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Beethovens Zusammenarbeit mit Mälzel

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Metronom und Rätselmetronom erschienen beide im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Damals wurde das Metronom auch Zeitmesser genannt. Es handelte sich demnach um ein mechanisches Hilfsmittel, mit dem die musikalische Zeit gemessen wurde. Als Erfinder gilt Johann Nepomuk Mälzel, Schöpfer seines rätselhaften Gegenstücks war Ludwig van Beethoven höchstpersönlich.

Zum Zeitpunkt des Erscheinens hatten Beethoven und Mälzel ihren vierzigsten Geburtstag einige Jahre hinter sich und kannten sich gut. Sie waren beide im Jahr 1792 nach Wien gezogen. Beethoven aus Bonn, Mälzel aus Regensburg. Bis Anfang 1814 wohnten Komponist und Mechaniker gemeinsam in der Donaumetropole, danach verließ Mälzel die Stadt auf immer.

Zunächst einmal werfen wir die Frage auf, wer oder was Mälzel dazu veranlasst haben mag, ein Metronom zu konstruieren. Die Musik war nicht sein Spezialgebiet, die Zeit auch nicht. Ebenso wenig hatte Beethoven ein derartiges Gerät bei ihm bestellt. Die musikalische Zeitmessung war um 1810 aber fällig. Sie lag irgendwie in der Luft. Und Mälzel hatte ein ausgezeichnetes Gespür für den Geist der Zeit. Aktualität war sein Metier.

Mälzels Vater, Orgelbauer und Mechaniker von Beruf, hat seine Söhne Johann und Leonhard sowohl an den Tasten als in der Mechanik ausgebildet. Von ihm lernte Johann sein Handwerk aufs beste. Darüber hinaus schien sich gerade in seiner Person ein Genius zu regen, der eindeutig zu früh auf die Welt gekommen war. Mit einem selbst fahrenden Fahrzeug, einer Gasmaske für Feuerwehrleute, einem selbst spielenden Orchester, einem Schachroboter und mit Puppen, die „Mama“ sagen und die Augen aufschlagen konnten, um nur einen Teil seiner Projekte anzudeuten, macht Mälzel auf uns im 21. Jahrhundert den Eindruck, ein verhinderter Vertreter unserer eigenen Epoche zu sein. Man könnte glauben, er sei durch eine Laune des Schicksals durch den Boden der Gegenwart in die Vergangenheit gestürzt und zwei Jahrhunderte früher stecken geblieben.

Wer denkt bei Betrachtung seiner detailgetreuen Darstellung des großen Brandes von Moskau 1812, mit der er eine Rekordquote an Besuchern erzielte, nicht an einen Filmemacher oder Fernsehreporter? Die russische Hauptstadt erscheint in dieser Darstellung in perspektivisch richtigem Maßstab mit Kreml, Kirchen und Mauern. Die Illusion des großen Brandes wurde mit Bühnenflammen, Rauch und Funkenschlag erweckt, während Bühnenarbeiter, die für das Publikum unsichtbar waren, die Kulissen im richtigen Augenblick einrissen.

Ebenso realistisch wirkte ein anderes Projekt von Johann und Leonhard Mälzel: der mechanische Trompeter. Dieser war mannsgroß und blies so laut Trompete, dass er einen Trupp Soldaten in die Flucht geschlagen haben soll, als dieser bei der Revolution von 1848 Bruder Leonhard bedrängte.

Eine weitere Begabung, welche ebenfalls gut zu unserer Zeit passt, bestand darin, dass Mälzel sich selbst hervorragend verkaufen konnte. Die Art, wie er die Presse bespielte oder Public Relations mobilisierte, zeugt von hohem Können. Als Geschäftsmann war er erfolgreich, verlor aber hohe Geldsummen im Spiel. Dennoch hinterließ er bei seinem Tod 1838 in den USA ein Vermögen.

