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4. Kapitel: Die Empfindungen lebendiger Ware, wenn sie den Herrn wechselt
ОглавлениеMr. und Mrs. Shelby hatten sich für die Nacht in ihre Zimmer zurückgezogen. Er lag in einem geräumigen Lehnstuhl und las einige mit der Nachmittagspost angekommene Briefe, und sie stand vor dem Spiegel und kämmte sich die kunstreich zusammengeflochtenen Zöpfe und Locken aus, in welche Elisa ihr Haar geordnet hatte; denn als sie die bleichen Wangen und hohlen Augen des Mädchens sah, hatte sie dasselbe des Dienstes für diesen Abend enthoben und ihr befohlen, sich zu Bett zu legen. Natürlich erinnerte sie ihre jetzige Beschäftigung an das Gespräch, welches sie früh mit dem Mädchen gehabt hatte; deshalb sagte sie in gleichgültigem Ton zu ihrem Gatten:
»Apropos, Arthur, wer war dieser schlecht erzogene Mensch, den du heute mit zu Tisch gebracht hattest?«
»Er heißt Haley«, sagte Shelby, der sich etwas unruhig in seinem Lehnstuhl umdrehte und die Augen nicht von dem Brief abwendete.
»Haley! Was ist er, und was hat er hier zu tun?«
»Ich hatte Geschäfte mit ihm, wie ich das letztemal in Natchez war«, sagte Mr. Shelby.
»Und er glaubte, dadurch das Recht zu haben, hier ganz wie zu Hause zu tun und sich mit an den Tisch zu setzen?«
»Ich habe ihn eingeladen, ich hatte Rechnungen mit ihm in Ordnung zu bringen«, sagte Shelby.
»Ist er ein Sklavenhändler?« sagte Mrs. Shelby, der eine gewisse Verlegenheit im Benehmen ihres Gatten nicht entging.
»Wie kommst du darauf, liebe Frau«, sagte Shelby und sah sie an.
»Nun, Elisa kam nach dem Essen in großer Aufregung und jammernd zu mir und sagte mir, du sprächst mit einem Handelsmann, und sie hätte ihn auf ihren Kleinen bieten hören – das lächerliche Gänschen.«
»So, sagte sie das?« sagte Mr. Shelby und sah wieder die Briefe an, indem er eine Weile ganz vertieft zu sein schien, ohne zu bemerken, daß er dieselben verkehrt hielt.
»Es muß heraus«, sprach er zu sich selbst, »es kostet jetzt nicht mehr als später.«
»Ich sagte Elisa«, sagte Mrs. Shelby, immer noch ihre Haare kämmend, »daß sie mit ihrer Einbildung eine kleine Närrin sei, und daß du dich nie mit solchen Leuten einließest. Natürlich weiß ich, daß du nie daran denkst, einen unserer Leute zu verkaufen – am wenigsten an solch einen Kerl.«
»Das ist auch stets meine Meinung gewesen, Emilie«, sagte ihr Gatte; »aber die Sachen stehen so, daß ich mir nicht mehr anders helfen kann. Ich werde einige von meinen Leuten verkaufen müssen.«
»An diesen Menschen? Unmöglich! Shelby, das kann dein Ernst nicht sein.«
»Es tut mir leid, es bestätigen zu müssen«, sagte Mr. Shelby. »Ich habe Tom verkauft.«
»Was! Unsern Tom – den guten treuen Burschen! – Der von Kind auf dein treuer Diener gewesen ist! – O Shelby! – Und du hast ihm noch dazu seine Freilassung versprochen – du und ich haben sie ihm hundertmal zugesagt. Ja, nun kann ich alles glauben; nun kann ich auch glauben, daß du den kleinen Harry verkaufen könntest, das einzige Kind der armen Elisa!« sagte Mrs. Shelby in einem Ton zwischen Schmerz und Entrüstung.
»Nun, da du alles wissen mußt: Es ist an dem. Ich habe mich bereit erklärt, sowohl Tom wie Harry zu verkaufen, und weiß nicht, warum man mich ausschimpft, als wenn ich ein Ungeheuer wäre, weil ich tue, was jedermann alle Tage tut.«
»Aber warum gerade diese beiden?« sagte Mrs. Shelby. »Warum diese beiden vor allen andern, wenn du überhaupt verkaufen mußt?«
»Weil ich für sie das meiste Geld bekomme – das ist der Grund. Ich konnte eine andere Person wählen, wenn du willst. Der Mann bot mir eine beträchtliche Summe für Elisa, wenn dir das besser gefällt«, sagte Mr. Shelby.
