Читать книгу Herz-Sammelband: Hedwig Courths-Mahler Liebesromane (Teil II) - Hedwig Courths-Mahler - Страница 5

Auf der Jungfernburg

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Inhaltsverzeichnis

Mit zusammengezogener Stirn legte Rudolf Hagmeister die Zeitung auf den Tisch, in deren Inseratenteil er wieder einmal vergeblich nach einer Stellung gesucht hatte. Er war längst nicht mehr wählerisch. Nur irgendwie sein Brot verdienen! War das wirklich so schwer in dieser Zeit? Er war doch ein gesunder, starker Mensch, durchaus nicht auf den Kopf gefallen, durchaus arbeitswillig, ja, sogar arbeitshungrig!

Verbittert schlug er mit der Faust auf die Zeitung. Das betrachtete seine Wirtin wohl als Aufforderung, das Frühstück zu bringen.

„Jotte doch, Herr Doktor, ich komm ja schon! Habe Ihnen doch schon die Zeitung reingelegt! Sie bekommen sie immer zuerst.“

„Mein Klopfen galt nicht Ihnen, Frau Mengers; ich war nur ein bisschen wütend, weil wieder nichts für mich in der Zeitung steht.“

„Wo sollt’s denn auch! Jotte doch, Arbeit is doch ein rarer Artikel. Na, und alles kann man doch als studierter Herr Doktor auch nicht arbeiten.“

„Wäre mir ganz egal! Ich scheue mich vor keiner Arbeit, Frau Mengers.“

„Na, wenn das mal wäre? Da könnten Sie gleich heute ein paar Mark verdienen. Aber ich weiß man bloß nich, ob ich Ihnen das zumuten soll.“

Sie ordnete das sehr bescheidene Frühstück umständlich auf dem Tisch.

„Tun Sie das immerhin, Frau Mengers; es gibt keine Arbeit, die ich nicht verrichten würde.“

Sie stemmte die Arme in die Hüften.

„Na, na! Auch Teppichklopfen?“

Er lachte grimmig in sich hinein. „Warum nicht auch das, wenn es nur bezahlt wird!“

„Also wirklich?“

„Ja doch! Wie, wo und wann?“

„Na, wenn Sie es ernst meinen? Da wohnen doch im Vorderhaus in der ersten Etage Bankdirektors! Denen is mitten ins große Reinemachen das Hausmädchen krank geworden, und nun stehen sie da mit ’n Haufen Arbeit. Und die großen Teppiche liegen mit allem Dreck noch da, und morgen is große Gesellschaft, da muss alles fertig sein. Alles geht durcheinander, und was die Teppiche sind, die sind sündhaft teuer, und irgendeinem von der Straße wollen sie die Prachtstücke nicht anvertrauen. Was die Stütze is, die hat mir gesagt, zehn Mark würde die Frau Bankdirektor glatt geben, wenn sie jemanden hätte, der die Teppiche kloppt.“

Rudolf Hagmeister sprang auf. „Zehn Mark! Wird gemacht, Frau Mengers!“

Sie lachte. „Na forsch, Herr Doktor! Sie werden gewiss nicht untergehen. Ganz Recht haben Sie, ein ehrlicher Kerl ist für ehrliche Arbeit nicht zu schade, wenn sie man ’n bisschen dreckig is. Also los, Herr Doktor, frühstücken Sie man gleich! Und ich gehe inzwischen zu Frau Bankdirektor und sage ihr, dass Sie das machen wollen. Vor Ihnen kann ich ja garantieren, dass Sie keinen Teppich klauen. Die wird froh sein.“

„Gehen Sie, Frau Mengers! Ich frühstücke schnell und mache dann Toilette fürs Geschäft. Ich habe ja auch den alten Anzug, in dem ich Ihnen neulich die Küchenmöbel gestrichen habe. Der wird zum Teppichklopfen angezogen. In zehn Minuten stehe ich der Frau Bankdirektor zur Verfügung.“

Die Wirtin eilte davon, und Rudolf trank schnell eine Tasse des Zichoriekaffees, wobei er die Augen zudrückte, damit er besser herunterging. Dann verzehrte er die zwei trockenen Brötchen, die zu dem Frühstück gehörten, und dann machte er schnell „Toilette“.

Als er fertig war, kam die Wirtin zurück. „Na, man los, sie warten schon und sind heilfroh, dass sie jemanden haben. Dass Sie ein Doktor sind, habe ich lieber nicht gesagt, sonst denken sie am Ende, Sie können nich arbeiten. Es wird doch gehen, Herr Doktor?“

Er lachte. „Na, Teppiche klopfen kann doch nicht so schwer sein!“

„Warten S’ man ab! Alles muss gelernt sein. Also, Sie heben die Teppichrolle hoch, halten das eine Ende fest und kullern den Teppich über die Stange, so mit ’n Avek, verstehen Sie. Und dann klopfen Sie schön kräftig beide Seiten, bis aller Dreck raus is. Zuletzt wird jeder Teppich Strich for Strich abgebürstet. Na, es wird schon gehen. Sie sind ja nich dumm.“

Während Frau Mengers gleich danach das Zimmer aufräumte und dabei ab und zu mal zum Fenster hinaus nach der Teppichstange guckte, hatte Rudolf Hagmeister sich ins Vorderhaus begeben. Vor der Tür, an der das Namensschild des Bankdirektors prangte, holte er erst noch einmal tief Atem und richtete sich entschlossen auf, ehe er klingelte. Als das geschehen war, öffnete ein junges Mädchen.

„Frau Mengers schickt mich zum Teppichklopfen.“

Das Mädchen, die Stütze der Frau Bankdirektor, sah den jungen Mann prüfend an und wurde ein bisschen rot. Dieser schlanke, kraftvolle Mensch in einem Arbeitsanzug, der mehrere Ölflecken zeigte, sah nach allem eher aus als nach einem Teppichklopfer. Sein gebräuntes, scharf geschnittenes Gesicht, aus dem die grauen Augen hell und intelligent herausleuchteten, sah auch, trotz seiner Kostümierung, vornehm und interessant aus. Aber immerhin war eine Hilfe im Haushalt viel zu nötig, als dass die Stütze irgendwelche Einwände gegen ihn erhoben hätte. Frau Mengers hatte gesagt, sie habe einen honetten jungen Mann bei sich wohnen, der stellenlos sei und sich gern ein paar Mark verdienen wolle. Sie könnte für seine Ehrlichkeit garantieren. Und somit war man froh, dass er sich zur Arbeit meldete.

Frau Bankdirektor kam in einem seidenen Kostüm, das auf ihrer Vorderfront und auch auf der Rückfront einen in allen Farben schillernden Papagei zeigte, auf den Korridor, verschwand aber bei Rudolfs Anblick erschrocken wieder hinter der Tür, als sie in das Gesicht des jungen Mannes sah. Vor einem Arbeiter hätte sie sich nicht geniert, aber das war ja ein junger Herr, trotz des farbenbeklecksten Rocks.

Verstohlen blickte sie aus ihrem Schlafzimmerfenster auf den Hof hinaus und sah dem hoch gewachsenen, kraftvollen Mann nach, der zwei ihrer Riesenteppiche auf die Schultern genommen hatte und sie nach der Teppichstange trug. Sie sah auch, wie er den einen der Teppiche, den Anweisungen Frau Mengers folgend, emporhob und über die Stange gleiten ließ.

Und nun klopfte der junge Mann drauflos, dass der Staub nur so flog.

Befriedigt kleidete sich die Frau Bankdirektor an, um nachher, wenn der junge Mann wieder heraufkam, mit ihm sprechen zu können.

Rudolf stellte seine Auftraggeberin vollständig zufrieden und lieferte einen Teppich nach dem anderen in sauberem Zustand oben ab. Er stellte auch seine Dienste zur Verfügung beim Auflegen der Teppiche. Es mussten dabei schwere Möbel gehoben und gerückt werden, und die Frau Bankdirektor samt ihrer Stütze sahen ihm voll Bewunderung zu. Es ergab sich, dass auch sonst noch allerhand für ihn zu tun war, und die Hausfrau fragte ihn schließlich, als alles fertig war, ob er vielleicht am nächsten Abend an Stelle des Hausmädchens mit servieren wolle.

„Sie können doch gewiss servieren?“, fragte sie.

Er überlegte einen Moment. Warum nicht? Er hatte früher oft genug an einer Tafel gesessen, wo ihm serviert worden war. Das konnte kein Kunststück sein.

„Gewiss, gnädige Frau, ich werde es schon können.“

„Gut, also dann morgen Abend um acht Uhr. Nein, kommen Sie lieber schon eine Stunde früher, damit Sie beim Tischdecken helfen können!“ Sie drückte ihm die verdienten zehn Mark in die Hand, und die Stütze hatte auf ihren Befehl auch noch ein Paket belegter Butterbrote herbeigebracht, das sie ihm überreichte.

Keine Miene zuckte in Rudolfs Gesicht. Geld und Butterbrot waren ehrlich verdient. Und für morgen Abend sollte er gar zwanzig Mark bekommen!

Befriedigt begab er sich in seine Wohnung zurück, wo er erst einmal eine gründliche Waschung vornahm. Frau Mengers hatte ihm auf dem schmalen Korridor schon die Seele aus dem Leib gefragt, wie alles gewesen sei. Er lieferte einen humorvollen Bericht und bat sie um einen Teller für die belegten Brote. Den brachte sie auch, nachdem er sich gesäubert hatte, und sah neugierig zu, als er das Paket auspackte. Hm! Die Brote sahen lecker aus, und Rudolf gab Frau Mengers eines ab, weil sie ihm diese Arbeit verschafft hatte.

Am nächsten Abend stellte er sich pünktlich der Frau Bankdirektor zur Verfügung. Für heute hatte er sich entschließen müssen, seinen blauen Sakko anzuziehen. Er ließ sich von der freundlichen Stütze, die ihn wohlgefällig ansah, einige nützliche Winke geben und half ihr fleißig, Gläser und Teller zu polieren und auf die Tafel zu stellen. Er bekam sogar, bevor die Gäste eintrafen, ein Abendessen vorgesetzt, „damit Sie dann den Abend aushalten“, und sah nun den Ereignissen mutig entgegen.

Es ging alles gut. Er bekam seine zwanzig Mark, eine Flasche Wein und wieder ein Paket mit übrig gebliebenen Esswaren, womit er mindestens zwei Tage auszukommen hoffte. Es war freilich vier Uhr morgens, als er seine Wohnung aufsuchen konnte. Zu seiner Befriedigung war kein bekanntes Gesicht unter den Gästen gewesen. Die Frau Bankdirektor hatte ihm gesagt, wenn sie wieder Gäste hätte, würde sie ihn rufen lassen, sie sei sehr zufrieden mit ihm.

Und die Stütze hatte ihm einen liebevollen Blick nachgesandt. Vielleicht war der Ausdruck in den Augen der Frau Bankdirektor ebenfalls sehr viel wärmer gewesen, als er einem Lohndiener gegenüber am Platz war.

Rudolf hatte nun wieder für eine Woche ausgesorgt. Er gönnte sich daher am nächsten Morgen etwas länger Schlaf als sonst.

Als er endlich aufwachte, stellte sich Frau Mengers mit dem Frühstück ein und wollte wiederum ganz genau wissen, wie es gestern Abend bei „Bankdirektors“ zugegangen sei.

Rudolf aber nahm ihr die Zeitung weg.

„Erst will ich sehen, Frau Mengers, ob ich in der Zeitung etwas finde, nachher will ich Ihnen gern alles haarklein erzählen.“

Dann sah er die Inserate in den Zeitungen durch. Er berücksichtigte nun auch die, wo Lohndiener und Teppichklopfer gesucht wurden. Aber er fand nichts, absolut nichts. Seufzend legte er die Zeitung zusammen und schob sie von sich. Aber da entdeckte er plötzlich auf der Rückseite seinen eigenen Namen: Hagmeister! Interessiert zog er die Zeitung wieder herbei und las nun die Anzeige vom Tod eines Herbert Hagmeister auf Rittergut Lengwitz. Herbert Hagmeister? Das war doch der Bruder seines verstorbenen Vaters! Die beiden Brüder hatten in Fehde miteinander gelebt, seit seine Mutter seinen Vater geheiratet hatte, an Stelle seines Bruders, der sie ebenfalls zur Frau begehrt hatte. Nie mehr hatten die beiden seit dieser Zeit miteinander verkehrt, nie einen Brief gewechselt, nie voneinander Notiz genommen. Rudolfs Vater wusste wohl, dass sein Bruder später Gatte einer reichen Frau geworden war, die ihm das Rittergut Lengwitz in die Ehe gebracht hatte. Er wusste auch, dass dieser Ehe zwei Töchter entsprossen waren, von denen eine schon im zarten Alter gestorben war. Aber dass auch die zweite Tochter vor wenigen Jahren bei einem Autounglück ihr Leben hatte lassen müssen, davon war Rudolf, dessen Vater schon seit drei Jahren tot war, nicht zu Ohren gekommen.

Rudolf fühlte kaum irgendwelches Bedauern über den Tod seines Onkels. Er galt ihm nicht mehr als irgendein fremder Mensch und hatte ihm nie mehr gegolten.

Es vergingen einige Tage, in denen Rudolf wieder fleißig, aber vergeblich nach Arbeit gesucht hatte. Der Vorrat an kaltem Braten und anderen Delikatessen war aufgebraucht, das Geld schmolz langsam, aber sicher in seinen Händen zusammen, so oft er es auch um und um drehte, ehe er es ausgab, und seine Stimmung wurde wieder düster und sorgenvoll.

Eines Morgens erhielt er einen eingeschriebenen Brief, der den Aufdruck eines Doktor Zausch, Justizrat und Notar, trug. Kopfschüttelnd sah er darauf nieder. Was hatte er denn mit einem Justizrat zu tun? Etwas Erfreuliches konnte es nicht sein. Aber schließlich musste er den Brief doch öffnen, um zu erfahren, was dieser Justizrat von ihm wollte.

Er riss das Kuvert auf und zog einen Brief heraus, der folgenden Inhalt hatte:

Herrn Doktor Rudolf Hagmeister Berlin

Sehr geehrter Herr Doktor!

Als Sachwalter Ihres verstorbenen Oheims, Herbert Hagmeister, teile ich Ihnen ergebenst mit, dass dieser Sie zu seinem Universalerben eingesetzt hat, da Sie der einzige noch lebende Verwandte des Erblassers sind. Bitte, wollen Sie mir mitteilen, ob Sie zu mir kommen wollen oder ob ich Sie aufsuchen soll, um alles Weitere mit Ihnen zu besprechen. Ich bitte um Ihren möglichst umgehenden Bescheid und empfehle mich Ihnen

Hochachtungsvoll

Doktor Zausch, Justizrat

und Notar

Kalt und heiß lief es Rudolf den Rücken herunter. Er sprang auf und ging in seinem kleinen Zimmer auf und ab, als treibe ihn die Unruhe über diese Nachricht hin und her. Wieder und wieder blieb er stehen, um den Brief zu lesen. Endlich zuckte er die Achseln und sagte vor sich hin:

„Man muss eben bei diesem Justizrat Zausch anfragen, ob das alles wahr ist.“

Dann kramte er Schreibzeug hervor, setzte sich hin und schrieb:

Sehr geehrter Herr Justizrat!

Ihr Schreiben habe ich erhalten, bin aber von dem Inhalt so benommen, dass ich an eine Mystifikation glaube. Wohl las ich zufällig die Anzeige vom Tod meines Onkels, aber es erscheint mir unmöglich, dass er mich zum Erben eingesetzt haben soll. Erstens war er mit meinen Eltern verfeindet, zweitens ist es mir bekannt, dass er eine Tochter hatte. Seine zweite Tochter ist, wie ich weiß, als Kind gestorben, aber die andere muss doch noch am Leben und somit die Erbin ihres Vaters sein! Oder irre ich mich? Ich bitte Sie um Aufklärung, denn ich bin momentan nicht in der Lage, Reisekosten auf Ungewisses hin zu verausgaben. Wenn Ihre Mitteilung wirklich den Tatsachen entsprechen, werde ich selbstverständlich zu Ihnen kommen. Bitte, geben Sie mir umgehend Nachricht!

Mit vorzüglicher Hochachtung

Rudolf Hagmeister

Diesen Brief beförderte er sogleich zum Briefkasten. Als er danach wieder das Haus betrat, begegnete ihm die Frau Bankdirektor und lächelte ihm gnädig, sehr gnädig sogar, zu. Er blieb stehen und verbeugte sich, und erst als sie an ihm vorüber war, ging er weiter. Konnte man wissen, ob diese Frau ihm nicht noch einmal zu Lohn und Brot verhelfen würde?

***

Die nächsten Tage waren für Rudolf eine Qual. Unausgesetzt schwankte er zwischen Furcht und Hoffnung hin und her. Aber am dritten Morgen traf wieder ein Schreiben des Justizrats Zausch ein. Mit zitternden Händen öffnete Rudolf es und las:

Sehr geehrter Herr Doktor!

Es hat alles seine Richtigkeit mit dem, was ich Ihnen mitgeteilt habe. Herr Herbert Hagmeister ist ohne Leibeserben gestorben, da seine zweite Tochter vor einigen Jahren bei einem Autounfall ums Leben kam. Sie sind tatsächlich sein einziger Verwandter, und er hat in seinen letzten Lebensjahren, wie ich weiß, seine Feindschaft gegen Ihre Eltern begraben und Sie zu seinem Universalerben eingesetzt. Bitte, kommen Sie also zu mir! Ich erwarte sie jederzeit.

Hochachtungsvoll

Doktor Zausch, Justizrat

und Notar

Rudolf war es abermals heiß und kalt, und er brauchte geraume Zeit, um fassen zu können, was ihm hier mit kurzen Worten mitgeteilt wurde. Sobald sich der Sturm in seinem Innern gelegt hatte, traf er die Vorbereitungen zu seiner Abreise. Gottlob besaß er noch genug Geld, um eine Fahrkarte nach Stralsund lösen zu können, wo der Justizrat wohnte. Das Gut seines Onkels lag wohl in der Nähe von Stralsund, jedenfalls war es ihm bekannt, dass es in der direkten Nähe der Ostseeküste lag.

Er wusste, dass seine Wirtin einen Fahrplan besaß, und er bat sie, ihm den zu leihen.

„Nanu, Sie wollen doch nicht etwa verreisen, Herr Doktor?“

„Doch, Frau Mengers, ich will nach Stralsund fahren.“

„Jotte doch? Ist da eine Stellung frei?“

Er lachte. „Nein, aber eine Erbschaft wartet da auf mich.“

„Na, Sie sind wenigstens noch immer bei Humor, Herr Doktor. Ich wünsche Ihnen schon so eine richtige fette Erbschaft.“

„Vielleicht wird es wahr, Frau Mengers. Also bitte den Fahrplan, ich möchte gleich heute Vormittag reisen, wenn ich den Zug noch erwische.“

Eiligst brachte sie den Fahrplan herbei. Während er nachschlug, beugte sie sich aufgeregt mit über das Buch. Rudolf hatte gleich, was er suchte. „9.15 D-Zug. Da bin ich 12.49 in Stralsund und kann heute Abend wieder zurück sein. Liebe Frau Mengers, nun dalli, raus aus den heiligen Hallen, ich muss mich umziehen und fertig machen! Gehen Sie, halten Sie sich nicht mehr mit der Vorrede auf, ich muss mich beeilen.“

„Sagen Sie mir doch bloß ernsthaft, ob das mit der Erbschaft stimmt!“

„Ich hoffe es! Und wenn es stimmt, dann schenke ich Ihnen ein piekfeines Seidenkleid – beste Qualität.“

„Ach nee, lieber eine Pelzjacke, Kaninchen! Die hab ich mir schon lange gewünscht.“

„Schön, Frau Mengers; halten Sie mir den Daumen! Wenn alles klappt, sollen Sie auch die Pelzjacke bekommen.“

„Samt das Seidenkleid?“, fragte sie.

„Ja doch! Meinetwegen! Aber nun raus!“

Und er schob sie zur Tür hinaus. Schnell war er fertig. Er sah trotz seiner etwas abgetragenen Kleider noch immer vornehm aus. Selbstverständlich wurde ihm die Bahnfahrt sehr lang, er fieberte nach Gewissheit.

Aber auch diese Reise nahm ein Ende, und gegen halb zwei Uhr stand er vor dem Haus des Justizrats Zausch. Etwas unschlüssig sah er auf die blanken Fenster. Um diese Zeit kam er vielleicht ungelegen. Man saß entweder bei Tisch oder hielt ein Mittagsschläfchen. Aber der Justizrat hatte doch geschrieben, dass er ihn jederzeit erwartete. Also zog er die Glocke, und gleich darauf ließ ihn ein hübsches, freundliches Dienstmädchen eintreten. Er gab ihr seine Karte.

„Der Herr Justizrat erwartet mich.“

Sie sah ihn etwas unschlüssig an. „Er ist gerade bei Tisch – aber ich werde Sie melden.“

Und sie ließ ihn in das Büro eintreten.

Fünf Minuten später trat der Justizrat ein, ein weißhaariger, untersetzter Herr, mit scharf blickenden blauen Augen, die durch eine blank geputzte Brille sahen. Lächelnd reichte er dem Besucher die Hand. „Herzlich willkommen, Herr Doktor; freue mich, dass Sie so schnell gekommen sind! Derartige Sachen mache ich gern schnell ab. Man kann ja schließlich selten genug jemanden die Nachricht bringen, dass er ein reiches Erbe macht.“

„Sie sehen mich noch immer ziemlich fassungslos, Herr Justizrat. Wenn mir plötzlich eine Erbschaft vom Mond gefallen wäre, könnte ich nicht überraschter sein als darüber, dass mein Onkel Herbert mich zu seinem Erben eingesetzt hat, zumal das Verhältnis zwischen ihm und meinem Vater kein gutes war.“

Die Herren hatten Platz genommen, und der Justizrat nickte.

„Weiß ich, weiß ich alles, weiß auch, dass Ihre Frau Mutter die einzige Liebe Herbert Hagmeisters gewesen ist, und gerade weil er ihren Verlust nicht verschmerzen konnte, hat er seinem Bruder nie verzeihen können, dass er von ihr geliebt wurde. Na, und Ihr Herr Onkel spürte dann doch wohl, dass er weder Ihre Mutter noch Ihren Vater dafür verantwortlich machen konnte, dass sie sich so sehr geliebt haben. Nun war er ganz einsam geworden, hatte keine Freude mehr am Leben und machte sich langsam mit dem Gedanken vertraut, Sie zu sich zu rufen. Dass Sie sich in einer wenig beneidenswerten Lage befanden, war ihm bekannt. Er nahm sich daher vor, Ihnen seine Hilfe angedeihen zu lassen, ehe er abberufen würde, und machte auf alle Fälle sein Testament zu Ihren Gunsten. Ehe er jedoch imstande war, Sie zu sich rufen zu lassen, erkrankte er und wurde binnen weniger Tage von einer Grippe, zu der eine Lungenentzündung hinzukam, hinweggerafft. Er trug mir jedoch noch in den letzten Stunden auf, Ihnen zu sagen, er sterbe ohne Groll gegen Ihre Eltern und wünsche, sein Erbe möge Ihnen Segen bringen.“

Rudolf holte tief Atem. „Das alles berührt mich seltsam. Ich hatte keine Ahnung, dass er sich irgendwie um mich kümmerte; ich hatte ihn, offen gestanden, völlig vergessen.“

„Nun, wie dem auch sei. Sie sind sein Universalerbe. Das Rittergut Lengwitz mit allem lebenden und toten Inventar gehört Ihnen. Alles ist in gutem Zustand. Haus, Hof und Wirtschaftsräume bestens erhalten und ausgestattet. Der Boden ist gut und ertragsfähig. Bargeld allerdings hat der alte Herr gerade nur so viel hinterlassen, dass einige Legate ausgezahlt werden können und dass für das nächste Vierteljahr die nötigen Zahlungen bereitliegen. Der springende Punkt für Sie wird die ziemlich hohe Erbschaftssteuer sein, aber schlimmstenfalls müssten Sie eine Hypothek aufnehmen. Lengwitz ist sonst vollständig unbelastet. Immerhin ist diese Erbschaft ihre gute Million wert, und man kann Ihnen dazu schon Glück wünschen, Herr Doktor.“

Während Rudolf noch etwas benommen mit seinen Gefühlen rang, setzte ihm der Justizrat alles auseinander, legte ihm die nötigen Papiere vor und erklärte ihm, dass zwar ein zuverlässiger Verwalter auf Lengwitz angestellt sei und sich seit vier Jahren tadellos bewährt habe, dass es aber dennoch im Interesse des Erbes sei, wenn er selbst in das schöne und geräumige Lengwitzer Herrenhaus übersiedele und die Oberleitung seines Gutes in die Hände nehmen würde.

