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KAPITEL 7 Die Bedeutung der Dinge

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Anfang Jänner fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, Weihnachten zu feiern. Das wollte er nicht, weil er nicht sicher sein konnte, die nächsten Weihnachten noch zu erleben. Die meisten vertrockneten Weihnachtsbäume wurden längst auf Sammelstellen geschmissen, als Albrecht etwas verspätet in einem Baumarkt mit Gartenabteilung einen künstlichen Weihnachtsbaum aus aufklappbarem PVC kaufte. Dieser war nun im Ausverkauf stark verbilligt, das gefiel Albrecht. Warum sollte man Geld verschleudern, selbst wenn man hundertmal über das Sterben nachdachte. Albrecht kam aus einer Generation, wo man das Geld zusammenhielt. Er beobachtete amüsiert die verhaltenen Blicke beim Kassapersonal. Die Blicke fragten ihn, warum er jetzt einen Weihnachtsbaum kaufen wollte, wo Weihnachten doch vorbei war. Das gefiel Albrecht, er genoss diese Aufmerksamkeit. Er sagte: »Äthiopien feiert am sechsten Januar Weihnachten. Ich bin halber Äthiopier!«. Der erstaunte Blick des Verkäufers machte ihm große Freude. Die Weihnachtsfeier fand am siebenten Jänner statt. Dass Festtage für Alleinstehende besonders schlimm sind, brauche ich nicht zu erwähnen, obwohl Albrecht diesen Tag genoss. Das Glitzern der Glaskugeln und die brennenden Kerzen verzauberten ihn. Die Natur hatte ihm eine große Freude gemacht, denn nachdem der Heilige Abend wie jedes Jahr viel zu warm und ohne Schnee geblieben war, hatte es in der Nacht geschneit. Die Straßen waren verziert mit Schnee. Zum zweiten Mal bereitete er sich innerlich auf seinen Tod vor und zelebrierte das Fest als wäre es sein Leichenschmaus. Er kochte Punsch, grillte ein Huhn und schmückte den Baum mit Girlanden und Schmuck. Es gab sogar Strohsterne. Schmuck, der in seiner Jugend am Land hergestellt worden war. Geschenke für sich selbst gab es natürlich keine, wofür auch. Stattdessen saß Albrecht neben dem Christbaum und begutachtete weiter seine Habseligkeiten. Am liebsten betrachtete er Dekorationsgegenstände oder persönliche Dinge. Fotos erfüllten ihn etwas mit Wehmut, weil die Menschen, die darauf abgebildet waren nicht mehr da waren. Einige Dinge, die er einst gemocht hatte, empfand er als kitschig. Den allerhöchsten Kitschpreis der Albrecht´schen Jury gewann die Plastikgondel aus dem Vorzimmer. Einst in einem Souvenirladen in Venedig erstanden, bestehend aus schlecht bemaltem China-Plastik und bunten Lämpchen, symbolisierte sie den Inbegriff alles Touristenkitsches und hatte mit dem wundervollen Körper einer echten venezianischen Gondel so wenig zu tun, wie eine bucklige Birne mit einem Apfel. Dabei hatte Albrecht Gondeln immer bewundert. In fünfhundert Arbeitsstunden aus verschiedensten Hölzern gebaut, besaß kaum ein Seegefährt so viel Schönheit und auch mystische Ausstrahlungskraft. Das Plastikgebilde landete im Müll, darauf folgten einige andere Andenken. Ebenfalls durch seine Hände wanderte eine kleine Kiste, die über und über mit Muscheln beklebt war. Solche fand man in vielen Ländern an Küstendörfern, diese besondere stammte aus Grado in Italien. Albrecht erinnerte sich noch gut an den Tag, an dem sie die gekauft hatten. Grado, am äußersten Ende des Golfs von Venedig, war damals noch ein größeres Fischerdorf, ehe es in den Neunzigern zu einer Touristenmetropole auswucherte, die sich kaum von den anderen großen Zentren unterschied. Das ursprüngliche Grado mit dem kleinen Hafen und der Mole entsprach dem perfekten Bild eines romantischen Fischerhafens. Sie waren mit einem Ausflugsschiff, der ›Motanave Fulgidus‹, vom Hafen in Lignano über das Meer gekommen und hatten für ein paar Stunden das kleine Städtchen erkundet. Am Nachmittag, als sie vom Schiff auf die Mole stiegen, zogen die ersten, finsteren und schweren Wolken auf. Die Luft roch nach Salz und nach Sturm. Nachdem sie die Fischerboote am Hafen Porti Madracchio bewundert hatten, erstanden sie die kitschige Muschelkiste in den Gassen hinter der Basilika St. Eufemia. Das Schiff Fulgidus wurde später nach zwanzigjähriger Ausflugszeit in Pension gestellt und transportierte dann noch albanische Flüchtlinge, die damals Italien überfluteten. Albrecht hatte