde plötzlich hellwach.

„Unsere Schauspieler-Truppe musste ich aus persönlichen Gründen verlassen. Ich fand mich in St. Louis wieder. Mit meinen 30 Jahren wusste ich nicht so recht wohin, als mich ein etwa gleichaltriger Trapper überredete, mit einer Gruppe von Jägern und Fallenstellern auf Pelztier-Fang zu gehen. Er borgte mir das Geld für meine Ausrüstung und los ging es mit Kanus den Missouri Fluss aufwärts. Das harte aber ungebundene, freie Leben gefielt mir, sagte mir zu.“

Peter machte eine schöpferische Pause.

„Wir verdienten eine Reihe von Jahren ganz gut, aber verschleuderten unser Geld meist für Whiskey und Kartenspielen. Dann aber kam es zu Konflikten mit den Indianern, denen es unter anderem nicht gefiel, dass wir mit ihren Weibern herummachten. Sie belagerten eine ganze Weile unser Fort. Die Vorräte gingen zur Neige, wir hatten keine Munition mehr. Zum Glück konnten wir mit ihnen freien Abzug aushandeln.“

Peter musste wegen eines Hustenanfalls wieder eine Pause machen.

„Wieder in St. Louis beschlossen wir, wie andere Pelzjäger auch, nach Westen zu gehen. Wir erstanden vier Ponys und machten uns auf den Weg. Das Jagen von Bisons war nicht unser Ding. Dazu fehlte uns zum einen die Treffsicherheit, zum anderen machte uns dieses stumpfsinnige Abschlachten wirklich keinen Spaß. Wir suchten ein flussreiches Gebiet, in dem wir unsere Fallen einsetzen konnten, und kamen schließlich nach Colorado. In Colorado City, das heute Denver heißt, erfuhren wir von Goldfunden. Keiner wusste aber etwas Genaues.

Wir brachten das Goldsuchen immer mit unendlicher Plackerei in Verbindung, sei es beim Goldwaschen, sei es beim Arbeiten mit Spitzhacke und Schaufel, deshalb interessierten wir uns nicht besonders dafür.

Wir bewegten uns stattdessen den South Platte River Flussaufwärts in der Hoffnung, auf ein Bibergebiet zu stoßen. Als wir eines Abends auf einer oberhalb des Flusses gelegenen, von Felsgestein umsäumten Lichtung unser Nachtlager aufschlagen wollten und an deren Rande eine Grube für unsere Notdurft auszuheben begannen, stießen wir auf zwei Nuggets. Fürs Weitergraben war es schon zu dunkel.

Am nächsten Morgen schaufelten wir wie verrückt darauf los. Wir fanden schätzungsweise an die 200 bis 300 Unzen Gold.“

Es folgte eine längere Pause. Dave fühlte, was Peter jetzt berichten wollte, fiel ihm mehr als schwer.

„Wir arbeiteten wie verrückt und hörten nicht, was um uns herum vor sich ging. Plötzlich stand ein bärtiger, heruntergekommener Vagabund mit gezogenem Colt unmittelbar vor uns. Er behauptete, wir haben auf dem Claim gegraben, der ihm gestern zugesprochen worden sei. Wir sollen ihm das gefundene Gold aushändigen und dann verduften. Dabei sah sein Gesichtsausdruck so aus, als ob er uns so oder so erschießen würde. Mein Partner schleuderte mit einer raschen Bewegung den Handspaten nach ihm, gerade als jener den Abzug des Revolvers betätigte. Zu unserem Glück hatte er aus Sicherheitsgründen die oberste Revolverkammer nicht geladen. Er hätte den Abzug zweimal betätigen sollen, damit sich ein Schuss löst. Dazu kam er aber nicht. Die Schneide des Spatens durchtrennte seine Kehle. Er griff instinktiv an die Wunde, bekam riesige Augen und war tot.“

Peter atmete schwer. Die Erinnerung ein seine damalige Todesangst verfolgte ihn offensichtlich noch heute.