Rudolf wischte sich, nachdem er alles begriffen hatte, den Schweiß von der Stirn und sagte heiser vor unterdrückter Erregung:

„Das alles ist mir vorläufig wie ein schöner Traum, Herr Justizrat. Es ist jammerschade, dass ich nicht statt Chemie Landwirtschaft studiert habe. Aber schließlich ist es kein Schaden, wenn ein Landwirt auch etwas von Chemie versteht, und ich werde mich schon einarbeiten. Man kann vieles lernen – wenn man ernstlich will, und – ich habe mich schon in schwierigere Situationen finden müssen.“

Dabei dachte er an den Abend im Haus des Bankdirektors und musste in sich hineinlachen.

Der Justizrat sah ihn wohlgefällig an.

„Ich sehe, Sie fassen das Ding am rechten Ende an. Und der Verwalter wird Sie gern in die Schule nehmen, er ist noch. jung, aber ein tüchtiger Mensch, auf den Ihr Herr Onkel große Stücke hielt. Wie ist es? Haben Sie noch Zeit, mit mir nach Lengwitz zu fahren? In einer Stunde können wir dort sein. Es geht an der Küste entlang. Sie werden Ihre Freude haben an der herrlichen Lage Ihres Besitzes.“

Rudolfs Augen strahlten auf. „Wenn ich Sie bemühen darf, Herr Justizrat?“

„Selbstverständlich!“

„Und vielleicht darf ich Sie auch bitten, mir in allen Rechtsfragen beizustehen, wie Sie meinem Onkel beigestanden haben.“

„Ist mir selbstverständlich sehr lieb, man verliert nicht gern eine Klientel. Aber erst kommen Sie mit hinüber zu meiner Frau! Die soll uns eine Tasse Mokka vorsetzen und Ihnen einen Imbiss. Sie haben wohl noch nicht zu Mittag gespeist?“

Rudolf lachte.

„Nein, Herr Justizrat!“

„Na also, dann sollen Sie was Reelles vorgesetzt bekommen, dafür lassen Sie nur meine Frau sorgen!“ Sie gingen hinüber, und die Frau Justizrat löste das Versprechen ihres Gatten ein. Als die Herren eine halbe Stunde später das Auto bestiegen, war Rudolf angenehm gesättigt. Der gute Mokka hatte ihn angeregt, und er hatte inzwischen den Dingen fest in die Augen geschaut. Er hatte zwar immer noch das Gefühl, als sei er im Traum, aber er konnte sich doch schon recht gut in diesem Traum zurechtfinden. Offen und rückhaltlos berichtete er dem alten Justizrat, wie er die letzten Jahre verbracht hatte, bis er schließlich vor kurzem Teppiche geklopft und im Haus des Bankdirektors serviert habe. Der alte Herr sah ihn immer wohlgefälliger an.

„Sie sind schon ein ganzer Kerl, Herr Doktor; verzeihen Sie, dass ich das auf diese etwas derbe Art ausspreche, aber ich freue mich, dass Sie sich nicht haben unterkriegen lassen. So werden Sie auch auf Lengwitz Ihren Mann stehen. Und was an mir liegt, ich werde Ihnen gern helfen, dass Sie sich schnell einleben.“

„Dafür werde ich Ihnen sehr dankbar sein, Herr Justizrat!“

Tief sog Rudolf die frische, würzige Frühlingsluft ein, die vom Meer herüberwehte. „Herrgott, wie schön ist deine Welt“, dachte er.

Sie sahen jetzt ein malerisches Gebäude auftauchen, das von einem großen Park umgeben war.

„Ist das schon Lengwitz?“, fragte Rudolf lebhaft.

„Nein, das ist die Jungfernburg“, erwiderte der Justizrat lächelnd.

„Die Jungfernburg? Was für ein seltsamer Name!“

„Nicht wahr? Das ist auch nur ein Scherz, im Grunde heißt dieses Gebäude das Herrenhaus von Glützow. Dessen junge Herrin hat das Gut von ihrem Vater geerbt und verwaltet es seit seinem Tod, der vor drei Jahren erfolgte, selber. Es steht ihr freilich eine tüchtige Hilfe zur Seite, das ist Fräulein Änne Rasch. Sie ist die Tochter eines verstorbenen Gutsbesitzers, der sie gedrillt hat wie einen Jungen. Alles hat sie lernen müssen, was ein tüchtiger Landwirt wissen muss. Und sie sollte das väterliche Gut allein weiter bewirtschaften, wenn der Vater mal nicht mehr am Leben sein würde. Aber plötzlich kam ein Unglück nach dem anderen über ihren Vater. Das Gut war stark mit Hypotheken belastet, und als der alte Herr starb, kam es unter den Hammer, und Änne Rasch stand dem Nichts gegenüber. Aber verzagen, das gab es nicht bei ihr. Sie sah sich resolut nach einer Verwalterstelle um, die sie freilich kaum gefunden hätte, wenn die junge Herrin von Glützow Änne Rasch nicht vor Jahren in einer Pension kennen gelernt hätte. Fräulein von Glützow hörte von der Bedrängnis ihrer Freundin, und da gerade zu dieser Zeit ihr Vater starb und der Inspektor zu alt für seinen Posten wurde, rief sie ihre Freundin Änne Rasch zu sich und machte sie zu ihrer Verwalterin. Und sie hat es nicht zu bereuen brauchen, die Änne Rasch ist ein Mordskerlchen, tüchtig, fleißig und zuverlässig. Und nun hausen die beiden jungen Damen zusammen auf Glützow, und weil es den Leuten ringsum nicht in ihren dicken Schädel hineinwill, dass ein weiblicher Verwalter etwas gilt, besonders wenn er keinen Herrn, sondern eine Herrin hat, haben sie das Herrenhaus von Glützow die Jungfernburg genannt, zumal es mit seinen Türmen und Zinnen wirklich einer Burg gleicht.“

Interessiert hatte Rudolf zugehört.

„Und was sagen die beiden jungen Damen dazu?“

„Sie lachen darüber und stellen beide ihren Mann. Änne Rasch hat es schnell fertig gebracht, den Leuten zu imponieren. Bei ihr sitzt jedes Wort und jeder Griff, und alle die stiernackigen Kerle gehorchen ihr aufs Wort. Und Fräulein von Glützow ist sehr froh, eine so tüchtige Hilfskraft gefunden zu haben. Sie hat mal zu mir gesagt: ‚Wir wollen den Leuten den Spott schon austreiben, Herr Justizrat, und zeigen, was ein paar tüchtige Frauenzimmer zu Wege bringen. Wir lassen uns nicht unterkriegen, die Änne nicht und ich auch nicht‘.“

„Großartig!“, sagte Rudolf anerkennend. „Das ist die neue Zeit, Herr Justizrat, die Frauen stellen ihren Mann, und mancher von den heutigen Männern verweichlicht dafür und kümmert sich mehr um seinen modernen Anzug als um den Kampf ums Dasein. Diese Jungfernburg mit ihren beiden weiblichen Insassen imponiert mir.“

„Bravo! Und dabei müssen Sie nicht etwa denken, dass diese beiden Frauenzimmer hässlich sind oder unweiblich. Gott bewahre, der Herr im Himmel hat sie auch noch mit allen Reizen geschmückt, die er jemals für die Frauen übrig hatte. Na, Sie werden die beiden Damen schon kennen lernen, sie sind ja Ihre nächsten Nachbarinnen. Halten Sie nur gleich von Anfang an gute Nachbarschaft mit ihnen!“

„Das will ich mir nicht zweimal gesagt sein lassen, Herr Justizrat. Es interessiert mich sehr, die Damen kennen zu lernen.“

Sie fuhren nun eine Weile weiter, ohne zu sprechen. Dann kamen ihnen plötzlich zwei Reiterinnen entgegen.

„Sie haben Glück, Herr Doktor, da begegnen wir gleich Fräulein von Glützow und ihrer Verwalterin. Wollen wir anhalten; soll ich Sie gleich vorstellen?“

Rudolf dachte an seinen etwas abgetragenen und nun auch bestaubten Anzug.

„Nein, bitte nicht, ich bin jetzt nicht in der Verfassung, mich Damen präsentieren zu können. Später nehme ich Ihre Dienste auch in dieser Beziehung gern in Anspruch.“

„Gut, also begnügen wir uns mit einem Gruß im Vorbeifahren!“

Und der Justizrat verlangsamte das Tempo ein wenig, als sie an den Reiterinnen vorüberfuhren. Sie machten beide einen eleganten und damenhaften Eindruck, und es war schwer zu unterscheiden, welches die Herrin und welches die Verwalterin war. Der Justizrat grüßte lebhaft, und Rudolf tat das gleiche. Dann war man aneinander vorüber.

„Die Dame, die rechts ritt, war Fräulein von Glützow“, sagte der Justizrat.

„Ich. habe nicht viel erkennen können, wir waren zu schnell vorüber“, erwiderte Rudolf und sah sich noch einmal nach den beiden Reiterinnen um, die ruhig ihren Weg fortgesetzt hatten, nachdem sie die Grüße der Herren lächelnd erwidert hatten.

Die Herren kamen nun auf Lengwitzer Gebiet; schon konnten sie auf einer kleinen Anhöhe das Herrenhaus erkennen. Es war ein großes und sehr imposantes Gebäude. Die Wirtschaftsräume lagen seitwärts vom Herrenhaus.

„Da ist Lengwitz“, sagte der Justizrat mit einer schnellen, umfassenden Handbewegung.

Rudolf beugte sich vor und ließ seine Blicke umherschweifen. Und dabei wurde ihm ganz wunderlich zumute.

„Das ist jetzt meine Heimat“, sagte er zu sich selbst, und ihm war, als sei ihm seit dem Tod der Eltern zum ersten Mal wieder heimatlich zumute. Seine Augen leuchteten auf. Er musste tief Atem holen; am liebsten hätte er einen lauten Schrei ausgestoßen, um diese neue Heimat zu begrüßen.

Schnell befand sich der Wagen zu Füßen der Anhöhe, und nun ging es langsam aufwärts, bis man vor das Herrenhaus gekommen war. Der Justizrat hupte heftig und andauernd, um jemanden herbeizurufen, der das Portal öffnen könnte, aber es dauerte eine ganze Weile, bis aus einer Tür des Souterrains, in dem sich die Wirtschaftsräume befanden, eine Dienerin herbeigerannt kam.

„Na, ihr sitzt wohl gemütlich bei der Vesper? Schick mir mal schnell die Mamsell herauf! Aber erst mach die Tür auf! Ich bringe den neuen Herrn von Lengwitz. Dalli, dalli, min Döchting!“

Das Mädchen starrte Rudolf an und bekam einen roten Kopf. Dieser schöne junge Herr sollte der neue Herr sein? Das war allerdings ein sehr wichtiges Ereignis! Das Mädel machte schnell das Portal auf und rannte dann davon, als sei ihr das Feuer auf den Fersen. Unten machte sie das ganze Gesinde rebellisch, und in kurzer Zeit kam alles, was Beine hatte, herbeigeeilt, um sich „den neuen schönen jungen Herrn“ anzusehen. Auch der Verwalter erschien und begrüßte den Justizrat, der ihm seinen neuen Herrn vorstellte. Verwalter Harland verneigte sich artig, und sein frisches, offenes Gesicht machte auf Rudolf einen sehr sympathischen Eindruck.

„Haben Sie keine Angst, Herr Verwalter, dass ich Ihnen jetzt schon ins Haus falle, ich wollte nur sozusagen einen Blick auf mein Erbe werfen, ehe ich wieder nach Berlin zurückkehre.“

„Es ist alles zu Ihrer Aufnahme bereit, Herr Doktor. Wenn Sie uns eine kurze Nachricht gesandt hätten, wäre das Haus nicht verschlossen gewesen.“

Rudolf lachte. „Heute Morgen hatte ich noch keine Ahnung, dass ich Herr auf Lengwitz sein würde. Es kam mir alles sehr überraschend. In drei Tagen denke ich wiederzukommen und hier Wohnung zu nehmen. Bis dahin werde ich meine Übersiedlung in die Wege geleitet haben, und dann können Sie mich am Nachmittag erwarten. Heute will ich Sie alle gar nicht weiter stören. Nur einen Blick möchte ich in das Haus werfen.“

Jetzt kam auch die Mamsell atemlos herbeigelaufen. Sie hatte in aller Eile eine weiße Schürze umgebunden, weil das Mädchen aufgeregt von dem schönen jungen Herrn berichtet hatte und Mamsell Häfke noch nicht viel über die Dreißig war. Sie begrüßte den künftigen Gebieter mit gebührender Hochachtung und sagte, dass sogleich ein Imbiss vorgesetzt werden würde. Und sie stob davon, um in der Küche den Tee zu richten und dazu allerlei gute Sachen aus der Speisekammer hervorzuzaubern.

Im Handumdrehen war in dem gediegenen und vornehm eingerichteten Speisezimmer ein Imbiss serviert, wozu sich auf Rudolfs Bitte auch der Verwalter mit niederließ.

Dass er ein gebildeter Mann mit guten Formen war, hatte Rudolf schon im ersten Augenblick herausgefunden. Auch gefiel es ihm sehr, dass der Verwalter ruhig und bestimmt, aber keineswegs kriechend freundlich war. Das war ein Mann, der sich seines Wertes bewusst war. Und deshalb sagte Rudolf, während sie zulangten:

„Es wäre mir sehr lieb, Herr Verwalter, wenn Sie künftighin an meinen Mahlzeiten mit teilnehmen würden. Es ist unbehaglich, allein essen zu müssen.“

Der Verwalter verneigte sich. Sein neuer Herr wurde ihm immer sympathischer. „Ganz, wie Sie wünschen, Herr Doktor.“

Rudolf erfuhr auf seine Frage, dass der Verwalter Landwirtschaft studiert habe und dass sein Vater ein kleines Gut besäße, das nicht genügend Arbeit für Vater und Sohn bot. Ehe Rudolf nach einer Stunde wieder mit dem Justizrat davonfuhr, waren sich die jungen Männer beiderseitig achtungsvoll näher gekommen. Zuletzt, ehe die Herren abfuhren, fragte der Verwalter:

„Wie ist es, Herr Doktor, wollen Sie sich nicht für alle Fälle mit etwas Geld versorgen? Da, wie ich weiß, einige Zahlungen eingegangen sind, verfügte die Wirtschaftskasse über einige tausend Mark.“

Rudolf hatte auch dem Verwalter gegenüber keinen Hehl aus seiner bisherigen misslichen Lage gemacht und sah ihn nun lachend an.

„Wenn ich darüber zu verfügen habe, bin ich nicht abgeneigt, das Geld an mich zu nehmen, es wird mir den Abschied von Berlin erleichtern.“

Und so ging der Verwalter schnell hinunter ins Inspektorhaus und holte das Geld herbei. Es waren sechstausend Mark, und Rudolf musste ordnungsgemäß darüber quittieren. Er lachte ein wenig, als er das Geld in seiner abgegriffenen Brieftasche unterbrachte, und sagte aufatmend:

„Wie dankbar ich meinem Onkel bin, dass er mich zu seinem Erben eingesetzt hat, kann ich nicht in Worte fassen. Sehen Sie sich meinen besten Anzug an! Es ist höchste Zeit, dass er einen Nachfolger erhält. Und ich bin froh, dass ich über dieses Geld verfügte, damit ich mich vor meiner Übersiedlung anständig ausstatten kann, wie es sich für den Herrn eines so stolzen Guts gehört. Das ist mir schon der Leute wegen lieb, die aus Autoritätsgründen nicht zu wissen brauchen, dass ich vor kurzem noch Teppiche geklopft habe, um nicht verhungern zu müssen. Gerade die Leute, die derartige Arbeiten verrichten müssen, betrachten es seltsamerweise für unsereinen als eine Schmach, wenn wir gezwungen sind, das Gleiche zu tun. Ich habe das schon oft genug beobachtet. Ich schäme mich aber durchaus nicht, die niedrigste Arbeit verrichtet zu haben, denn es war ehrliche Arbeit. Aber Autorität muss sein, und ich will die Leute, die künftighin von mir abhängig sein werden, nicht erst in Zweifel bringen, ob sie es nötig haben, jemandem zu gehorchen, der zeitweilig auch nur ein einfacher Arbeiter gewesen ist.“

Günter Harland, der Verwalter, sah Rudolf mit leuchtenden Augen an, und als er ihm zum Abschied die Hand reichte, drückte er sie herzlich. Sein neuer Herr imponierte ihm. Auch der Justizrat drückte Rudolf die Hand, er sprach kein Wort dabei, aber Rudolf wusste, dass dieser Händedruck einen Anerkennung war.

Rudolf Hagmeister fuhr nun mit dem Justizrat wieder davon, und die Leute blickten ihm neugierig, aber unbedingt einverstanden mit der neuen Herrschaft nach.

Unterwegs fragte der Justizrat: „Nun, Herr Doktor, wie gefallen Ihnen Lengwitz und der Verwalter?“

Mit ernsten Augen sah ihn der junge Mann an. „Es liegt nicht in meiner Art, Herr Justizrat, Menschen und Dinge nach einer oberflächlichen Prüfung zu beurteilen, aber ich kann sagen, dass der Verwalter mir gleich beim ersten Sehen sehr sympathisch war, und was Lengwitz anbelangt – ich hatte das Gefühl, als habe ich nach langem Umherirren endlich eine Heimat gefunden. Ich freue mich unsagbar, dass mein Onkel Herbert mich für wert hielt, mir sein Erbe anzuvertrauen, und ich will mich dessen würdig zeigen, will es als ein anvertrautes Gut hüten und fördern, so viel ich kann. Sie sagten mir, ich müsse vielleicht eine Hypothek aufnehmen, um die Erbschaftssteuer bezahlen zu können. Das geht mir gegen den Strich; meinen Sie nicht, dass ich imstande sein werde, bei größter Sparsamkeit so viel zu erübrigen, dass ich diese Steuer begleichen kann? Vielleicht kann ich mir, wenn das nicht geht, auch eine Summe, die unbedingt nötig ist, für einige Jahre leihen, ohne eine Hypothek aufnehmen zu brauchen. Das lässt sich aber erst erledigen, wenn ich die Verhältnisse besser kenne, wenn ich beurteilen kann, was für Einnahmen ich habe und wie viel ich sparen kann. Ich werde, soweit ich mich kenne, nie besonders große Ansprüche an das Leben stellen, und so denke ich doch, dass ich Lengwitz schuldenfrei halten kann.“

Der Justizrat hatte aufmerksam zugehört. Jetzt nickte er ihm zu.

„Wenn das Ihr Onkel gehört hätte, würde es ihn freuen. Er hat auch immer darauf gehalten, Lengwitz schuldenfrei zu halten und sich in schweren Zeiten lieber mancherlei versagt. Nun wollen Sie das fortsetzen; es wird auch gehen, wenn Sie es ernstlich wollen. Ich werde Ihnen darüber eine Aufstellung machen. Das Finanzamt wird mit sich reden lassen, wenn ich alles klarlege. Schlimmstenfalls aber verschaffe ich Ihnen das nötige Kapital, das Sie zur Erledigung brauchen, ohne hypothekarische Sicherheit. Darüber sprechen wir noch. Also wenn Sie in drei Tagen wiederkommen, werden Sie mit allen Rechtstiteln in Ihr Erbe eingesetzt, und ich werde mich für diesen Tag frei halten und alles Nötige in die Wege leiten.“

„Dafür danke ich Ihnen, Herr Justizrat.“

Die Herren besprachen auf der Fahrt noch allerlei. Als sie an der „Jungfernburg“ vorüberkamen, hörten sie jenseits der Parkmauer helles, klingendes Frauenlachen. Sie horchten auf und sahen sich lächelnd an.

„Gelt, das macht einem das Herz warm, dieses junge, frische, unbekümmerte Lachen?“

Rudolf hatte das Empfinden, als begrüße ihn dieses Frauenlachen in der neuen Heimat. Es klang ihm bis ins Herz hinein. Aber er sagte nichts, neigte nur das Haupt zu des Justizrats Worten.

Jetzt hörte man drüben wohl das Rattern des Motors, denn es wurde auf einmal ganz still. Aber als das Auto vorüber war, beugte sich ein blonder und ein brauner Mädchenkopf über die Parkmauer.

„Wahrhaftig, Mona, es war wieder der Wagen des Justizrats, aber er nimmt den jungen Herrn wieder mit fort“, sagte Änne Rasch und warf die braunen Locken übermütig zurück. Mona von Glützow sah dem Wagen nach. „Dann war es wohl doch nicht der neue Herr von Lengwitz, sonst wäre er gewiss drüben geblieben.“

„Weiß man denn, ob er in Lengwitz residieren wird? Vielleicht überlässt er alles dem Verwalter Harland.“

„Nun, dann gibt er sein Erbe in verlässliche Hände.“

„Meinst du?“ Das kam etwas zweifelnd über Ännes Lippen.

Mona drohte ihr mit dem Finger. „Nein, Änne, gerecht muss man auch bleiben, und wenn sich Harald auch, wie alle anderen, ein wenig über unsere Jungfernburg mokiert, tüchtig muss er schon sein.“

Änne war ein wenig rot geworden. „Ja doch, bestreite ich auch gar nicht, aber er soll bloß nicht tun, als hätten die Männer ganz allein alle Tüchtigkeit gepachtet. Ich werde ihm schon zeigen, dass eine Frau, wenn sie nur ernstlich will, ebenso viel leisten kann wie er und die Männer überhaupt.“

Mona lachte. „Aber Änne, das hast du ihm doch schon gezeigt! Warum bist du denn so zornig?“

„Weil er immer so überlegen lächelt, wenn ich mal mit ihm zusammentreffe, was sich ja nun mal nicht vermeiden lässt.“

Mona schlang den Arm um die Freundin und zog sie mit sich von dem erhöhten Ausguck herab. „Ach, Änne, die Männer sind doch gar nicht wichtig genug, als dass wir uns über sie ärgern und aufregen müssten.“

Änne atmete auf und nickte energisch. „Recht hast du, Mona. Aber nun habe ich ein ausgiebiges Teestündchen mit dir verplaudert, und jetzt muss ich wieder an die Arbeit. Eine Schande eigentlich, dass ich nicht schon längst wieder auf den Feldern bin, jetzt im April, wo so viel zu tun ist und man kaum bis sieben Uhr draußen sehen kann. Ich muss mich eilen. Will sehen, wie weit die Leute mit dem Säen von Gerste und Hafer gekommen sind. Die Kleefelder müssen auch gegipst werden, und bei den Wintersaaten müssen wir mit künstlichem Dünger nachhelfen. Hoffentlich hilft uns der Himmel beim Bewässern der Wiesen, dass wir eine gute Heuernte haben.“

Mona hatte lächelnd zugehört. „Wie du das alles im Kopf hast, Änne – fabelhaft! Du bist wirklich ein hervorragender Landwirt.“

„Ich wüsste auch nicht, woher ich sonst den Mut hätte nehmen sollen, mich als Verwalter zu verdingen. Wir Frauen müssen doch mehr leisten können als die Männer, damit wir wenigstens ernst genommen werden.“

„Nun, ich habe dich von Anfang an ernst genommen. Und ich schäme mich, dass ich so viel weniger tüchtig bin als du.“

„Brauchst du nicht, du stellst schon auch deinen Mann. Und wozu bin ich da? Du als Herrin von Glützow brauchst dich doch nicht abzurackern, dazu hast du doch deinen Verwalter.“

So waren sie bis ans Herrenhaus herangekommen. Vor der breiten Steintreppe, die zum Portal hinaufführte, stand ein Reitknecht, der Ännes Pferd am Zügel hielt. Mit einem Satz war sie auf dem Pferderücken, ordnete die Steigbügel und nickte Mona noch einmal zu.

„Wiedersehen, Mona!“

„Wiedersehen, Änne! Ich begreife nicht, dass es dir nicht zu viel wird, du bist heute wieder mindestens sieben Stunden im Sattel. Ich habe mit dreien reichlich genug.“

Änne lachte.

„Dank meinem Vater, der mich schon als Säugling an den Gaul gewöhnt hat.“

Und lachend ritt sie davon. Mona sah ihr eine Weile lächelnd nach. Sie war von Herzen froh, Änne zu haben, die ihr nicht nur eine tüchtige Gutsverwalterin war, sondern ihr auch noch eine Gesellschafterin ersetzte und es unnötig machte, dass sie eine Anstandsdame im Haus halten musste.

