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Beethovens Streit mit Mälzel

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Die Szene in Mälzels Werkstatt war nicht gerade das, was man ein Weltereignis nennt. Weder der Lauf der Geschichte noch das alltägliche Leben wurden auch nur im geringsten Maße tangiert. Auch Beethoven und Mälzel selbst hatten Wichtigeres zu tun als sich lange über den Chronometer zu unterhalten, zumal das Gerät noch offensichtliche Mängel hatte. Das Kriegsgeschehen hielt die Gemüter der Europäer ununterbrochen in Atem. Die Wahlwiener Beethoven und Mälzel bildeten in dieser Hinsicht keine Ausnahme.

Am 21. Juni 1813 hatte es bei Vitoria im spanischen Baskenland eine große Schlacht gegeben zwischen englischen, spanischen und portugiesischen Truppen auf der einen Seite und französischen auf der anderen. Ein Heer von fast 80.000 gut trainierten Soldaten unter dem Oberbefehl von Wellington hatte die französische Besatzungsarmee der Iberischen Halbinsel angegriffen, die von einem Bruder Napoleons angeführt wurde. Das französische Heer war geschwächt, weil viele Soldaten wegen des katastrophalen Russlandfeldzugs abberufen worden waren und bestand nunmehr aus 66.000 Mann. So konnte es geschehen, dass die Franzosen unter großen Verlusten für immer aus Spanien verjagt wurden.

Mälzel hätte nicht Mälzel geheißen, wenn er nicht den sofortigen Antrieb verspürt hätte, dieses das Abendland bewegende Ereignis als Erlebnis reproduzierbar zu machen. Vor allem in London, der Hauptstadt der Siegernation, erhoffte er sich ein blendendes Geschäft mit der Vorführung des Spektakels. Weil Beethoven unbestritten als größter unter den lebenden Komponisten galt und auch in England glühend verehrt wurde, besprach Mälzel sich mit ihm. Er sollte für sein Panharmonikum eine Schlachtmusik komponieren, welche auf das Ereignis passte. Mälzel wollte, dass Rule Britannia sich mit dem französischen Kampflied Marlboroughs’en va-t-en guerre abwechselte und dass zum Schluss God save the King kam. Von Geld war noch nicht die Rede. Es heißt, dass Mälzel die Schlachtmusik zwar bei Beethoven bestellt habe, aber als Honorar für die Komposition sei die Anfertigung eines Hörgeräts gedacht gewesen. Die Tatsache, dass der Komponist sich im Laufe des Projekts Geld von Mälzel lieh, sollte das Tauschgeschäft etwas komplizierter machen, aber in der ersten Phase der Zusammenarbeit war das Einvernehmen noch ungetrübt. Die beiden ungleichen Geschäftspartner planten sogar eine gemeinsame Reise nach London.

Am Anfang lief alles bestens. Aber im Oktober, als die Partitur für das mechanische Orchester fertig geworden war, musste der Plan bereits grundlegend geändert werden, denn es zeigte sich, dass die künstlichen Musiker des Panharmonikums von Beethovens Anforderungen heillos überfordert zu werden drohten. Wie zu erwarten, wollte der Komponist, der auch die überlieferten Gattungen von Symphonien, Klaviersonaten oder Variationswerken mit der Eroica, der Hammerklaviersonate und den Diabelli-Variationen ins Gigantische ausweitete, alle Dimensionen der herkömmlichen Schlachtmusiken sprengen.

So wurde beschlossen, den ursprünglichen Plan fallen zu lassen und nunmehr ein echtes Orchester für die Darstellung von Wellingtons Sieg zu engagieren. Die Partitur wurde in kürzester Zeit für großes Symphonie- Orchester samt Kanonendonner auf großen Trommeln und Gewehrsalven auf Ratschen umgeschrieben. Am 8. Dezember fand im Saal der Universität die Uraufführung statt mit einem Orchester von über 100 Mann, dirigiert von Beethoven selbst und unter Mitwirkung der besten Musiker Wiens wie Schuppanzigh, Dragonetti und Romberg. An den Kanonen und Gewehren standen Salieri, Meyerbeer und Hummel.