„Wir sahen uns genau um in der Erwartung, seine Kumpane werden jede Sekunde auftauchen. Wir atmeten erleichtert auf, als wir merkten, dass wir alleine waren. Wir packten unser Gold in zwei Tabakbeutel, warfen in Windeseile den Toten in die Grube, die wir eben ausgehoben hatten, schaufelten das Loch zu, verteilten den übriggebliebenen Aushub, verwischten so gut es ging alle Spuren und ritten wie mit Hunden gehetzt davon. Das Pferd des Toten nahmen wir mit. Unterwegs entsorgten wir dessen Zaumzeug und Sattel und überließen es auf einer weiten Ebene sich selbst. Wir ritten eilig drei Tage mit wenigen Pausen nach Süden, wobei wir uns ständig umschauten, ob wir nicht verfolgt werden.“

Peter leierte seinen Bericht herunter, als ob er immer noch fürchtete, verfolgt zu werden. Er atmete dreimal tief durch, ehe er fortfuhr.

„Als wir den Rio Grande erreichten, begannen wir uns sicherer zu fühlen. Wir erreichten ein Indianerdorf. Sie errieten beim Anblick unserer abgehetzten Pferde, dass wir auf der Flucht waren. Nach langem Palaver überließen sie uns für unsere vier Pferde und eines unserer Gewehre das Kanu, mit dem wir beide übrigens gerade hierher gepaddelt sind. Mit Kanus kannten wir uns vom Missouri her bestens aus. Wir paddelten entspannt mit der Strömung Fluss abwärts. Das Gefühl sagte uns, dass wir das gesuchte Biber Revier gefunden hatten. Wir versuchten es zunächst mit dem Nebenfluss Chama dann mit dem Jemez.

Hier fanden wir, was wir suchten. Wir lagerten unterhalb der Wasserfälle und entdeckten oberhalb dieser ein ideales Jagdrevier rund um eine versteckte Lichtung. Wir fingen im Handumdrehen an die zwanzig Nutrias und schossen einen zweijährigen Grizzly. So beladen paddelten wir weiter Fluss abwärts bis wir Albuquerque erreichten, denn ohne eine Schutzhütte hätten wir den Winter nicht überlebt.

Im nächsten Sommer fuhren wir, beladen mit Werkzeugen, Nägeln und so weiter, wieder Flussaufwärts. Mein Kompagnon hatte mal Zimmermann gelernt, das zahlte sich jetzt aus. Bevor der erste Schnee fiel, war die Hütte fertig. Es wird dieses Jahr das sechste Mal sein, dass ich hier überwintere.“

Hier beendete Peter seinen Bericht. Dave hatte staunend zugehört. Das hörte sich mindestens so abenteuerlich an, wie seine Kriegserlebnisse.

„Das ist meine Geschichte und die Geschichte dieser Hütte. Jetzt kennst Du fast mein ganzes Geheimnis.“

Er musste wieder husten.

„Auf unserer Paddeltour habe ich nachgedacht. Ich habe Dich zu meinem Compagnon gemacht und dabei eine gute Wahl getroffen. Ich fühle es, es war die beste Wahl meines Lebens. Wer weiß, wie lange ich mit meinem Husten noch zu leben habe. Jetzt sollst Du auch den Rest wissen.“

Wie auf der Theaterbühne machte er eine Pause, um die Spannung beim Zuschauer zu erhöhen.

„Zunächst einmal eine Frage an Dich. Du trägst stets den Revolver an Deiner Seite und behältst auch Dein Gewehr immer in Reichweite. Kannst Du damit auch treffen? Ich beobachte, wie Du jede freie Minute Trockenübungen damit machst. Ich selber muss gestehen, ich würde mit der Knarre auf fünf Meter Entfernung nicht einmal ein Haus treffen.“

Dave wollte die Stille des Abends nicht durch Gewehr- oder Revolverfeuer stören. Er stand auf, deutete auf einen Baum in zehn Metern Entfernung mit einem Astloch und stellte sich gegenüber auf. Er warf mit der linken Hand einen Apfel in einem Bogen auf das Ziel. Dann schleuderte er mit der rechten Hand blitzschnell das Messer hinterher. Es traf den Apfel und nagelte ihn genau ins Astloch.