***

Rudolf Hagmeister war nach Berlin zurückgekehrt und benutzte die drei Tage, um alles für seine Übersiedlung nach Lengwitz vorzubereiten. Noch immer war ihm des Morgens, wenn er in seinem schlichten Zimmerchen aufwachte, als habe er geträumt, als werde nun gleich die ganze Erbschaft verschwunden sein. Und jedes Mal war es ihm, als würde sie ihm neu geschenkt. Er hatte zuerst in ein Hotel übersiedeln wollen, wo er etwas behaglicher untergebracht sein würde als bei Frau Mengers, aber dann spottete er sich selbst aus. Als wenn das schlichte Zimmer nicht auch noch die drei Tage gut genug sein würde, nachdem er so lange froh gewesen war, diese Unterkunft zu haben! Also blieb er. Und Frau Mengers bekam die heiß ersehnte Kaninchenjacke und ein seidenes Kleid und wusste vor Glück nicht, was sie alles anstellen sollte. Mit großen Augen hörte sie zu, als Rudolf ihr berichtete, dass es wirklich und wahrhaftig seine Richtigkeit habe mit dem großen Erbe und dass er nun ein Gutsbesitzer sei und nahe der Ostsee auf einem schönen Gut leben würde. Alles presste sie aus ihm heraus, und geduldig berichtete er über alles, was sie wissen wollte.

Einige Anzüge kaufte er noch, ehe er Berlin verließ, auch Wäsche und Schuhe und was er sonst noch brauchte. Er hatte sich für alle Gelegenheiten ausgestattet, auch für eventuelle Gesellschaften, in denen er als Gutsherr von Lengwitz würde auftreten müssen.

Frau Mengers packte ihm alles in die neuen, großen Koffer, deren Neuheit Rudolf gewaltsam ein wenig zerstörte, zum Entsetzen seiner Wirtin. Erschrocken versuchte sie die künstliche Ramponierung wieder zu verwischen, aber Rudolf hatte ganze Arbeit gemacht, und um die Neuheit war es ein für allemal geschehen. Frau Mengers konnte sich nicht darüber beruhigen und jammerte über die schönen, neuen Koffer, die nun schon aussähen, als seien sie verschiedene Male auf Reisen gewesen. Dass Rudolf das beabsichtigt hatte, ahnte sie nicht. Liebevoll packte sie alle die herrlichen Sachen in die Koffer und freute sich an jedem Stück. Es tat ihr außerordentlich Leid, dass sie Rudolf nicht in all diesen Kleidungsstücken bewundern konnte.

„Na, Herr Doktor, da werden sich ja die jungen Mädels die Augen aus dem Kopfe kieken, ich ahne schon, lange dauert’s nich, dann machen Sie Hochzeit. Aber da müssen Sie mir eine Anzeige schicken, das tun Sie mir nich an, dass Sie in den heiligen Ehestand rintreten, ohne es mich mitzuteilen. Geben Sie mich doch mal den Stoß Oberhemden rüber! Jotte doch, ist das ein feiner Pikee! So, un nun die Taschentücher, die kriege ich hier noch mang die Ecke!“

So ging es weiter, und am liebsten hätte sie es gesehen, wenn er alle die schönen Sachen erst mal zu ihrem persönlichen Gaudium Probe getragen hätte. Aber es war nun höchste Zeit, dass alles fertig wurde, denn morgen Früh wollte ihr Herr Doktor abreisen. Diesmal selbstverständlich fein mit einem Taxi! Und Frau Mengers ging mit hinunter, damit ja nur alle Leute sahen, dass es ihr Mietsherr war, der stolz per Auto davonfuhr.

„Am Ende kaufen Sie sich mal selber ein Auto, Herr Doktor!“, sagte sie. Rudolf hätte ihr ja sagen können, dass er ein Auto geerbt habe, das in der Lengwitzer Garage stand, aber er ahnte schon, dass sie dann aufkreischen würde vor Begeisterung. Darum ließ er es lieber bleiben.

Er atmete einigermaßen erlöst auf, als das Auto anfuhr und Frau Mengers heulend und winkend zurückblieb. Sie war im Nu von einem Schwarm Menschen umringt, denen sie aufgeregt die Geschichte ihres Mieters erzählte.

„Wahrhaftigen Jott, vorige Woche hat er noch Teppiche gekloppt für Bankdirektors, un nu is er ein reicher Gutsbesitzer! So geht’s im Leben, mal oben, mal unten. Wer kann wissen, ob nich einer von uns auch mal so ’n Treffer macht? Ich spiele jedenfalls in die Lotterie!“

So sagte sie zum Schluss, und auf den stillen, blassen Gesichtern ihrer Zuhörer erschien ein flüchtiges Rot. Ob man es auch mal in der Lotterie versuchte? Aber die meisten unterließen es. Es gab so viele Nieten und so wenige Gewinne, und einen Erbonkel hatte man auch nicht. Aber es war doch eine kleine Auffrischung gewesen, dass man vom Glück eines Menschen gehört hatte, der vorige Woche noch „Teppiche gekloppt hatte.“

Rudolf Hagmeister fuhr indessen nach dem Bahnhof, und diesmal löste er ein Billett zweiter Klasse, wie er es schon anlässlich der Ruckreise von Stralsund getan hatte, denn der Justizrat hatte lächelnd gesagt, als Herr von Lengwitz möge er lieber nicht dritte Klasse fahren, es sei wegen der Autorität.

Wie ganz anders war Rudolf auf dieser zweiten Reise nach Stralsund zumute! Dort wollte ihn der Justizrat mit seinem Auto am Bahnhof abholen, und in Lengwitz würde man mit dem Mittagessen auf die beiden Herren warten.

Es verlief alles programmmäßig. Der Justizrat und der Verwalter hatten alles vorbereitet. Einige Herren vom Gericht waren anwesend, und Rudolf wurde in feierlicher Weise in sein Erbe eingesetzt. Auch die Herren vom Gericht nahmen an der Mittagstafel teil. Es ging in diesen ersten Stunden, die Rudolf in seiner neuen Heimat verlebte, etwas unruhig zu, denn es gab vielerlei zu erledigen. Aber Rudolf zeigte sich seiner neuen Würde als Gutsherr vollkommen gewachsen.

Als die Herren vom Gericht fortgefahren waren, blieb Rudolf mit dem Justizrat und dem Verwalter allein zurück, und nun wurden interne Angelegenheiten besprochen. Es folgte dann ein Gang durch das Haus, durch die Ställe und Scheunen sowie durch den Park, der die ganze Anhöhe, auf der das Herrenhaus stand, umgab. Der Justizrat blieb noch zum Tee und versprach, am nächsten Tag noch ein mal wiederzukommen, um alles, was noch nicht erledigt war, zu besprechen.

***

Als Rudolf am nächsten Morgen aufwachte, geweckt durch ein lebhaftes Vogelkonzert vor seinem Fenster, sah er sich etwas erstaunt um. Dann erst wusste er, wo er sich befand, und sprang mit einem Satz aus dem Bett. Er öffnete das Fenster und atmete tief die reine Luft in sich ein, die vom Meer herüberkam. Schnell begab er sich in das angrenzende Badezimmer hinüber. Welch eine Wohltat, dieses erfrischende Bad!

Er sah nach der Armbanduhr. Es war noch nicht ganz sieben Uhr, und der Verwalter hatte ihm gestern versprochen, um diese Zeit noch zu Hause zu sein und ihn am Frühstückstisch zu erwarten. Also los und hinunter!

Lachend begrüßte er Günter Harland, der im Reitanzug am Fenster stand. Auch Rudolf hatte den grauen Reitanzug angezogen, den er sich in Berlin gekauft hatte.

„Heute ist es spät geworden, Herr Harland, morgen werde ich zeitiger aus den Federn kriechen.“

„Es eilt doch nicht für Sie, Herr Doktor, Sie haben ja Zeit.“

Rudolf winkte energisch ab, und seine grauen Augen strahlten unternehmungslustig.

„Nein, nein, mein lieber Herr Verwalter, Sie müssen nicht denken, dass ich hier auf der faulen Haut liegen will. Ich fordere mein gutes Maß an Arbeit und will bei Ihnen fleißig in die Schule gehen. Sie ahnen nicht, mit welcher Lust ich an die Landwirtschaft herangehe! Ich will Ihnen mit der Zeit alle Pfiffe und Kniffe ablauschen, denn wenn Sie eines Tages, wie Sie mir gestern andeuteten, auf Ihr väterliches Gut zurückkehren, will ich nicht hilflos zurückbleiben.“

„Dieser Tag wird hoffentlich noch in weiter Ferne liegen, Herr Doktor, denn er wird nur kommen, wenn mein Vater nicht mehr schaffensfähig ist. Sonst lässt er mich nicht ran, mein alter Herr ist gottlob noch sehr rüstig und agil.“

„Schön, der Herr möge ihn ein hohen Alter erreichen lassen und ihm ungebrochene Schaffenskraft bescheren! Aber sehen Sie, Lengwitz ist ein weites Arbeitsfeld, und wie Sie mir sagten, hat mein Onkel fleißig mitgearbeitet an der Bewirtschaftung des Guts. Sie können ja auch nicht alles allein tun, so weit übersehe ich die Verhältnisse schon. Also drillen Sie mich bitte gründlich. Ich will lernen, will arbeiten, und Sie sollen mir dazu verhelfen, dass ich alles gut und richtig mache. Also, von morgen an stehe ich mit Ihnen zusammen auf und begleite Sie auf allen Wegen. Ich hoffe, aus uns wird bei treuer Zusammenarbeit bald ein Freundespaar geworden sein. Sie gefallen mir, und der Justizrat singt Ihr Lob in allen Tönen. Heute Nachmittag habe ich mit dem alten Herrn noch allerlei zu tun, aber morgen fängt ein neues Leben an.“

Ein warmer Blick aus Günter Harlands Augen flog über den Tisch zu ihm hinüber. „Mir scheint, es wird mir viel Freude machen, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Ihr Herr Onkel war mir auch ein guter, verständnisvoller Herr, aber – seine Freundschaft hat er mir nie in Aussicht gestellt. Ich danke Ihnen, dass Sie das getan haben.“

Rudolf reichte ihm die Hand über den Tisch hinüber. „Wahrscheinlich werde ich mindestens so viel dabei gewinnen wie Sie. So, ich bin satt und fertig, entschuldigen Sie mich noch fünf Minuten, dann bin ich wieder unten! Sie können inzwischen die Pferde vorführen lassen. Wie ist es denn – kämen wir im Auto nicht noch schneller voran?“

„Die Wege sind größtenteils schwer mit dem Auto zu befahren. Wir kommen ungehinderter und schneller mit Pferden voran, vorausgesetzt, dass wir nicht weiter ins Land hinein müssen, wo bessere Wege sind. Hier in der Nähe der Dünen sind Pferde entschieden vorzuziehen.“

„Gut, danke für diese erste Lektion!“

Rudolf eilte hinauf, um Reitpeitsche, Mütze und Handschuhe zu holen.

Unten vor dem Portal standen die Pferde, und die Herren saßen auf.

„Doch gut, dass ich mal reiten gelernt habe. Das kommt mir nun zustatten“, sagte Rudolf lachend, während sie die Anhöhe hinabritten. Unten ging es dann längs der Dünen hin und danach ein Stück landeinwärts. Sie erreichten die ersten Felder, wo die Lengwitzer Leute bei der Arbeit waren. Sie sahen ein wenig neugierig zu ihrem neuen Herrn hinüber, während der Verwalter seine Anordnungen traf, hier eine Vernachlässigung rügte, dort ein Lob aussprach. Es fiel Rudolf auf, dass die Leute wohl ernst und etwas schwerfällig waren, aber doch nicht gar zu abgearbeitet oder mürrische Gesichter hatten, wie es in Berlin bei den Schwerarbeitern oft der Fall war. Darüber sprach er auch zu Günter Harland, als sie weiterritten. Der nickte.

„Die Leute haben es hier auch nicht so schwer, sie sind den ganzen Tag an der frischen Luft, und Ihr Herr Onkel hat immer dafür gesorgt, dass sie zu ihrem Recht gekommen sind. Not braucht keiner von ihnen zu leiden.“

Ein tiefer Atemzug hob Rudolfs Brust. „Noch vor sehr kurzer Zeit hätte ich herzlich gern mit einem von ihnen getauscht.“

„Das schlechteste Leben führen sie auch nicht. Sie haben fast alle ihre kleine Kate für sich, wo die Frauen, wenn die Männer nicht Zeit haben, das Stück dazugehörige Feld bebauen. Saatgut und Kartoffeln bekommen sie, und haben sie sich etwas zusammengespart, dann kaufen sie sich noch ein Stückchen Land dazu. Arbeitslosigkeit gibt es hier oben bei uns nicht. Wer nicht bei der Landwirtschaft untergebracht ist, betreibt den Fischfang.“

So lernte Rudolf langsam Land und Leute kennen.

Sie kamen nun an eine Waldgrenze, an der sich Wiesen hinstreckten.

„Der Wald da drüben gehört schon zu Glützow“, sagte der Verwalter.

„Ah, ich sah neulich zwei Damen zu Pferd unterwegs, und der Justizrat sagte mir, dass die eine, Fräulein von Glützow, meine nächste Nachbarin sei, und die andere ihre Verwalterin. Übrigens die erste Gutsverwalterin, die ich in meinem Leben zu Gesicht bekam.“

Es flog ein Lächeln über Herrn Harlands Gesicht. „Wird wohl auch nicht viele geben – von dieser Sorte gewiss keine zweite.“

„Der Justizrat meinte, sie sei sehr tüchtig.“

Es zuckte in des Verwalters Zügen. „Ist sie auch – Hut ab! Wenn sie nur nicht so grantig wäre.“

„Ah, ist sie das?“

„Sehr, sie hat Haare auf den Zähnen und lässt sich von keinem Mann imponieren oder an den Wagen fahren. Na, überhaupt, drüben in der Jungfernburg, wie das Herrenhaus von Glützow genannt wird, gibt es nur eine Losung und ein Feldgeschrei: Los vom Mann!“

Das klang eigentümlich gereizt, und Rudolf sah den blonden Recken an seiner Seite heimlich forschend an. Er war ein erfreulicher Anblick, der Herr Verwalter, rank und schlank, Sehnen wie Stahl, Muskeln wie von Eisen, ein prachtvoller Kopf mit charakteristischen Linien, ein schmallippiger Mund und eine stolze, ungezwungene Haltung. Sollte dieser Prachtmensch bei dem Fräulein Verwalter auf Granit gebissen haben? War doch kaum möglich? Aber die Frauen haben ihren eigenen Ansichten über das, was bei einem Mann liebenswert ist. Jedenfalls wollte es ihm scheinen, als stehe sein Begleiter diesem Fräulein Verwalter nicht gleichgültig gegenüber. Es blitzte entschieden zornig auf, und wenn ein Mann zornig auf eine Frau war, steckte meistens ein zu großes Wohlgefallen dahinter, das nicht genug gewürdigt wurde.

„So, so? Also die Damen in Glützow wollen nichts mit Männern zu tun haben. Auch die Herrin nicht?“

„Scheint so. Die reinen Spottdrosseln alle beide. Lässt man sich mit ihnen in ein Gespräch ein, gibt es Spitzfindigkeiten. Dann ärgert man sich und wird auch ausfallend; man kann es sich doch nicht gefallen lassen, dass sie sich über einen lustig machen.“

Rudolf lachte in sich hinein. „Vielleicht wehren sie sich nur ihrer Haut, weil wir Männer uns meistens ein wenig überheblich den Frauen gegenüber benehmen.“

Günter Harland stutzte und sah Rudolf etwas beklommen an. Hatte er vielleicht Recht? Es konnte wohl sein, dass er ein wenig schuld daran war, wenn Fräulein Änne Rasch ihn immer so abblitzen ließ. Er hatte sie wirklich zuerst ein bisschen über die Schulter angesehen und sich über ihre Verwalterschaft lustig gemacht. Das ließ sich Änne Rasch nicht gefallen, auf keinen Fall.

„Hm! Von der Seite habe ich das noch gar nicht betrachtet. Aber Holla! Lupus in fabula – da kommen die beiden Damen eben aus dem Wald geritten! Darf ich sie mit Ihnen bekannt machen, Herr Doktor?“

„Wenn ich bitten darf“, erwiderte Rudolf und sah den beiden Damen, die langsam auf sie zugeritten kamen, forschend entgegen.

Der Verwalter zog die Mütze und begrüßte die Damen artig, aber nicht sehr freundlich.

„Guten Morgen, gnädiges Fräulein, guten Morgen, Fräulein Rasch! Darf ich Ihnen den neuen Herrn von Lengwitz, Herrn Doktor Hagmeister, vorstellen. Er ist gestern eingetroffen. Fräulein von Glützow, Fräulein Rasch.“

Rudolf verneigte sich sehr artig. „Ich hatte schon vor einigen Tagen bei meinem ersten Besuch in Lengwitz die Ehre einer flüchtigen Begegnung. Herr Justizrat Zausch verriet mir Ihre Namen. Bitte verzeihen Sie, dass ich mich hier ein wenig formlos vorstellen lasse; ich werde mir erlauben, Ihnen in den nächsten Tagen einen Antrittsbesuch zu machen, und hoffe, dass Sie mich nachbarlich aufnehmen werden“, wandte er sich an Mona von Glützow.

Ihre braunen, goldig schimmernden Augen, die ihm sehr schön erschienen, sahen aufmerksam in sein markantes, energisches Gesicht. Unter dem Blick, den er auf sie richtete, wurde sie ein wenig unsicher, was ihr sonst selten geschah. Sie ärgerte sich darüber, richtete sich stolz empor und neigte nur leicht das Haupt.

„Wir werden uns freuen, Herr Doktor, wenn wir uns nachbarlich begegnen können. Vormittags wollen Sie bitte auf einen Besuch in Glützow verzichten, aber nachmittags in der Teestunde sind wir immer zu Hause.“

Das klang kühl und formell bis ans Herz hinan.

Rudolf verneigte sich wieder, hatte aber das Gefühl, als wehe ihm Eisesluft entgegen, als er den stolzen Blick ihrer Augen sah.

Wenn diese stolze Dame ahnte, dass ich fremder Leute Teppich geklopft habe, wie würde sie dann erst mit mir umgehen?, dachte er ironisch. Aber es ärgerte ihn sehr, dass sie so abweisend und stolz war, denn – sie gefiel ihm sonst sehr gut. Himmel, wenn sie auch noch liebenswürdig sein würde, dann wäre er rettungslos ihrem Zauber erlegen. Noch nie war ihm eine Frau begegnet, die in ihrem Äußeren so ganz das Ideal verkörperte, dass er sich von der Frau gemacht hatte. Sie war schlank und doch nicht unweiblich mager, ihre Gestalt zeigte das richtige Ebenmaß und wirkte unbedingt weiblich. Das blonde Haar hing, anscheinend von einem scharfen Ritt, ein wenig zerzaust unter dem kleinen Reithut hervor. Ein feines Näschen, ein blühender, schön geschwungener Mund, wundervolle Zähne und dunkle Brauen und Wimpern, die die Wirkung der großen, samtbraunen Augen unterstützten, das alles vereinigte sich zu einem bezaubernden Ganzen, und wenn dieser Mund und diese Augen nicht eine so eisige Kühle ausgeströmt hätten, wäre es wahrscheinlich schon in dieser ersten Stunde des Begegnens um Rudolf geschehen gewesen. So wappnete aber auch er sich mit ruhigem Gleichmut und erwiderte, dass er sich an einem der nächsten Tage die Ehre geben würde.

Er sprach dann auch einige Worte mit Änne Rasch: „Ich hörte sowohl vom Herrn Justizrat wie auch vom Herrn Verwalter, dass Sie eine eminent tüchtige Landwirtin sind und uns Männern scharfe Konkurrenz machen“, sagte er lächelnd.

Dieses Lächeln hielt Änne Rasch nun leider für ein wenig ironisch. Kriegslustig richtete sie sich sogleich auf. „Ich will keineswegs mit den Männern in Konkurrenz treten, aber jedenfalls werde ich mich durchsetzen, allen Spöttereien zum Trotz.“ Rudolf unterdrückte das Lächeln, das ihre streitbaren Worte ihm abnötigen wollten.

„Sie haben ganz Recht, Fräulein Rasch, wenn Sie sich nicht unterkriegen lassen wollen. Den Versuch werden auch wohl nur törichte Menschen wagen. Jedenfalls rühmte der Herr Justizrat mir gegenüber sehr Ihre Tüchtigkeit und Umsicht, und Herr Harland sagte mir vorhin wörtlich, als ich ihm das sagte: ‚Ist sie auch, Hut ab!‘“

Da schoss plötzlich das Blut in das reizende Gesicht von Änne Rasch und seltsamerweise zugleich in die Stirn des Verwalters. Rudolf gab sich den Anschein, beides nicht zu bemerken, und plauderte noch ein Weilchen in unbefangener Weise. Dann verabschiedeten sich die Damen und ritten weiter, während die Herren auf ihren Pferden hielten und ihnen schweigend nachsahen.

Erst als die Reiterinnen ihren Blicken entschwunden waren, sagte der Verwalter:

„Au weh, Herr Doktor, da haben Sie mich ja bei Fräulein Rasch schön hereingeritten.“

Und er sah Rudolf dabei vorwurfsvoll an.

Rudolf wusste sehr wohl, was er meinte, fragte aber anscheinend unschuldsvoll: „Wie meinen Sie das?“

„Nun, Sie haben Ihr doch gesagt, dass ich sie für sehr tüchtig halte und den Hut vor ihr abnehmen will.“

Wieder sah Rudolf ganz harmlos aus, wenn es auch leicht um seinen Mund zuckte.

„Wollten Sie sie denn nicht wissen lassen, dass Sie die größte Hochachtung vor ihr haben?“

Harland wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Dann ist gleich gar kein Auskommen mit ihr!“

Rudolf musste nun doch lachen. „Oder es wird viel besser gehen; wenn sie merkt, dass sie nicht mehr um Anerkennung zu kämpfen braucht, wird sie vielleicht viel umgänglicher. Geben Sie es doch auf, gegen die jungen Dame zu Felde zu ziehen! Mir scheint doch, dass sie es wert ist, dass man sich gut zu ihr stellt. Mir imponiert es jedenfalls, wie unverzagt sie den Kampf mit dem Leben aufgenommen hat. Leicht ist ein derartiger Posten für eine Frau gewiss nicht, und wenn sie ihn gar noch gut ausfüllt, ist das doppelt anerkennenswert. Und dabei wirkt sie nicht einmal unweiblich, sie hat sogar einen gewissen Charme, der sicherlich noch viel intensiver zur Geltung kommen wird, wenn sie nicht immer im Verteidigungszustand sein muss.“

Günter Harland sah Rudolf entschieden etwas beklommen an. Einen Moment stieg etwas wie Angst in ihm auf, sein neuer Herr könnte sich in diese kleine Verwalterin verlieben. Warum schmerzte ihn der Gedanke? Er richtete sich straff im Sattel empor. Sein Blick glitt forschend über Rudolfs Gesicht.

„Hm! Vielleicht haben Sie Recht, Herr Doktor. Man kennt sich bei den Frauen niemals aus. Ich wollte sie mir nur nicht über den Kopf wachsen lassen, als Mann muss man doch oben bleiben.“

„Muss man?“, fragte Rudolf ein wenig ironisch.

Da schoss dem Verwalter wieder jäh das Blut ins Gesicht.

„So ist es doch immer gewesen!“

„Solange die Frauen von uns Männern abhängig waren und wir für sie sorgen mussten, schön! Aber jetzt ist doch alles anders geworden. Sehen Sie mal, dieses Fräulein Verwalter hat es fertig gebracht, sich auf einem verantwortungsvollen Posten zu bewähren und ihn ebenso gut auszufüllen wie ein tüchtiger Mann. Ich laufe schon fast drei Jahre mit meinem Dr.-Ing. herum und hatte es nicht weitergebracht als zum Gelegenheitsarbeiter, der mühsam sein Brot verdiente. Soll ich da dieses Fräulein Verwalter nicht anerkennen? Ich finde es fabelhaft, dass sie sich durchgesetzt hat. Ein bisschen Glück hat sie allerdings gehabt, weil Fräulein von Glützow den Mut hatte, sie einzustellen. Aber ehrlich, Herr Harland: Wenn wir Männer in der heutigen Zeit nicht ein bisschen Glück haben, kommen wir trotz aller Tüchtigkeit und allem Fleiß auch nicht voran.“

Stumm hatte Günter Harland zugehört. Ernst sah er Rudolf in die Augen.