Die Aufführung wurde ein Riesentriumph. Nebenbei wurde die Siebte Symphonie in vollendeter Interpretation uraufgeführt, aber alle Konzertbesucher schienen nur Ohr und Auge für die Schlachtsinfonie zu haben. Zur Erhöhung der Freude trug bei, dass der Ausgang der Völkerschlacht bei Leipzig (16.-19. Oktober) ein baldiges Ende des Krieges zu versprechen schien und dass die Einnahmen den österreichischen Soldaten gewidmet wurden, welche bei der in militärischer Hinsicht völlig überflüssigen Schlacht bei Hanau (30. und 31. Oktober) verstümmelt worden waren.

Die „unbeschreiblichen Ovationen“ des zahlreichen Publikums galten in erster Linie der Musik der Schlachtsinfonie, von der der Publizist Darko Bunderla mit Recht sagt, dass sie absolut neu war:

Beethoven schuf ein musikalisches Werk, das den Zuhörer unmittelbar in das Geschehen einer Schlacht einbezieht……

Ein spürbares Nacherleben ist allgegenwärtig. Hier werden unmittelbare Empfindungen geweckt, die den Zuhörer fesseln.

(Darko Bunderla: Beethovens Wellingtons Sieg – Versuch einer ästhetischen Diskussion)

Applaus fördernd war der Umstand, dass der Kaiser, Metternich und die gesamten Minister des Staates Napoleon jagten und nicht mit Beethoven um die Gunst des Publikums wetteiferten. Der Komponist stand ganz allein im Zentrum der Verehrung und kam den Konzertbesuchern wie ein veritabler Gott vor.

So dichtete Clemens Brentano in seinen Nachklängen Beethovenscher Musik unmittelbar nach dem Erlebnis Worte wie folgt:

Ew’ger Gott! Mich dein erinnern.

Alles andere ist vergebens.

und

Nein, ohne Sinne, dem Gott gleich,

Selbst sich nur wissend und dichtend,

Schafft er die Welt, die er selbst ist

Unter den Besuchern befand sich ein junger Jurastudent und Amateurgeiger aus der mährischen Stadt Brünn. Auch für ihn, Anton Schindler, erschien Beethoven wie ein ferner Gott, dem sich zu nähern man nicht einmal zu träumen wagt. Wenn jemand ihm zu diesem Zeitpunkt vorhergesagt hätte, dass sein eigenes Lebensschicksal sich auf verhängnisvolle Weise mit dem seines Idols verknüpfen würde, hätte er ihn für verrückt erklärt. In verschiedener Hinsicht bildeten die Akademien vom 8. und 12. Dezember 1813 einen Schnittpunkt in Beethovens gesellschaftlichem Lebenslauf. Die Schlachtsinfonie war der größte Erfolg zu seinen Lebzeiten. Für Johann Mälzel war die Aufnahme der Schlachtsinfonie durch das Publikum eine große Überraschung, aber ungeteilt war seine Freude nicht. Voller Sorge sah er seinen eigenen Anteil am Erfolg schrumpfen. Er gab sich nicht damit zufrieden, dass Beethoven seine Erkenntlichkeitsbezeugungen auch an ihn richtete. Er wollte mehr. Im Gegenzug gab er öffentlich bekannt, dass er die Sinfonie als seinen eigenen Besitz betrachte. Er habe das Werk bestellt und bezahlt, die Idee dazu geliefert, also gehöre es ihm. Als Reaktion hierauf organisierte Beethoven eine Wiederholung der Akademie am 2. Januar 1814, diesmal ohne Mälzel.

In den darauf folgenden Wochen entbrannte ein heftiger Streit um die Eigentumsrechte an der Schlachtsinfonie. Am Anfang schien ein Vergleich in Sicht, aber als die Fronten sich verhärteten, ließ der nächste Schritt nicht lange auf sich warten. Mälzel hatte genug Orchesterstimmen zur Verfügung um daraus heimlich eine Partitur abschreiben zu lassen. Ohne etwas zu sagen, brach er nach München auf und ließ Wellingtons Sieg für eigenen Profit am 16. und 17. März 1814 aufführen, wiederum mit großem Erfolg beim Publikum.

