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2. Zuhause

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Sie erreichten das Portal zwei Tage später. Schara’k schnaubte. Der Wallach, sonst eher ruhig und genügsam, blähte die Nüstern und tänzelte unruhig umher, je näher sie dem magischen Durchgang kamen. Jeder würde nervös werden in Anwesenheit einer solch übernatürlichen Macht, ging es Sydney durch den Kopf.

Sie strich dem Tier beruhigend über den Hals. Längst war die anfängliche Furcht, die sie beim Anblick dieses riesigen Pferdes verspürt hatte, vergessen.

Ruhig trieb Damian Schara’k näher an den Schleier heran, der vor ihnen zwischen den Bäumen aufragte und sich irgendwo weit über ihnen verlor. Sydney schluckte beim Anblick dieses silbrigen Schimmers, dieser durchlässigen Wand, die kaum jemand wahrnahm – gleichgültig welcher Welt derjenige angehörte.

„Bist du bereit?“, fragte Damian und sie nickte. Die Zügel straffer nehmend, führte er das Pferd auf das Portal zu.

Das Gefühl in eiskaltes Wasser zu tauchen, ließ sie sich schütteln, als sie hindurch ritten. Es drang ihr bis ins Mark und fröstelnd rieb Sydney sich die Arme. Sie spürte, wie Damian hinter ihr schauerte und wie ein kräftiges Zittern Schara’ks Körper durchlief.

Obwohl sie erst ein einziges Mal hindurch gegangen war und dieser einzelne, lange Schritt nicht länger als wenige Sekunde dauerte, war das Empfinden dennoch genau gleich.

„Wo willst du Schara’k lassen?“, fragte sie, als sie die Hütte sah, aus der Damian sie vor gerade einmal einem Monat verschleppt hatte.

„Erzähltest du nicht, euer Haus habe einen Garten?“

Das hatte sie tatsächlich. In diesem einen Monat hatte sie ihm einige Dinge aus ihrer Welt erzählt, so auch, dass hinter dem Haus ihrer Eltern ein Garten war. Dieser Garten war eigentlich bloß ein Stück Wiese, doch für Schara’k sollte es wohl tatsächlich genügen.

Sie ritten an der einsamen Hütte vorüber und betraten den ausgetretenen Pfad, den sie einst mit Jack beschritten hatte. Eine vage Unruhe stieg in Sydney auf, beim Gedanken daran, ihren Vater schon sehr bald wiederzusehen. Das Haus befand sich nur wenige Querstraßen von dem Waldweg entfernt. Als sie den Weg nach etwa dreißig Minuten verließen und den asphaltierten Bürgersteig betraten, warf Sydney Damian einen Blick zu. Wusste er, wie nervös und aufgekratzt sie sich fühlte? Nein. Er nahm kaum Notiz von ihr. Stattdessen richtete sich sein Blick auf alles Fremdartige, das ihren Weg kreuzte.

So beobachtete Sydney nicht ohne Vergnügen, wie ihr Mann sich plötzlich aus dem Sattel schwang und niederkniete, um den dunklen Asphalt berühren zu können. Auch Schara’k war nervös. Nur zögernd setzte er einen Huf vor den anderen.

Plötzlich zuckte Damians Kopf hoch. Seine Hand fuhr zum Griff seines Dolches, als sich ihnen ein Lastwagen unter lautem Getöse näherte. Schara’k tänzelte unruhig unter ihr.

„Damian…“, sprach sie ihn an und Damian wandte sich zu ihr um. Er sah die aufsteigende Panik seines Pferdes und griff nach dem Halfter.

„Ruhig…ganz ruhig…“, sprach er ihm gut zu. Der Lastwagen donnerte vorbei und Damian zuckte unwillkürlich zusammen. Sydney kicherte leise. „Es ist nur ein Lastwagen“, erklärte sie ihm. „Ein Transportmittel. Mehr nicht.“ Sie stieg aus dem Sattel und ging voran.

„Kommst du?“, fragte sie ihn nach einigen Metern und ihre grünen Augen funkelten amüsiert im strahlenden Sonnenschein.

Damian kratzte sich verlegen am Kopf. „Ich schätze, deine Welt ist fremder, als ich es erwartet habe“, murmelte er und trat neben sie. Schara’k schnaubte hinter ihnen zustimmend.

