Читать книгу Ben und Lasse - Agenten mit zu großer Klappe - Harry Voß - Страница 7
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ОглавлениеAls ich mittags nach Hause komme, empfängt mich sofort mein Bruder Lasse, der natürlich schon viel früher als ich Schulschluss hat: „Ben, ich hab eine heiße Spur!“
Oha. Mein Bruder, der Super-Agent.
„Jetzt bin ich aber gespannt.“
„Pass auf. Du wirst staunen.“ Lasse zieht mich am Arm ins Haus und lässt mir noch nicht mal Zeit, meine Schultasche abzustellen. „Bei uns auf dem Schulhof gab es heute eine Prügelei. Bei uns gibt es ganz oft eine Prügelei. Aber heute war daran etwas besonders. Leon aus der dritten Klasse hat sich geprügelt. Das war auch noch nichts Besonderes, denn der prügelt sich ganz oft. Aber heute hat er zu dem anderen, mit dem er sich geprügelt hat, gerufen: ‚Wart’s ab! Mein Bruder hat bald so viel Geld, dass meine Eltern nie mehr arbeiten gehen müssen!‘“
„Aha.“ Ich tu so, als würde mich das wirklich interessieren. „Und was ist das für eine heiße Spur?“
„Kapierst du das denn nicht, Ben? Leon hat gesagt, sein Bruder hat bald so viel Geld, dass die Eltern nie mehr arbeiten müssen! Und woher hat der Bruder wohl so viel Geld? Von dem Zeug, das er geklaut hat!“
„Ach, Lasse!“ Jetzt muss ich doch erst mal meine Schultasche abstellen. „Das heißt doch überhaupt nichts! Erstens kann es sein, dass der Kleine nur angegeben hat, um sich wichtig zu machen. Zweitens: Wenn der Bruder wirklich bald viel Geld hat, dann kann das ganz viele Gründe haben. Das muss nicht unbedingt mit dem Einbruch zu tun haben!“
„Muss nicht, kann aber!“ Lasse lässt nicht locker. „Außerdem ist Leon kein Kleiner! Er geht immerhin schon in die dritte Klasse! Der ist schon ein Großer!“
„Alles klar. Ein Großer. Aber nicht so groß wie ich.“
„Genau, Ben! Darum kannst du ihn locker besiegen! Oder zumindest mal befragen! Sein Bruder geht doch auf deine Schule, oder nicht?“
„Keine Ahnung. Ich kenne keinen Leon.“ Ich bewege mich Richtung Badezimmer. Wenn ich aus der Schule komme, muss ich immer erst mal aufs Klo.
Lasse geht mir hinterher: „Klar kennst du den! Leon Kopinska! Der Bruder ist doch auch bei der Jugendfeuerwehr! Und immer, wenn Stadtfest ist, dann ist der Bruder in irgendeine Prügelei verwickelt. Weißt du nicht?“
„Ach doch, jetzt weiß ich es.“ Ich bin beim Bad angekommen und geh hinein. Lasse folgt mir bis zur Toilettenschüssel. Ich schiebe ihn nach draußen. „Hallo? Darf ich vielleicht mal ungestört aufs Klo gehen?“
„Ach so, doch. Na klar.“
Lasse geht raus, ich schließe die Tür von innen ab und setze mich aufs Klo.
„Wie heißt der Bruder von Leon noch mal?“, fragt Lasse durch die Badezimmertür.
„Dominik“, rufe ich zurück. „Aber kannst du mich jetzt mal in Ruhe lassen?“
„Ich lass dich doch in Ruhe!“, ruft Lasse zurück. „Ich warte hier ganz leise.“
„Nein, warte in deinem Zimmer!“
„Du hast nicht über mich zu bestimmen, wo ich warten soll!“
„Nein, aber kann ich denn nicht mal hier auf der Toilette meine Ruhe haben?“
„Du hast doch deine Ruhe! Ich sag doch gar nichts!“
„Jetzt hau ab!“, schimpfe ich.
Es ist still. Ist er endlich weggegangen? Oder sitzt er etwa immer noch vor der Tür? Ich kann es nicht leiden, wenn ich auf dem Klo sitze und jemand anderes hört mir dabei zu.
„Lasse?“, frage ich vorsichtig durch die Tür.
Keine Antwort.
Okay, er ist weg. Ich kann mich in Ruhe meinem Geschäft zuwenden.
Zehn Minuten später bin ich fertig. Ich wasche mir die Hände und öffne die Badezimmertür. Lasse purzelt samt Tür ins Bad hinein, direkt vor meine Füße. Er hat also die ganze Zeit vor der Tür gesessen und sich daran angelehnt.
„Spinnst du?“, schimpfe ich von Neuem. „Hast du mich belauscht?“
„Da gab es nichts zu lauschen“, sagt Lasse. „Außer einmal. Da hast du lauter gepupst als Papa, wenn er auf dem Klo sitzt. Das war lustig. Wie hast du das gemacht?“
Ich glaub es einfach nicht. Ich nehme meine Schultasche und gehe in Richtung meines Zimmers.