Als Beethoven Wochen später von diesen Konzerten erfuhr, eröffnete er unverzüglich ein Gerichtsverfahren gegen Mälzel und veröffentlichte Warnungen in der Presse gegen seinen früheren Partner, in welchen er ihn als „ein ganz roher Mensch, gänzlich ohne Erziehung und Bildung“ beschrieb. Auch ließ er die Musiker in London wissen, dass Mälzel keine Erlaubnis von ihm bekommen habe, das Werk dort aufzuführen. Offensichtlich befürchtete der Komponist, dass Mälzel sich in London mit seinem Werk bereichern würde. Diese Furcht war zwar nicht unbegründet, aber sie lenkte Beethovens Wachsamkeit ab von jenen Räubern, „gänzlich mit Erziehung und Bildung“, welche es ebenfalls auf sein geistiges Eigentum abgesehen hatten.

Zunächst einmal führte Mälzels Weg nicht nach London, sondern nach Amsterdam, wo er im Herbst 1814 sein Panharmonikum und seinen mechanischen Trompeter vor den staunenden Holländern musizieren ließ. In der niederländischen Hauptstadt machte er eine wichtige Entdeckung, als er einen Kollegen namens Diederich Nikolaus Winkel in seiner Werkstatt besuchte. Dieser aus Deutschland stammende Mechaniker hatte nichts weniger als das perfekte Metronom erfunden, nach dem Mälzel so lange gesucht hatte. Stolz führte Winkel seine Erfindung dem berühmten Kollegen aus Wien vor. Dieser studierte die Mechanik Winkels genau, machte sich das Prinzip zu eigen und kehrte Amsterdam für immer den Rücken.

Innerhalb von zwei Jahren ließ Mälzel Winkels Erfindung als eigene Erfindung in München, Paris und London patentieren. In Paris gründete er 1816 eine Fabrik zur Herstellung von Metronomen. Als Winkel von Mälzels Plagiat erfuhr, war es bereits zu spät. 1820 gewann er zwar den Prozess um die Urheberschaft der Erfindung, aber zu diesem Zeitpunkt war das Gerät bereits überall als Mälzels Metronom (M.M.) im Handel.

Man mag sich vielleicht wundern, warum das Monopol auf einen Zeitmesser so begehrt war. So groß kann der Bedarf an musikalischen Tachometern doch nicht gewesen sein, dass man damit das große Geschäft machen konnte. Tatsächlich ist das Messen des musikalischen Zeitmaßes eine Beschäftigung, die nur eine Handvoll Musiker beglücken kann.

Das Metronom hat aber noch eine zweite Eigenschaft, die sehr wohl auf einen großen Umsatz hoffen ließ, vor allem zum Zeitpunkt seines Entstehens. Auf Wunsch liefert es nämlich das absolute Gleichmaß in jeder beliebigen Geschwindigkeit. Das Gleichmaß ist ja so eine Sache, die oft gering geschätzt wird, aber zum festen Prinzip der Schöpfung gehört. Ohne dieses Prinzip würde das Universum im Bruchteil einer Sekunde auseinander fallen.

Aber auch in der Musik ist dieses Prinzip allgegenwärtig. Im Barock und in der Wiener Klassik regierte das gleichmäßige Zeitmaß mit festem Impuls über die ganze abendländische Musik vom Kaukasus bis zum Atlantik, von Lappland bis nach Sizilien. Die Spuren dieses Stilmittels trifft man in allen geschriebenen Noten an. Die Bezeichnungen für die Beschleunigung (accelerando) oder Verzögerung (ritenuto, ritardando) sind bis zur Musik von Franz Schubert Ausnahmeerscheinungen, im ganzen 18. Jahrhundert kommen sie so gut wie nie vor. Anscheinend hatte der regelmäßige Impuls in der damaligen Musik eine ähnliche Funktion wie in den Jazzkellern des 20. Jahrhunderts.

Dieses Gefühl für Ebenmaß steckte dem musizierenden Menschen des 18. Jahrhunderts so sehr im Blut, dass auch bei größeren Orchestern kein Dirigent vor der Gruppe stand. Es genügte der Konzertmeister, der Geiger am ersten Pult, der sogenannte Director.