„Ist deine Welt immer so laut?“, fragte er.

„Du wirst dich daran gewöhnen“, erwiderte Sydney lächelnd. „Das Haus ist bereits da vorne.“ Sie deutete auf ein zweistöckiges Gebäude, das getrennt von den Nachbarhäusern stand.

Damian nickte, musterte zugleich jedoch misstrauisch den hoch aufragenden Mast einer Straßenlaterne. Die wenigen Menschen, die ihnen begegneten, warfen ihnen neugierige Blicke zu, und Sydney konnte sie verstehen. Wie oft lief einem schon ein Paar, das gekleidet war, als wäre es einem Theaterstück entsprungen, und das zum anderen ein Pferd mit sich führte, über den Weg?

Das Haus ihrer Familie sah dagegen aus wie eh und je. Die weiße Fassade leuchtete makellos im Licht und Vorfreude, gepaart mit Aufregung, bemächtigte sich Sydney. Sie räusperte sich unentwegt, ihre Handflächen fühlten sich unangenehm feucht an und, ja, ihre Beine zitterten sogar! So nervös hatte sie sich nicht einmal bei ihrem Bewerbungsgespräch für die Einschreibung an der Universität gefühlt.

Die drei Treppenstufen zur Veranda knarrten leise, als sie zur Tür trat. Damian blieb auf dem kurzen, gepflasterten Weg vor ihrem Haus neben Schara’k stehen. Dieser schien mittlerweile gänzlich unbeeindruckt von dieser Welt und reckte bereits den Hals, um ein Grasbüschel, das unter dem Zaun wuchs, zu erreichen.

Ein Gefühl der Beklommenheit erfasste Sydney, je länger sie hier auf der schmalen Veranda stand. Plötzliche Unsicherheit hinderte sie daran, die Hand zu heben, um zu klingeln. Wie würde man sie erwarten? Angst, dass ihr Vater sie womöglich fortschicken könnte, weil sie so vollkommen unerwartet verschwunden war und nun erst wieder auftauchte, erfasste sie. Sie stand noch immer unschlüssig vor der weiß lackierten Tür, als diese geöffnet wurde.

Verblüfft starrte sie ihren Vater an. Er hatte nicht mit ihr gerechnet. Jede Farbe wich aus seinem Gesicht und seine Augen weiteten sich bei ihrem Anblick, bevor sie tränenfeucht schimmerten.

„Hi, Dad“, begrüßte sie ihn zögernd.

„Sydney!“, rief er und schloss kurzerhand seine Arme um sie. Seine Stimme klang heiser, rau und von der Kraft seiner Emotionen erstickt. Und ganz plötzlich waren jeder Zweifel, jede Angst und jede Sorge wie weggewischt. Sydney erwiderte seine Umarmung und Tränen der Freude traten ihr in die Augen. „Ich hab’ dich vermisst“, flüsterte sie und drückte ihn noch fester an sich.

Es dauerte einen langen Augenblick, ehe sie sich voneinander lösten, ganz so, als hätten sie Sorge, den anderen erneut aus den Augen zu verlieren.

Paul Abernathys Blick glitt an ihrer Gestalt entlang, registrierte mit einem Stirnrunzeln ihre Kleidung und sah schließlich an ihr vorbei zu Damian. Sein Stirnrunzeln vertiefte sich.

„Gehört der Kerl da zu dir?“, fragte er und Sydney hörte den Marinegeneral heraus. Ein wenig wand sie sich unter dem stählernen Grau seiner Augen. Sie und Damian hatten sich noch nicht geeinigt, was sie ihm erzählen wollten. Jede Erklärung klang völlig abstrus.

„Kann Damian sein Pferd kurz hinters Haus bringen?“, fragte sie stattdessen leise.

Erneut blickte ihr Vater zu Damian rüber, musterte erst ihn, dann das Pferd, ehe er knapp nickte.

„Danke.“

Sydney trat zu Damian und bedeutete ihm, ihr zu folgen. Sie spürte deutlich, wie der überraschte, verblüffte und ergriffene Blick ihres Vaters ihnen folgte.

