Читать книгу Wien by NENI - Haya Molcho - Страница 42
ОглавлениеDoch zunächst ist Sascha nicht zu sehen – er steht mit Andi in der Küche und gibt einem köstlichen Blumenkohlpüree den letzten Schliff. Alle Teile des Gemüses hat er verwendet, das ist ihm wichtig, und er richtet auch alle wunderschön an. Nachdem die Köche aus der Küche kommen, setzen wir uns zusammen. Andi stellt uns vor, er und Sascha kennen sich von ihrer Arbeit in mehreren Wiener Restaurants, im Tian und zuvor im Fuhrmann.
Sascha spricht leise, manchmal mit einem ironischen Lächeln. Er wirkt bedacht und bescheiden, gleichzeitig wird schnell klar, wie leidenschaftlich er für das Kochen und die Keramik brennt. Als Koch hatte er bereits eine beeindruckende Karriere hinter sich, als er vor zwei Jahren mit dem Töpfern begann. Die Begeisterung packte ihn sofort und er spürte, dass er in dieser Handarbeit den bestmöglichen Ausgleich zum Kochalltag gefunden hatte: Die Arbeit als Koch ist oft sehr stressig, man muss unter enormem Zeitdruck perfekte Ergebnisse liefern. Das Formen eines Topfes oder einer Vase hingegen erfordert Ruhe und Geduld. In gewisser Weise hat die Keramik auch sein Interesse am Kochen neu geweckt: Sascha kreiert individuelle Teller speziell für bestimmte Gerichte.
Mit seinen 30 Jahren sieht er sich als Teil einer neuen Generation von österreichischen Köchen, die es vor zehn Jahren so noch nicht hätte geben können. Seine Küche ist stark regional und saisonal geprägt, mit sehr bodenständigen Lieferanten aus der Umgebung. Er legt großen Wert auf Nachhaltigkeit und ist ein gutes Beispiel für junge Köche, die traditionelle Gerichte neu interpretieren, inspiriert durch Reisen in unterschiedlichste Länder.
Seine Liebe zur Töpferei hat er zufällig entdeckt, während eines herbstlichen Ganslessens im Landhaus der Mutter einer Freundin. Dort befand sich direkt neben der Küche ein Töpferstudio. Als er aufgefordert wurde, sein Glück an der Töpferscheibe zu versuchen, ließ er sich nicht zweimal bitten – und war begeistert von diesem Erlebnis. Zurück in Wien kaufte er sich eine eigene Töpferscheibe, die heute noch in seinem Wohnzimmer steht, und Zubehör. Schließlich erstand er einen großen Brennofen, der einen Platz in der Garage seiner Mutter fand. Sein Traum ist es, den Ton für seine Töpferarbeiten selbst zu graben, schon jetzt mischt er seine eigenen Glasuren mit Mineralien aus dem Burgenland. Es wird schnell klar: Sascha hat mit der Töpferei nicht nur eine neue Leidenschaft gefunden, das Töpfern hat seinen Lebensweg nachhaltig geändert.
Fragt man ihn nach seiner ersten großen Leidenschaft, dem Kochen, dann führt die Antwort ins beschauliche Kritzendorf nördlich von Wien. Als Kind hat er dort seine Großmutter in der Küche beobachtet, sie hat die Liebe zum Essen und zum Kochen in ihm geweckt. Sein erster großer Lehrer und Mentor als Koch wurde Josef Floh, Inhaber des Restaurants Der Floh in Langenlebarn, unweit von Wien. Er war einer der Ersten, die in Österreich aus lokalen Bio-Produkten unkonventionelle, raffinierte Gerichte kreierten, in denen Bodenständigkeit sich mit Spitzenqualität verbindet. Sascha war sehr lernbegierig, schätzte den intensiven Fokus auf Regionalität, war fasziniert von der Arbeit mit Wildbret. Auch im Plachutta, der ersten Adresse für klassische Wiener Rindfleischküche, hat er Erfahrung gesammelt.
Was bedeutet die Arbeit als Koch für ihn, wollen wir wissen. „Verantwortung“, meint er, „vor allem großen Respekt für die Zutaten“. Schicke modische Trends sind nicht Seins. Er kann sich begeistern für die unterschiedlichen Konsistenzen von Gemüsen, von Wiesenpflanzen und Kräutern, aber ebenso auch fürs Beizen und Fermentieren. Viele seiner Gerichte entstehen aus dem, „was gerade in der Küche herumliegt oder übrig bleibt“, aus allen Teilen eines Tieres oder einer Pflanze. Der Gedanke, etwas wegzuwerfen, schmerzt ihn, und sei es nur ein Stück Zwiebel. Er setzt hinzu: „Überlegen Sie nur, wie lange es gedauert hat, bis diese Zwiebel gewachsen ist.“ Er liebt es, Innereien zuzubereiten. Einem Freund, der behauptete, er würde niemals Zunge essen, servierte er einmal dünne Scheiben Zunge in einem leckeren Jus mit viel Gemüse, ohne ihn zu warnen. Der Freund war begeistert von dem köstlichen Essen und lieferte unfreiwillig den Beweis, wie wichtig die psychologische Komponente beim Genuss ist.
Und wie ergänzen sich der Koch und der Töpfer in ihm? Sascha sieht viele Ähnlichkeiten zwischen Kochen und Töpfern. So wie er es nicht mag, an feste Rezepte gebunden zu sein, experimentiert er, wenn er die Glasur für eine Vase oder einen Teller vorbereitet. Er beschreibt den Prozess: „Vielleicht könnte hier ein wenig mehr Kupfer oder eine Prise Eisen ein großartiges Ergebnis bringen. Das Kneten von Ton oder Teig ist so taktil. Was im Brenn- oder Backofen passiert, ist in seiner Vielfalt unendlich faszinierend. Das langsame Aufheizen des Brennofens auf 1200 °C, 150 °C pro Stunde, erfordert Geduld und das Abkühlen über zwei oder drei Tage erst recht.“ Als wir fragen, ob er sein Kochen und Töpfern für eine Kunst hält, antwortet er mit der für ihn typischen Mischung aus Understatement und Bodenständigkeit: „Ich will ein Handwerker sein. Beides ist mein Handwerk.“
In Zukunft sieht sich Sascha sowohl als Töpfer als auch als Koch. Er wurde zum Küchenchef des Restaurants Schubert in der Wiener Innenstadt bestellt, das im Sommer 2020 unter neuer Leitung eröffnet hat. Sein neuer Arbeitsplatz bietet ihm Raum für ein eigenes Töpferstudio, er kann die Speisen gleich auf von ihm kreiertem Geschirr planen. Irgendwann in den kommenden Jahren möchte er gerne nach Kritzendorf zurückkehren, an den Ort seiner Kindheit. Er träumt von einem Bauernhaus in der Nähe der Donau mit Küche und Atelier für seine Töpferwaren. Zu Mittag möchte er dort große Tische für Gäste decken. Als er sagt: „Ich habe meinen Weg gefunden“, haben wir keinen Zweifel daran, dass Sascha sowohl die Leidenschaft als auch die Geduld hat, seinen Traum zu verwirklichen.
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1010 Wien
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