Mit dem beginnenden 19. Jahrhundert wuchs ein anderes Gefühl der Tempogestaltung heran. Es entstand allmählich Bedarf an flexiblen Tempi, an variablen Geschwindigkeiten, welche sich biegsam und schmiegsam um den musizierenden Genius ranken. In der Renaissance und im Barock mussten die Meister der Musik den Tempi folgen, in der Periode der Hochromantik hatten die Tempi ihrem Meister zu folgen. Für die Orchestermusiker bedeutete diese Akzentverlagerung, dass sie plötzlich einen taktierenden Vorgesetzten brauchten. Ohne Dirigent kommt kein romantisches Orchester zurecht. Es leuchtet ein, dass es eine Übergangszeit gegeben haben muss, in der beide Prinzipien parallel in der Musikpraxis vorhanden waren, das Prinzip des Gleichmaßes und das Prinzip der Tempofreiheit.

Es leuchtet ebenfalls ein, dass diese Übergangszeit gekennzeichnet wird durch die Suche nach dem Metronom als Sinnbild des gleichmäßigen Tempos und Garant für die gute alte Zeit. Der Bedarf nach dem gleichmäßigen Ticken des Metronompendels war wie der Ruf nach einem mechanischen Taktschläger, nach einem Kapellmeister-Roboter, der den übenden Schüler unerbittlich im richtigen Rhythmus hält. So gesehen war die Einführung des Metronoms ein rückwärts gerichteter Schritt, ein Symptom der Restauration und ihres Meisters Fürst Metternich.

Gar kein Zufall ist, dass die aktivsten Vorkämpfer des Metronoms zu den reaktionärsten Musikern ihrer Epoche zählten. Voran Antonio Salieri, der im Goldenen Jahrzehnt der Wiener Klassik als Opernkomponist noch große Erfolge buchen konnte, aber sich seit dem Tod Mozarts auf die Kirchenmusik und das Unterrichten seiner Schüler beschränkte. Im zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts hatte der ehemalige Avantgardist sich zu einer konservativen Musikautorität entwickelt.

Neben ihm stand, Schulter an Schulter, der ultrakonservative Ignaz Mosel, der unter Metternich einen dominierenden Posten im Wiener Musikleben einnahm und wegen seiner – für uns absolut schleierhaften – Verdienste für die Musik 1817 in den Adelstand erhoben wurde. Beethovens Kommentar zu ihm:

Trübe fließt die Mosel in den Rhein.

Mosel ging noch weiter als Salieri und wollte das Metronom bei jeder Form von Musikausübung einführen. Hier spürt man die Atmosphäre im Polizeistaat Metternichs mit seiner flächendeckenden Überwachung der Privatsphäre und erstickende Wirkung auf jedes Gefühl von Freiheit, selbst wenn sich diese in einer so unpolitischen Art wie der Musik äußert. Johann Nepomuk Mälzel war ein Geschäftsmann: die Politik war ihm herzlich egal, solange sie seinen geschäftlichen Aussichten nicht im Weg stand. Wenn Mosel das Bedürfnis hatte, aus dieser „Erfindung“ einen Überwachungsapparat zu machen, bitte schön! Mälzel hatte ein anderes Problem.

Im Jahre 1817 war es so weit, dass Mälzels Metronom auf den Markt kam. In London, Paris und München lag der Weg zum Markt offen und frei, aber in Wien, der Haupstadt der Musik, lebte Beethoven, der ungekrönte König aller Komponisten, der berühmteste Musiker der ganzen Welt. Ohne Mitwirkung dieser Person war das Geschäft in Österreich nur halb so lukrativ.

Die Sache mit der Schlachtsinfonie stand aber nach wie vor im Raum. Mälzel hatte Wien seit dem Ausbruch des Konfliktes gemieden, wie er auch Amsterdam gemieden hatte. Die Rückkehr nach Wien wegen der Eroberung des österreichischen Marktes schien schwierig. Kaiser Franz hatte Mälzel zwar im Frühling 1817 seine Lizenz zum Vertrieb des Metronoms erteilt und auch Mosel und Salieri warteten ungeduldig auf die Einfuhr des toten Tempopolizisten, aber Mälzel konnte nicht ahnen, wie Beethoven mit seinem notorisch unberechenbaren Charakter reagieren würde. Geschäftstüchtig, wie er war, hatte er 200 Metronome als Werbegeschenk an prominente Musiker verschickt. Auch Beethoven hatte ein wunderschönes, brandneues Exemplar von Mälzel geschenkt bekommen. Wäre es denkbar, dass er dieses Geschenk als „dummes Zeug“ aus dem Fenster werfen würde?

Der andere Beethoven

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