»Der Elende!« sagte Mrs. Shelby heftig.
»Natürlich wollte ich nichts davon hören – aus Rücksicht auf deine Gefühle wollte ich nicht; also rechne mir wenigstens das zugute.«
»Lieber Mann, verzeihe mir«, sagte Mrs. Shelby, die sich etwas gesammelt hatte. »Ich war heftig. Die Sache überraschte mich, und ich war gar nicht darauf vorbereitet; aber gewiß wirst du mir erlauben, für die armen Geschöpfe ein gutes Wort einzulegen. Tom ist ein edler, treuer Bursche, obgleich er ein Schwarzer ist. Ich bin der Überzeugung, Shelby, wenn man es von ihm verlangte, würde er sein Leben für dich hingeben.«
»Das weiß ich, gewiß; aber was nützt das alles, ich kann mir nicht anders helfen.«
»Warum bringst du nicht ein pekuniäres Opfer? Ich will gern meinen Teil dazu beitragen. Ach Shelby, ich habe versucht – treulich versucht, wie es einer Christin zukommt – gegen diese armen, einfältigen, abhängigen Geschöpfe meine Pflicht zu tun. Ich habe sie gepflegt, sie unterrichtet, beobachtet und seit Jahren alle ihre kleinen Schmerzen und Freuden kennengelernt, und wie kann ich ihnen je wieder gerade in das Gesicht sehen, wenn wir wegen eines armseligen Gewinnes einen so treuen vortrefflichen und auf uns vertrauenden Menschen, wie Tom, verkaufen und in einem Augenblick ihm alles entreißen, was wir ihn lieben und wertschätzen gelehrt haben? Ich habe ihnen die Pflichten, die sie als Eltern und Kinder, als Gatte und Gattin haben, gelehrt; und was für eine Miene soll ich zu diesem offenen Bekenntnis machen, daß wir uns um kein Band, um keine Pflicht, um kein Verhältnis, seien sie noch so heilig, kümmern, wenn Geld dagegen in die Waagschale geworfen wird? Ich habe mit Elisa von ihrem Sohn gesprochen – von ihrer Pflicht gegen ihn, als eine christliche Mutter über ihn zu wachen, für ihn zu beten, und ihn christlich zu erziehen; und was kann ich jetzt sagen, wenn du ihn ihr entreißest und ihn Seele und Leib an einen gewissenlosen Mann verkaufst, nur um schnöden Gewinnes willen? Ich habe ihr gesagt, daß eine Seele mehr wert ist als alles Geld auf der Welt, und wie wird sie mir glauben, wenn sie sieht, wie wir uns gegen sie wenden und ihr Kind verkaufen? – Ihn vielleicht der sichern Verderbnis von Seele und Leib weihen!«
»Es tut mir leid, daß du es dir so zu Herzen nimmst, Emilie – ich versichere es dir«, sagte Mr. Shelby, »und ich achte auch deine Empfindungen, obgleich ich mir nicht anmaßen kann, sie in ihrer ganzen Ausdehnung zu teilen; aber ich sage dir jetzt in feierlichem Ernst, es nützt zu nichts – ich kann mir nicht anders helfen. Ich beabsichtigte nicht, es dir zu sagen, Emilie; aber rundherausgesagt, ich habe keine andre Wahl als entweder diese beiden oder meine ganze Habe zu verkaufen. Entweder muß ich sie losschlagen oder alles. Haley ist in Besitz einer Hypothek gekommen, die ich sofort bezahlen muß, oder er ruiniert mich ganz und gar. Ich habe gespart und zusammengescharrt und geborgt und fast gebettelt – und der Wert dieser beiden war noch erforderlich, um die Summe zusammenzubringen. Haley fand Gefallen an dem Kinde; er wollte die Sache so abmachen, aber nicht anders. Er hatte mich in der Hand, und ich mußte es tun. Wenn du ihren Verlust so tief fühlst, würde es denn besser sein, wenn alles verkauft werden müßte?«
Mrs. Shelby stand da wie vom Blitz getroffen. Endlich wendete sie sich ihrem Toilettentisch zu, legte das Gesicht in die Hände und stöhnte laut.