Peter bekam den Mund vor Staunen nicht zu. „Damit könntest Du glatt im Zirkus auftreten,“ meinte er, immer noch den Kopf schüttelnd.

„Meine Treffsicherheit mit welcher Waffe auch immer hat mir im Krieg so manches Mal das Leben gerettet,“ merkte Dave ganz sachlich und bescheiden an.

„Das beruhigt mich in Bezug auf mein Geheimnis enorm. Wo meinst Du, ist das Gold?“

Er platzte damit so unvermittelt heraus, dass Dave seinerseits verblüfft dreinschaute.

Dave überlegte blitzschnell. Was hätte er an Peters Stelle getan? Wäre er und sein Partner in Albuquerque so mir nichts, dir nichts mit solch einer Menge an Gold aufgetaucht, hätten sie einen Gold-Run ausgelöst, ja, sogar um ihr Leben fürchten müssen.

„Ihr habt es sicher irgendwo versteckt,“ gab Dave zur Antwort.

„Welch einen klugen Kopf Du hast.“ Peter schaute ihn voller Wohlgefallen an.

„Es ist in der linken hinteren Ecke der Hütte, jeweils einen Meter von der Wand vergraben!“

*

Dave machte sich am nächsten Morgen voller Tatendrang als erstes daran, Brennholz für den Winter zu schlagen. Nahe der Lichtung gab es massenweise heranwachsende Birken, die hier dicht an dicht wuchsen. Im Nu hatte er sie ausgelichtet. Er wählte an die 100 Baumstämme aus, jeder sechs bis zwölf Zentimeter dick, befreite sie vom Geäst und schleppte sie auf die Lichtung. Die dickeren Stämme spaltete er, die dünneren hackte er direkt auf handliche Längen zurecht. Peter schüttelte wiederholt ob dessen Schlagtechnik bewundernd den Kopf. Die Axtschläge erfolgten scheinbar mühelos aus dem Ellbogen. Die Axtschneide traf jedes Mal genau senkrecht auf den zu zerhackenden Stab und zwar mit genau angemessener Wucht, um den Stab mit einem Schlag zu durchtrennen. Die Schläge prasselten so gleichmäßig wie bei einem Dampfhammer. An einem Tag hatte Dave mehr Brennholz gehackt als Peter und sein Partner zusammen an zwei Tagen. Er stapelte die Scheite entlang der Hüttenwände unterhalb des Dachüberstandes.

Peter kümmerte sich derweil um die Fallen und fertigte geflochtene Rahmen aus Zweigen an, mit deren Hilfe die erbeuteten Felle zum Trocknen verspannt werden konnten. Auch kochte er das Essen. Außerdem schleppte er das Geäst der geschlagenen Bäumchen an die Ufer der Bäche und Flüsschen, um die Biber anzufüttern.

In der zweiten Nacht ihres Aufenthalts in der Hütte, gegen Morgen, erwachte Dave plötzlich von einem undefinierbaren Lärm auf der Lichtung. Er war sofort hellwach, schnappte sich das am Bettpfosten lehnende Gewehr und sah durch eine der Schießscharten. Auf der Lichtung tummelte sich ein Rudel Gabelböcke und knabberte die Schösslinge ab. Dave fiel sofort ihre karge Speisekarte ein. Der Schuss riss Peter aus dem Schlaf und vertrieb das Rudel. Allerdings blieb ein toter junger Bock zurück. Es sollte bei dem einzigen Gewehrschuss der ganzen Jagdsaison bleiben.