„Sie haben Recht, tausendmal Recht, und ich bin ein blöder Trottel, dass ich mich hinter meiner überheblichen Männlichkeit verschanzt habe.“

Rudolf nickte ihm zu.

„Im Grunde haben Sie ihr ja auch Anerkennung gezollt und sich gewissermaßen nur gegen Ihre eigene Überzeugung gewehrt – vielleicht aus einer gewissen Angst heraus, dass dieses kleine Fräulein Ihnen eines Tages zu sehr ans Herz wachsen könnte?“

Diese Worte Rudolfs hatten Günter Harland nicht wenig in Schrecken versetzt, weil es ihm eben erst heute klar geworden war, dass er Änne Rasch sehr gut war. Zugleich aber ließen sie ihn erlöst aufatmen. Ein befreites Lächeln huschte um seinen Mund.

„Wahrhaftig, ich glaube, Sie haben Recht, Herr Doktor; ich bin mir aber eben erst darüber klar geworden, weil eine gewisse Eifersucht in mir aufstieg, als Sie Fräulein Rasch so herausstrichen.“

Rudolf lachte.

„Nein, nein, keine Angst! Bei aller Anerkennung ist Fräulein Rasch nicht mein Typ. Da käme eher Fräulein von Glützow in Frage, wenn sie nicht zu sehr die eiskalte Gletscherjungfrau markierte.“

„Oh, das ist mir bisher noch nicht aufgefallen, ich habe im Gegenteil gefunden, dass sie mir ein gewisses Wohlwollen entgegenbringt, wenn sie auch sehr stolz und zurückhaltend ist.“

Rudolf zog die Stirn zusammen und sagte schroff: „Mir gegenüber hat sie jedenfalls nicht das geringste Wohlwollen durchblicken lassen, im Gegenteil, sie sah mich kalt und stolz an, als wollte sie sagen: nur nicht zu dicht heran! Wer weiß, sie hat vielleicht eine feine Nase und hat gewittert, dass ich vor kurzem bei der Frau Bankdirektor Teppiche geklopft und serviert habe. Himmel, wenn sie das wüsste, wäre ich wahrscheinlich völlig unten durch bei ihr! Jedenfalls würde sie mich nicht in ihrem Haus empfangen. Was meinen Sie, soll ich ihr bei meinem Besuch erzählen, womit ich mir mein kärgliches Brot verdient habe, ehe mein Onkel mich aus aller Sorge befreite?“

Nun musste der Verwalter lachen.

„Sie würde vielleicht ein wenig verblüfft sein, aber wie sie sonst darüber denkt, weiß ich nicht. Immerhin können Sie es sich hoch anrechnen, dass Sie auf der Jungfernburg empfangen werden.“

Rudolf lachte mit, aber irgendein kleiner Stachel saß fest in seinem Herzen, weil dieses schöne Fräulein von Glützow ihn so deutlich hatte abfallen lassen.

Die Herren ritten weiter auf den Feldern und Wiesen herum, wo überall die Leute bei der Arbeit waren. Dann bat Rudolf, dass man über die Dünen an den Strand reiten möchte, weil er sich danach sehnte, einen Blick auf das Meer zu werfen. Der Verwalter schlug sogleich die Richtung auf die Dünen ein. Nach einigen Minuten waren sie dort und sahen die Ostsee im Sonnenglanz vor sich liegen. Breit und lang schlugen die Wellen an den Strand, und Rudolf ritt hinunter, vom Verwalter gefolgt, und atmete tief die reine, herbe Seeluft ein.

„Wundervoll! Gehört dieses Stück Strand etwa auch zu Lengwitz?“

„Ja, Herr Doktor; von hier bis dort hinüber, wo die kahle Stelle auf der Düne sichtbar wird.“

„Fabelhaft! Ist doch ein herrliches Gefühl, eigenen Grund und Boden unter den Füßen zu haben. Ah, sehen Sie, da drüben nach Glützow zu reiten die beiden Damen!“

Rasch fuhr Günter Harland herum. Sein Blick brannte einen Moment unbeherrscht in sehnsüchtiger Glut hinter Änne Rasch her, und ein tiefer Atemzug hob seine Brust.

„Ja, das sind sie“, erwiderte er. Auch Rudolf sah hinter den beiden Reiterinnen her, bis sie seinen Blicken entschwanden.

Langsam wandten die Herren ihre Pferde, beide in tiefe Gedanken versunken und beide schweigend. Sie ritten über die Dünen zurück und ließen dann ihre Pferde schneller ausgreifen.

Rudolf Hagmeister musste immer wieder an das schöne, stolze Gesicht Mona von Glützows denken. Und die Frage quälte ihn direkt, was sie wohl sagen würde, wenn sie erfuhr, dass er sich als Teppichklopfer sein Brot verdient hatte. Etwas wie Trotz presste seinen Mund herb zusammen.

„Ich werde es ihr sagen, sobald sich eine Gelegenheit dazu findet. Dann wird sie ihren stolzen Kopf zurückwerfen und noch hoheitsvoller, vielleicht gar verächtlich auf mich herabsehen. Aber sie soll nur dann bin ich mit ihr fertig, gleich zu Anfang, und dann ist sie für mich ebenso gut erledigt wie ich für sie.“

Aus tiefen Gedanken heraus fragte er plötzlich seinen Begleiter:

„Ich hörte, dass Fräulein Glützow Mona mit Vornamen heißt. Von welchem Namen ist das die Abkürzung? Denn diesen Namen gibt es doch nicht?“

„Das kann ich Ihnen zufällig sagen. Ihr Herr Oheim war der Taufpate von Fräulein von Glützow, und sie hat daher in der Taufe den Namen seiner verstorbenen Frau erhalten. Sie hieß Simona.“

„Simona? Das klingt seltsam feierlich.“

„Ja, und deshalb ist wohl ihr Name abgekürzt worden in Mona. Er ist sehr apart.“

„Allerdings – und er passt zu ihr. Eine ungewöhnliche Erscheinung ist sie jedenfalls, diese junge Herrin der Jungfernburg. Aber ihre Eiseskälte schreckt einen warmblütigen Menschen zurück.“

Jetzt blickte Günter Harland forschend zu seinem jungen Herrn hinüber. Aber er verlor kein Wort. Er sagte sich nur, dass Mona von Glützow Rudolf Hagmeister vielleicht mehr beschäftigte, als er zugeben wollte. Sie war in der Tat ein schönes Mädchen und – sie hätte sehr wohl zu Rudolf gepasst. Ein schönes Paar könnten die beiden abgeben! Aber dann schob Günter Harland diesen Gedanken schnell wieder von sich. Ihm war es momentan viel wichtiger, wie Änne Rasch im Herzen zu ihm stand. Hatte er sie wirklich falsch behandelt? Hatte er ihr am Ende sogar weh getan mit seiner männlichen Überhebung? War sie wirklich nur deshalb so grantig zu ihm, weil sie sich gegen ihn zur Wehr setzen musste?

Er ließ alle Begegnungen, die er schon mit ihr gehabt hatte, an seinem Geist vorüberziehen. Ja, heimlich spottend hatte er dem weiblichen Verwalter entgegengesehen, als er erfuhr, dass auf Glützow der alte Inspektor in den Ruhestand trat und nun eine Verwalterin die Bewirtschaftung übernehmen würde. Und ziemlich von oben herab hatte er sie begrüßt, als er ihr durch Herbert Hagmeister, seinen verstorbenen Herrn, vorgestellt wurde. Hei, wie hatte sie da das braune Köpfchen kriegerisch in den Nacken geworfen! Von oben bis unten hatte sie ihn mit den Blicken gemessen. Und da war ihm das Blut in die Stirn geschossen, und er hatte sie noch spöttischer angesehen als zuvor. Man konnte sich doch nicht von dem erstbesten emanzipierten Frauenzimmer imponieren lassen! Es würde ja was Nettes dabei herauskommen, wenn die in Glützow das Regiment führte, neben ihrer jungen Herrin, die wohl auch nicht viel von der Wirtschaft verstand!

Aber es war doch anders gekommen. Glützow wurde zu seinem Erstaunen nicht, wie er angenommen hatte, heruntergewirtschaftet, sondern es wurde langsam ein Mustergut, und man musste sich ordentlich dranhalten, um nicht zurückzustehen. Es war ein stiller, verbissener Wettstreit geworden zwischen ihm und ihr, und das war den beiden Gütern zugute gekommen. Hüben wie drüben blühte alles auf. Und wenn Günter Harland ehrlich sein wollte und das wollte er heute plötzlich sein – musste er zugeben, dass sie es ihm nicht leicht gemacht hatte, mit ihr zu konkurrieren.

Und er sagte sich, dass er ihr eigentlich unrecht getan habe und dass es kein Wunder sei, wenn sie ihm kratzbürstig begegnete. Aber man konnte nun nicht plötzlich zu Kreuze kriechen; die Spottdrossel sang dann vielleicht ein Lied, das ihm nicht gefiel.

Aber immerhin – da er ihr unrecht getan hatte, musste er das doch auf irgendeine Art wieder gutmachen. Das gehörte sich so für einen anständigen und ehrenhaften Mann, dass er nicht auf einem Unrecht beharrte, sondern er es eingesehen hatte. Schwer würde es allerdings sein, vor ihren funkelnden Augen sozusagen Abbitte zu leisten.

Was für Augen hatte sie denn eigentlich? Wahrhaftig, die Farbe hatte er noch nicht einmal festgestellt. Er sah nur immer das kriegsbereite Funkeln darin. Braun waren sie nicht, auch nicht blau und schwarz schon gar nicht. Nein, ganz hell standen sie in dem gebräunten Gesicht – mal grau, mal blau, mal grün – aber immer seltsam hell und leuchtend – wie schimmernd, wie die Muscheln des Meeres. Die reinen Nixenaugen! Aber sie konnten doch wieder so verständig blicken, so zuverlässig, wie keine Nixe blicken würde. Behext hatte sie ihn jedenfalls, das wusste er jetzt! So oft er sie kommen sah, war ihm das Blut in heißer Welle zum Herzen gestürmt. Bisher hatte er das immer für Zorn gehalten – aber nein, es war kein Zorn, ganz gewiss nicht, nur ein heißes, drängendes Begehren, ihr den Trotz und den Spott auszutreiben und sie ganz weich zu machen, ganz – ach! Zum Donnerwetter, das war eine schöne Bescherung! Er war ja verliebt in die kleine Spottdrossel, in das anfänglich verlachte Fräulein Verwalter! Was sollte denn daraus werden?

Darüber kam er heute nicht ins Reine mit sich. Es hieß jetzt wieder an andere, wichtigere Dinge zu denken.

Und er riss sich zusammen und begann plötzlich seinem jungen Herrn einen Vortrag über landwirtschaftliche Dinge zu halten, dass Rudolf bald der Kopf rauchte.

Rudolf musste sich förmlich zusammenreißen, um die nötige Aufmerksamkeit für Günter Harlands Ausführungen aufzubringen und seine Gedanken von Mona von Glützow loszureißen.

Mona? Simona? Harland hatte Recht; der Name war ebenso apart wie seine Trägerin!

***

Am liebsten wäre Rudolf schon am nächsten Tag nach Glützow gefahren, aber das erschien ihm doch zu eilig. Er hatte aber gestern den Justizrat noch einmal ausgeforscht über alles, was er über Mona von Glützow wusste. Und da hatte er erfahren, dass sie mit fast abgöttischer Liebe an ihrem Vater gehangen hatte und dass er ihr alles gewesen sei, da sie ihre Mutter schon in ihrem fünften Lebensjahr verloren hatte. Sie war tief erschüttert gewesen, als vor einigen Jahren der Vater gestorben war. Rudolf Hagmeister konnte sich gar nicht vorstellen, dass dieses stolze, kühle Geschöpf tief erschüttert sein konnte. Aber der Justizrat erzählte ihm noch mancherlei, was ihm Mona in einem ganz anderen Licht zeigte, und so musste er sich sagen, dass sie sich nur ihm gegenüber so ablehnend verhalten habe. Vielleicht war er ihr unsympathisch, und sie hatte ihm das gezeigt. Seltsamerweise quälte dieser Gedanke ihn. Und immer weiter forschte er den Justizrat über seine schöne Gutsnachbarin aus und erfuhr immer mehr Liebenswertes von ihr.

Er war darum sehr gespannt darauf, wie sie ihn in ihrem Haus empfangen und wie sie es aufnehmen würde, wenn er ihr berichtete, aus welchen Verhältnissen ihn das Erbe seines Onkels gerissen hatte. Ganz fest war er trotz allem, was er von ihr gehört hatte, davon überzeugt, dass sie ihn noch mehr abfallen lassen würde als bisher.

Am zweiten Tag nach ihrem Zusammentreffen wollte er sie, wie sie es gewünscht hatte, zur Teestunde besuchen.

Am Vormittag war er wieder mit Günter Harland aufs Feld geritten, und dabei hatte er gesagt:

„Wäre es Ihnen sehr unangenehm, lieber Harland, wenn Sie zu mir ins Herrenhaus übersiedeln würden? Sie wohnen im Verwalterhaus an sich wohl ganz behaglich, aber mir ist es, offen gestanden, ein wenig ungemütlich in dem großen Haus so ganz allein. Würde es Ihnen viel ausmachen, wenn Sie umzögen?“

Der Verwalter hatte den Kopf geschüttelt.

„Es würde mir gar nichts ausmachen, Herr Doktor; meine Siebensachen wären schnell umgeräumt, denn die Möbel gehören ja nicht mir, sondern ins Haus. Aber bitte, bedenken Sie doch – Sie werden sich eines Tages ganz gewiss verheiraten!“

Rudolf stutzte. Dann lachte er etwas unsicher.

„Oh, dieser Tag liegt noch in weiter Ferne. Selbstverständlich ist es Mannespflicht, eine Familie zu gründen, aber mit meinen zweiunddreißig Jahren eilt mir das noch nicht. Und bis dahin können Sie vielleicht schon längst verheiratet sein. Das hindert uns jedenfalls nicht daran, bis zu diesem entscheidenden Tag zusammen im Herrenhaus zu wohnen. Wir können dann des Abends ungeniert zusammensitzen und brauchen nicht jeder so einschichtig zu hausen. Wenn Sie also weiter keinen Einwand haben, so siedeln Sie so bald als möglich zu mir über. Sie wissen, dass Sie mir sympathisch sind; und dass ich auch Ihnen nicht unsympathisch bin, wage ich ohne weiteres anzunehmen. Die Mahlzeiten nehmen wir ohnedies zusammen ein. Ich denke es mir sehr viel behaglicher, wenn ich Ihre Gesellschaft jederzeit genießen kann.“

Günter Harland sah ihn mit einem warmen Blick an.

„Die Sympathie beruht jedenfalls auf Gegenseitigkeit, Herr Doktor; und ich kann mir in der Tat nichts Besseres wünschen, als Ihr Hausgenosse zu werden. Verfügen Sie also ganz über mich!“

„Gut, so suchen Sie sich gleich heute ein paar Zimmer aus, und lassen Sie Ihre Sachen herüberschaffen! Ich freue mich wirklich sehr, dass Sie auf meinen Wunsch eingehen. Sehen Sie mal, ich habe seit Jahren in einem kleinen Zimmerchen gehaust, das dreimal in mein jetziges Arbeitszimmer hineingehen würde, und die dünnen Berliner Hauswände lassen jeden Ton durchdringen. Da hört man immer etwas von seinen Nachbarn. Hier in Lengwitz verfügte ich über eine Menge Räume, einer immer größer und schöner als der andere, und wenn ich dann abends allein sitze, dann fällt mir die Stille und Einsamkeit um mich her direkt auf die Nerven. Wohnen Sie bei mir, dann höre ich Ihre Tür auf- und zuschlagen, höre Ihre Stimme – kurzum, es fehlt mir zu meinem Wohlbefinden menschliche Gesellschaft in meinem Haus.“

„Gut, Herr Doktor; ich ziehe auf der Stelle um. Während Sie heute Nachmittag Ihren Besuch in Glützow machen, lasse ich meine Siebensachen herüberschaffen. Planen Sie noch weitere Besuche?“

„Ja, wer käme sonst wohl noch in Frage?“

„Gutsnachbarn haben Sie, außer in Glützow, nicht mehr. Und in den kleinen Fischerdörfern längs der Küste wohnen nur kleine Leute, die für einen Verkehr für Sie nicht in Frage kommen. Im Sommer gibt es freilich überall Badegäste. Da werden Sie wohl am Strand beim Baden gelegentlich Bekanntschaften machen. Aber sonst bleiben nur die Stralsunder Honoratioren. Dort müssen Sie selbstverständlich bei verschiedenen Herrschaften Ihre Karte abgeben.“

Rudolf lachte.

„Na, das hat aber hoffentlich noch eine Weile Zeit.“

„Gewiss, es eilt nicht, aber es muss ins Auge gefasst werden, die Stralsunder nehmen so etwas sehr wichtig.“

„Schön, das werde ich nächste Woche abmachen, wenn ich ohnedies nach Stralsund hinüberfahre, um mit dem Herrn Justizrat über einiges zu konferieren. Sie wissen ja, um was es geht. Ich möchte Lengwitz nicht mit Hypotheken belasten.“

„Das würde ich auch nicht tun, und es wird auch nicht nötig sein, wenn Sie, wie Sie mir gesagt haben, sparsam leben wollen, bis die Erbschaftssteuer entrichtet ist.“

„Ich denke, auch danach nicht zum Verschwender zu werden. Im Grunde habe ich wenig Ansprüche, und mir liegt daran, Lengwitz auf der Höhe zu halten.“

„Das ist sehr lobenswert. Das ‚Erwirb es, um es zu besitzen‘ kommt ja auch hier in Frage, wenn Sie Lengwitz auch nicht von Ihren Vätern, sondern von Ihrem Onkel ererbt haben.“

„Da vielleicht noch mehr, so empfinde ich es wenigstens.“

Die beiden Männer sahen sich mit leuchtendem Blick in die Augen und freuten sich, dass sie einander so gut verstanden.

Am Nachmittag dieses Tages fuhr Rudolf nach Glützow hinüber; zum ersten Mal benutzte er sein Auto, und ein sonderbares Gefühl überkam ihn, als der Chauffeur ihm den Wagenschlag öffnete. Rudolf hatte Besuchsdress angelegt, denn er war überzeugt, dass Fräulein von Glützow Etikettefragen sehr wichtig nahm. Auf der Fahrt überlegte Rudolf sich, wie er sich Mona von Glützow gegenüber zu verhalten habe. Er nahm an, dass auch Änne Rasch zugegen sein würde, denn der Justizrat hatte ihm berichtet, dass sie nicht nur als Verwalterin, sondern auch als Anstandsdame und Gesellschafterin fungiere.

Wahrscheinlich hatte ihm Fräulein von Glützow absichtlich die Teestunde als die ihr genehmste Besuchszeit angegeben, weil sie gewiss sein konnte, dass Fräulein Rasch dann anwesend sein würde.

Als der Wagen durch das Parktor fuhr, sah Rudolf sich interessiert um. Jetzt würde er gleich vor dem Portal der Jungfernburg halten. Und wahrscheinlich würde er nach zehn Minuten wieder hinauskomplimentiert werden, man würde ihm nur die formelle Dauer eines Besuchs gestatten.

Als der Wagen hielt, erschien am Portal ein alter Diener in schlichter, brauner Livree. Er öffnete den Wagenschlag, noch ehe der Chauffeur seinen Platz verlassen hatte, und Rudolf reichte ihm seine Karte. Der Diener bat ihn in die Halle und stellte ihm einen Sessel zurecht, in dem er Platz nehmen solle. Dann verschwand er und kam sehr bald zurück.

„Das gnädige Fräulein lassen bitten!“

Rudolf erhob sich und folgte dem Diener in einen vornehm ausgestatteten Empfangsraum, wo ihn Mona von Glützow in Änne Raschs Gesellschaft empfing. Mona gab sich kühl und stolz, gerade weil ihr Herz wieder sehr unruhig zu schlagen begann und ihr unter Rudolfs Blicken das Blut in die Wangen schoss. Sie war darüber sehr unzufrieden mit sich selbst, und das musste Rudolf büßen durch einen kühlen Empfang. Aber Änne Rasch sah ihn mit einem freundlichen Lächeln an, das ihm verriet, dass er wenigstens ihre Sympathie erworben hatte.

Mona reichte dem Besucher nur die Fingerspitzen, aber Änne gab ihm die ganze Hand. Sie hatte nicht vergessen, was er ihr bei ihrer ersten Begegnung gesagt hatte. Dabei hatte ihr vielleicht am meisten das bedeutet, was er über Günter Harlands Ausspruch über sie gesagt hatte. Wenn sie es auch weder sich noch anderen eingestanden hätte, wohlgetan hatte es ihr doch, durch Doktor Hagmeister Günter Harlands wahre Meinung über sie zu erfahren. Und ganz im Stillen hatte sie sich vorgenommen, in Zukunft ihm gegenüber nicht mehr so kratzbürstig zu sein wie bisher. Denn dass sie es sehr häufig gewesen war, wusste sie nur zu gut, und genau wie er war auch sie in sich gegangen und hatte sich gesagt, dass sie wahrscheinlich ebenso schuldig war an dem beiderseitigen gespannten Verhältnis wie er.

Mona von Glützow deutete einladend auf einen Sessel, in der er sich nach flüchtiger Verbeugung niederließ. Änne ergriff nun das Wort, weil ihr die betonte Steifheit ihrer jungen Herrin etwas peinlich war.

„Wie gefällt es Ihnen in Lengwitz, Herr Doktor?“

Er sah erst sie an, dann Mona, schließlich erwiderte er hastig: „Großartig selbstverständlich, Fräulein Rasch. Ich komme mir vor wie im Märchenland, denn ich hatte keine Ahnung, dass mein Onkel meiner so freundlich gedacht hat, da er mit meinen Eltern verfeindet war. Ich war sehr erstaunt, fast beklommen, als ich die Nachricht über die mir zugefallene Erbschaft erhielt, und dachte zunächst an eine Mystifikation. Sie müssen wissen, meine Damen, dass mir mein Dr.-Ing. absolut nicht dazu verholfen hatte, eine Stellung zu finden. Ich bewundere Sie, Fräulein Rasch, deshalb ungemein, dass es Ihnen gelungen ist, eine so gute Stellung zu bekommen. Wie schwer das heutzutage ist, weiß ich sehr wohl.“

„Das ist auch mir bekannt, Herr Doktor, und es ist nicht mein Verdienst. Deshalb muss ich Ihre Bewunderung zurückweisen. Ich verdanke das Glück, diese Stellung gefunden zu haben, lediglich Fräulein von Glützow, die aus alter Freundschaft für mich das Experiment wagte, einen weiblichen Verwalter einzustellen.“

Rudolf verneigte sich nun gegen Mona.

„Dafür können Sie dem gnädigen Fräulein in der Tat dankbar sein, aber sie hat damit einen glücklichen Griff getan, das weiß ich von meinem Verwalter Harland.“

Änne bekam ganz unmotiviert einen roten Kopf, und zu seinem Erstaunen sah Rudolf zugleich über Monas Gesicht ein reizendes, schelmisches Lächeln huschen, das all ihr eisige, stolze Ablehnung für einen Moment verwischte.

Nun einmal im Zug, gab es aber für Rudolf kein Halten mehr.

„Ich komme mir hier einigermaßen wie ein unberechtigter Eindringling vor, denn ich weiß nicht, ob Sie, mein gnädiges Fräulein, mich in Ihrem Haus empfangen hätten, wenn Sie gewusst hätten, dass ich, kurz bevor mir die Erbschaft meines Onkels zufiel, zwei Jahre oder mehr als einfacher Gelegenheitsarbeiter vegetierte. Zuletzt erschien es mir als ein großes Glück, dass ich im Haus eines Bankdirektors die Teppiche klopfen durfte, wofür ich zehn Mark und ein Paket belegter Butterbrote bekam, die mir herrlich mundeten. Und noch glücklicher war ich, als ich das kranke Hausmädchen ersetzen und an ihrer Stelle den Gästen das Abendessen servieren durfte.“

So, dachte er, und jetzt werde ich mit eisiger Miene verabschiedet werden.

Wie zur Bestätigung dieser Annahme erhob sich Mona von Glützow jetzt ihr ihrer stolzen Höhe. Einen einzigen Blick hatte sie mit der Freundin getauscht, aber dieser Blick war Rudolf entgangen.