»Das ist der Fluch Gottes über die Sklaverei! – Eine böse, böse, höchst fluchwürdige Sache! – Ein Fluch für den Herrn und ein Fluch für den Sklaven! Ich war eine Torin zu denken, ich könnte ein so tödliches Übel zu etwas Gutem wenden. Es ist eine Sünde, einen Sklaven unter Gesetzen, wie die unsrigen sind, zu besitzen; ich habe es immer gefühlt – ich habe immer so gedacht, als ich noch unverheiratet war – ich wurde noch mehr davon überzeugt, als ich mich der Kirche angeschlossen hatte; aber ich glaubte, ich könnte ihre Häßlichkeit mit einer verschönernden Decke verhüllen –ich glaubte, durch Freundlichkeit und Sorgfalt und Belohnung den Zustand meiner Sklaven besser zu machen als die Freiheit – was für eine Torin ich war!«
»Aber Frau, du wirst ja wahrhaftig eine echte Abolitionistin!«
»Eine Abolitionistin! Wenn die Abolitionisten alles wüßten, was ich von der Sklaverei weiß, so könnten sie reden! Sie brauchen es uns nicht erst zu sagen. Du weißt, ich habe die Sklaverei nie für recht gehalten – und mich nie gern dazu verstanden, Sklaven zu besitzen.«
»Nun, darin unterscheidest du dich von vielen einsichtsvollen und frommen Personen«, sagte Mr. Shelby. »Du erinnerst dich noch an Mr. B.'s Predigt neulichen Sonntag?«
»Ich mag keine solche Predigt hören; ich mag Mr. B. in unserer Kirche nie wieder hören. Geistliche können vielleicht dem Übel nicht abhelfen – können es ebensowenig heilen als wir – aber es verteidigen! – Ich habe es nie begreifen können. Und ich dachte, du hättest auch nicht viel von dieser Predigt gehalten.«
»Nun ja, ich gestehe, daß diese Geistlichen die Sache manchmal weiter treiben, als wir armen Sünder es wagen würden. Wir Geschäftsleute müssen über mancherlei ziemlich stark die Augen zudrücken und uns an manches gewöhnen, was eigentlich nicht ganz recht ist. Aber es gefällt uns doch nicht ganz, wenn Weiber und Geistliche den Mund vollnehmen und in Sachen der Zucht oder Sittlichkeit über uns hinausgehen; das ist ein Faktum. Aber jetzt, liebe Frau, hoffe ich, siehst du die Notwendigkeit der Sache ein und siehst, daß ich noch das Beste getan, was die Umstände erlaubten.«
»O ja, ja!« sagte Mrs. Shelby und befühlte unruhig und gedankenvoll ihre goldene Uhr. »Ich habe keine Juwelen, die der Rede wert wären.« Dann setzte sie hinzu: »Aber wäre nicht mit dieser Uhr etwas zu machen? – Sie kostete viel Geld, als sie gekauft wurde. Wenn ich wenigstens Elisas Kind retten könnte, so würde ich alles opfern, was ich habe.«
»Es tut mir leid, sehr leid, Emilie«, sagte Mr. Shelby, »es tut mir sehr leid, daß es dir so zu Herzen geht; aber es hilft nichts. Die Sache ist vorbei und abgemacht, Emilie: Der Verkaufskontrakt ist schon unterschrieben und in Haleys Händen – und du mußt Gott danken, daß es nicht noch schlimmer ist. Dieser Mann hatte es in seiner Gewalt, uns alle zugrunde zu richten, und jetzt sind wir ihn glücklich los. Wenn du den Mann kenntest wie ich, so würdest du meinen, wir wären noch recht gut davongekommen.«
»Ist er denn so hartherzig?«
»Nun, er ist gerade nicht ein grausamer Mann; aber ein Mann von Leder – ein Mann, der für nichts lebt, als für Handel und Gewinn –, gefühl- und rücksichtslos, unbarmherzig, wie der Tod und das Grab. Er würde seine eigene Mutter gegen eine gute Provision verkaufen, ohne daß er der Alten grade weh zu tun meinte.«
»Und dieser Elende soll unsern guten, getreuen Tom und Elisas Kind besitzen?«
»Ich muß dir wohl gestehen, liebe Frau, daß die Sache mir sehr hart angeht – ich kann gar nicht daran denken. Haley wünscht die Sache rasch abzumachen und morgen in Besitz zu kommen. Ich lasse mir ganz früh mein Pferd satteln und reite fort. Ich kann Tom nicht sehen, das ist ein Faktum, und du tätest besser, eine Spazierfahrt zu arrangieren und Elisa mitzunehmen. Sie können dann das Kind fortnehmen, wenn sie nicht da ist.«
»Nein, nein«, sagte Mrs. Shelby, »ich mag in keiner Weise Mitschuldige oder Gehilfin bei diesem schrecklichen Geschäft sein. Ich werde den armen alten Tom besuchen – Gott helfe ihm in seinem Unglück! Sie sollen wenigstens sehen, daß ihre Herrin für sie und mit ihnen fühlen kann. Was Elisa betrifft, so wage ich gar nicht, daran zu denken. Der Herr vergebe uns! Was haben wir getan, daß uns diese grausame Notwendigkeit trifft?«
Zeugin dieses Gesprächs war eine Person, welche Mr. und Mrs. Shelby nicht im mindesten in Verdacht hatten.