Lasse folgt mir immer noch: „Das war eine heiße Spur, die ich da gefunden habe, was? Also, nicht dein Pups, sondern die Sache mit Leon! Er hat ja beinahe zugegeben, dass sein Bruder was mit dem Einbruch zu tun hat. Du musst ihn unbedingt befragen! Du bist doch der Geheim-Agent!“
„Lass mich in Ruhe, Lasse“, maule ich und geh in mein Zimmer. „Ich glaub nicht, dass das was damit zu tun hat.“
Und ohne eine weitere Antwort von meinem Bruder abzuwarten schließe ich die Tür vor seiner Nase. Hier kann er von mir aus lauschen, bis er schwarz wird. Hier wird er keinen Pups mehr von mir hören.
Beim Abendessen erzählt Lasse von dem Einbruch und was Maria über den Hausmeister berichtet hat. Papa hat natürlich auch von dem Einbruch gehört, aber normalerweise erzählt er nichts von der Arbeit. „Polizeiliche Ermittlungen dürfen wir nicht ausplaudern“, sagt er dann immer. Aber heute kann Lasse ihm ein bisschen was über den Fall entlocken: Zwei Polizisten sind heute Morgen in der Schule gewesen und haben nach Spuren gesucht. Man hat jede Menge Fingerabdrücke gefunden. Aber das ist ja ganz normal, denn in den Technikraum gehen jeden Tag mehrere Leute rein und raus. Zwei Beamer, ein Mischpult, mehrere Headsets sind gestohlen worden. Headsets sind besonders teure Mikrofone, die man sich an die Ohren klemmt und dann ist das kleine Mikro direkt neben dem Mund. Gesamtwert: zwischen 4000 und 5000 Euro. Der entstandene Schaden ist aber viel höher, denn die Tür und das Fenster müssen ja auch ersetzt werden.
„Ich weiß, wer das war“, sagt Lasse und nickt. „Dominik Kopinska.“
Papa runzelt die Stirn. „Wer sagt das?“
„Sein Bruder Leon. Der hat heute auf dem Schulhof gesagt, sein Bruder hat bald so viel Geld, dass seine Eltern nie mehr arbeiten gehen müssen.“
„Weil er für fünftausend Euro Zeug geklaut hat?“ Papa schüttelt den Kopf. „Lass die Kopinskas mal da raus. Die haben im Moment wirklich genug mit sich selbst zu tun.“
„Wieso?“, fragt Lasse. „Was ist denn mit denen?“
Aber Papa sagt nichts mehr dazu. Und dann unterhalten sich Mama und Papa über andere Themen.
Der Einbruch in der Schule ist auch am nächsten Tag noch das Gesprächsthema Nummer eins. Maria hat über Elisabeth und Hanna und deren Vater gehört, dass die Fingerabdrücke an der Tür und im Technikraum jetzt untersucht werden sollen. Die Lehrer haben alle ihre Fingerabdrücke bei der Polizei abgeben müssen. Nicht, weil sie verdächtigt werden, sondern damit die Polizei von den vielen Fingerabdrücken im Technikraum schon mal weiß, welche harmlos sind und sicher nicht zu dem Einbrecher gehören.
In der Pause schleiche ich mich noch mal in den Flur vor dem Technikraum. Es stehen keine Erwachsenen mehr herum, aber ein rot-weißes Flatterband versperrt mir den weiteren Durchgang. Ich sehe die Tür, die nur angelehnt ist, weil der Türgriff immer noch fehlt. Neben der zerstörten Tür ist die Tür zum zweiten Technikraum. Diese Tür ist verschlossen und nicht kaputt. Aber wenn ich genauer hinschaue, hab ich den Eindruck, als wären da auch dicke Kratzer an der Tür. So als hätte jemand versucht, auch diese Tür aufzubrechen. Ich bücke mich und will gerade vorsichtig unter dem Flatterband hindurchkriechen, da höre ich von hinten eine laute Stimme: „Was machst du da?“
Ich wirble herum und sehe Hausmeister Merkendorf auf mich zukommen: „Weg da, aber ganz schnell!“
Ich nehme all meinen Mut zusammen und berichte von meinen Entdeckungen: „Haben Sie gesehen, dass an der anderen Tür auch Spuren sind?“
„Natürlich haben wir das gesehen“, schimpft er. „Wir sind ja nicht blind!“
„Vielleicht wollte da auch jemand einbrechen.“
„Na klar wollte da jemand einbrechen! Da stehen ja die wirklich wertvollen Geräte drin!“
„Welche denn?“
„Na, der Rollschrank mit 30 Notebooks, einer Ladestation und einem ganz modernen Projektor! Der ist doch jeden Tag hier im Einsatz!“
Ich nicke interessiert. Notebooks. Diese tragbaren Computer zum Aufklappen. So einen hat Papa auch zu Hause. Und dann dreißig Stück davon. Das ist sicher mehr wert als der Beamer und das Mischpult aus dem anderen Raum. „Dann hatte es der Einbrecher vielleicht auf diesen Rollschrank abgesehen“, sage ich.