Auch er erhob sich und wollte sich schleunigst verabschieden, aber da sagte Mona in einem ganz anderen Ton als bisher:

„Wollen Sie uns nicht bei einer Tasse Tee Gesellschaft leisen, Herr Doktor? Hier auf dem Land nehmen wir es mit den Formen nicht allzu genau, und ein Besuch ist bei uns etwas so Seltenes, dass man ihn nicht so schnell wieder fortlässt.“

Er sah sie fassungslos an. Dann atmete er tief auf, seine Augen begannen in die ihren zu strahlen, und er sagte heiser vor unterdrückter Erregung:

„Mein gnädiges Fräulein, ich nahm an, dass Sie mich nach meinem Bekenntnis sehr schnell, wenn auch höflich, entlassen würden. Ich muss gestehen, dass noch niemals eine Einladung mich so sehr gefreut hat wie diese; Aber wenn Sie geglaubt haben, dass ich ablehnen würde, muss ich Sie enttäuschen – ich nehme an.“

Änne Rasch lachte herzlich auf, und Mona musste einstimmen.

„Haben Sie uns so schlecht taxiert, dass Sie annehmen konnte, die Darstellung Ihrer leider sehr misslichen Lage von früher könnte uns veranlassen, uns über Sie erhaben zu fühlen?“, fragte Mona ruhig.

Er sah sie an mit einem so dankbaren Blick, dass sie gleich wieder etwas förmlicher wurde.

„Offen gestanden, mein gnädiges Fräulein, Sie erschienen mir so stolz und erhaben über andere arme Sterbliche, dass ich auf ein sanftes, aber deutliches An-die-Luft-Setzen gefasst war.“

Nun zuckte doch wieder ein leises Lächeln, das er anbetungswürdig fand, um ihre Lippen.

„Da müssen wir Sie schon belehren, Herr Doktor, dass auf der Jungfernburg die Menschen nur nach dem bemessen werden, wie sie sind, und nicht danach, was sie sind.“

Er beugte sich über ihre Hand. „Mein gnädiges Fräulein, ich bitte um Absolution und danke Ihnen für diese Belehrung.“

Mona schritt nun auf die Tür des Nebenzimmers zu und bat ihn, ihr zu folgen. Hier war ein reizender Teetisch gedeckt, und Mona klingelte, dass noch ein Gedeck aufgelegt würde. Dann nahmen alle drei Platz, und Änne wollte die Tassen füllen. Mona wies sie aber ruhig zurück.

„Nein, nein, Änne, das bleibt ein für allemal mein Amt. Diese Teestunde ist nämlich für Fräulein Rasch sozusagen die einzige Ruhestunde am Tag. Mir lässt sie sehr wenig Arbeit übrig, und da soll sie sich wenigstens in dieser Stunde einmal ausruhen und von mir bedienen lassen.“

Rudolfs strahlende Augen sahen wieder zu Mona auf, und als sie ihm jetzt eine gefüllte Tasse reichte, nahm er mit der anderen ihre Hand, die er verehrungsvoll an die Lippen zog.

„Bist jetzt habe ich nur Fräulein Rasch bewundert, jetzt aber muss ich auch Sie bewundern, mein gnädiges Fräulein. Ich habe mir wirklich ein ganz falsches Bild von Ihnen gemacht.“

Mona wurde rot, und ihre Lippen zuckten.

„Wie viel Zucker, Herr Doktor?“, fragte sie rasch.

„Bitte nur ein Stück!“

„Sahne, Zitrone oder Rum?“

„Nichts von allem, ich danke sehr.“

Sie kamen nun in ein angeregtes Gespräch. In dessen Verlauf konnte Rudolf noch einige Male eine Lanze für seinen Verwalter brechen; etwas, das immer an Ännchens Adresse gerichtet wurde und das allemal eine Blutwelle in ihr frisches Gesicht trieb. Rudolf wünschte, sein Verwalter könnte das sehen.

Er erzählte, dass er Günter Harland gebeten habe, zu ihm ins Herrenhaus überzusiedeln.

„Ganz abgesehen davon, dass ich mich in dem großen Haus sehr einsam fühle, unterhalte ich mich auch gern mit Herrn Harland. Er ist ein hochgebildeter Mann mit tadellosen Manieren, und er gefällt mir so gut, dass ich wünsche, dass wir uns freundschaftlich nahe kommen.“

Mona nickte ihm zu.

„Da sind Sie der gleichen Ansicht wie ich über Ihren Verwalter, obgleich meine Freundin behauptet, er sei so selbstherrlich und überheblich wie die meisten Männer.“

„Oh, Mona, du musst doch zugeben, dass er mir diese Ansicht aufgenötigt hat!“, fuhr Änne dazwischen.

„Ich glaube, Fräulein Rasch, Sie haben sich gegenseitig nur missverstanden, er ist ganz gewiss nicht überheblich, er hat vielleicht nur die uns Männern eigene Angst, von den Frauen unterjocht zu werden, was allerdings nur in Ausnahmefällen geschieht. Immerhin haben wir stets das Gefühl, dass wir uns gegen besonders tüchtige Frauen wappnen müssen. Jedenfalls weiß ich von Herrn Harland selbst, dass er eine unbegrenzte Hochachtung vor Ihnen hat und sich nur vor Ihrer – darf ich sagen Kratzbürstigkeit? – ein wenig fürchtet. Und wenn wir Männer uns vor irgendetwas fürchten, was mit den Frauen zusammenhängt, dann sind wir wie angstvolle Schulbuben, die sich ihrer Aufgabe nicht gewachsen fühlen.“

„Siehst du wohl, Änne, das war auch meine Ansicht, wenn ich sie auch nicht so klar zum Ausdruck bringen konnte, wie das Herr Doktor eben getan hat“, sagte Mona wieder mit dem entzückenden Lächeln, das ihrem Antlitz einen bezaubernden Ausdruck gab.

„So hoffe ich denn, dazu beigetragen zu haben, ein Missverständnis zwischen Ihnen und Herrn Harland aufzuklären. Er hat mich übrigens gebeten, eine Empfehlung an die Damen zu bestellen.“

Das entsprach freilich nicht ganz der Wahrheit, da Rudolf bei seiner Abfahrt seinen Verwalter gar nicht gesehen hatte, aber er wollte nichts unterlassen, was Harland fördern konnte in seiner Herzensangelegenheit. Und er hatte die Genugtuung, dass Änne Rasch wieder sehr rot wurde.

Er blieb fast eine Stunde, und als er sich endlich verabschiedete, tat er es durchaus ungern. Die Damen waren durch die Unterhaltung mit ihm sicher sehr angeregt worden. Er hatte ihnen eine drollige Schilderung von seiner Wirtin gegeben, wie sie für ihn sorgte und wie stolz sie gewesen sei, in ihm fortan einen Gutsbesitzer sehen zu dürfen. Auch sonst hatte er manche rührende und komische Begebenheit aus seiner Sturm- und Drangperiode zum besten gegeben, und jetzt tat er das nicht mehr mit der Kriegsbereitschaft, wie er seine erste Enthüllung vorgebracht hatte. Er wusste nun, dass in der Jungfernburg zwei großherzige und verständnisvolle Frauen lebten, die durch derartige Enthüllungen nicht aus der Fassung gebracht werden konnten.

Als er sich verabschiedete, sagte Mona lächelnd:

„Wir würden uns freuen, wenn Sie wieder einmal ein Stündchen mit uns verplaudern wollen. Um die Teestunde treffen Sie uns bestimmt immer zu Hause an.“

„Mein gnädiges Fräulein, ich nehme das ernst, ich werde wirklich wiederkommen.“

Sie musste lachen.

„Das sollen Sie auch.“

Er fuhr davon, und die beiden Damen sahen sich eine Weile wie fragend an.

„Nun, Mona, was habe ich gesagt? Dieser neue Herr von Lengwitz ist eine sehr angenehme Errungenschaft.“

„Ich war meiner Sache nicht so ganz sicher wie du, Änne, ich konnte mir bei der ersten kurzen Begegnung nicht gleich ein Urteil bilden.“

„Aber jetzt stimmst du mir bei?“

„Ja, in dem Moment, als er uns so trotzig die Misere seiner letzten Jahre gewissermaßen wie einen Fehdehandschuh ins Gesicht warf, wusste ich, dass er kein wertloser Mensch ist.“

„Das ist er ganz bestimmt nicht. Er gefällt mir sehr, Mona, und ich freue mich, dürfen wir zuweilen von seiner Gesellschaft profitieren. Es ist mir hauptsächlich deinetwegen lieb.“

Zu ihrem Ärger wurde Mona abermals rot.

„Wieso meinetwegen?“, fragte sie abweisend.

Änne umarmte sie.

„Weil du viel zu zurückgezogen hier auf der Jungfernburg haust und weil es sehr gut ist, dass mal ein Mann hier ins Haus kommt.“

Wenn Mona nicht schon sehr unruhig und unsicher durch die Bekanntschaft mit Rudolf Hagmeister geworden wäre, hätte sie diese Worte Ännes voraussichtlich leicht genommen, hätte sie als Scherz betrachtet. So aber lösten sie in ihrem Herzen ein Gefühl aus, das ihr Scham und Beklemmung verursachte. Sie warf den Kopf stolz zurück und sagte abweisend:

„Ich komme sehr gut ohne männliche Gesellschaft aus, das kann ich dir sagen. Die Männer fallen mir durch ihre Überheblichkeit genauso auf die Nerven wie dir. Meinetwegen brauchte sich Doktor Hagmeister nicht wieder nach Glützow zu bemühen. Aber man kann ihn selbstverständlich nicht abweisen lassen.“

Änne stutzte ein wenig bei diesem fast schroffen Ton Monas. Aber dann wurde ihr sehr schnell klar, dass die Freundin gewiss nicht ganz gleichgültig Doktor Hagmeister gegenüber geblieben war. Hatte sie doch ihre eigenen Erfahrungen, wie viel Stolz und Abwehr eine Frau ins Treffen führen konnte, diktierte ihr Herz ihr auch einen anderen Ton. Und weil sie das nur zu gut verstand, kam sie Mona zu Hilfe, wie Doktor Hagmeister ihr zu Hilfe gekommen war. Sie war ihm dankbar dafür, und es wollte ihr auch scheinen, als wenn Mona und Rudolf Hagmeister wundervoll zusammenpassen würden, ganz abgesehen davon, dass Lengwitz und Glützow vereint einen der größten Grundbesitze im weiten Umkreis bilden würden. Klug, wie alle Evatöchter in so heiklen Fragen sind, sagte sie ruhig:

„Freilich, wie ich dich kenne, machst du dir wenig aus seinem Besuch, aber ich gestehe dir ganz offen, die Unterhaltung mit ihm hat mich aufgefrischt. Ich finde ihn sehr, sehr sympathisch. Und wenn ich sagte, dass ich mich nur deinetwegen über seine Besuche freuen würde, so war das nicht ganz ehrlich – ich freue mich auch meinetwegen, wenn er recht bald und recht oft wiederkommt.“

Bei diesen Worten beobachtete Änne die Freundin scharf, und sie sah, wie Mona sie plötzlich mit unruhigen Blicken musterte. Sogleich sagte sich Änne, dass ihre klug berechneten Worte unbedingt eine leise Eifersucht bei Mona geweckt hatten.

„Ei, Änne, du wirst doch nicht Feuer gefangen haben?“

Das sollte schelmisch klingen, fiel aber viel mehr besorgt aus.

Änne legte mit drolliger Miene den Finger an die Nase und sah die Freundin lachend an.

„Nun, man kommt so langsam in die Jahre, Mona, und ganz offen, als alte Jungfer möchte ich mal nicht sterben. Große Auswahl gibt es hier herum nicht, und Doktor Hagmeister ist jedenfalls eine glänzende Partie, ganz abgesehen davon, dass er auch ein interessanter und ansehnlicher Mann ist.“

Mona war rot und blass geworden. Sie blickte Änne mit großen Augen an.

„Aber Änne, du würdest doch niemals ohne Liebe heiraten?“

„Nein, Mona, dafür kennst du mich.“

„Nun, ich habe immer – offen gestanden – angenommen, du hättest eine Vorliebe für den Verwalter Harland, gerade weil es dich immer so ärgerte, dass er dich anscheinend nicht für voll nahm.“

Jetzt war Änne an der Reihe, die Farbe zu wechseln. Aber sie hielt sich tapfer, weil sie fühlte, dass sie die Freundin aus ihrer eisigen Abwehr gegen Hagmeister hervorlockte. Und so sagte sie achselzuckend: „Ich will gar nicht leugnen, dass mich gerade sein spöttisches Überlegentun ärgerte. Aber wenn mir nun auch Doktor Hagmeister klar gemacht hat, dass ich ihn verkannt habe, so bedeutet das noch lange nicht, dass sein Verwalter sich jemals für mich interessieren könnte. Soll ich nun Jahr um Jahr darauf warten, ob er es sich mal überlegen würde, mir näher zu treten? Nein, Mona, dazu bin ich zu stolz. Und – ein so dummes Gefühl muss man überhaupt loswerden können. Schließlich ist doch Hagmeister ganz der Mann, um sich in ihn zu verlieben. Soll ich nicht einmal versuchen, ob es geht?“ Das letzte sagte sie mit einem so schelmischen Lachen, dass Mona merkte, sie scherze nur.

„Ach, Änne, das alles glaube ich dir ja nicht. Wenn Frauen unserer Art einmal kapitulieren, dann tun sie es auch für immer.“

Änne wusste nun genug und wollte die Freundin nicht länger quälen. Sie umarmte sie, sah ihr groß in die Augen und sagte fest:

„Hast schon Recht, Mona – wenn’s der Günter Harland nicht sein kann, dann keiner. Aber das muss tiefes Geheimnis unter uns bleiben. Und es kann ihm gar nicht schaden, muss er annehmen, dass mir auch andere Männer gefallen. Ich werde kein Hehl daraus machen ihm gegenüber, dass Doktor Hagmeister mir imponiert. Er tut es ja auch, nur in ganz anderem Sinn, als ich es den Herrn Verwalter glauben machen will.“

Sie lachte dabei schelmisch auf.

Mona wurde gleich das Herz wieder leichter, ohne dass sie sich eingestand, warum. Sie drückte Änne an sich und lachte mit.

„Spiel nur nicht mir dem Feuer, Änne!“, sagte sie warnend.

„Wie meinst du das, Mona?“

„Nun, ich meine, es könnte doch sein, dass du dich bei diesem Spiel ernstlich in Doktor Hagmeister verliebst.“

„Ausgeschlossen. Das fühlt man doch gleich, ob es möglich ist oder nicht. Weißt du, als guten, treuen Freund könnte ich mir den Doktor vorstellen, aber nicht als Gatten. Auch habe ich das bestimmte Gefühl, dass ich nicht sein Typ bin. Ich werde ihm sympathisch sein, aber das ist auch alles. Nun aber muss ich dich verlassen, ich muss wieder hinaus! Heute Abend plaudern wir weiter über das interessante Thema.“

Und Änne Rasch entfernte sich schnell, Mona mit sehr gemischten Empfindungen zurücklassend.

***

Rudolf war auch nicht sehr ruhig heimgekehrt. Mona von Glützow beschäftigte ihn sehr. Er fragte sich immer wieder, weshalb sie sich plötzlich, nachdem er so offen von seiner Vergangenheit sprach, ihm gegenüber völlig anders gegeben hatte. Sie war viel freundlicher geworden und hatte nicht mehr die stolze Kühle gezeigt, die ihn anfänglich zurückstieß. Dass er sie falsch eingeschätzt hatte, gab er sich nun ohne weiteres zu, und auch das gestand er sich ein, dass sie ihn ungemein interessierte, dass ihre Schönheit ihn entzückte. Wie reizend war doch ihr Lächeln! Es nahm ihren feinen Zügen allen Stolz und alle Kälte und gab ihr ein ganz anderes Gepräge.

Als er nach Hause kam, fragte er nach Harland, denn ihn verlangte danach, mit jemand über Mona von Glützow zu sprechen, und das konnte er nur mit Günter Harland. Er wusste auch, dass der Verwalter sehr gespannt sein würde, etwas über seinen Besuch in der Jungfernburg zu erfahren. Aber momentan war Herr Harland nicht im Haus; er befand sich draußen auf den Feldern.

Erst beim Abendessen trafen sich die beiden Herren wieder, und Günter Harlands Augen sahen sehr wissbegierig aus seinem gebräunten Gesicht. Ohne seine Frage abzuwarten, schilderte Rudolf ihm eingehend den Verlauf seines Besuchs. Rudolf tat dabei alles, was in seinen Kräften stand, um das Verhältnis Günters zu Fräulein Änne möglichst günstig zu beleuchten. Er unterschlug ihm weder ihr Erröten noch sonst einen Umstand, der versöhnlich wirken konnte. Und zum Schluss behauptete er mit schöner Unverfrorenheit, die beiden Damen hätten ihm einen Gruß an Herrn Verwalter aufgetragen, den er hiermit ausrichte.

„Ich hatte nämlich, es als selbstverständlich voraussetzend, eine Empfehlung von Ihnen an die Damen bestellt, denn ich nahm an, Sie würden mir diesen Auftrag erteilt haben, wären Sie bei meiner Abfahrt zu Hause gewesen. Und ganz gewiss haben sich die Damen sehr darüber gefreut, hauptsächlich Fräulein Rasch.“

Dem Verwalter wurde es bei diesen Bericht einmal heiß, einmal kalt. Rudolf musste nun ganz genau alles erzählen, was er auf der Jungfernburg erlebt und gesehen hatte, wie die Damen gekleidet gewesen waren, was für eine Einrichtung die Zimmer hatten und anderes mehr. Und zum Schluss fragte er mit einem tiefen Atemzug:

„Sie meinen also wirklich, dass Fräulein Rasch mir nicht mehr grollt?“

„Ganz gewiss grollt sie Ihnen nicht mehr, wenn sie es überhaupt je getan hat. Sie können sie ja bei der nächsten Begegnung selber danach fragen, wenn Sie mir nicht glauben.“

„Selbstverständlich glaube ich Ihnen, Sie werden mir ja nichts vormachen, zumal Sie wissen, wie es um mich steht.“

„Sehr richtig. Aber immerhin, wenn Sie wieder mit ihr zusammentreffen, können Sie ihr ruhig ein offenes, gutes Wort sagen, und dann sollen Sie sehen, wie ganz anders sie sich zu Ihnen stellen wird. Ich habe das bestimmte Gefühl, dass sie Ihnen ebenso wenig gleichgültig gegenübersteht wie Sie ihr und dass sie nur so grantig war, weil sie eben von Ihnen am wenigsten Spott und Ironie vertragen konnte. Ich bin sicher, Sie haben ihr oft damit weh getan.“

Günter Harland rutschte unruhig und beklommen auf seinem Sessel hin und her.

„Das habe ich wahrhaftig nie gewollt.“

„Ich weiß es, und deshalb habe ich auch alles getan, was in meinen Kräften stand, um Ihr gegenseitiges Verhalten möglichst zu erklären. Ich kann auch sagen, dass ich mein Urteil über Fräulein von Glützow sehr habe ändern müssen. Denken Sie doch, statt mich kühl und stolz hinauszubefördern, als ich zu ihr von meinen letzten Sorgenjahren sprach, lud sie mich plötzlich sehr freundlich zum Tee ein, als hätte ich ihr irgendetwas Rühmliches von mir erzählt, was mich in ihren Augen gehoben hätte.“

„Darüber war ich mir längst klar, dass Ihnen das nichts schaden würde, sonst hätte ich Sie sicherlich davon abzuhalten versucht. Fräulein von Glützow ist unbedingt ein wertvoller Mensch, und wenn sie auch stolz und unnahbar erscheint, so halte ich sie doch für warmherzig und vornehm in ihrer Denkungsart. Kleinlich ist sie auf keinen Fall.“

Die Herren saßen heute lange beisammen, und der Gesprächsstoff ging ihnen nicht aus. Ganz abgesehen von der Jungfernburg und ihren Bewohnerinnen war auch noch allerlei Geschäftliches zu besprechen.

Die nächsten Tage vergingen Rudolf sehr schnell, und wenn er auch bereits gern wieder einen Besuch in der Jungfernburg gemacht hätte, sagte er sich doch, er dürfe keine unziemliche Eile an den Tag legen.

So verschob er diesen zweiten Besuch von Tag zu Tag. Er stand morgens sehr zeitig auf, um den Verwalter auf seinen Inspizierungsritten begleiten zu können, und interessierte sich lebhaft für die Bewirtschaftung von Lengwitz. Er ließ sich auch in die Buchführung einweihen, sah in Scheunen und Ställen nach dem Rechten und nahm seinem Verwalter ab, was ihm zu viel wurde.

So waren die Tage der beiden jungen Männer reichlich ausgefüllt.

Am Meer war Rudolf noch nicht wieder gewesen, es gab zu viel anderes zu erledigen. Aber eines Morgens, ungefähr eine Woche nach seinem Besuch in Glützow, forderte er Günter Harland auf, mit ihm einen Ritt am Strand entlang zu machen.

Als sie über die Dünen kamen und jenseits nach dem Strand hinunterritten, sahen sie die beiden jungen Damen ihnen entgegenkommen. Die beiden Herren reckten sich unwillkürlich straffer im Sattel empor und schlugen ein schnelleres Tempo an, um die Damen zu erreichen, als hätten sie Angst, sie könnten ihnen entwischen.

Die Damen hatte die Herren gleichfalls bemerkt, und wenn sie sich angesehen hätten, würden sie bemerkt haben, dass sie beide sehr rot geworden waren. Oder war die frische Brise daran schuld, die von der See herüberwehte?

Ehe sie sich noch so weit gefasst hatten, dass sie ein Wort über den Anblick der Herren hätten wechseln können, zügelten diese schon ihre Pferde vor ihnen und begrüßten sie ehrerbietig.

„Ich freue mich, Sie wiederzusehen, meine verehrten Damen. Hoffentlich befinden Sie sich wohl?“, sagte Rudolf nicht eben sehr geistreich.

„Wir reiten bei schönem Wetter fast täglich ein Stück am Strand entlang, um uns die Seeluft um die Nase sehen zu lassen“, erwiderte Mona, sich mit ihren Zügeln zu schaffen machend.

„Denselben Wunsch hatte auch ich und habe meinen Verwalter dazu verleitet, mich zu begleiten. Dürfen wir uns den Damen anschließen?“

„Bitte sehr, wenn Sie nichts Wichtigeres vorhaben.“

Änne hatte noch kein Wort gesprochen und Günter Harland auch nicht. Da im Wasser nur ein schmaler Sandstreifen verlief, kam es ganz von selbst, dass Rudolf an Monas Seite ritt und Günter Harland sein Pferd neben das von Änne Rasch dirigierte. So folgten sie einander paarweise in kleinem Abstand, den der Verwalter noch willkürlich etwas vergrößerte. Er sah dabei unruhig in das reizende Gesicht Ännes, die sichtlich mit einer großen Verlegenheit kämpfte.

Günter Harland erinnerte sich endlich, dass er doch ein Mann sei und dass es ihm zukam, die Initiative zu ergreifen. Er räusperte sich, weil ihm vor lauter Aufregung die Kehle trocken geworden war. Dann sagte er, sich zu Änne hinüberbeugend, damit er nicht allzu laut zu sprechen brauchte:

„Ich freue mich sehr, Fräulein Rasch, dass mir heute ein Zusammentreffen mit Ihnen beschieden ist. Schon lange habe ich gehofft, Sie wiederzusehen, weil ich Sie bitten wollte, mir zu verzeihen, wenn ich Sie zuweilen verletzt oder gar gekränkt habe. Ich gebe Ihnen mein Wort, es kam mir nicht aus dem Herzen, und es tut mir sehr Leid, dass ich Sie durch mein Verhalten dazu gereizt habe, mir unfreundlich zu begegnen. Hoffentlich werden Sie das von jetzt ab so wenig wieder tun, wie ich mich wieder ungeschickt benehmen werde.“

Die Farbe war bei seinen Worten auf ihren Wangen gekommen und vergangen, aber nun sah sie ihn in ihrer ehrlichen, tapferen Art groß und freundlich an und sagte: „Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass bereits Herr Doktor Hagmeister mich über meinen Irrtum aufgeklärt hat. Ich dachte immer, Sie wollten mich demütigen und sich über mich erheben. Und – ich muss mich doch unter allen Umständen durchsetzen und in meiner Stellung halten. Glauben Sie mir, das war nicht immer leicht – und – ja – es hat mir ein bisschen weh getan, dass auch Sie mich, wie ich meinte, verspotteten.“

Sein Herz schlug bis zum Hals hinauf. War denn das, die kleine grantige und kratzbürstige Änne Rasch, die das alles mit einem so weichen, friedlichen Ton hervorbrachte? Herrgott, ein wie warmes, liebes Stimmchen sie hatte, wenn sie so zu ihm sprach! Und diesem lieben, tapferen Dingelchen hatte er das Leben schwer gemacht!