Bei aller Professionalität hatte Mälzel eine unübersehbare Schwachstelle. Seine eigene Erfindungskraft entfaltete sich nicht in dem Maße wie seine übrigen Talente, sie verhielt sich eher umgekehrt proportional zu ihnen. Für das Business bedeutete dieses Defizit kein allzu großes Hindernis, weil Mälzel es durch eine äußerst geschickte Technik in der Aneignung und Verwertung von Fremdideen zu kompensieren wusste.

So war, um nur ein einziges Beispiel zu nennen, sein Schachroboter, mit dem er überall in Europa und ab 1825 in Nord-Amerika Furore machte, keineswegs eine Erfindung von ihm selbst. Anfangs hatte er nicht einmal den Trick entdeckt. Er wusste nicht, dass im Spielkasten ein Mensch verborgen war, der die Figuren zog. Nach dem Tod des Erfinders Baron Wolfgang von Kempelen im Jahre 1804 erwarb Mälzel den „Schachtürken“ vom Sohn des Verstorbenen, zum halbierten Preis versteht sich. Dabei war ihm nützlich, dass die letzte Vorstellung mit dem Automaten mehr als zwanzig Jahre vorher stattgefunden hatte. Dadurch konnte er sich mit zunehmendem Erfolg als Erfinder des Geräts präsentieren.

Es ist nicht das einzige Mal, dass Mälzel sich mit fremden Federn schmückte. Plagiatsvorwürfe sollten ihn sein ganzes Leben begleiten. Charakteristisch für erfindungsschwache Menschen ist der feine Sensor für die Kreativität anderer. So wurde der kreativste Mensch, den er kannte, förmlich von ihm umgarnt, wenigstens, solange beide noch in Wien wohnten. Es war wohl so, dass Mälzel Beethoven brauchte, aber Beethoven brauchte umgekehrt auch ihn.

Im Dezember 1812 war der Komponist 42 Jahre alt geworden und hatte den größten Teil seines unsterblichen Oeuvres bereits komponiert. Acht seiner neun Symphonien, 11 seiner 18 Streichquartette, 26 seiner 32 Klaviersonaten, seine Klavierkonzerte, sein Violinkonzert, zwei Fassungen seiner einzigen Oper und viele andere Werke standen unveränderlich auf dem Papier.

Beethoven mag als Komponist seiner Zeit zwar weit voraus gewesen sein, er betrachtete sich selbst aber keineswegs als einen zu früh Geborenen. Für das junge Jahrhundert hatte er kein gutes Wort übrig, für seine noch im 18. Jahrhundert verstorbenen Kollegen Mozart und Gluck, Bach und Händel dagegen sehr viele. Zusätzlich fühlte er sich noch weit früheren Jahrhunderten als dem 18. und anderen Disziplinen als der Musik verpflichtet. Ich zitiere seine Worte:

– noch eins! Es gibt keine Abhandlung, die sobald zu gelehrt für mich wäre; ohne auch im mindesten Anspruch auf eigentliche Gelehrsamkeit zu machen, habe ich mich doch bestrebt von Kindheit an, den Sinn der besseren und weisen jedes Zeitalters zu fassen, schande für einen Künstler, der es nicht für schuldigkeit hält, es hierin wenigstens so weit zu bringen.

(Mittwoch, 22. November 1809 – an Gottfried Christoph Härtel)

Beethoven war somit Mälzels Antithese oder Mälzel Beethovens Antithese, je nachdem. Im Spannungsfeld, das in der Begegnung beider Persönlichkeiten entstand, trafen sich zwei Zeitalter. Auf der einen Seite steht unsere Epoche mit unserem Wissen samt kollektiver Torheit, auf der anderen sämtliche Zeitalter vor der Aufklärung, in denen so viel Weisheit erblüht und verwelkt ist.

Der Komponist hatte bekanntlich ebenfalls eine Schwäche. Sein schwindendes Gehör machte ihm 1813 sehr schwer zu schaffen und wirkte lähmend auf seine Schöpferkraft. Die letzte Hoffnung, seine geliebte Musik hören zu können, hatte er auf den kaiserlichen Hofkammermaschinisten Mälzel gesetzt. Dieser baute 1812/1813 vier verschiedene Hörgeräte für ihn, von denen das Letzte am besten funktionierte und mehrere Jahre auf seinem Flügel stand.