Dave trauerte nämlich dem Pfeil und Bogen nach, den er Jonny überlassen hatte. Er beschloss, sich eine solche Jagdwaffe selbst zu fertigen. Er holte zunächst den Zeichenblock hervor und zeichnete darauf aus dem Gedächtnis einen Bogen, wie er ihn als 14-jähriger bei seinem Freund, dem Japaner, gesehen hatte. Dieser Bogen schien ihm raffinierter zu sein als der Indianerbogen. Er fahndete und fand im Wald einen etwa vier Zentimeter dicken, etwa eineinhalb Meter langen, gerade gewachsenen Hickory-Trieb. Diesen Trieb schälte er und trocknete ihn langsam, eingehüllt in warme Asche. Nun begann er jede freie Minute mit seinem rasiermesserscharfen Bowie-Messer daran zu schnitzen. Er arbeitete zunächst das Mittelstück heraus. Dann brachte er die linke und rechte Seite, indem er oben und unten einen Span abhobelte, auf gleichmäßige zweieinhalb Zentimeter. Schließlich wurden die Seiten, mit Ausnahme der Enden, in der Dicke und in der Breite gleichmäßig verjüngt, bis der Bogen beim Spannen eine gleichmäßige Biegung aufwies. Zuletzt kerbte er noch die Enden ein, um die Sehne befestigen zu können, schabte die Oberfläche glatt und rieb den Bogen mit Biberfett ein.

Die Bogen-Sehnen stellte er aus den Därmen des Gabelbocks, die Pfeile aus ein Zentimeter dicken Hickory-Stöcken, Nägeln, Bindedraht, Baumharz sowie Entenfedern her. Zuletzt nähte er sich aus der Haut des Bocks noch einen Köcher.

*

Inzwischen hatte der Winter Einzug gehalten; ein trockener Winter. Den Boden bedeckte eine 30 Zentimeter dicke Schicht Pulverschnees, des Nachts sank die Temperatur auf minus 30 Grad Celsius. Tagsüber schien eine bleiche Sonne von einem wolkenlosen Himmel.

Dave lernte nach und nach von Peter, sich im unendlichen Waldgebiet zurechtzufinden, sowie alles über Tierspuren und das Fallenstellen. Jeden Tag gingen ihnen mindestens zwei Biber oder Nutrias in die Fallen. Sie hatten jetzt Frischfleisch im Überfluss und froren einen Teil davon für die Schlecht-Wetter-Zeiten ein.

Sobald Dave seinen Bogen fertig hatte, ging er damit auf Jagd. Sein Gewehr hängte er derweil an den Nagel. Seinen Revolver dazu zu hängen, konnte er sich allerdings nicht entschließen. Wie recht er damit hatte, sollte sich noch erweisen.

Er merkte sofort, dass sein Bogen mehr Zugkraft erforderte als der Indianerbogen. Die Pfeile schnellten damit schneller von der Sehne. So brauchte er tatsächlich auf fünfzig Meter das Visier nur minimal erhöhen, um das Ziel mit gehöriger Wucht zu treffen. Er gewöhnte sich schnell daran. Seinen zweiten Gabelbock erlegte er mit Pfeil und Bogen.

Dann fing es kräftig an zu schneien. Während des Schneefalls war es nicht möglich, sich im Wald zu orientieren; sie mussten in ihrer Hütte bleiben. Sie vertrieben sich die Zeit mit Unterhalten, mit dem Rezitieren von Gedichten, mit Singen, Mundharmonika-, Banjo- und Kartenspielen.

Diese räumliche Nähe bewirkte, dass sie sich auch menschlich näherkamen. Beiden fiel fast gleichzeitig auf, wie ähnlich im Denken oder in den Gesten sie sich waren. Zuerst fiel das beim Kartenspielen auf. Obwohl Dave in seinem bisherigen Leben nur gelegentlich und dann ohne Enthusiasmus Karten gespielt hatte, erriet er jetzt fast jeden von Peters Bluffs im Voraus. Umgekehrt war es genauso.