„Ich bin mir selber gram, Fräulein Rasch, dass ich wirklich anfangs ein bisschen spöttisch über die weibliche Kollegin dachte. Wir Männer sind eben schnell bei der Hand, die Frauen nur als das schwache Geschlecht zu betrachten, weil wir das immer gewöhnt waren. Und wenn uns dann unversehens eine Frau über den Weg läuft, die uns zeigt, dass die neue Zeit auch andere Frauen hervorgebracht hat, dann denken, wir, wir müssten darüber spotten. Sie haben mir das aber sehr bald abgewöhnt, und nun weiß ich, dass Sie ein ebenso tüchtiger Mensch sind, wie es ein Mann in Ihrer Stellung nur sein könnte. Und – das Schöne ist dabei, dass Sie sich durchaus nichts von Ihrer Weiblichkeit vergeben haben. Also, ich bitte ganzdemütig um Absolution.“

„Die ist Ihnen längst schon gewährt.“

„Ich danke Ihnen. Wollen Sie mir nicht die Hand darauf geben?“

Er reichte ihr bittend die Rechte entgegen, und sie legte ohne zu zögern, wenn auch mit einem roten Köpfchen, die ihre hinein.

Fest und warm umschlossen sich die beiden Hände, und eine ganze Weile waren er und sie stumm und wussten nicht, wie sie das Gespräch fortsetzen sollten.

Endlich sagte er aufatmend: „Ich hätte schon lange gern Frieden mit Ihnen geschlossen, aber ich hätte, ungeschickt, wie ich bin, wohl kaum die rechten Worte gefunden, wäre Doktor Hagmeister mir nicht zu Hilfe gekommen. Als er von der Jungfernburg zurückkam und mir Ihren Gruß bestellte, bekam ich Mut und nahm mir fest vor, bei der nächsten Begegnung meine Sache bei Ihnen zu führen.“

Änne horchte auf. Sie wusste ganz genau, dass sie keinen Gruß an den Verwalter bestellt hatte. Aber klug, wie sie war, erkannte sie sofort, dass Doktor Hagmeister aus guten Gründen diesen Gruß erfunden hatte. „Oh, du lieber, hilfreicher Doktor Hagmeister, wenn ich dir auf ähnliche Weise einmal helfen kann, will ich es gern tun“, dachte sie. Zu Günter Harland aber sagte sie mit einem reizenden Lächeln, das ihm das Blut schneller durch die Adern trieb:

„Ich musste mich doch für Ihre ehrerbietige Empfehlung revanchieren, die Sie, uns durch den Herrn Doktor bestellen ließen.“

Jetzt wurde Günter Harland verlegen, aber nicht um die Welt hätte er eingestanden, dass er um diese Empfehlung keineswegs gebeten hatte. Und er tat wohl auch gut daran, das zu verschweigen.

„Es war jedenfalls sehr lieb von Ihnen, mich grüßen zu lassen. Und ich hoffe, wir werden uns in Zukunft gut vertragen.“

„An mir soll es nicht fehlen.“

„Dann ist alles gut, denn ich werde bestimmt für immer mit Ihnen Frieden halten.“

Wieder schwiegen sie eine Weile, und dann brachte Änne ein Thema auf, das sie beide interessierte – sie sprachen von den Vorbereitungen zur nächsten Heuernte und tauschten dabei allerlei gute Ratschläge und Beobachtungen aus. Günter Harland konnte wieder einmal konstatieren, dass diese kleine Verwalterin sehr tüchtig war und an Erfahrungen sicherlich nicht hinter ihm zurückstand. Das sagte er ihr auch ganz offen, und sie freute sich über seine Anerkennung und meinte ihrerseits, sie wisse wohl, wie tüchtig und leistungsfähiger in seinem Fach sei.

So war der Friede auf beiden Seiten geschlossen, und sie plauderten angeregt miteinander und freuten sich, dass sie sich jetzt so gut verstanden. –

***

Inzwischen hatte sich das andere junge Paar, das vor ihnen herritt, ebenfalls lebhaft unterhalten, wenn auch nicht eben tiefgründige Dinge zwischen ihnen besprochen worden waren. Mona sorgte dafür, dass ihr Gespräch sich mehr auf der konventionellen Oberfläche hielt. Rudolf hätte allerdings lieber ein wenig tiefer geschürft, aber er musste sich an den Ton halten, den sie angeschlagen hatte. Aber wenigstens war sie heute freundlicher und nicht so kalt und abweisend wie sonst.

Im Laufe des Gesprächs sagte er ihr, dass er am nächsten Tag nach Stralsund fahren werde, um dort einige Antrittsbesuche zu machen. Sie lächelte schelmisch.

„Daran tun Sie gut, Herr Doktor. Frau Justizrat Zausch wäre sicherlich gekränkt, wenn in ihrem Bekanntenkreis der neue Herr von Lengwitz als unhöflich und formlos verschrien würde. Und das würde zweifelsohne geschehen, wenn Sie diese Besuche unterlassen würden.“

„Haben Sie auch solche Besuche machen müssen, mein gnädiges Fräulein?“

„Sie vergessen, dass ich von Kind auf in dieser Gegend lebte und dass meine Eltern schon mit den Stralsunder Honoratioren verkehrt haben. So bin ich sozusagen mit in diesen Verkehr hineingewachsen und wage darum nicht, irgendwelche Änderungen zu treffen. Ich besuche widerstandslos die offiziellen Festlichkeiten in Stralsund und lade mir die Herrschaften gewissenhaft einmal im Jahr zu einer Abendfestlichkeit und einmal nur die Damen zu einem Tee ein.“

Lächelnd sah er sie an.

„Das klingt sehr ergeben in ein unvermeidliches Schicksal. Ist es sehr schlimm?“

„Nein, nein, das will ich damit nicht sagen, es sind sehr liebe und nette Menschen darunter, und wenn mir einige weniger gefallen, so sage ich mir, dass mir das überall geschehen würde. Im Winter, so nach Weihnachten, fahre ich regelmäßig mit Fräulein Rasch auf einige Wochen nach Berlin, und da genieße wir beide Oper, Theater, Konzerte und einige der großen offiziellen Bälle, zu denen wir eingeladen werden. Fräulein Rasch begleitet mich auch zu den Stralsunder Festlichkeiten. Und zuweilen unterhalten wir uns da beinahe besser als bei den Berliner Massenabfütterungen, die uns oft ein wenig sinnlos erscheinen. In der Hauptsache gehen wir nach Berlin, um Kunst zu genießen und um Einkäufe zu machen.“

„Na also, dann werde ich mich artig den Stralsunder Honoratioren zur Verfügung stellen und in Zukunft meine geistige Anregung auch in Berlin suchen, selbstverständlich ebenfalls im Winter.“

„Zu anderer Zeit haben ja die Landwirte auch keine Zeit dazu. In Stralsund werden Sie auch nur im Winter mit Einladungen zu rechnen haben, im Sommer pflegt man hierzulande die Geselligkeit zumeist am Strand. Auch hierher in unsere abgelegenen Dörfer kommen die Sommergäste in immer größerer Anzahl. Und dann sieht es hier am Strand ganz anders aus als jetzt.“

„Ich kann mir das denken, aber – darf ich sagen, dass mir der Strand in seiner Einsamkeit besser gefällt? Vor langen Zeiten, als meine Eltern noch lebten, waren wir zur Erholung des Öfteren an der Ostsee. Wohin wir kamen, stieß ich auf großen Betrieb, aber mir erschien das immer wie eine Entweihung der großartigen Natur, wenn sich diese Art Jahrmarktstreiben breit machte.“

Sie sah schnell zu ihm auf und ihre samtbraunen Augen hatten goldene Lichter.

„Oh, dann stimmen unsere Ansichten überein! Ich mag den Strand auch nicht, wenn er von Menschen wimmelt. Dann halte ich mich zurück und bleibe im Glützower Wald, bis es im Herbst still wird.“

„So werde ich es wohl auch halten. Ich liebe das Meer gerade in seiner grandiosen Unbelebtheit. Aber die Menschen, die jedes Jahr nur wenige Wochen oder gar nur Tage ans Meer kommen können, glauben in diese kurzen Ferientage alles hineindrängen zu müssen, was ihnen Vergnügen macht. Sie lernen ja leider auch das Meer nicht in seiner majestätischen Ruhe kennen. Sonst würde mancher den stillen Strand vorziehen. Ich weiß, dass ich mit meinen verstorbenen Eltern immer möglichst weit weg von allem lärmenden Betrieb gezogen bin.“

Änne Rasch und Günter Harland wurden sich allmählich ihrer Pflichten wieder bewusst und mahnten die beiden anderen daran, dass bis zum Mittag auf den Feldern noch allerlei zu erledigen sei. So lenkten sie ihre Pferde nach der Düne hinüber. Jenseits der Düne verabschiedeten sich die beiden Herren.

Als Mona ihre Hand in die Rudolfs legte, sagte sie nach einem kurzen Zögern: „Haben Sie nicht Lust, Sonntag in Glützow zu Mittag zu speisen? Ich fände es sehr nett, wenn wir ein paar Stunden verplaudern könnten. Sonntags hat ja auch meine Freundin Zeit. Herr Verwalter, ich würde mich freuen, wenn Sie den Herrn Doktor begleiten würden. Sie kennen ja wohl unsere Jungfernburg noch nicht?“

Günter Harland war durch diese Einladung nicht weniger erfreut und beglückt als sein junger Gebieter. Beide nahmen mit dankbarem Aufstrahlen ihrer Augen an. Und dann ritten sie im schnellen Trab davon.

Mona wandte sich lächelnd zu Änne:

„Ich hoffe, dass es dir nicht unangenehm war, dass ich die Herren eingeladen habe?“

Änne zwang sich zu einem würdevollen Gesicht.

„Ich fügte mich geduldig in alles“, sagte sie mit sprühendem Übermut, und dann fuhr sie ernsthaft fort: „Du bist einzig lieb und gut, Mona, und dem Verwalter Harland hast du sicher eine ebenso große Freude gemacht wie dem Herrn Doktor.“

„Und dir nicht auch?“, neckte Mona.

Änne holte tief Atem.

„Ach, Mona, wie herrlich und schön ist die Welt!“

Sie sahen sich beide an und lachten. Und dann ritten sie weiter, um die Leute auf den Feldern zu inspizieren.

***

Am nächsten Tag fuhr Rudolf in seinem Auto nach Stralsund. Zuerst suchte er den Justizrat auf, der ihm versprochen hatte, ihm eine Liste aufzusetzen von all den Herrschaften, bei denen er seine Karte abgeben müsse. Die Liste lag bereit, und Rudolf sah ein wenig erschrocken auf die lange Reihe. Der Justizrat lachte.

„Nur keine Bange, Sie brauchen wirklich nur überall Ihre Karte abzugeben! Nur bei den beiden Bürgermeistern sprechen Sie wohl persönlich vor, das gilt dann gleichsam für die anderen Ratsmitglieder mit.“

Die Herren besprachen noch einige geschäftliche Fragen, und dann erwähnte Rudolf, dass er am Sonntagmittag in Glützow eingeladen sei. Die Frau Justizrat kam eben mit einem Glas Wein herein und hörte das. Sie war sichtlich ein bisschen neugierig.

„Ah, Sie haben inzwischen unsere liebe Mona von Glützow kennen gelernt, Herr Doktor? Ist sie nicht reizend? Ein entzückendes Geschöpf, nicht wahr?“, fragte sie lebhaft.

„Gewiss, Fräulein von Glützow ist eine sehr liebendwürdige und vornehme Dame.“

Der Justizrat schlug Rudolf lächelnd auf den Arm:

„Na, mein lieber Herr Doktor, da sollten Sie sich nicht lange besinnen, die Mona ist im heiratsfähigen Alter und schon an sich eine erstrebenswerte Partie, ganz abgesehen davon, dass Glützow und Lengwitz vereint einen grandiosen Besitz ausmachen würden.“

Rudolf beschlich ein höchst peinliches Gefühl, er fand den alten Herrn zum ersten Mal taktlos. Und der Justizrat musste wohl selbst zu dieser Einsicht gekommen sein und hätte seine vorschnellen Worte gern zurückgerufen. Aber dafür war es leider zu spät.

„Sie vergessen, Herr Justizrat, dass ich Fräulein von Glützow eben erst kennen gelernt habe, und weder sie noch ich sind dazu geschaffen, materielle Gründe bei einer Eheschließung zu berücksichtigen“, sagte Rudolf zurückhaltend.

Der Justizrat verbeugte sich. „Entschuldigen Sie! Was ich gesagt habe, war ein bisschen taktlos, es war mir nur so entschlüpft, war aber ganz sicher nicht böse gemeint.“

Die Frau Justizrat war schon längst hinaus, hatte sich eilig zu einer Besuchstour fertig gemacht, und in kurzer Zeit hatte sie ihren besten Freundinnen unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, dass der neue Herr von Lengwitz, der heute seine Antrittsbesuche mache, sich wohl demnächst mit Fräulein Simona von Glützow vermählen werde, weil die beiden Güter unmittelbar aneinander stießen und auf diese Weise vereint werden sollten. Ihr Mann werde das schon machen. Also zum Teil schon ehe Rudolf seine Karten abgegeben hatte, war es in Stralsund herum, dass er sich mit Fräulein von Glützow verheiraten würde. Es wurde dieser Neuigkeit noch allerlei hinzugefügt, je nach dem persönlichen Geschmack der einzelnen Interessierten. Die meisten sprachen von einer Vernunftehe, die diese beiden Menschen schließen wollten, um ihre Güter zu vereinigen. Und diese Lesart behauptete sich am hartnäckigsten.

Die Frau Justizrat ahnte nicht, was sie mit ihrer Wichtigtuerei angerichtet hatte. Und noch weniger ahnte Rudolf, was man sich über Mona von Glützow und ihn erzählte, sonst hätte er dem Justizrat noch weit mehr gezürnt wegen seiner taktlosen Bemerkung, die ihn ohnedies schon verstimmt hatte. Denn wenn auch in seinem Herzen ein wärmeres Gefühl für Mona bereits erwacht war, nie hätte er daran gedacht, aus pekuniären Gründen um sie zu werben. Wenn er das überhaupt je tun würde, dann ganz gewiss nur, weil er sie liebte.

Am nächsten Sonntag brauchte der Verwalter ziemlich lange zum Ankleiden. Es kam sehr selten vor, dass er andere Anzüge benutzte, als seinen Reitanzug und einen dunklen Sakko, den er bei Tisch trug. Heute aber musste er den bei derartigen Anlässen üblichen Gesellschaftsdress anlegen. Das dauerte eine ganze Weile. Er lachte sich schließlich ärgerlich selber aus, als er eine Krawatte, die ihm nicht gefiel, wieder weglegte und eine andere heraussuchte. Und sein blonder Schopf machte ihm gleichfalls zu schaffen. Man merkte ihm an, dass er oft von Wind und Wetter zerzaust wurde und infolgedessen ein wenig störrisch geworden war.

Schließlich war er aber doch fertig, und mit einer verschämten Hast wandte er sich vom Spiegel ab, der ihm immerhin ein stattliches und sehenswertes Bild zurückstrahlte. Unten in der Halle wartete Rudolf schon auf ihn, und als sie sich nun in feierlicher Pracht gegenüberstanden, mussten sie beide auflachen, obwohl sie durchaus nichts Lächerliches an sich hatten. Aber sie machten beide so komisch beklommene Gesichter, dass sie einfach lachen mussten.

Und lachend nahmen sie Hüte und Mäntel und begaben sich vors Haus, um in das Auto zu steigen.

„Es ist schauerlich“, stöhnte der Verwalter, als er sich in die Polster zurücklehnte, „was die Frauen aus uns machen. Ich habe wahrhaftig eine halbe Stunde vor dem Spiegel gestanden, um mich so schön wie möglich herzurichten.“

Rudolf lachte laut auf.

„Und dabei machen Sie ein Gesicht, als sollten Sie zur Schlachtbank geführt werden. Freuen Sie sich denn nicht auf das Zusammensein mit dem reizenden Fräulein Rasch?“

Der blonde Recke brummte etwas Unverständliches.

Stumm saßen sie nebeneinander, bis die Jungfernburg in Sicht kam. Günter Harland sah seinen Herrn an, als sie ihm gar nicht wohl; er steckte den Finger in den Kragen und zerrte daran, als sei er ihm zu eng.

„Auf diese Weise können Sie das Knopfloch ausreißen oder das Kragenknöpfchen demolieren, und dann möchte ich nicht in Ihrer Haut stecken“, sagte Rudolf amüsiert.

„Das kann ich mir vorstellen, Herr Doktor. Aber ich weiß nicht, mir ist ganz blümerant zumute. Wenn ich bloß einen Kognak hätte, der mein seelisches Gleichgewicht wiederherstellen könnte!“

„Fassen Sie Mut, Mann! Es geht ja noch nicht auf die Brautschau.“

Das war das erlösende Wort, Günter Harland musste lachen und atmete auf.

„Richtig! Aber nach meiner heutigen Erfahrung möchte ich wissen, wie mir zumute sein mag, wenn ich eines Tages um Fräulein Änne Rasch anhalte.“

„Also sind Sie sich wenigstens darüber klar, dass das nur bei Fräulein Rasch geschehen wird?“

„Selbstverständlich, etwas anderes gibt es für mich überhaupt nicht.“

Rudolf setzte sich auf.

„Sie können wenigstens sicher sein, dass sie ‚ja‘ sagen wird.“

„Meinen Sie?“

„Herrgott, wenn Sie das noch nicht gemerkt haben, dann sind Sie wirklich schwer von Begriff.“

„Das sagen Sie so, Herr Doktor; der Beteiligte merkt das immer zuletzt. Wenn es einen anderen betrifft, merke auch ich es allemal früher.“

Das galt seinem jungen Herrn, aber Rudolf entging es, dass sein Verwalter jetzt Revanche geübt hatte.

Nun fuhr der Wagen am Portal vor. Rudolf fiel es auf, dass sich an der Front des Hauses etwas geändert hatte seit seinem ersten Besuch. Endlich kam er dahinter, was es war. Die Markisen, gelb und rot gestreift, waren herabgelassen worden und gaben der Fassade ein lebhafteres Aussehen.

Wieder erschien der alte Diener und öffnete den Schlag, und die Herren nahmen die Blumensträuße zur Hand, die sie sich aus dem Lengwitzer Gewächshaus hatten besorgen lassen und die in Seidenpapier gehüllt auf den Vordersitzen gelegen hatten.

Wieder sahen sie sich mit verhaltenem Lachen an.

„Na, wenn wir nicht aussehen wie ein paar Freiersleute, dann weiß ich es nicht“, sagte Günter leise. „Haltung, mein Lieber, sonst werden wir nicht eingelassen in die Jungfernburg! Hier dürfen Freiersleut nicht passieren“, flüsterte Rudolf.

Sie folgten dem Diener, der sie in dasselbe Empfangszimmer führte, in dem Rudolf neulich empfangen worden war. Die Damen waren bereits anwesend, und nun machte Günter Harland große Augen, denn am Fenster stand eine schlanke Gestalt, Änne Rasch, in einem zarten, weißen Kleid, das sich anmutig um ihre schönen Glieder schmiegte.

Günter Harland hatte sie bisher immer nur in ihrem praktischen grauen Reitdress gesehen, in dem sie eher einem Knaben glich als einer Frau. Und nun, da er sie mädchenhaft anmutig in dem weißen Kleid vor sich sah, staunte er sie an wie ein Wunder. Seine Stirn war sehr rot, als er ihr die Blumen reichte, und seine Augen blickten sie so bewundernd an, dass auch sie rot wurde.

Auch Rudolf bot sich eine besondere Augenweide, denn auch Mona von Glützow trug ein weißes Kleid, und auch ihm wurde sehr seltsam zumute, als sie sich mit einem reizenden Lächeln zu ihm wandte und ihm die Hand reichte. Er bot ihr die Blumen, die sie dem Diener übergab. Änne tat das gleiche, aber sie nahm zuvor schnell eine kleine Rosenknospe aus ihrem Strauß und steckte sie an den Ausschnitt ihres Kleides. Das trieb Günter Harland das Blut stürmisch durch die Adern, und am liebsten hätte er die schlanke, weiße Gestalt in seine Arme genommen.

Man plauderte zunächst einmal eine Weile etwas befangen miteinander, aber langsam wurde die Verlegenheit auf beiden Seiten überwunden, und als der Diener meldete, dass angerichtet sei, ging man schon lebhaft plaudernd hinüber ins Speisezimmer, das in seiner vornehmen Gediegenheit einen sehr behaglichen Eindruck machte. Die Tafel war reizend gedeckt und mit Blumen geschmückt. Und auf den beiden langen Kredenzen standen ihn hohen Vasen die von den Herren mitgebrachten Blumen.

Rudolf saß an Monas Seite auf der einen Langseite der Tafel, Änne auf der anderen mit Günter Harland. Es wurde ein vorzügliches Menü serviert. Die Köchin Hanna hatte zeigen wollen, was sie konnte, und Mamsell Lütjers hatte bereitwillig alle, nötigen Vorräte herausgegeben und auch einen guten Wein auftischen lassen. Aus alledem ging hervor, dass auf der Jungfernburg Abstinenz keineswegs gang und gäbe war. Die beiden Herren mussten das auch empfinden, denn sie tauten bald auf, und es kam eine heitere Stimmung auf. Sie fühlten sich bald sehr behaglich in dem schönen Heim der jungen Herrin von Glützow.

Nach Tisch wurde der Mokka in einem anstoßenden Raum serviert, und damit die Herren ungeniert eine Zigarette rauchen konnten, nahmen auch die Damen eine und ließen sie sich in Brand setzen.

Günter Harland ließ seinen Blick fast keinen Moment von Ännes reizendem Gesicht. Sie wirkte auf ihn wie eine Offenbarung in dem festlichen und echt weiblichen Gewand. Und sie musste wohl in seinen Augen lesen, wie sehr sie ihm gefiel.

Auch Rudolf war von Neuem von Mona von Glützow bezaubert. Sie gab sich heute noch liebenswürdiger und ungezwungener als letzthin, und er plauderte angeregt mit ihr.

Draußen strahlte die Sonne fast sommerlich vom Himmel herab, und Mona schlug, nachdem man den Mokka eingenommen hatte, vor, einen Spaziergang durch den Park zu machen. Dieser Vorschlag wurde gern angenommen, weil er den beiden Paaren Gelegenheit gab, sich für eine Weile zu isolieren. Während Günter Harland mit Änne vorausging, folgte ihnen Mona mit Rudolf.

„Ich freue mich, dass ich endlich einmal Gelegenheit hatte, den Verwalter Harland einzuladen“, begann Mona lächelnd. „Ich habe ihn immer sehr gern gemocht und ihn auch stets verteidigt, wenn meine Freundin seinetwegen verärgert war. Ich freue mich wirklich, dass die beiden Menschen Frieden geschlossen haben.“

„Es freut mich nicht minder, gnädiges Fräulein, zumal ich weiß, wie viel Harland daran gelegen war.“

Schelmisch sah sie ihn an. „Ich weiß, dass Sie ein wenig als Friedensengel gewirkt haben.“

Er lachte. „Es erschien mir nötig, sonst hätte sich mein tüchtiger Verwalter noch lange herumgequält.“

„Und Änne auch!“, rief Mona lachend.

Er sah sie entzückt an.

„Mir scheint, wir schmieden ein Komplott?“

Sie warf den Kopf zurück. „Warum nicht, wenn es das Glück meiner Freundin gilt?“

„Sind Sie sich auch klar darüber, dass Sie dann eventuell Ihre tüchtige Verwalterin verlieren können?“

„Meinen Sie, dass ich so egoistisch bin, in diesem Fall an mich zu denken? Änne ist eine fabelhaft tapfere Frau, ihr ist das höchste Glück zu gönnen, und wenn ich dabei egoistisch an mich denken würde, wäre das eine Schmach für mich.“

Seine Augen leuchteten in die ihren.