Neben ihrem Zimmer befand sich eine große Kammer, die mit einer Tür auf den äußeren Korridor hinausging. Als Mrs. Shelby Elisa für diese Nacht entließ, hatte fieberhafte Aufregung der letzteren den Gedanken an diese Kammer eingegeben, und sie hatte sich dort versteckt und mit ihrem dicht an eine Spalte in der Tür gepreßten Ohr kein Wort des Gespräches verloren.
Als die Stimmen schwiegen, stand sie auf und schlich sich leise fort. Bleich, von Fieber fröstelnd, mit krampfhaft verzogenem Gesicht und zusammengepreßten Lippen sah sie wie ein ganz anderes Wesen aus, als wie das sanfte und schüchterne Geschöpf, das sie bis dahin gewesen. Vorsichtig bewegte sie sich über den Gang, blieb einen Augenblick vor der Tür ihrer Herrin stehen und erhob die Hände in stummem Flehen zum Himmel und ging dann weiter und schlüpfte in ihr eigenes Zimmer. Es war ein stilles sauberes Stübchen auf demselben Flur wie das Zimmer ihrer Herrin. Dort war das hübsche sonnige Fenster, wo sie so oft sinnend bei ihrer Näharbeit gesessen hatte; dort ein kleines Bücherbrett und daneben ein paar Tändeleien, alles Weihnachtsgeschenke; dort war ihre einfache Garderobe im Wandschrank und in Kästen; hier war mit einem Wort ihre Heimat, und sie hatte im ganzen sehr glücklich hier gelebt. Aber dort auf dem Bett lag ihr schlummernder Knabe, die langen Locken nachlässig um das noch nichts ahnende Gesicht wallend, den rosigen Mund halb geöffnet, die runden Händchen oben auf der Bettdecke liegend, und ein Lächeln, wie ein Sonnenstrahl über das ganze Gesicht gebreitet.
»Armer Knabe! Armes Kind!« sagte Elisa. »Sie haben dich verkauft! Aber deine Mutter wird dich noch retten!«
Keine Träne fiel auf dieses Kissen. In solchen Drangsalen hat das Herz keine Tränen übrig; es entfließt ihm nur Blut, und es verblutet sich schweigend. Sie nahm ein Stück Papier und einen Bleistift und schrieb hastig.
»Ach Missis! Gute Missis! Halten Sie mich nicht für undankbar – denken Sie wenigstens nicht schlecht von mir. – Ich habe alles gehört, was Sie und der Herr heute abend miteinander sprachen. Ich will versuchen, meinen Knaben zu retten – Sie werden mich nicht tadeln! Gott segne Sie und belohne Sie für alle Ihre Güte.«
Nachdem sie dies hastig zusammengebrochen und adressiert hatte, zog sie einen Kasten auf und packte ein kleines Bündel Kleidungsstücke für ihren Knaben zusammen, das sie mit einem Schnupftuch fest um den Leib band; und so zärtlich ist das Gedächtnis einer Mutter, daß sie selbst in den Schrecken dieser Stunde nicht vergaß, eine oder zwei seiner Lieblingsspielsachen einzupacken und einen buntgemalten Papagei aussuchte, um ihn damit zu unterhalten, wenn sie ihn wecken mußte. Es kostete einige Mühe, den kleinen Schläfer zu ermuntern; aber endlich saß er auf seinem Bettchen und spielte mit dem Vogel, während seine Mutter den Hut aufsetzte und das Tuch umband.
»Wo willst du hin, Mutter?« sagte er, als sie mit seinem Röckchen und Mützchen auf ihn zukam.