Als der Schneefall aufhörte, schaufelte Dave als Erstes voller Tatendrang den Platz um die Hüte schneefrei. Dann schnallte er sich seine Schneeschuhe unter, spannte den Bogen und ging auf die Jagd. Unter den hohen Bäumen lag der Schnee nicht so hoch und er fand im nu erste Tierspuren. Es gelang ihm unbemerkt an eine Schar von Truthähnen samt Truthennen heranzukommen. Er erschoss gerade den ersten Truthahn als er hinter sich ein leichtes Fauchen vernahm. Er drehte sich vorsichtig um und sah keine fünf Meter von sich entfernt einen sprungbereiten Puma kauern. Dann passierten vier Dinge gleichzeitig: Dave stieß einen japanischen Kampfschrei aus, zog blitzschnell seinen Colt, gab kurz hintereinander zwei Schüsse ab, so dass sie sich wie ein Schuss anhörten, und vollführte eine Seitfallrolle, so dass er hinter einem Baum zu stehen kam, bereit wieder zu feuern. Doch Dave konnte seinen Revolver wegstecken. Der Kopf des Pumas bäumte sich grotesk auf, der totbringende Sprung wurde wie von Geisterhand abrupt abgebremst, als das Raubtier auf dem Boden auftraf, war es bereits tot. Die beiden Kugeln hatten den Weg über die Augen bis ins Gehirn gefunden.

Als schon alles vorbei war, begann Daves Puls doch etwas schneller zu schlagen. Es stellte sich bei ihm im Nachhinein ein Respekt für die wilde, gefährliche Tierwelt ein. Er suchte und fand einen abgebrochenen Ast mit verzweigtem Geäst daran. Auf dieses Geäst zerrte er den Kadaver, legte den erlegten Truthahn dazu und schleifte seine Beute durch den Schnee zur Hütte.

Peter hatte von den Schüssen nichts gehört. Deren Geräusch wurde offensichtlich von den schneebedeckten Bäumen gänzlich verschluckt. Jetzt staunte er Daves Beute minutenlang wortlos an. „Das habe ich all die Jahre noch nie erlebt. Wahrscheinlich liegt in den Bergen so viel Schnee, dass die Pumas weiter unten nach Beute suchen. Ich bin froh, dass ich nicht an deiner Stelle war. Ab jetzt müssen wir immer zu zweit nach den Fallen gucken gehen.“

Dave suchte sich am Lichtungsrand einen geeigneten Baum, warf zwei Seile über tragfähige Äste und band mit deren Enden die Hinterbeine des Pumas fest. Zu zweit hievten sie den Kadaver nach oben, bis er frei in der Luft hing, und häuteten ihn ab. „Für dieses Fell können wir viel verlangen; es ist gänzlich unbeschädigt,“ meinte Peter.

Sie schabten das Fell sauber und spannten es zum Trocknen aus. Von dem Fleisch aßen sie nur die rohe Leber. Diese Praxis hatte sich Peter von den Indianern am Missouri abgeguckt, angeblich half das gegen Skorbut. Den Rest des Fleisches ließen sie gefrieren und zerrten ihn dann weg von der Hütte, in den Wald.

„Das ist ein ausgezeichneter, ergiebiger Köder! Ich könnte mir vorstellen, dass er so manchen Pelzträger anlocken wird, zum Beispiel einen Vielfraß, Waschbären, Füchse. Du jagst doch so gern mit Pfeil und Bogen, brauchst Dich also nur gegen den Wind anzuschleichen und drauflos zu schießen.“

Den Truthahn hängten sie in der Hütte auf. Zum einen schmeckte das abgehangene Fleisch besser, zum anderen ließen sich dann die Federn leichter ausrupfen. Einige der Federn stellten zudem einen nicht zu vernachlässigenden Verkaufswert dar.

*

Es war Anfang März geworden. Die Tage wurden länger. Sie hatten genügend Felle beisammen, mussten aber mit ihrer Rückfahrt noch warten, bis keine Eisschollen mehr auf den Flüssen trieben.

Besonders Peter fieberte der Rückfahrt entgegen. Seit eineinhalb Monaten hatte sich sein Husten verstärkt und er bekam immer weniger Luft in die Lungen. An lange Märsche oder längere Anstrengungen war nicht zu denken. Dave fühlte mit ihm.