Als sie zurückkamen, stand die Haustür einladend offen. Sie traten ein. Paul hatte ihren kurzen Moment der Abwesenheit genutzt und die Wucht der Emotionen niedergekämpft, die ihn wie ein Schlag erwischt hatten. Äußerlich gelassen – einzig ein vages Zittern seiner Hände verriet ihn – kam er ihnen aus der Küche entgegen, in jeder Hand ein Glas Wasser.

„Kommt herein und setzt euch!“, forderte er sie beide auf. Sydney entging der Blick nicht, mit dem ihr Vater Damians Gestalt maß, dessen Körpergröße den kompletten Türrahmen ausfüllte. „Vielleicht möchtest du mir dabei auch erklären, wer dieser Mann ist?“, sprach ihr Vater weiter.

„Sir, wenn Ihr erlaubt!“ Damian wandte sich Paul zu und neigte respektvoll den Kopf. „Mein Name ist Damian Ramsey“, begann er. „Ich bin baldiger Herrscher des Volkes der Bakram und Eure Tochter ist meine Frau.“

Sydneys Wangen röteten sich – sie spürte die Wärme bereits ihren Hals hinaufkriechen – und lächelte ihren Vater verkrampft an. Es gefiel ihr absolut nicht, dass Damian ihren Erklärungen derart vorweggriff. Das Wasser in den Gläsern schwappte gefährlich, als sich das Zittern von Pauls Händen verstärkte.

Sydney schob sich an Damian vorbei und nahm sie ihrem Vater vorsichtig ab. Ohne ihm in die Augen zu sehen, flüsterte sie: „Ich glaube, es ist besser, du setzt dich erst einmal.“

Wie sollte sie die Situation erklären? Wo sollte sie beginnen? Wo konnte sie beginnen?

„Wovon redet er, Sydney?“, krächzte Paul und verharrte an Ort und Stelle. „Was soll das heißen, du bist seine Frau?“

Sie fühlte sich ohne Zweifel der Panik nahe; so hatte sie sich das Ganze nicht vorgestellt. Sie wollte ihren Vater nicht unnötig aufregen. Sie wollte ihm die ganze Geschichte, so verrückt sie sich auch anhören mochte, schonend beibringen. Sie wollte sein Verständnis, nicht schockiertes Entsetzen.

„Wo bist du gewesen?“, verlangte Paul von seiner Tochter zu wissen und Sydney erkannte sehr wohl den strengen Ton ihres Vaters, wenn sie ihn hörte. Der stille Vorwurf, der seiner Stimme mitschwang, verunsicherte sie. Jetzt war sie diejenige, deren Hände unkontrolliert zu zittern begannen. Die Gewissheit, dass ihr Vater die Geschichte wohl kaum glauben würde, übermannte sie, als Damian neben sie trat. Sie sah zu ihm auf und ließ sich von ihm ins nächstgelegene Zimmer, fort aus dem Eingangsbereich und hinein ins Wohnzimmer, begleiten. „Du wirst mir kaum glauben…“, begann sie und nahm auf der Kante des Sofas Platz.

Sie erzählte ihrem Vater, was geschehen war. Erzählte, wie Damian sie entführte, was Paul mit einem entsetzten und durchaus feindseligen Blick auf Damian quittierte. Sie erzählte von der eher zufälligen Entdeckung des Portals und von der Prophezeiung, erklärte, wie es zur Hochzeit gekommen war und wie Jack sie schließlich gefunden hatte. Auch Corin und Diana, sowie die magische Wirkung der Halskette ihrer Mutter, die sie in größter Not geschützt und somit das Leben gerettet hatte, erwähnte sie.

Nichts ließ sie aus, keine Begebenheit blieb unerwähnt, einzig und allein ihre Gefühle gegenüber Damian verschwieg sie. Sie verstummte und griff nach dem Wasser. Ihre Kehle war vollkommen trocken und es dämmerte bereits. Unsicher sah sie ihren Vater an. Dieser hatte sich zwischenzeitlich nun doch in den Sessel sinken lassen und fuhr sich erschöpft durchs Gesicht. Dann hob sich sein Mundwinkel. Er grinste unsicher und seine grauen Augen fixierten sie.

