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5. Dezember

Herr Schneemann war von der Frage von Fräulein Engel wenig beeindruckt. „Sie sehen doch, wie unsere Welt aussieht“, sagte er. „Jeder lebt sein Leben, jeder sitzt in seinem Bett, jeder lässt den anderen in Ruhe, solange der andere einen selbst auch in Ruhe lässt. So ist die Welt. Ende, aus, Nikolaus.“

Herr Nikolaus horchte auf: „Wie bitte? Was hab ich denn damit zu tun?“

„Nichts. Das war nur ein Sprichwort.“

„Und wenn Sie mich schon ansprechen, Herr Schneemann: Ich weiß, dass es draußen in der Welt – also in der anderen Welt – tatsächlich etwas gibt, das sich Liebe und Barmherzigkeit nennt.“

„Pah! Woher wollen Sie das wissen? Sind Sie etwa schon in anderen Welten gewesen?“

„Nein. Aber der wirkliche Nikolaus. Der war voll von Liebe und Barmherzigkeit! Er hat arme Kinder mit Äpfeln und Nüssen versorgt. Der Nikolaus weiß, was es heißt, Menschen in Not zu helfen!“

„Sie sind ein Dummschwätzer! Unsere Welt endet oben, unten und an den Seiten in Form einer stabilen Pappwand. Dahinter ist nichts außer dem Hausbesitzer und seinem Reich des Schokoladengenießers. Und auch das Gerede von Liebe und Barmherzigkeit ist nur etwas für Leute, die zu viel Zeit haben!“

Herr Nikolaus stemmte seine Hände in die Seite. „Sie unterkühlter Schokoladenkopf! Natürlich gibt es Liebe und Barmherzigkeit! Ich bin der Beweis dafür!“

„Na sehr schön!“, polterte Herr Schneemann. „Dann helfen Sie doch den armen Abgestürzten da unten im Keller!“

„Nein, das geht leider nicht. Denn ich kann weder fliegen, noch fahren. Und ich bin am Sechsten dran. Das kann ich nicht riskieren!“

„Wie bitte?“, donnerte da Frau Glocke los. „Sie reden von Liebe und Barmherzigkeit und sind nicht bereit, den armen Schokotäfelchen zu helfen, wieder in ihre Zimmer zu kommen?“ Sie schaukelte vor und zurück, holte ordentlich Schwung und schleuderte sich mit einem gekonnten Sprung einen Stock höher in das leere Bett von Herrn Mond. Hier hängte sie sich neu ein, schwang sich noch eine Etage höher und landete bei Herrn Nikolaus.

„So, und jetzt beweisen Sie gefälligst Ihre Barmherzigkeit!“ Frau Glocke trat Herrn Nikolaus mit ihrem Klöppel in den Po. Herr Nikolaus stürzte mit einem lauten Schrei ab und konnte sich gerade noch an Herrn Korb festhalten.

Herr Schneemann im obersten Stock lachte laut. „Das geschieht ihm recht! Große Geschichten erzählen kann er. Aber anderen helfen kann er nicht!“

„Sie nehmen Ihren Mund ein bisschen sehr voll, Herr Schneemann!“ Frau Glocke schwang sich noch eine Etage höher und gab dem frechen Herrn einen ordentlichen Stoß. Herr Schneemann kippte zur Seite. Aber bevor er in die Tiefe stürzen konnte, klammerte er sich an Frau Glocke fest, die noch nicht wieder sicheren Halt gefunden hatte. Mit einem lauten Schrei fielen beide nach unten und rissen sogar Frau Ente noch mit. Und weil Frau Glocke wirklich eine schwere Persönlichkeit und das Haus nur aus Pappe war, brach der untere Papprand des Adventskalenders auf. Sechs Schokoladentäfelchen purzelten heraus auf den Fußboden.

„Wo sind wir hier?“, fragte Herr Schneemann verwundert und schaute sich um.

Frau Stern rieb sich die Hüfte: „Ich würde sagen, wir befinden uns in genau der Welt, die Sie nicht für möglich gehalten haben, Herr Schneemann.“

Darauf wusste Herr Schneemann nichts zu erwidern.

Es vergingen eine Nacht und ein halber Tag, bis der Junge wieder ins Zimmer kam.

„Wir müssen uns verstecken!“, schrie Frau Stern. „Der Junge darf uns so nicht sehen!“

Frau Glocke rollte, Herr Schneemann hopste. Herr Zwerg nahm Frau Laterne in die Hand und rannte zur Seite. Frau Ente griff sich Frau Stern und flatterte unter großen Mühen bis unter ein Regal, das ihnen am nächsten stand. Der Hausbesitzer öffnete die Tür Nummer Fünf, holte Herrn Apfel heraus und verließ vergnügt schmatzend das Zimmer.

Nachdem die sechs Täfelchen eine Weile verschnauft hatten, hob Frau Ente ein Flügelchen: „Ich habe auch noch eine interessante Frage.“

Die anderen wandten sich zu ihr um: „Welche denn?“

„Wie kommen wir wieder nach oben in unsere Welt, damit der Hausbesitzer uns an unserem Tag herausholen kann?“

Flucht aus dem Adventskalender

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