„Ich bewundere Sie, mein gnädiges Fräulein.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Weil ich wirklich freundschaftliche Gefühle für Änne empfinde? Das verdient doch keine Bewunderung! Würden Sie, um Ihren Verwalter zu halten, ein Veto einlegen, wenn sein Glück ihn von Lengwitz fortriefe?“

„Nein, natürlich nicht.“

„Sehen Sie wohl! Und ich würde das so selbstverständlich finden, dass ich Sie nicht darum bewundern würde.“

„Ich gebe mich geschlagen – aber meine Bewunderung ist trotzdem noch gestiegen.“

„Sie waren inzwischen in Stralsund zur Besuchsfahrt?“, lenkte sie schnell ab.

„Ja“, sagte er, und sein Gesicht bekam plötzlich einen ärgerlichen Ausdruck, weil er daran denken musste, was der Justizrat so taktlos berührt hatte.

Sein kurzes ‚Ja‘ ließ sie aufhorchen, und lachend fragte sie:

„War es so schlimm?“

„O nein, nein, durchaus nicht.“

„Ich dachte, weil Sie plötzlich so verstimmt aussahen.“

Er versuchte zu lachen.

„Außer bei den Bürgermeistern bin ich nirgends vorgelassen worden. Ich hatte das auch nicht anders erwartet.“

„Nun ja, so mitten in der Woche sind die Stralsunder Hausfrauen vormittags meistens beschäftigt und die Herren im Amt oder Geschäft. Aber Sie werden sicherlich nicht lange auf Einladungen warten müssen, das nehme ich bestimmt an.“

„Sie sagten doch, solche Einladungen würden nur im Winter ergehen?“

„Immerhin sind wir noch im Frühling, und ich müsste mich sehr irren, wenn nicht wenigstens noch der eine oder andere eine Einladung ins Treffen schickte, damit die anderen Gelegenheit haben, Sie kennen zu lernen.“

Eine halbe Stunde promenierten sie im Park, und als man wieder nach dem Haus zurückkehrte, hatte Änne Rasch verdächtig rote Wangen und Günter Harland blitzende Augen. Beide hatten sich wohl sehr angeregt unterhalten.

Man nahm noch eine Weile auf der sonnigen Terrasse Platz, und als die Herren sich dann verabschieden wollen, „um nicht länger zu stören“, wurden sie von Mona aufgefordert, noch den Tee mit ihnen zu trinken. Sie weigerten sich gewiss nicht.

Rudolf sagte bedauernd:

„Es tut mir sehr Leid, dass wir nicht Revanche üben können, indem wir die Damen nach Lengwitz einladen, aber das geht selbstverständlich nicht, da wir einen Junggesellenhaushalt führen. Aber vielleicht können wir uns im Winter in Berlin revanchieren, wenn wir zufällig zur gleichen Zeit mit den Damen dort sind. Sie müssen uns dann Gelegenheit geben, Sie zu bewirten, wenn uns das auch nicht in gleicher Weise möglich sein wird, wie wir heute bewirtet wurden.“

Mona und Änne horchten auf. Rudolf sprach davon wie von etwas ganz Selbstverständlichem, dass er und Günter Harland auch im Winter nach Berlin gehen würden.

Und Mona fragte:

„Sie gehen auch nach Berlin? Ist das schon bestimmt?“

„Ich denke schon. Wir werden beide ganz gern einmal etwas Abwechslung in der Hauptstadt genießen. Nicht wahr, Herr Harland?“

„Aber gewiss, im Winter ist man ja leicht abkömmlich.“

„Also, es bleibt dabei: Wir werden uns in Berlin revanchieren, mein gnädiges Fräulein.“

Mona neigte liebenswürdig das Haupt.

„Wir werden Sie nicht hindern, wenn es Sie bedrückt, uns eine Revanche schuldig zu sein. Aber bis dahin werden wir Sie hoffentlich noch oft in Glützow begrüßen können. Sie wissen ja, jeden Tag zur Teestunde sind wir zu Hause, und wenn Sie Herrn Harland mitbringen, wird er uns willkommen sein. Er wird zuweilen schon für ein Stündchen abkommen können.“

Rudolf verbeugte sich und sah dann zu Günter hinüber, der sich ebenfalls verneigt hatte und dessen Augen wie zwei Sonnen strahlten.

„Ich glaube, Herr Harland hat die gleiche Untugend wie ich, er nimmt Einladungen ebenfalls allemal an“, sagte er lachend. „Ist es nicht so?“

Das letzte sagte er zu Harland. Der Verwalter verneigte sich nochmals:

„Darf ich so unbescheiden sein, zuweilen von dieser gütigen Einladung Gebrauch zu machen, gnädiges Fräulein?“

„Sie dürfen es.“

Hochbeglückt entfernten sich die beiden jungen Herren, und man sah es ihren strahlenden Gesichtern an, dass ihnen dieser Nachmittag in der Jungfernburg ausgezeichnet gefallen hatte.

Die Herren sprachen auf der Heimfahrt nicht viel, sie hingen beide ihren Gedanken nach, und einer wie der andere war mit seinen Gedanken in der Jungfernburg.

***

Rudolf hatte sich wohl gemerkt, dass Mona gesagt hatte, sie reite fast jeden Morgen mit Änne eine Weile am Strand entlang. So hieß es also nur, die Zeit auszukundschaften, wann diese Strandritte stattfanden, um immer wieder eine Begegnung herbeizuführen. Denn ihm schien jeder Tag leer und öde, an dem er Mona nicht wenigstens einmal von ferne gesehen hatte.

So lag er denn zu den verschiedensten Zeiten auf der Lauer und stellte dabei fest, dass die beiden Damen immer schon zwischen acht und neun Uhr nach dem Strand ritten. Als er das genau wusste, richtete er es so ein, dass er zu derselben Zeit ebenfalls am Strand war, und so oft es ging, sorgte er auch dafür, dass sein Verwalter sich dann in seiner Gesellschaft befand. Einesteils tat er das, in ganz uneigennütziger Absicht, um ihm ein Zusammentreffen mit Änne Rasch zu ermöglichen, andernteils lag ihm auch viel daran, Änne entsprechend beschäftigt zu wissen, so dass er Monas Gesellschaft für sich allein in Anspruch nehmen konnte.

Günter Harland merkte nur zu bald, dass sein junger Herr bei diesen Begegnungen gleichfalls mit dem Herzen engagiert war. Und dass Änne dieselbe Beobachtung gemacht hatte, schloss er aus ihrem Schelmenlächeln, mit dem sie zuweilen hinter Mona und Rudolf hersah. Beide aber verloren kein Wort darüber, dazu waren sie viel zu taktvoll.

Rudolf musste sich sehr am Zügel halten, um nicht jeden Tag zu der bestimmten Zeit an den Strand hinunterzureiten, aber wenn er sich einmal das Fernbleiben abgerungen hatte, ging er zu Fuß auf die Dünen hinauf und beobachtete die beiden Reiterinnen aus der Ferne. Und wenn er dann gewahr wurde, wie ihre Augen, auch die Monas, die Lengwitzer Dünen forschend und erwartungsvoll absuchten, dann klopfte ihm das Herz sehr rebellisch in der Brust, und es kostete ihn große Selbstbeherrschung, nicht schwach zu werden und zu ihnen hinunterzustürmen.

Inzwischen waren die beiden Herren auch einige Male wieder zum Tee in Glützow, und das gab im Domestikenzimmer der Jungfernburg Anlass zu allerlei Betrachtungen. Mamsell Lütjers kreischte auf, wenn drei Lichter zusammen brannten, denn das bedeutete, dass eine heimliche Braut im Haus sei, und die Köchin Hanne wollte von roten Rosen geträumt haben, was unfehlbar eine baldige Hochzeit im Haus bedeutete. Diese und ähnliche Anspielungen auf den häufigen Verkehr ihres gnädigen Fräuleins mit dem neuen Lengwitzer Herrn vernahm auch der Milchkutscher, der die Milchkannen zweimal täglich nach Stralsund fuhr und zum Teil auf dem Güterbahnhof zum Weiterversand, zum Teil direkt in den Haushaltungen ablieferte. Und dann schwatzte er mit den Köchinnen, auch mit den Hausfrauen und deutete wichtig an, dass wohl in Glützow bald Hochzeit sein werde.

Merkwürdigerweise entging es den Glützower Angestellten vollständig, dass sich nicht nur zwischen den Herrschaften, sondern auch zwischen dem Lengwitzer Verwalter und dem Fräulein Verwalterin etwas anbändelte. Sonst wäre ihnen das zweifelsohne auch sehr wichtig gewesen, zumal Änne, dank ihrer zufassenden Art, bei allen Leuten beliebt war und weil sie für jeden ein gutes Wort hatte, jedem stets und überall gern beisprang.

So vergingen einige Wochen, und der Anfang des Mai war, wie es der Landwirt gern sieht, kühl und nass. Es gab noch einmal recht unbehagliches Wetter. Und das veranlasste wohl einen in Stralsund in einer schönen Villa wohnenden reichen Kommerzienrat, noch einmal eine große Festlichkeit zu veranstalten. Vielleicht war aber auch die Frau Kommerzienrat die treibende Kraft, denn sie wollte unbedingt den neuen Herrn von Lengwitz kennen lernen, der sie bei seinem Besuch „leider“ nicht angetroffen hatte.

So ergingen also Einladungen an alle, die in Stralsund und Umgebung zur guten Gesellschaft gehörten, und zu gleicher Zeit brachte der Postbote Einladungen nach Lengwitz und Glützow. Die an Mona gerichtete war zugleich mit für Änne bestimmt, denn man wusste, dass Mona ohne sie nicht ausging. Aber der Verwalter von Lengwitz wurde leider nicht mit eingeladen, und so war Ännes Interesse an dieser Abendgesellschaft, auf der noch einmal getanzt werden sollte, sehr gering. Sie hätte am liebsten abgesagt, aber das konnte sie Monas wegen nicht tun.

Als die beiden Herren am nächsten Tag wieder einmal zum Tee in Glützow waren, wurde von dieser Einladung gesprochen, und Mona und Rudolf bekannten beide, dass sie dieser gesellschaftlichen Verpflichtung nicht eben mit Begeisterung entgegensahen. Aber sie waren sich vollständig klar darüber, dass eine Absage nicht in Frage kam. Der Kommerzienrat gehörte zu den angesehensten Persönlichkeiten der Stadt und durfte nicht durch eine Absage gekränkt werden.

„Zumal doch dieses Fest ganz bestimmt nur Ihnen zu Ehren gegeben wird, Herr Doktor“, neckte Mona.

Er fand sie, wenn sie ihn so schelmisch lächelnd ansah, besonders reizend und ließ sich deshalb ihre Neckerei gern gefallen.

Sehr glücklich war er überhaupt, dass Mona sich ihm gegenüber jetzt viel zutraulicher gab als vordem. Er fühlte beglückt, dass er ihr so wenig gleichgültig geblieben war wie sie ihm, und seine Gedanken beschäftigten sich sehr viel damit, wann er es wagen dürfte, um ihre Hand anzuhalten. Seine Zuneigung zu ihr hatte sich längst in eine heiße Liebe verwandelt, und er fühlte immer mehr, dass sie zur Ergänzung seines Lebensglücks gehörte, dass eine Zukunft ohne sie ihm schal und öde erschien.

Zwischen Günter Harland und Änne war es so weit gekommen, dass sie sich beide mit der unverbrauchten Kraft ihrer Jugend nacheinander sehnten, und wenn er das erlösende Wort noch nicht gesprochen hatte, so war das bisher nur aus Rücksicht auf Fräulein von Glützow unterblieben. Er wusste sehr wohl, dass sie nicht so bald wieder einen so tüchtigen Verwalter bekommen würde, wie Änne einer war. Und Änne wurde wahrscheinlich ihre Freundin nicht verlassen wollen, bevor sie nicht einen halbwegs passenden Ersatz gefunden hatte.

Eines Tages sprach er mit Rudolf darüber. Ganz offen sagte er ihm, dass er die Absicht habe, Änne Rasch zu seiner Frau zu machen und dass er auch glaube, ihr Jawort zu erhalten.

„Aber ehe ich um sie anhalte, Herr Doktor, möchte ich gern wissen, wie Sie sich dazu stellen, dass Ihr Verwalter Heiratsabsichten hat, denn darauf kommt viel an.“

Rudolf sah ihn lächelnd an.

„Ich habe mir das längst durch den Kopf gehen lassen, Herr Harland. Und Vertrauen gegen Vertrauen: Ich stehe Fräulein Glützow ähnlich gegenüber wie Sie Fräulein Rasch. Nur – ganz sicher bin ich bei ihr meiner Sache noch nicht, sie ist eben sehr stolz und zurückhaltend.“

Da lachte Günter Harland.

„Sie nannten mich einmal schwer von Begriff, weil ich nicht sicher sei, ob Fräulein Rasch ‚ja‘ sagen würde, wenn ich bei ihr anfragte. Ich sagte Ihnen damals schon: Der Beteiligte merkt das immer zuletzt! Daran möchte ich Sie jetzt erinnern. Sie sagten mir damals: Sie können wenigstens sicher sein, dass sie ‚ja‘ sagen wird. Nun, ich könnte Ihnen jetzt dasselbe sagen – bei mir gibt es nämlich schon längst keine Zweifel mehr, dass Fräulein von Glützow ‚ja‘ sagen wird, wenn es soweit ist.“

Rudolf fuhr sich über die Stirn.

„Könnte ich doch Ihre Zuversicht teilen!“

„Das kommt schon noch, Herr Doktor; bei mir ist es auch gekommen. Aber nun sagen Sie mir, bitte, wie Sie sich zu meinen Wünschen stellen, die, offen herausgesagt, Fräulein Änne Rasch umkreisen wie wilde Vögel, die einen Ruhepunkt suchen. Ich habe das Mädel lieb – ich finde keine Ruhe mehr, bis sie mir gehört.“

Das brach dem blonden Recken wie ein Sehnsuchtsschrei aus der Brust, und Rudolf konnte ihm wohl nachfühlen, was er empfand, denn in ihm gärte es nicht minder heftig.

„Also passen Sie auf, Herr Harland: Wir lassen jetzt das Verwalterhaus hübsch instand setzen. Es ist geräumig genug. Sie haben ja nur vier Zimmer benutzt und die Küche überhaupt nicht. Drei weitere Zimmer dienen als Vorratsräume, aber die dort lagernden Vorräte können anderweitig untergebracht werden, denn es fehlt in Lengwitz ja nicht an Platz. Es ist gut, dass Sie jetzt zu mir übergesiedelt sind, denn wenn drüben alles neu hergerichtet wird, ist es dort ungemütlich. So aber können die Arbeiter flott alles erledigen, was Not tut. Alles soll ganz nach Ihren Wünschen ausgeführt werden, denn es ist mir wichtig, mir Ihre Dienste zu erhalten. Wenn das Verwalterhaus auch kein Palast ist, so wird sich Fräulein Änne doch wohl ganz behaglich darin fühlen. Meinen Sie nicht?“

Günter Harland zerquetschte Rudolf fast die Hände.

„Ich danke Ihnen! Oh, ich danke Ihnen herzlich!“

„Keine Ursache; ist alles nur Egoismus.“

„Ja, es gibt eine Sorte von Egoismus, der bewundernswert ist. Sie haben mir eine große Sorge vom Herzen genommen. Ich kann Änne nun ein behagliches, sorgenfreies Leben bieten. Sie soll sich doch nicht mehr so abrackern wie bisher, jetzt bin ich doch da!“

Rudolf seufzte leise.

„Sie sind eigentlich zu beneiden, weil Sie ganz aus eigener Kraft der Frau Ihrer Liebe eine sorgenfreie Existenz bieten können. Wie stolz können Sie darauf sein! Ich hatte es nicht weiter als bis zum Gelegenheitsarbeiter gebracht, und wenn ich nicht ein reiches Erbe angetreten hätte, wäre es mir unmöglich, ans Heiraten zu denken.“

„Ihr Erbe ist ebenso Glückssache wie dass ich eine gute Stellung gefunden habe, Herr Doktor. Ohne ein bisschen Glück geht es eben nicht. Aber wie dem auch sein mag, ein tüchtiger Mensch sind Sie auf alle Fälle.“

„Man muss sich eben damit trösten, dass man auch als begüterter Mann seine Pflicht und Schuldigkeit tun kann. Die Finger werde ich auch als Gutsherr nicht müßig umeinander drehen.“

Der Verwalter lachte.

„Das habe ich schon gemerkt, Herr Doktor; Sie sind arbeitshungrig im höchsten Maß.“

„Ich könnte ohne Arbeit auch nicht zufrieden sein. Also, um nochmals auf Ihre bevorstehende Hochzeit zu kommen: Die Herrichtung des Verwalterhauses wird immerhin einige Zeit in Anspruch nehmen, und ich denke mir, den Sommer über wird es noch nichts mit der Heirat werden; da haben Sie allzu viel zu tun und Fräulein Änne auch. Sie wird außerdem ihre Freundin nicht ohne weiteres im Stich lassen wollen. Aber – verloben können Sie sich, sobald Sie wollen, dann weiß Fräulein von Glützow Bescheid und kann sich rechtzeitig nach einem neuen Verwalter umtun. Es wird nicht schwer halten, einen zu bekommen, wenn man auch nicht weiß, ob man einen guten Griff tut. Nun, ich denke, wir werden ihr helfen, so gut es geht. Dass sie ihrer Freundin ihr Glück gönnt, weiß ich von ihr selbst. Sie ist ja auch nicht blind gewesen in dieser Zeit und hat es längst wohl kommen sehen, dass aus dem Fräulein Verwalter bald eine Frau Verwalter werden wird.“

„Wär’s nur erst soweit!“, sagte Harland, mit heißen Augen vor sich hinsehend.

***

Es war zwischen Rudolf und Mona verabredet worden, dass er die Damen in seinem Auto abholen und mit ihnen zusammen die Fahrt nach Stralsund zurücklegen wollte. Zwar besaß Mona ebenfalls ein Auto, aber sie meinten, es sei unterhaltsamer, wenn sie während der Fahrt Gesellschaft hätten.

So fuhr denn Rudolf an dem bewussten Abend, auf den die Einladung lauteten, am Glützower Herrenhaus vor, und gleich darauf kamen die Damen, in ihre Pelzmäntel gehüllt, heraus. Der alte Diener half, nachdem Rudolf die Damen in den Wagen gehoben hatte, eine Decke um sie breiten, und dann stieg Rudolf zu ihnen ein. Er setzte sich auf einen der Vordersitze, so dass er Mona ansehen konnte, und da er die Beleuchtung eingeschaltet ließ, konnte er sie während der Fahrt betrachten. Sie war besonders lebhaft heute, und Rudolf wurde das Herz warm wenn sie ihn mit ihren samtbraunen Augen ansah oder ihn mit ihrem reizenden Lächeln zulächelte.

Eine hoffnungsfreudige Stimmung überkam ihn. Er glaubte heute bestimmt, dass er sich ihre Liebe erringen konnte, dass er sie sich vielleicht schon errungen hatte. Denn zuweilen wurde sie rot und verlegen unter seinen werbenden Blicken, und sie vermied es dann eine ganze Weile, ihn anzusehen. Alles das deutete er sich zu seinen Gunsten. Und das eine wusste er, lange hielt er die Ungewissheit nicht mehr aus, er musste Mona so bald wie möglich fragen, ob er hoffen dürfe, sie zu besitzen.

In heiterer Stimmung kamen sie in Stralsund an und hielten vor dem festlich erleuchteten Haus des Kommerzienrates, das inmitten eines Garten gelegen war. Des feuchten Wetters wegen hatte man ein rotes Segeltuchdach vor dem Portal aufgespannt, damit die Gäste aus dem Wagen direkt ins Trockene kamen. Anscheinend waren schon verschiedene Herrschaften vor Rudolf, Mona und Änne eingetroffen.

Und so war es auch; alle waren pünktlich erschienen. Rudolf und die beiden Damen waren fast die letzten Gäste.

In der Garderobe half Rudolf den Damen aus ihren Pelzmänteln, und sein Herz schlug hart und laut, als er Mona in einem eleganten Abendkleid von zartblauem Chiffon über einem Unterkleid von rosa Seide vor sich sah. Dieses Kleid wirkte wie Abendröte am blauen Himmel. Und es ließ den herrlich geformten Nacken und die wundervollen, schlanken Arme frei.

Auch Änne sah reizend aus in einem weißen Seidenkleid. Aber Rudolf hatte für sie keine Augen, für ihn gab es, seit er Mona von Glützow kannte, nur eine Frau auf der ganzen Welt.

Günter Harland war leider nicht da, um Änne bewundern zu können, was er sicher getan hätte.

Auch Monas Blick hing einen Moment selbstvergessen an Rudolfs eleganter Erscheinung. Der Smoking kleidete auch ihn, wie die meisten Herren, vorzüglich. Einen Moment standen beide sich mit aufleuchtenden Augen gegenüber, und ihre Blicke verrieten in diesem Moment mehr als je zuvor. Rudolf fühlte in dieser Stunden, Mona von Glützow liebte ihn, wie er sie liebte, und er hätte aufjauchzen mögen vor Glückseligkeit.

Als die drei Herrschaften den großen Empfangsraum betraten, in dem in hellstem Lichterglanz die bereits anwesenden Gäste in Gruppen umherstanden und plauderten, wurde es plötzlich ganz still, und aller Augen richteten sich auf Rudolf und seine beiden reizenden Begleiterinnen. Dieser Stille folgte sogleich ein aufgeregtes Tuscheln und Flüstern.

Die Gastgeber begrüßten auch diese Gäste, und zwar mit besonderer Freude, waren sie sich doch bewusst, der Gesellschaft eine kleine Sensation verschafft zu haben. Nicht nur, dass man endlich den neuen Herrn von Lengwitz vor sich sah, nein, man sah ihn gleich Seite an Seite mit der schönen Mona Glützow, von der man bereits durch die Schwatzhaftigkeit der Frau Justizrat wusste, dass sie die künftige Gattin dieses interessanten, schlanken Mannes werden würde, um eine Vereinigung der Güter Glützow und Lengwitz in die Wege zu leiten.

Jetzt kam auch schon die von Stolz und Wichtigkeit geschwellte Frau Justizrat auf die Neuangekommenen zu und begrüßte alle drei in auffallend vertraulicher Weise, so, als sei sie längst sehr gut mit ihnen befreundet.

Rudolf beugte sich über ihre Hand, und Mona und Änne begrüßten sie sehr artig. Keine Ahnung kam Rudolf und Mona, dass diese aufgeregte, geschwätzige Frau ihren erhofften Glückshimmel mit dunklen, gefahrdrohenden Wolken bedeckt hatte.

Rudolf wurde durch den Kommerzienrat den Herrschaften vorgestellt, und Änne und Mona begrüßten die ihnen schon bekannten Gäste. Es kamen noch einige Gäste nach, die von allen Seiten ebenfalls lebhaft willkommen geheißen wurden. Dann öffneten sich die großen Flügeltüren des Speisesaals.

Die Herren boten den ihnen bestimmten Tischdamen den Arm. Rudolf stellte mit Befriedigung fest, dass man ihm Mona von Glützow zugeteilt hatte, eine zarte Aufmerksamkeit der Frau Kommerzienrat, die längst eingeweiht war, dass Mona und Rudolf bald ein Paar werden würden.

Ahnungslos und freudestrahlend ging Rudolf zu Mona und bot ihr seinen Arm.

„Ich finde es herrlich hier, mein gnädiges Fräulein, umso mehr, da ich die Ehre und das Vergnügen habe, Ihr Tischherr zu sein“, sagte er, sie mit seinen grauen Augen anstrahlend.

Ihr wurde sehr heiß unter diesem Blick, und sie legte etwas befangen und unsicher ihre Hand auf seinen Arm. Aber sie sagte dann anscheinend unbefangen:

„Sie werden sich schon bald hier eingewöhnen, die Herrschaften hier meinen es sicherlich alle sehr gut mit Ihnen.“

„Die Hausfrau zweifelsohne“, meinte er.

Harmlos sah sie zu ihm auf.

„Warum gerade sie?“

„Weil sie mir bei Tisch einen Platz neben Ihnen gegeben hat. Das werde ich ihr nie vergessen.“

Darüber wurde Mona unwillkürlich verlegen, und sie war froh, dass sie jetzt bei der Tafel angelangt waren und sie sich für die überaus geschmackvolle Dekoration interessieren konnte. Um nur etwas sagen zu können, fragte sie:

„Wo sitzt denn Änne?“

Rudolf suchte nach ihr und erblickte sie neben einem sehr hübschen und vergnügten jungen Mann, der ihr anscheinend heftig den Hof machte, was Änne mit stoischem Gleichmut über sich ergehen ließ.