Die Mutter stellte sich vor ihn hin und sah ihm mit solchem Ernst in die Augen, daß er gleich erriet, daß etwas Ungewöhnliches im Werk war.
»Still, Harry«, sagte sie, »darfst nicht laut sprechen oder sie hören uns. Ein böser Mann wollte kommen, um den kleinen Harry wegzuholen von seiner Mutter und im Finstern weit wegzutragen; aber Mutter leidet das nicht – sie setzt ihrem kleinen Sohn die Mütze auf und zieht ihm den Rock an und läuft mit ihm fort, daß ihn der böse Mann nicht haschen kann.«
Mit diesen Worten hatte sie das Kind bald in seinen einfachen Anzug gekleidet, nahm es auf den Arm, flüsterte ihm zu, ganz ruhig zu sein, öffnete die nach der äußeren Veranda gehende Tür und schlich geräuschlos hinaus.
Es war eine klare sternenhelle Nacht, und die Mutter hüllte ihr Kind dicht in das Tuch, wie es ganz still vor unerklärlichem Entsetzen sich um ihren Hals klammerte.
Der alte Bruno, ein großer Neufundländer, der am Ende der Veranda schlief, stand leise knurrend auf, als sie sich näherte. Sie rief ihn halblaut beim Namen, und das Tier, ein alter Günstling und Spielkamerad von ihr, wedelte sofort mit dem Schwanze und machte sich bereit, ihr zu folgen, obgleich es allem Anschein nach seinem einfachen Hundeverstande viel zu schaffen machte, was ein so seltsamer Mitternachtsspaziergang bedeuten solle. Einige dunkle Ahnungen von der Unvorsichtigkeit oder Unschicklichkeit dieses Schrittes schienen ihm viel Kopfzerbrechen zu verursachen; denn er blieb oft stehen, wie Elisa vorwärts eilte, und sah fragend erst sie und dann das Haus an, und kam dann, als hätte ihn das Nachdenken beruhigt, wieder nachgezottelt. Nach wenigen Minuten standen sie an dem Fenster vor Onkel Toms Hütte, und Elisa klopfte leise an die Scheibe.
Das Meeting und Hymnensingen hatte bei Onkel Tom bis zu einer ziemlich späten Stunde gedauert, und da Onkel Tom sich nachher noch an einigen langen Solos erbaut hatte, so war er und seine würdige Lebensgefährtin noch nicht zu Bett, obgleich es schon zwischen 12 und 1 Uhr war.
»Guter Gott! Was ist das?« sagte Tante Chloe, indem sie auffuhr und rasch den Vorhang zurückzog. »So wahr ich lebe, 's ist Lizzy! Zieh dich an, Alter, rasch! Da kratzt auch der alte Bruno draußen – was gibt's nur? Ich will gleich aufmachen.«
In der Tat öffnete sich auch sofort die Tür, und das Licht der Unschlittkerze, welche Tom hastig angezündet hatte, fiel auf das angstverzerrte Gesicht und die dunklen verstörten Augen der Entflohenen.
»Gott sei bei uns! Man erschrickt ja vor dir, Lizzy! Bist du krank, oder was ist dir zugestoßen?«
»Ich laufe fort, Onkel Tom und Tante Chloe – bringe meinen Knaben fort. Der Herr hat ihn verkauft!«
»Ihn verkauft!« wiederholten beide und erhoben die Hände in namenlosem Schrecken.
»Ja, ihn verkauft«, sagte Elisa fest; »ich schlich mich heute abend in die Kammer hinter unserer Herrin Stube und hörte den Herrn der Herrin erzählen, daß er meinen Harry und dich, Onkel Tom, einem Sklavenhändler verkauft habe, und daß er selbst diesen Morgen fortreiten wollte, und daß der Mann heute die Gekauften in Besitz nehmen werde.«
Tom hatte während dieser Rede mit erhobenen Händen und weit offenen Augen, als träume er, dagestanden. Wie er die Bedeutung des Gehörten langsam und allmählich begriff, setzte er sich nicht, sondern fiel vielmehr auf seinen alten Stuhl und ließ den Kopf bis auf die Knie herabsinken.