ein Foto des Schiffes Jahre nach ihrem Grado-Urlaub in einer Zeitung entdeckt. In den Neunzigern hatte Albrecht damit begonnen, Sand aus fremden Ländern in kleinen Flaschen zu sammeln. Besonders umfangreich war diese Sammlung nicht geworden. Der Sand von fremden Ländern oder Stränden erfüllte den Zweck als Medium der Erinnerung viel stärker als gekaufte Gegenstände. Wenn man den Sand durch die Finger rieseln ließ, fühlte es sich genauso an, als säße man am Strand. Die Flaschen mit Sand behielt er. Dafür landeten drei Kunstdrucke im Müll, die viele Jahre seine Wohnzimmerwand geziert hatten. »Ein Magengeschwür für jeden Kunstkenner« sagte Albrecht zu sich selbst und lachte laut. Er musste dabei an einen Film mit dem französischen Komiker Louis de Funes denken, in dem dieser als Kunstkenner Balduin Mezeray eine Tätowierung auf dem Rücken des alternden ›Grafen Legrain‹ (gespielt von Jean Gabin) entdeckte und den ganzen Film über versucht, Legrain das Bild am Rücken abzukaufen. Jean Gabin hatte Albrecht sehr bewundert, er mochte den europäischen Film. In der Hale of Fame, dem Albrecht-Louvre, wanderte so neben dem Bild der schwarzen griechischen Vulkaninsel Santorin auch ein Druck vom Großglockner und ein Druck aus Italien, das römische Kolosseum, in den Müll. Falls einer der Nachbarn um vier Uhr morgens wach gewesen wäre, hätte er Albrecht immer öfters dabei beobachten können, wie dieser kleine und große Müllsäcke in Müllcontainern versenkte. Er benutzte aber nicht nur die Müllbehältnisse seines Wohnblocks, sondern ging bis zu drei Straßen weiter, um die Säcke aufzuteilen. Einmal wurde er dabei von der Hausmeisterin erwischt und laut zurechtgewiesen, so als hätte er einen Laib Brot gestohlen. Müll in fremde Eimer zu leeren ist in Wiener Wohnhäusern, vor allem Gemeindebauten, ein schweres Delikt, so wie Flugzeugentführungen im arabischen Raum. Vor allem in Gemeindebauten. Die einzige Urlaubsdestination in Albrechts Leben, von der er kein Mitbringsel hatte, war Teneriffa. Die spanische Tropeninsel hatte er in einer Zeit besucht, wo man in Flugzeugen noch rauchen durfte und es keinerlei Beschränkungen für das Handgepäck gab, so dass die Menschen mit Plastiksäcken voller Einkäufe auf den Schoß wie in einem Bus sitzen konnten. Es war Albrechts erste und weiteste Flugreise und diese hatten sie mit ihrem Hund Polly angetreten, benannt nach Tom Sawyers Tante Polly aus den Geschichten von Mark Twain. Für den Hund war es die letzte Reise, vielleicht hatte Albrecht daher keine Andenken gekauft. Keine sieben Jahre alt, stürzte Polly so unglücklich auf einer Holztreppe, dass sie sich wohl den Brustkorb oder die Lunge verletzte. Sie keuchte und schnaufte die ganze Nacht im Bett, in den frühen Morgenstunden erwachte Albrecht neben dem leblosen Tier. Albrecht war so aufgewühlt in die Rezeption gekommen, das leblose Bündel in einer Decke im Arm. Der Hotelmanager dachte zuerst, Albrecht sei erkrankt oder überfallen worden. Spanier werden manchmal pauschal als faul oder unfreundlich abgestempelt, doch Albrecht kann von anderen Erfahrungen erzählen. Als der Hotelmanager verstanden hatte, was passiert war, verschwand er in einem Raum hinter der Rezeption und kehrte mit einer Schaufel wieder zurück. Mit einem Gefühl der Hilflosigkeit in einem fremden Land und einem toten Hund im Arm trottete Albrecht hinter dem Hotelmanager her, der immer tiefer ins Landesinnere ging. In seinem Armani-Anzug schaufelte der Hotelmanager ein Grab auf einer Böschung und beerdigte den Hund. Als er den letzten Hub Erde auf die Grabstätte schaufelte, begann es leicht zu regnen und der Hotelmanager stapfte mit seinen glänzenden Schuhen und dem Anzug wortlos durch das schlammige Dickicht zurück. Das war in Playas de las Americas und das Hotel gibt es noch. Auf der einstigen Böschung stehen aber heute die Betonpfeiler einer großen Umfahrungsstraße, doch das wusste Albrecht natürlich nicht. Er war nie wieder in Teneriffa gewesen und er stellte fest, dass die Bedeutung der Dinge, die ein Leben ausmachen, sich verändern. Sie glichen ein wenig einer Fata Morgana, die im gleißenden Schein der Sonne Bilder vorgaukelte, die verschwanden oder verblassten, wenn man näher herankam.

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