„Mir geht es genauso wie meinem Ex-Partner. Ich nehme stark an, wir haben uns die Krankheit am Missouri eingefangen. Wir haben dort ein fürchterliches Kraut geraucht, geraucht, wie die Schlote, und jede Menge Fusel getrunken. Vielleicht haben wir uns aber auch mit einer Lungenkrankheit angesteckt, was weiß ich. Obwohl wir mit dem Saufen und Rauchen, solange wir hier waren, aufgehört hatten, konnte von der Verbesserung unseres Gesundheitszustands nicht die Rede sein. Ich habe Dir erzählt, er sei bei einem Mädchen gestorben, das stimmt nur zur Hälfte. Seine Lungen waren verschleimt. er bekam kaum noch Luft und hatte starke Brustschmerzen. Der Doktor in Albuquerque hat ihm Laudanum verschrieben, zur Entspannung und gegen die Schmerzen. Unter Medikamenten-Einfluss wollte er noch einmal Liebe machen, und dabei ist es passiert.“

Peter machte eine Atempause.

„Nun geht es mir genauso. Es wird Zeit, meine Verhältnisse zu ordnen.“

Peter machte wieder eine Pause und fing zu Daves Überraschung mit einem anderen Thema an.

„Du hat gesagt, Du heißt mit Nachnamen Andrews. Kommst Du aus Virginia und war Dein Vater Pastor?“

Dave war ob dieser Frage verblüfft. Er war sich sicher, Peter nichts von seiner Familie erzählt zu haben. Sein Bericht hatte immer damit begonnen, wie er von zu Hause abgehauen war, um Seemann zu werden. Dazu kamen seine See- und Kriegs-Erlebnisse.

„Ja, und?“ Mehr brachte er nicht heraus.

„Es ist so, ich kannte einmal eine Lea Andrews und die hat mir seinerzeit erzählt, sie habe einen älteren Bruder und der sei Pastor irgendwo in Virginia. Aber bevor ich Dir von ihr erzähle, musst Du die ganze Geschichte kennen.“

Peter sah Dave bedeutungsvoll an, bevor er fortfuhr.

„Ich heiße eigentlich Peter Barnaby, Peter de Swan ist mein Künstlername. Ich komme aus Boston. Mein Vater war Dozent an der Universität. Ich habe Englische Literatur studiert. Mit 21 sah ich im Theater eine Schauspielerin, in die ich mich unsterblich verliebte. Sie nannte sich Anna Boleyn und war eine hinreißende Mimin. Jedes Wort, jede Betonung, jede Geste saß. Selbst, wenn sie flüsterte, verstand man sie im ganzen Theaterrund. Ich gefiel ihr offenbar auch.

Ich schloss mich der Theatertruppe an. Das bisschen Theatererfahrung vom Schultheater her reichte natürlich für die richtige Bühne nicht aus. Sie nahm sich meiner an und Dank meines guten Gedächtnisses machte ich schnell Fortschritte. Wir heirateten noch im selben Jahr. Sie war 10 Jahre älter als ich, doch das machte mir nichts aus. Da ihr Vater Chef unseres Tournier-Theaters war, bekam ich nach und nach die anspruchsvolleren Rollen. Und ich muss sagen, die Zuschauer mochten mich. Wir bereisten ganz New England.

Obwohl wir fast täglich Liebe machten, wurde sie nicht schwanger, wie es ihr Herzenswunsch war. Sie begann aus Gram zu trinken, zunächst wenig dann immer mehr, und mit mir zu zanken.

Wir gastierten wieder einmal in Boston als die 17-jährige Lea Andrews bei uns vorsprach. Uns war gerade eine unserer Nebendarstellerinnen abhandengekommen, deshalb nahmen wir sie bei uns auf. Sie sah niedlich aus. Meine Frau witterte Unrat und schikanierte sie, wo sie nur konnte. Doch Lea hatte ein fröhliches Gemüt. Jede Schikane prallte einfach an ihr ab. Jeder sonst mochte sie. Auch den Zuschauern gefiel sie in ihrer Natürlichkeit und Fröhlichkeit.

Anna verfiel derweil immer mehr dem Alkohol. Immer öfter konnte sie nicht auftreten. Lea musste einspringen. Als wir zusammen einen Auftritt in Romeo und Julia hatten und dafür vom Publikum voller Enthusiasmus gefeiert wurden, setzten wir unser Rollenspiel auch privat um. Die Liebe zu Anna war bedingt durch ihre Trunksucht bei mir nach und nach erkaltet, jetzt mit Lea fühlte ich mich wieder wie im siebenten Himmel.