»Der gute Gott erbarme sich unser!« sagte Tante Chloe. »O, das kann ja gar nicht wahr sein! Was hat er denn getan, daß ihn Master verkaufen sollte?«
»Er hat nichts getan; – deshalb ist es nicht. Der Herr will nicht verkaufen und Missis – die ist immer gut. Ich hörte sie für uns sprechen und bitten; aber er sagte ihr, es helfe nichts – er sei dem Manne Geld schuldig, und dieser habe ihn in der Hand – und wenn er ihn nicht vollständig bezahle, so würden zuletzt die Besitzung und alle Leute verkauft werden und er ins Elend gehen müssen. Ja, ich hörte ihn äußern, daß keine Wahl übrig sei zwischen dem Verkauf dieser beiden und dem Verkauf von allem, so hart setze ihm der Mann zu. Der Herr sagt, es tut ihm sehr leid, aber ach, Missis! – die hättet ihr reden hören sollen! Wenn sie keine Christin und kein Engel ist, so hat es nie welche gegeben. Es ist schlecht von mir, daß ich sie so verlasse; aber ich kann nicht anders. Sie selbst sagte, eine Seele sei mehr wert, als alles Geld auf der Welt, und dieser Knabe hat eine Seele, und wenn ich ihn von mir lasse, wer weiß, was aus ihm wird? Es muß recht sein, aber wenn es nicht recht ist, so möge mir der Herr vergeben, ich kann nicht anders.«
»Nun, Alter«, sagte Tante Chloe, »warum gehst du nicht auch? Willst du dich nach dem Flusse unten verhandeln lassen, wo sie die Nigger mit Plackerei und Hunger unter die Erde bringen? Viel lieber wollte ich jeden Tag sterben, als dorthin gehen! Du hast noch Zeit vor dir: Entfliehe mit Lizzy – du hast ja einen Paß, der dir erlaubt, zu gehen und zu kommen, wie du Lust hast. Komm, steh auf, und ich will dir deine Sachen zusammenpacken.«
Tom erhob langsam das Haupt und blickte bekümmert aber ruhig um sich und sagte:
»Nein, nein: Ich gehe nicht. Laß Elisa gehen – sie hat ein Recht dazu. – Ich werde das gewiß nicht leugnen. Es liegt nicht in der menschlichen Natur, daß sie bleiben sollte, aber du hast gehört, was sie sagte: Wenn entweder ich verkauft werden muß oder alle Leute auf dem Gute und alles zugrunde gehen muß, so mögen sie lieber mich verkaufen. Ich glaube, ich kann es so gut tragen wie jeder andere«, setzte er hinzu, während etwas wie ein Schluchzen und ein Seufzer seine breite zottige Brust krampfhaft erschütterte. »Der Herr hat mich immer auf meinem Posten gefunden – und so soll's bleiben. Ich habe nie sein Vertrauen getäuscht oder meinen Paß anders gebraucht, als ich versprochen hatte, und ich werde es niemals tun. Es ist besser, wenn ich allein fortkomme, als wenn das ganze Gut fortgeht und verkauft wird. Master ist nicht zu tadeln, Chloe, und er wird sorgen für dich und die armen –«
Hier drehte er sich nach dem Rollbett voll von kleinen wolligen Köpfen um und konnte sich nicht länger halten.
Er lehnte sich über den Rücken des Stuhls zurück und bedeckte das Gesicht mit den beiden großen Händen. Tiefes heiseres und lautes Schluchzen erschütterte den Stuhl, und große Tränentropfen rollten durch die Finger auf den Fußboden.
»Erst heute nachmittag sah ich meinen Mann und ahnte nicht im mindesten, was nun kommen sollte«, sagte Elisa, die immer noch an der Tür stand. »Sie haben ihn auf das Äußerste gebracht, und er sagte mir heute, daß er fortlaufen wollte. Ich bitte euch, seht zu, daß ihr mit ihm sprechen könnt. Sagt ihm, wie und warum ich entflohen bin; und sagt ihm, daß ich versuchen werde, Kanada zu finden. Grüßt ihn von mir und sagt ihm, wenn ich ihn nie wiedersehe« – sie wandte sich ab und hatte ihnen eine Weile den Rücken zugekehrt und fügte dann mit heiserer Stimme hinzu: »Sagt ihm, er solle so gut sein, als er kann, und sich so betragen, daß er mich im Himmel wiedersieht.
Ruft Bruno herein«, sagte sie noch. »Schließt ihn hier ein, das arme Tier! Er darf nicht mit mir gehen.«
Noch ein paar letzte Worte und Tränen, ein paar einfache Lebewohls und Segnungen und sie schlüpfte geräuschlos fort, das verwunderte und erschrockene Kind fest in den Armen haltend.