Für diese Dienste erwartete Mälzel handfeste Gegenleistungen. So verlangte er neue Kompositionen für seine verschiedenen Spielautomaten, insbesondere für sein mechanisches Orchester, Panharmonikum genannt. Und selbstverständlich rechnete er mit Beethovens Mitarbeit bei seinem Metronomprojekt. In Wien war es ihm noch nicht gelungen, ein wirklich brauchbares Instrument zu konstruieren, aber 1813 bekam er bereits das Patent auf ein Vorläufermodell des Metronoms, Chronometer genannt.

Als Beethoven ihn in seiner Werkstatt besuchte, traf er zum ersten Mal auf dieses Gerät. Seine Reaktion ist uns überliefert aus dem Mund von Mälzel selbst. Diese war jedoch ganz anders als erwartet. Keine Spur von freudiger Überraschtheit! Im Gegenteil, der Meister muss ordentlich geschimpft haben, Mälzel teilt uns mit, dass er „ganz unwillig“ wurde und die folgenden Worte ausrief: „Es ist dummes Zeug, man muss die Tempos fühlen!“

Mälzel machte sich nicht viel aus diesem Zornesausbruch und ließ in einem Zeitungsartikel vom 13. Oktober 1813 in den Wiener Vaterländischen Blättern neben Erwähnung von Salieri, Weigl, Gyrowetz auch Beethovens Worte einrücken:

Herr Beethoven ergreift diese Erfindung als ein willkommenes Mittel, seinen genialen Compositionen aller Orten die Ausführung in dem ihnen zugedachten Zeitmaß, das er so häufig verfehlt bedauert, zu verschaffen.

Hat Beethoven dies wirklich so gesagt? Ist es ein Zufall, dass er in diesen Tagen (9.Oktober 1813) die folgenden Worte an seinen Freund Baron Nikolaus Zmeskall schrieb?

Lieber guter Z. werden Sie nicht unwillig, Wenn ich Sie bitte, auf beyliegenden Brief beyliegende Adresse zu schreiben, derjenige beklagt sich immer, an welchen der Brief ist, warum keine Briefe von mir ankommen, gestern brachte ich einen Brief auf die Post, wo man mich fragte Wo der Brief hin soll? – Ich sehe daher, daß meine Schrift vieleicht ebenso oft als ich selbst mißdeutet werde.

- Daher meine Bitte an sie

ihr Beethowen.

Nun, die Missdeutung Beethovens im von Mälzel redigierten Zeitungsartikel liegt klar auf der Hand. So schnell pflegte der Komponist seine Meinung nicht zu ändern, dass er den Zeitmesser so kurz nach seinem Zornausbruch auf einmal freudig begrüßen konnte. Glaubhaft ist zwar der Satz, dass Beethoven die häufige Verfehlung seiner Tempi (damals schon!) bedauerte, aber dass er in Bezug auf die mechanische Zeitmessung seine Ablehnung überwunden hätte, ist äußerst unwahrscheinlich.

Bei der ersten Begegnung mit Mälzels Chronometer hat Beethoven genauso reagiert, wie man es von einem guten Klavierstimmer erwarten würde, der zum ersten Mal mit einem mechanischen oder elektronischen Stimmgerät konfrontiert wird. Instinktiv wittert die wahre Künstlernatur die Gefahr, die von der Mechanik ausgeht. Sie weiß, dass die Berichtigung unsauberer Töne oder falscher Tempoproportionen von innen kommen muss und nicht von außen auferlegt werden kann. Die richtige Stimmung der Grundtempi muss man fühlen, nicht von einem Messgerät ablesen!

Es gibt ein Wort für das Fühlen, Erleben oder Spüren, das Beethoven gerne benutzte. Er nannte es schlicht und einfach „die Empfindung“!

Der andere Beethoven

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