Was mit Anna nicht geklappt hatte, klappte mit Lea fast sofort. Sie wurde schwanger. Wir versuchten das, so lange wie möglich zu verheimlichen, doch irgendwann war alles offensichtlich. Nun war Anna nicht mehr zu halten. Sie beschimpfte uns unflätig und griff uns tätlich an.

Eines frühen Nachmittags, sie hatte schon seit dem Morgen an die zwei Flaschen Hochprozentigen intus, versuchte sie, mich in unserem Schlafzimmer mit einer halbgefüllten Whiskey-Flasche zu erschlagen. Ich wich dem Schlag aus, sie taumelte, verlor das Gleichgewicht, fiel rückwärts und schlug mit dem Kopf auf die Kante des Nachttischchens auf. Sie brach sich das Genick und war sofort tot.

Die Polizei wurde hinzugezogen. Sie warf mir vor, meine Frau getötet zu haben und sperrte mich ein. Acht Wochen dauerte es, bis ich dem Richter vorgeführt wurde und vor dem Schwurgericht stand. Ich mache es kurz. Die Geschorenen und auch die Berufsrichter konnten sich nicht einigen, ob ich schuldig war oder nicht. Ich wurde freigesprochen.

Mit meiner Schauspielerei war es natürlich vorbei. Ich fahndete noch eine Weile vergeblich nach Lea. Man berichtete mir, sie habe mich für schuldig gehalten, und sei Hals über Kopf mit unbekanntem Ziel abgereist. Ich vermutete damals immer, sie sei zu ihrem Bruder geflohen. Da ich aber dessen Adresse nicht kannte, machte ich mich weg aus New England. Ich landete in St. Louis. Den Rest kennst Du schon.“

Peter hing eine ganze Zeit seinen Gedanken nach. Seine Lebensbeichte schien ihn erschöpft zu haben. Doch er war noch nicht fertig.

„Was mag aus Lea und ihrem Kind geworden sein? Diese Frage stelle ich mir immer wieder, ohne eine Antwort darauf zu bekommen. Als ich Dich zum ersten Mal sah, glaubte ich Lea vor mir zu sehen. Du lachst wie sie, hast ein sonniges Gemüt wie sie, der Schelm reitet Dich wie sie, und überhaupt, je intensiver ich Dich betrachte, desto deutlicher siehst Du ihr ähnlich. Wäre es nicht möglich, dass Du mein und Leas Sohn bist? Auch Dein Alter würde passen.“

Dave war über diese Wendung, die das Gespräch genommen hatte, erstaunt und gleichsam berührt.

„Meine Eltern sind zweifellos Sarah und Joshua Andrews. Ich habe eine Zwillingsschwester Esther, außerdem noch drei Schwestern und einen Bruder. Von einer Lea gleichen Namens habe ich noch nie gehört. Außerdem sehe ich meinem Vater ähnlich.“

Daves Gedanken überschlugen sich, als er das sagte. Könnte an Peters Schilderung nicht doch was Wahres dran sein? Es schien alles so gut zusammen zu passen. Er dachte an seinen Vater zurück, mit dessen Denken er sich nie anfreunden konnte und deshalb zu ihm immer ein gespanntes Verhältnis hatte. Von daher konnte er sich nur wünschen, Peter, mit dem er sich so gut verstand, sei in Wirklichkeit sein Vater. Aber dann fiel ihm seine Mutter ein, die ihn liebte, die er umgekehrt immer geliebt hatte und immer lieben würde. Er befand sich in einem Dilemma.

„Ich will Dir Deine Eltern nicht nehmen! Entschuldige, dass ich gewissermaßen geträumt habe. Ich bin ein alter, sehr kranker Mann. Obwohl wir uns noch nicht lange kennen, habe ich Dich liebgewonnen. Du bist für mich wie ein Sohn. Wenn es ginge, würde ich Dich adoptieren. Aber ich kann Dir auch ohne das, alles vererben, was ich habe. Ich habe vor, in Albuquerque mit Dir zum Richter zu gehen und Dich als meinen Erben einzusetzen.“


Waisenjunge

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