„Du willst mir allen Ernstes erzählen, das sei die Wahrheit?“ Er lachte nervös und Sydney las die Verwirrung in seinen Augen. „Und Sie“, sprach er Damian an. „Glauben Sie das etwa auch?“

Ruhig erwiderte Damian seinen Blick, kein Muskel regte sich. „Ich kann verstehen, dass es Euch schwerfallen mag, dieser Erzählung Glauben zu schenken“, sagte er und Paul schnaubte kurz. „Wäre sie meine Tochter, so würde ich es vermutlich als Störung ihres Geistes ansehen.“

Sydney beobachtete unverwandt ihren Vater, der vollkommen regungslos zuhörte. Damian fuhr fort: „Tatsache ist jedoch, diese Frau ist meine Frau. Sie trat in mein Leben, weil es ihre Bestimmung ist – ganz gleich, was Ihr oder sonst irgendjemand glauben mag, Sir.“

Paul schwieg. Er betrachtete Damian mit einer Eindringlichkeit, die Sydney nervös werden ließ und die sie sonst nur aus seiner Zeit als General kannte.

„Warum habe ich dich nicht schon früher zu Gesicht bekommen? Warum erst jetzt? Nach einem Monat?“, fragte er sie und Sydney gab zu, die Frage war berechtigt. Warum war sie nicht vorher gekommen? Was sollte und was konnte sie zu ihrer Verteidigung vorbringen?

„Na ja…“, begann sie träge.

„Ich fürchte, dafür bin ich verantwortlich“, fiel Damian ihr ins Wort. „Ihr habt die Geschichte der Prophezeiung gehört, Sir. Eure Tochter ist dazu bestimmt an meiner Seite, in meiner Welt, das Kind zu gebären. Das Schicksal meiner Welt hängt einzig und allein von ihr ab.“ Er zögerte kurz. „Ich konnte nicht zulassen, dass sie geht.“

Paul schwieg einen Moment. Dann seufzte er, schüttelte den Kopf und sagte: „Ich bin mir absolut nicht sicher, ob ich euch zwei richtig verstanden habe.“ Seine Züge waren gezeichnet von Verwirrung, Unglaube und völliger Erschöpfung. Nichtsdestotrotz blickten seine Augen unnachgiebig, als er fortfuhr: „Jetzt, da du wieder zu Hause bist“ – Sein Blick schweifte zu Sydney, musterte erneut ihre Kleidung – „ist dir hoffentlich klar, dass ich als dein Vater nicht zulassen kann, dass du mit diesem Fremden einfach wieder verschwindest.“

Sydney öffnete den Mund, wollte wiedersprechen, doch Paul hob die Hand und bat sie, ihn ausreden zu lassen. „Du bist meine Tochter, Sydney. Mein einziges Kind, Himmelherrgott! Du kannst nicht erwarten, dass ich dir die Geschichte abkaufe! Sieh dich doch nur an!“ Er erhob sich und wies aufgebracht auf ihr Äußeres.

Unwillkürlich sah Sydney an sich hinab. Sie trug noch immer das Kleid, das sie angezogen hatte, als sie die Burg verlassen hatten. Es war ein grober Stoff, dunkelgrün, fast braun, und Flecken, vermutlich Erdspritzer, zierten seinen Saum. Ihr ockerfarbenes Mieder war nicht sehr fest geschnürt und gab den Blick auf ihr Dekolleté frei. Sie schluckte und griff sich augenblicklich ans locker geflochtene Haar. Wie mochte sie auf ihren Vater bloß wirken?

„Ich weiß nicht, was ihr zwei mit dieser verrückten Geschichte bezweckt“, setzte Paul das Gespräch fort. „Du weißt was ich meine, Sydney. Ihr seht beide aus als kommt ihr gerade von einem dieser verfluchten Mittelaltermärkte! Es gibt keine komischen Löcher in Zeit und Raum! Das ist unmöglich!“, ereiferte er sich und tigerte im Zimmer auf und ab.

Sydney beobachtete ihn stumm. Er schüttelte erneut den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. Gelegentlich traf ein misstrauischer Blick das Paar auf dem Sofa.

„Das ist alles etwas viel…“, meldete sich Sydney einen Augenblick später zu Wort. „Vielleicht sollten wir dir Gelegenheit geben, über alles nachzudenken, es zu verarbeiten.“

Paul schnaubte, erwiderte jedoch nichts.