„Logisch! Aber die Stahltür kriegt man nicht so schnell auf. Da muss er sie schon aufsprengen oder so.“ Er packt mich an den Schultern und schiebt mich auf den Flur zurück. „So, und jetzt ab mit dir auf den Schulhof. Das hier ist kein Spielplatz. Und die Ermittlungen überlass mal lieber der Polizei!“
„Wie viel ist denn dieser Rollschrank mit den Computern wert?“, will ich noch wissen, während mich Herr Merkendorf nach draußen begleitet.
„Zwanzigtausend mal mindestens“, antwortet er. „Wenn nicht sogar dreißigtausend.“
„Euro“, ergänze ich.
„Nein, Gummibärchen.“ Wir sind an der Tür zum Schulhof angekommen. Sehr lustig, der Hausmeister. Na gut, vielleicht war meine Bemerkung mit den Euro etwas dumm. Natürlich zwanzigtausend Euro. Was sonst?
Langsam schlendere ich über den Pausenhof. Es gibt also zwei Technikräume. Einer mit den Beamern und den Mikrofonen und einer mit den 30 Notebooks. Der Einbrecher ist durch das Fenster in den ersten Technikraum eingebrochen, hat die Tür zum Flur aufgebrochen und wollte in den zweiten Technikraum eindringen. Das ist ihm aber nicht gelungen. Also hat er mitgenommen, was er im ersten finden konnte, und ist damit abgehauen. Hm.
Im hinteren Bereich des Schulhofs seh ich Dominik Kopinska. Er hat die Hände tief in seinen Hosentaschen vergraben und lehnt an der Hauswand. Neben ihm stehen noch zwei andere Jugendliche aus der neunten Klasse. Die Idee von Lasse, dass Dominik der Einbrecher war, ist natürlich Quatsch. Andererseits: Wenn Dominik wirklich vorgehabt hat, die Notebooks zu klauen, dann hat er mit einer viel größeren Beute gerechnet als nur mit fünftausend Euro aus dem ersten Raum. Und dann könnte er sogar recht haben mit seiner Ankündigung, dass er bald sehr viel Geld besitzen würde. Ich schlendere mit meinem Pausenbrot ganz gemütlich und unauffällig in die Nähe der drei großen Jungs. Ich schau gar nicht zu ihnen. Ich tu so, als wäre ich völlig in Gedanken vertieft und dreh den Jungen meinen Rücken zu. Aber ich versuche so angestrengt wie möglich, etwas von dem zu verstehen, was die drei da reden. Sie sprechen aber sehr leise und ich trau mich nicht näher ran.
„Beim nächsten Mal pass ich besser auf und dann mach ich den fertig“, verstehe ich endlich was. Das war einer der Freunde, dessen Namen ich nicht weiß.
„Das schaffst du sowieso nicht“, lacht der andere Fremde.
Ich bleibe stehen und strenge mich noch mehr an. Jetzt wird es interessant.
„Heut Abend um acht. Bist du dabei?“
„Klar. Wie immer. Ist Antonio auch dabei?“
„Keine Ahnung. Glaub schon. War gestern zumindest auch da.“
„Diesmal schlag ich ihn.“
„Kannste vergessen.“ Freches Lachen.
„Was ist mit dir, Domme?“
Domme? Sicher ist Dominik gemeint. Zumindest ist er es jetzt, der antwortet: „Nee, glaub nicht. Keine Zeit.“
„Na, komm schon“, sagt einer der beiden anderen. „Mit dir macht es viel mehr Spaß.“
„Keine Zeit“, wiederholt Dominik.
„Ich frag noch Pascal“, sagt der erste, „der ist so gut wie unbesiegbar.“
„Das stimmt“, lacht der zweite. „Der überlebt immer und alle anderen sterben.“
Ein Stich fährt durch meinen Bauch. Was hab ich da gerade gehört? Pascal überlebt und die anderen sterben? Hab ich es hier mit Mördern zu tun? Obwohl ich die ganze Zeit vor mich auf den Boden gestarrt habe, schau ich jetzt hoch und dreh mich zu den drei Jungen um.
„Ja“, sagt der erste wieder. „Beim letzten Mal war ich auch sofort tot und Pascal hatte noch drei Leben!“
Dominik, der in der Mitte der Jungen steht, schaut mich an. „Was willst du?“, fragt er barsch.
„Nichts“, stammle ich und verschluck mich sofort an meinem Pausenbrot. Ich huste wie ein Doofer und geh weiter. Ich dreh mich noch mal um und sehe, dass die Jungen weiterreden, ohne auf mich zu achten. Der eine war tot und der andere hatte noch drei Leben! Jetzt ist mir alles klar: Die haben über ein Computerspiel geredet. Da überlebt man schon mal und alle anderen sterben. Wenn man gut ist. Oh Mann. Ich Blödmann. Zum Glück hab ich das letzte noch mitbekommen, sonst hätte ich echt gedacht, ich bin Mördern auf der Spur.