„Falls es dir Recht ist, bleiben wir eine Weile.“ Sie sagte es nicht als Frage, dennoch wartete sie geduldig auf die Erwiderung ihres Vaters. Dieser warf ihr einen strengen Blick zu. „Natürlich bleibt ihr“, brummte er und wischte sich erneut durch das Gesicht.

Damian erhob sich. Er streckte Paul seine Hand entgegen und sagte: „Ich danke für Eure Gastfreundschaft, Sir.“

Ihr Vater ergriff die Hand und erwiderte: „Ich bin mir nicht sicher, welche Rolle Sie hier einnehmen. Da meine Tochter aber unversehrt ist und ihr beide vertraut miteinander zu sein scheint, schätze ich, ich kann Ihnen vorerst trauen.“ Er neigte sich näher Damian zu und warnte ihn: „Liebe macht bekanntlich blind. Wenn ich je herausbekomme, dass Sie ein falsches Spiel mit meiner Tochter spielen, dann Gnade Ihnen Gott!“

Obwohl die Drohung lächerlich schien angesichts des körperlichen Unterschiedes zwischen den beiden Männern, nickte Damian ernst und Paul ließ seine Hand los. „Sie dürfen mich Paul nennen.“

An Sydney gewandt, meinte er lächelnd: „Du weißt ja, wo dein Zimmer ist.“

Die Haustür schloss sich etwas später leise hinter ihrem Vater, als er sich auf den Weg machte, um die Vermisstenanzeige bei der Polizei zurückzuziehen.

Sydney blickte sich im Wohnzimmer um. Nichts schien sich seit ihrer Abwesenheit verändert zu haben. Dasselbe Foto wie immer, ihr Abschlussfoto, hing über dem Kamin – gleich neben einem Foto, auf dem sie als Baby breit grinsend ihre Pausbäckchen betonte.

Damian folgte ihrem Blick. „Was ist das? Wie heißt der Künstler?“, fragte er und trat näher heran. Etwas verlegen folgte Sydney ihm. Er hatte sich bisher recht gut im Griff gehabt, stellte sie fest. Seit sie das Haus erreicht hatten, verhielt er sich, als gäbe es nichts Besonderes zu entdecken, und dabei musste ihm nahezu alles vollkommen fremdartig erscheinen.

„Die Bilder hat mein Vater gemacht“, erklärte sie.

„Wo bezieht er die feinen Pinsel her, um solch eine feine, detailgetreue Zeichnung anzufertigen?“

Sydney schmunzelte. Dann erklärte sie es ihm. „Diese Bilder werden nicht gemalt. In meiner Welt gibt es eine Technologie – Kameras –, die es ermöglicht, einen Moment für immer auf Papier zu bannen.“

Staunend berührte er die Fotografien mit seinen Fingerspitzen. „Erstaunlich!“ Er betrachtete sie erneut. „Bist du das?“

„Ja, ziemlich peinlich, nicht wahr?“

„Ganz und gar nicht. Du warst ein hübsches Kind“, meinte er augenzwinkernd und Sydney grinste etwas säuerlich. „Das andere Bild von dir beweist, dass du bereits damals viel zu hübsch für diese Welt warst“, fügte er hinzu und schlang den Arm um sie. „Sag, mein Herz, wie viele Herzen hast du auf deiner Reise zu mir gebrochen?“

Er zwinkerte schalkhaft, doch Sydney sah die Ernsthaftigkeit dahinter aufblitzen. Damian musterte sie und Sydney fühlte sich mit einem Mal unwohl in seiner Umarmung. Sie schüttelte seinen Arm ab und trat einen Schritt zur Seite. „Was spielt das schon für eine Rolle?“, entgegnete sie ihm ausweichend. „Ich bin jetzt hier bei dir, oder etwa nicht?“

Sie dachte an ihre Hochzeitsnacht und betrachtete Damian genauer. Ging es ihm darum, fragte sie sich? Dachte auch er daran, dass sie nicht jungfräulich zu ihm kam?

Plötzlich klopfte es an der Tür und Sydney zuckte zusammen. Leise seufzte sie und schob sich an Damians mächtiger Gestalt vorbei.

„Sydney?“

Überraschung lag in der Stimme, die unverkennbar männlich war, und als Sydney ihrem Mann einen Blick zuwarf, konnte sie erkennen, dass er seine Stirn beunruhigt runzelte.

„Oliver“, begrüßte sie den Ankömmling verblüfft. „Was tust du denn hier?“

„Ich wollte zu deinem Vater. Ich wollte ihn fragen, ob es schon etwas Neues zu deinem Verbleib gibt.“ Er musterte sie vom Scheitel bis zur Sohle. „Offensichtlich bist du wieder zurückgekehrt.“

Verlegten strich sich Sydney eine Haarsträhne hinter das Ohr und lächelte schwach. Sie war sich nur allzu bewusst, dass Damian direkt hinter ihr stand und Oliver bedrohlich musterte – sie musste sich nicht erst umdrehen, um sich dessen gewiss zu sein. Die schiere Hitze, die ihr gegen den Rücken schlug, sprach Bände.

„Tja, ja“, stotterte sie. „Das bin ich.“ Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen und als Oliver begann, ihren Mann ebenfalls zu mustern, sagte sie: „Darf ich dir“, sie wandte sich zu Damian um, „meinen Mann Damian vorstellen?“

Sogleich streckte er Oliver eine kräftige Hand entgegen. Oliver sperrte vor Überraschung Mund und Augen auf, blinzelte dann wie eine Eule und nahm schließlich die dargebotene Hand. „Freut mich…“, sagte er mit sichtlicher Irritation. Er runzelte die Stirn und warf Sydney einen verwirrten Blick zu. „Dein Mann?“

„Ja, wir sind verheiratet… Es ist eine lange Geschichte“, antwortete sie ihm ausweichend und Oliver beeilte sich zu nicken. „Natürlich…ähm…na ja…Ich würde mich freuen, wenn wir voneinander hören würden. Vielleicht könnten wir ja einen Kaffee zusammen trinken gehen…“ Er warf Damian einen unsicheren Blick zu. „…und quatschen.“

„Das würde ich wirklich gerne, Oliver“, erwiderte Sydney schnell, ehe Damian für sie sprechen konnte. „Ich fürchte nur, ich werde bald schon wieder abreisen.“

„Abreisen?“

Sydney nickte. Ihr blieb keine andere Möglichkeit. Es war offenkundig, dass sie nicht bleiben konnten. „Ich bin sozusagen auf der Durchreise.“

Oliver warf ihnen beiden einen skeptischen Blick zu. „Auf der Durchreise?“, wiederholte er etwas dümmlich. Sydney nickte.

„Ich werde in Zukunft in Damians Heimat leben.“

Wie um ihre Worte zu unterstreichen, straffte sich Damian und gewann auf die Art noch ein paar Zentimeter mehr an Größe. Unweigerlich schmunzelte Sydney über sein Getue. Endlich fasste sich Oliver. „Wie kann ich dich denn erreichen?“, fragte er.

Sydney überlegte kurz. „Gar nicht.“ Es fiel ihr schwer, das zu sagen, doch es musste sein. Sie konnte es sich nicht leisten, Kontakt zu halten. Ihre Zukunft lag nicht länger in dieser Welt.

„Auch nicht über’s Internet?“, fragte Oliver. Hoffnung schwang in seiner Stimme mit und Sydney begann sich zu fragen, ob er sich schon immer so anhänglich verhalten hatte. Aber sie konnte – wollte – sich nicht erinnern. Ihre letzte Begegnung schien zu lange zurückzuliegen.

~

Die kleinen Kiesel, die an das Glas der Fensterscheibe klickten, ließen sie aufhorchen. Draußen schien der Vollmond an einem wolkenlosen Himmel. Sterne funkelten schwach herab. Es war die perfekte Nacht. Sydney trat ans Fenster ihres Zimmers und öffnete es. Draußen stand Oliver und grinste breit. In der Hand hielt er bereits den nächsten Kiesel.

Hey, komm’ herunter“, forderte er sie mit einem Blick zum Rest des Hauses auf. Sydney lauschte kurz, hörte ihren Vater leise in seinem Zimmer husten.

Ich kann nicht“, flüsterte sie durch die Nacht und zuckte bedauernd mit den Schultern. Oliver zögerte nicht und kletterte flink das Rosengitter zu ihrem Fenster hinauf. Ehe sie sich versah, stand er bereits vor ihr und bereitete ihr Herzklopfen.

Sie war siebzehn und ihr unschuldiges Herz war voller Hoffnung für die romantische, ewig andauernde Liebe. Sydney schluckte nervös, als Oliver einen Schritt auf sie zutrat und ihren Hals umfasste, während er zugleich seinen Kopf neigte, um sie zu küssen. Er schmeckte noch schwach nach seiner letzten Zigarette, doch der frische Geschmack von Minze überlagerte es. Sein Kuss fühlte sich warm, zärtlich, ja, gar liebevoll, an und in seiner Berührung loderte ein stilles Feuer, das Sydneys reine Seele sofort entflammte.

Ihre Hände klammerten sich an seine etwas zu schmalen Schultern und ein Seufzen entwich ihren Lippen in dem Bruchteil der Sekunde, die sie beide Luft holten.

Als er sich von ihr löste, stand ihr Körper längst in Flammen. Träge lächelte er sie an. „Es stört mich nicht, wenn du nicht hinunterkommen kannst.“

Seine Finger umfassten eine Haarsträhne und strichen damit über die zartgerötete Haut über dem Saum ihres viel zu weiten Nachthemds. Es kitzelte.

Oliver…“, begann Sydney unsicher.

Sie sollte ihn wegschicken, sicherstellen, dass ihr Vater nicht Wind von der Sache bekam. Stattdessen griff sie nach seiner Hand und hielt sie fest.

Soll ich wieder gehen?“, fragte er und blickte sie aus seinen grüngrauen Augen derart leidenschaftlich an, dass Sydney den Blick abwandte. „Mein Vater wird uns hören“, flüsterte sie mit einem nervösen Blick zur Tür. Sie hörten sein Husten über den Flur schallen. Danach lag alles still. Oliver trat einen Schritt zurück und setzte sich auf die Bettkante.

Ihr Laken war zerwühlt, das Kissen wies noch immer die Einbuchtung auf, die ihr Kopf hinterlassen hatte. Er betrachtete die Stelle für einen Moment. Dann sah er sie wieder an, Unschuld im Blick. „Setzt du dich zu mir?“

Sydney zögerte. Sie wusste, ging sie jetzt, in dieser perfekten Nacht zu ihm hin, gäbe es kein Zurück mehr. Sie würde nicht verhindern können, was dann geschah. Ihr Herz klopfte wie verrückt gegen ihre Rippen und mit jeder weiteren Sekunde, die verstrich, schärfte sich der Entschluss in ihrem Kopf.

Langsam trat sie zu Oliver und setzte sich neben ihm. Warm legte sich sein Arm um ihre Schultern und zog sie näher heran.

~

„Ich fürchte nicht, nein“, erklärte sie jetzt und verdrängte den Gedanken an das Bett, in dem sie einst ihre Unschuld verloren hatte. Hingegeben einem Rebell, von dem sie dachte, er sei die Liebe, die sie gesucht hatte. „Das ist so eine gottverlassene Gegend, da gibt’s nur Brieftauben“, scherzte sie und war sich doch allzu bewusst, dass sie der Wahrheit wohl kaum je näher kommen würde. Trotz des schwachen Lächelns blickte ihr Enttäuschung entgegen.

„Vielleicht bist du ja nochmal hier in der Gegend…“, meinte er. Damian seufzte leise neben ihr.

„Ich muss dann auch wieder los“, setzte Oliver an. „Es war schön dich wiederzusehen, Sydney.“ Sein lockerer Ton verflüchtigte sich, als er mit einem Blick auf Damian hinzufügte: „Es tut gut zu sehen, dass es dir gut geht.“ Sydney nickte.

„Es war auch schön, dich wiederzusehen, Oliver.“

Er verabschiedete sich und Sydney schloss die Tür. Sofort hielten Damians Hände sie umfangen.

„Damian…“, begann sie. „Es ist nicht wie du denkst. Oliver ist ein alter Freund von mir“, versuchte sie ihre Beziehung zu erklären.

Der Drang, sich vor Damian zu rechtfertigen, ihm zu versichern, dass er sich keine Gedanken machen musste, überwältigte sie. „Es war nur einmal…“, murmelte sie, als Damian ihren Nacken küsste und sein Atem auf ihr Ohr traf, „…und das ist Jahre her.“

Sofort festigte sich der Griff an ihren Hüften und er wirbelte sie zu sich herum. „Nur einmal also, hm?“, knurrte er leise und ein erregendes Prickeln glitt über ihre Haut. Er drängte sie gegen die Haustür, hob sie hoch, presste seine Lippen auf ihre. Sein Kuss war hart, ein wildes Feuer, dass sie beide erfasste, je länger sie einander ausgesetzt waren. Sydney schlang ihre Beine um seine Hüften und dachte daran, wie getroffen Damian in ihrer Hochzeitsnacht war, als er erfuhr, dass sie keine Jungfrau mehr war. Sie konnte nur noch schwach „Vergiss es einfach…“ murmeln, daran denken, wie besitzergreifend Damian war – und dann nichts mehr.

Sie ließ sich treiben und wegtragen auf der Welle des Verlangens. Es kroch heiß über ihre Haut, brannte in ihrer Seele. Damian schwieg. Zu groß war das Begehren, das ihre Herzen aneinander band. Er presste sich an sie und küsste sie mit einer Leidenschaft, die sie dahinschmelzen ließ. Sie wollte ihn, wollte diesen Mann mehr als alles andere auf dieser und der anderen, jeder anderen, Welt.

Leise stöhnend rieb sie sich an ihm, reizte und provozierte ihn, wollte sich ihm nahe fühlen und die Verbundenheit zu ihm spüren. Sie benötigte einen Moment, um festzustellen, dass Damian innehielt. Unruhig wand sie sich in seinen Armen. „Was ist los?“, murmelte sie.

Ihre Hände fuhren noch immer gierig, losgelöst vom Verstand, über seine Arme und seinen Oberkörper. Damians dunkle Augen fixierten sie.

„Du wirst ihn nicht wiedersehen“, sagte er endlich und Sydney war es gleichgültig. Ihre Lust, jede Nervenzelle in ihrem Innern, war darauf ausgerichtet, alles für diesen Mann zu tun, wenn er nur endlich das zu Ende bringen würde, was er so drängend begonnen hatte. Atemlos nickte sie.

Seine Hand vergrub sich in ihrem Haar, seine andere Hand stützte sie, schob ihren Rock Stück um Stück höher. Ungeduldig nestelte er an seinem Hosenbund, bahnte sich schließlich seinen Weg, drängte sich an sie, glitt in sie hinein. Stöhnend trieb Sydney ihn tiefer. Er bewegte sich rhythmisch in ihr, schneller, härter.

Dann erstarrte er. Er stieß einen tiefen Laut aus, dessen kehliger Klang auch Sydney zum ersehnten Gipfel führte. Schwer atmend, hilflos zuckend, lehnte sie sich gegen ihn, lauschte seinem kräftigen Herzschlag und fühlte sich schwach, unsagbar schwach. Wie flüssiges Wachs, formlos und ohne feste Gestalt, lag sie in seinen Armen, ehe Damian sie langsam zurück auf die Erde gleiten ließ und ihr über das zerzauste Haar strich. Er küsste sie und sagte: „Ich hoffe, du hast nicht noch mehr derartiger Freunde.“ Sein Blick glitt über sie, sog ihren Anblick in sich auf. „Obwohl…“, begann er und Sydney knuffte ihn in die Seite.

„Du bist zu besitzergreifend“, mahnte sie und erntete spöttisches Schnauben.

„Du vergisst, woher ich komme, mein Herz.“

„Aber zwischen Oliver und mir ist doch nichts“, versuchte sie seine Sorgen zu zerstreuen, doch Damian legte ihr sanft seinen Finger auf die von seinen Küssen geschwollenen Lippen. „Damit es so bleibt, will ich, dass du ihn nicht wiedersiehst“, flüsterte er.

Sydney wollte aufbegehren, wollte diesen ernsten und abergläubischen Neandertaler zurechtweisen. Doch sie schwieg. Tatsächlich war ihr deutlich bewusst, woher er kam. Er wusste nichts über die Freundschaft zwischen Mann und Frau, nichts über weibliche Gleichstellung. Also bezwang sie ihren Unmut und schenkte ihm stattdessen ein kleines Lächeln.

Sie würde noch Zeit genug haben, um ihn über Frauenrechte aufzuklären.

Magie der Welten

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