„Da drüben, etwas mehr nach rechts, gnädiges Fräulein. Es ist in der Tat gut, dass mein Verwalter nicht mit hier ist. Fräulein Raschs Tischherr scheint sich nicht wenig für sie zu interessieren.“

Mona sah Änne sitzen und nickte ihr lächelnd zu.

„Das ist der junge Assessor Herms, der Änne zu Tisch geführt hat, ein alter Verehrer von ihr, der immer wieder sein Glück bei ihr zu versuchen scheint.“

„Aber sicher ebenso aussichtslos wie früher“, erwiderte Rudolf.

„Oh, dessen können Sie sicher sein, Änne wechselt ihre Neigungen nicht wie ihre Kleider. Wen die erst einmal im Herzen hat, der sitzt fest für immer.“

So plauderten sie anscheinend unbefangen miteinander. Ab und zu wandten sie sich einmal ihren anderen Tischnachbarn zu. An Monas anderer Seite saß der Bürgermeister und an Rudolfs Seite die Gastgeberin, der er ein Kompliment machte über die originell geschmückte Festtafel.

„Oh, Sie sind in dem Punkt sicherlich Besseres von Berlin her gewöhnt, Herr Doktor.“

Es zuckte um seinen Mund, er musste an die Festtafel bei dem Bankdirektor denken, die er freilich nur als Servierdiener betrachtet hatte.

„In Berlin ist die Hausgastlichkeit in den letzten Jahren etwas ins Hintertreffen gekommen, gnädigste Frau. Ich glaube, in der Provinz legt man viel mehr Wert auf Gastfreundschaft als dort. Ich kann mich wenigstens nicht besinnen, je eine so reizend und originell geschmückte Tafel gesehen zu haben.“

Die etwas sehr starke alte Dame mit dem frischen Gesicht und den weißen Haaren freute sich sichtlich über dieses Kompliment.

„Ich überlasse auch nie fremden Händen solche Dinge, Herr Doktor. Wenn wir Gäste haben, will ich alles tun, damit es ihnen bei uns gefällt.“

„Das spürt man auch, und man fühlt sich wohl in Ihrem Haus.“

„Oh, das freut mich sehr. Hoffentlich habe ich es auch richtig mit Ihrer Tischdame getroffen“, flüsterte sie leise.

Rudolf stutzte. Wie konnte diese Dame wissen, wie sehr er mit seiner Tischdame zufrieden war? Er legte ein wenig Reserve in seinen Ton, als er erwiderte:

„Gewiss, gnädige Frau, wie sollte ich nicht, ist doch Fräulein von Glützow meine Gutsnachbarin.“

Sie sah ihn verständnisinnig an. „Eben darum, mein lieber Herr Doktor, wir alle freuen uns von Herzen darüber, dass die liebe Mona einen so charmanten Gutsnachbarn gefunden hat.“

Rudolf wurde es etwas schwül, das neckische Lächeln der Hausfrau irritierte ihn. Aber nun wurde die alte Dame von ihrem Tischherrn, dem Justizrat, mit Beschlag belegt, und Rudolf konnte sich aufatmend wieder seiner Nachbarin widmen, die inzwischen einige artige Worte mit dem Bürgermeister gewechselt hatte.

Das Menü war ausgezeichnet, die Menschen, mit denen man zu Tisch saß, waren, wie auf der ganzen Welt, gleichviel ob in den Großstädten oder in Kleinstädten, aus sympathischen und unsympathischen gemischt. Die letzteren waren freilich auch hier in der Überzahl.

Das sagte Rudolf leise zu Mona und fügte lächelnd hinzu:

„Wenn ich zu dieser Erkenntnis gelangt bin, nämlich, dass mich mehr Menschen abstoßen, als mir zusagen, dann tröstet mich eigentlich immer nur der eine Gedanke, dass auch ich mehr Menschen unsympathisch bin als sympathisch, denn sonst würde ich mich immer als Schuldner der Leute betrachten müssen, die mir mehr Sympathie entgegenbringen als ich ihnen.“

Sie sah ihn mit großen, ernsten Augen an.

„Ich glaube, Sie nehmen das Leben nicht leicht und besitzen ein großes Verantwortungsgefühl, sonst würden Sie nicht so sprechen.“

„Ich habe zeit meines Lebens nichts so sehr gefürchtet wie Schulden, ganz gleich, ob materielle oder ideelle. Und der einzige Mensch, der sich rühmen kann, dass ich ihm manchmal etwas schuldig geblieben bin, war meine Wirtin, Frau Mengers, der ich zuweilen die Miete nicht pünktlich zahlen konnte.“

Immer noch sah sie ihn ernsthaft an.

„Und wie ist es mit den ideellen Schulden? Sind Sie keinem Menschen je Gefühle schuldig geblieben?“

„Meines Wissens nicht, gnädiges Fräulein.“

„Ich habe noch nie darüber nachgedacht, ob ich vielleicht auf diese Weise jemandem gegenüber im Rückstand geblieben bin. Man wird ganz ängstlich, wenn man Sie so sprechen hört. Auch ich möchte niemand etwas schulden.“

Er sah sie mit einem heißen Blick an.

„Ich bin so egoistisch, zu wünschen, dass Sie vornehmlich mir in dieser Beziehung nie etwas schuldig bleiben“, sagte er leise, mit seltsam bewegtem Ton.

Er sah, dass nicht nur ihr Gesicht, sondern auch ihr stolzer Nacken sich mit Glut bedeckte, und das erfüllte ihn mit einer tiefen Glückseligkeit. Sie antwortete nicht auf seine Worte, sondern wandte sich schnell dem Bürgermeister zu, um ihn für eine Weile ins Gespräch zu ziehen.

Rudolf fand immer wieder Gelegenheit, durch ein paar Worte Monas Wangen dunkler zu färben. So war er sich denn, als man die Tafel aufhob, freudig dessen bewusst, dass ihr Herz ihm entgegenschlug.

Gleich danach begann der Tanz, an dem sich nicht nur die jüngeren, sondern auch die älteren Herrschaften beteiligten, die weißhaarige Gastgeberin nicht ausgeschlossen. Das Tanzen verursachte ihr allerdings ein wenig Atemnot. Aber was tat man nicht, um „jung“ zu bleiben!

Mona und Änne – unbedingt die schönsten und anmutigsten aller Festteilnehmerinnen – wurden vor allen anderen als Tänzerinnen begehrt, aber Rudolf gelang es, immer wieder einen Tanz von Mona zu erlangen. Und das umso mehr, als die anwesenden Herren ihn sozusagen als berechtigten Bewerber des Fräuleins von Glützow respektierten.

Als er Mona zum ersten Mal beim Tanz in den Armen hielt, überkam die beiden jungen Menschen ein Gefühl, als ob sie auf Wolken schwebten. Mona fühlte Rudolfs starken Herzschlag, und ihre Hand bebte so stark auf seinem Arm, dass er es merkte. Und wie aus einem Traum erwachten sie beide, als der Tanz zu Ende war. Sie blieben stehen und sahen sich an und wussten beide, dass sie sich liebten.

Und jedes Mal, wenn es Rudolf wieder gelang, einen Tanz von Mona zu erhalten, wurde ihnen diese Liebe deutlicher und fühlbarer. Mona wehrte sich nicht, als Rudolf sie beim letzten Tanz fester, als die Form es erlaubte, an sich zog. Willig gab sie ihm nach, und da flüsterte er, von seinen Gefühlen überwältigt: „Mona, darf ich morgen Vormittag zu Ihnen kommen, um Ihnen eine Frage vorzulegen, von deren Beantwortung mein ganzes Lebensglück abhängt?“

Sie sah zu ihm auf, einen Moment nur, und erwiderte leise:

„Ja – ich erwarte Sie.“

Dieses ‚Ja‘ erschien ihm schon als bindende Versicherung, dass sie ihm angehören wollte, und er zog sie noch einmal fest an sich, ehe er sie aus den Armen lassen musste.

Als er sie zu ihrem Platz zurückführte, blieb sie mit ihrem Kleid an einem Sessel hängen und riss sich ein Stück der plissierten Falten ab, die in halber Höhe des Rocks waren.

Froh, einen Vorwand zu haben, sich für eine Weile zurückzuziehen, bat sie ihn, Änne auszurichten, dass sie einen kleinen Schaden an ihrem Kleid ausbessern lassen wollte, und so musste er sie gehen lassen.

Während sie den Saal verließ, ging Rudolf zu Änne, und da sie gerade keinen Tänzer hatte, bat er sie, ihr den eben wieder beginnenden Tanz zu schenken.

Er berichtete ihr, was Mona ihm aufgetragen hatte, und sie fragte ihn: „Es war doch hoffentlich kein bedeutender Schaden?“

„Ich glaube nicht, es ist ein Stück von der Garnitur des Kleides abgerissen. Es wird sich leicht reparieren lassen. Wie gefällt es Ihnen hier, Fräulein Verwalter?“

Sie lachte zu ihm auf.

„Ich muss ganz offen gestehen, dass ich viel lieber zu Hause geblieben wäre. Hoffentlich wird es nicht zu spät, ich muss morgen sehr früh heraus.“

„Immer fleißig! Sie könnten sich ausnahmsweise aber auch einmal ein wenig Ruhe gönnen.“

Energisch schüttelte sie den Kopf. „Kommt nicht in Frage! Die Arbeit darf nicht unter dem Vergnügen leiden, wir haben jetzt kurz vor der Heuernte Hochbetrieb. Halten Sie uns nur den Daumen, dass wir gutes Erntewetter haben, es hat nun genug geregnet. Bisher war es gut und nützlich, der Klee steht fabelhaft, aber nun brauchen wir Sonne, viel Sonne.“

Er lachte. „Wem sagen Sie das? Herr Harland singt mir seit einigen Tagen dasselbe Lied. Schade, dass er nicht mit hier ist!“

Ein weiches Lächeln huschte über ihr Gesicht.

„Oh, er kann wenigstens ausschlafen!“

„Ich glaube, bald wird hier Schluss gemacht, und dann fahren wir auch heim. Übrigens, Fräulein Rasch, wollen Sie mir einen Gefallen tun?“, fragte er zögernd.

„Jeden“, erwiderte sie unbedenklich.

„Also – wenn es sich einrichten lässt, bleiben Sie morgen Vormittag draußen auf den Feldern und Wiesen.“

Sie stutzte, und als sie ihn forschend ansah, merkte sie, dass er etwas verlegen wurde, und begriff plötzlich alles. Sie nickte ihm lächelnd zu.

„Sie haben mir manchen Dienst geleistet, Herr Doktor, direkt und indirekt, und ich habe mir gelobt, Ihnen auch einmal etwas zu Gefallen zu tun, wenn Sie meiner bedürfen sollten. Also seien Sie dessen gewiss, ich reite morgen Früh von Glützow fort und habe den ganzen Vormittag draußen zu tun. Mein Frühstück nehme ich mir eventuell mit – das geschieht öfter einmal.“

Mit einem dankbaren Lächeln nickte er ihr zu. „Vielen Dank, Fräulein Rasch!“

***

Mona war hinaus in die Damengarderobe gegangen, um die Garnitur an ihrem Kleid festnähen zu lassen. Sie fand dort aber keinen dienstbaren Geist, weil alles im Haus jetzt anderweitig beschäftigt war. Aber auf einer Spiegelkonsole stand ein offenes Nähetui mit allem nötigen Inhalt, wahrscheinlich für solche Fälle bereitgestellt. So ließ sie sich neben dem Spiegel in einem Sessel nieder und fädelte eine Nadel mit lichtblauer Seide ein, um den Schaden zu reparieren.

Die Damengarderobe war durch eine Holzwand von der Herrengarderobe getrennt, die nur bis zur Höhe der Türen ging, so dass oben der Raum ungetrennt war. Mona saß still, über ihrer Arbeit gebeugt, als sie plötzlich bemerkte, dass drüben zwei Herren die Herrengarderobe betraten. Sie sprachen darüber, dass sie sich die Hände waschen wollten, um sich zu erfrischen. Und da Mona sich ruhig verhielt, glaubten sie sich allein. Mona hörte nun folgendes Gespräch, ohne es zu wollen:

„Ist ja eine infernalische Hitze drinnen im Saal! Die Damen haben es besser in ihren luftigen Kleidern als unsereiner.“

„Die haben es immer besser als wir“, sagte der andere lachend.

„Na, unterschiedlich, lieber Freund, manchmal sind sie auch nicht zu beneiden. Zum Beispiel dieses Fräulein Rasch! Ein reizendes Geschöpf und so eminent tüchtig! Das habe ich von Fräulein Glützow selber.“

„Habe ich auch schon gehört. Na, unter uns, diese beiden Damen schießen heute den Vogel ab, eine ist so reizend und entzückend wie die andere. Aber an das Fräulein von Glützow kann natürlich keiner mehr ran. Der neue Herr von Lengwitz hat sie ja direkt mit Beschlag belegt.“

„Können Sie es ihm verdenken?“

„Selbstverständlich nicht. Aber ein Schwein hat der Kerl! Soll ja ein ganz armer Schlucker gewesen sein. Da machte er erst die Riesenerbschaft von seinem Onkel, und nun offeriert ihm der findige Justizrat auch gleich noch, wahrscheinlich ehe er das Fräulein von Glützow gesehen hat, diese glänzende Partie.“

„Der Justizrat ist ein Schlaukopf, der macht sicherlich sein Geschäftchen dabei.“

„Wenn er die Sache ins Geleis gebracht hat, sicher.“

„Daran ist gar kein Zweifel. Die Justizrätin hat es meiner Frau haarklein erzählt. Noch ehe der Doktor Hagmeister seine Erbschaft in Lengwitz angetreten hatte, machte Zausch ihn darauf aufmerksam, wie und wodurch er Lengwitz und Glützow vereinigen könnte. Da hat dann der Doktor nicht Nein gesagt. Donnerwetter auch, das wird eine hübsche runde Sache, die zwei Güter zusammen! Ja, ja, Glück muss der Mensch haben! Na, und dass der Doktor sich die Worte des Justizrats zu Herzen genommen hat, konnte man heute Abend beobachten. Er machte seiner schönen Nachbarin höllisch den Hof, und sie sah auch nicht abweisend aus. Da kommen immerhin mal zwei schöne Menschen zusammen.“

„Soll wohl bald zur Entscheidung kommen?“

„Na, die Justizrätin munkelt so was, als könne man in nächster Zeit die Verlobungsanzeigen erwarten. Sie ist drollig, die Frau Justizrat, spielt sich ein bisschen auf, als habe sie diese Verbindung zustande gebracht. Dabei ist es ein einfaches Geschäft zwischen dem Justizrat und Doktor Hagmeister. Aber ich glaube, wir können beruhigt sein, bei den beiden Menschen kommt die Liebe sicher nach – sie sind wie füreinander geschaffen, und die Sache wäre sicherlich auch perfekt geworden, wenn der Justizrat sich nicht eingemengt hätte. Aber dann hätte er eben nichts dabei profitiert.“

„Das ist richtig. Aber nun wollen wir wieder hineingehen, ich glaube, jetzt ist bald Schluss, und ich bin froh, wenn ich in mein Bett komme.“

„Ich, offen gestanden, auch. Ist schon ein bisschen sommerlich für so eine Festlichkeit.“

„Na ja, aber die Frau Kommerzienrat musste doch das Fest schnell noch abschöpfen und uns die Sensation vorsetzen: das Brautpaar in spe. Sie sind übrigens schon zusammen in einem Wagen gekommen.“

„Na also!“

Drüben wurde es still, und Mona, die aus allen Glückshimmeln gerissen worden war, saß wie erstarrt da und lauschte in sich hinein. Ganz mechanisch hatte sie ihre Näharbeit zu Ende gebracht, dann hatte sie die Hände sinken lassen und mit großen entsetzten Augen auf die Holzwand gestarrt, hinter der ein paar männliche Klatschbasen ihr aufkeimendes Glück zertrümmert hatten.

Eine glänzende Partie? Das also war sie für Doktor Hagmeister! Er hatte ein glänzendes Geschäft mit dem Justizrat vereinbart, noch ehe er sie kennen gelernt hatte! Deshalb also seine immer dringlicher werdende Werbung, daher das eifrige Bemühen um ihre Gunst!

Heißer Zorn stieg in ihr auf. Ein Geschäft war gemacht worden, und sie war das Objekt. Sie wurde als ziemlich nebensächliche Sache angesehen; die Hauptsache war die Vereinigung der beiden Güter Glützow und Lengwitz. Nur das kam hier in Frage, und man sollte wohl noch froh sein, dass man nicht als lästige Zugabe empfunden wurde.

Sie war bleich geworden bis in die Lippen, und ihre Augen blickten wie erloschen.

„Und ich? Ich liebe ihn!“, sagte sie leise und verzweifelt vor sich hin.

Wie im Frost schauerte sie zusammen. Welche Schmach für sie, dass sie ihr Herz an diesen Mann verloren hatte, der anscheinend um ihre Liebe warb und doch nur ihren Besitz meinte! Wie demütigend für sie, dass sie ihn heute hatte merken lassen, dass sie ihn liebte! Ja, er musste es gemerkt haben, musste seiner Sache schon ganz sicher sein.

Bei diesem Gedanken sprang sie plötzlich auf und warf den Kopf stolz zurück. Nein, gottlob, noch war das letzte Wort noch nicht gesprochen, morgen sollte das geschehen, morgen wollte er kommen und eine entscheidende Frage an sie richten. Sie wusste, was das für eine Frage sein sollte, und er war wohl schon sehr gewiss, wie ihre Antwort ausfallen würde. Aber er sollte sich wundern! Eine Mona von Glützow ließ sich nicht als lästige oder nebensächliche Zugabe zu ihrem Besitz betrachten! Sie sagte lieber Nein, und wenn ihr das Herz darüber brechen würde. Sie gab nur Liebe um Liebe, und sie musste fertig werden mit diesem Gefühl, das sich – ach, es war nicht zu leugnen – in ihr Herz gestohlen hatte. Sie hatte keine Veranlagung zur ungeliebten Frau. Lieber sterben!

Bleich bis in die Lippen, aber äußerlich ruhig und unberührt, ging sie wieder in den Saal zurück. Nur, um Gottes willen, sich nicht anmerken lassen, dass ihr eben ein tiefer Schmerz zugefügt, dass ihr großes Leid widerfahren war! Ach, ein schmerzvolles Leid würde sie fortan immer mit sich herumtragen. Sie konnte es nicht ändern, dass sie trotz allem Rudolf Hagmeister liebte. Sie konnte ihm nicht einmal grollen, denn er hatte diesen sie verletzenden Pakt mit dem Justizrat schon geschlossen, ehe er sie kennen gelernt hatte. Und im Grunde galt ihr Groll viel mehr dem Justizrat als ihm. Der alte Herr hätte sie hinlänglich kennen müssen, um zu wissen, dass man sie nicht zum Objekt eines nüchternen Geschäfts machen durfte. Er kannte sie seit ihrer Kindheit und hätte sie nicht in so, demütigender Weise ausbieten dürfen. Was er ihr damit angetan hatte, vermochte er wohl kaum zu begreifen, aber er hätte es eben nicht tun dürfen. Ihr ganzes Lebensglück hatte er damit zerstört, denn – wäre es nicht möglich gewesen, dass Rudolf Hagmeister sie lieben gelernt hätte, ohne an etwas anderes zu denken? Er war vielleicht gar nicht so schuldig wie der Justizrat, aber – an eine Vereinigung mit ihm war nun nicht mehr zu denken.

Einen Moment fragte sie sich, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn sie nicht erfahren hätte, was die beiden Herren da drüben gesprochen hatte. Dann hätte sie Rudolf morgen, wenn er zu ihr kam, ihr Jawort gegeben und an seine Liebe geglaubt. Das war nun vorbei – vorbei für immer.

Mit fest zusammengepressten Lippen und stolz zurückgeworfenem Kopf betrat sie den Saal, bleich zum Erbarmen, aber anscheinend gefasst und ruhig. Schon in der Nähe der Tür trat Rudolf auf sie zu. Er hatte hier auf sie gewartet. Plötzlich glaubte sie zu merken, dass aller Augen auf sie beide gerichtet waren. Wie sehr bedauerte sie es nun, dass sie nicht in ihrem eigenen Wagen hier hergefahren war! Nun musste sie wieder mit Rudolf zusammen zurückfahren. Sie konnte nicht einmal ein Hotel aufsuchen und erst morgen nach Hause zurückkehren, denn Änne und sie hatten kein Nachtzeug mitgenommen. Ach, Änne! Wie beneidenswert sie war, weil sie arm war, nur um ihrer selbst willen von dem Mann ihrer Liebe begehrt zu werden!

Angstvoll sah sie zur Seite, nach einem Weg, auf dem sie Rudolf jetzt nicht begegnen musste. Aber es gelang ihr nicht, an ihm vorüber zu kommen. Er trat schnell auf sie zu. „Ist der Schaden an Ihrem schönen Kleid repariert, mein gnädiges Fräulein?“

Sie wich seinem liebevoll besorgten Blick aus; er gewahrte, wie bleich sie war.

„Ja, es ist alles wieder in Ordnung.“

„Aber Sie sehen sehr blass aus. Sie haben draußen doch nicht gefroren in Ihrem leichten Kleid?“, fragte er mit einem so zärtlichen Ausdruck, dass sie die Lippen fest aufeinander pressen musste, um nicht Gefahr zu laufen, in Tränen auszubrechen.

„Ich bin müde und möchte nach Hause“, sagte sie kühl und formell. Er stutzte und betrachtete sie unruhig. Das war wieder der stolze, herbe Ton, den sie früher für ihn gehabt hatte, nein, er war noch kälter und fast abweisend.

„Was ist Ihnen?“, fragte er leise, beschwörend.

Sie wandte sich hastig ab und Änne zu, die eben herantrat.

„Wir wollen heimfahren, Änne, ich bin müde“, sagte Mona, ohne weiter auf Rudolf zu achten.

Er zog die Stirn ein wenig zusammen, verneigte sich aber und sagte artig:

„Ich werde den Wagen sofort vorfahren lassen.“

Mona verabschiedete sich nun von den Gastgebern. Als die Justizrätin das merkte, kam sie heran.

„Sie wollen schon heim, liebstes Fräulein Mona?“

Mit leeren Augen sah Mona in ihr Gesicht. Das war die Frau, die mit der Nachricht hausieren ging, dass die Herrin von Glützow als Zugabe zu ihrer Besitzung verschachert werden sollte!

Ihr Abschied von der alten Dame fiel sehr frostig aus, und auch dem Justizrat konnte sie nicht so herzlich wie sonst Lebewohl sagen. Sie quälte sich nur einige Worte ab, denn selbstverständlich durfte weder er noch sonst jemand merken, dass sie etwas von dem Pakt wusste, den man über sie hinweg geschlossen hatte.

Draußen stand schon Rudolf mit den Pelzmänteln der beiden Damen und half ihnen sie umlegen. Vergebens versuchte er dabei, im Spiegel einen Blick von Mona zu erhaschen. Sie wich seinen Augen aus.

Änne betrachtete ihre Freundin unruhig. Sie kannte sie zu gut, um nicht zu merken, dass irgendetwas Mona aus ihrem seelischen Gleichgewicht gebracht hatte. Was konnte das sein? Hing es mit Rudolf Hagmeister zusammen?

Der Wagen war vorgefahren, und sorglich half Rudolf den Damen beim Einsteigen und hüllte sie in Decken. Denn der Regen strömte jetzt stärker herab und schlug klatschend auf das Dach des Autos.

Wieder setzte sich Rudolf so, dass er Mona ansehen konnte, und wieder ließ er das Licht im Wagen eingeschaltet. Mona saß in einer Ecke zusammengekauert, hatte den Pelzmantel fest um sich gewickelt und vergrub das Gesicht, so gut es ging, in dem Pelzkragen. Da sie Rudolfs forschende Blicke quälten und irritierten, bat sie plötzlich:

„Bitte, schalten Sie das Licht aus, meine Augen sind empfindlich!“

Er verbeugte sich und erfüllte ihren Wunsch. So wurde es dunkel im Wagen, nur ein matter Schein wurde durch die Blendlaternen draußen vom Weg zurückgeworfen, und als sich seine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten, sah er, dass Mona mit geschlossenen Augen dasaß.

Da Mona nicht sprach und Änne merkte, dass sie durch irgendetwas verstimmt war, sprach auch sie kein Wort. Es herrschte eine geradezu peinigende Stille im Wagen, die nur durch das Geräusch des niederströmenden Regens unterbrochen wurde.

Rudolf wusste nicht, wie er sich Monas plötzlich verändertes Wesen deuten sollte. Keine Ahnung kam ihm, dass die Taktlosigkeit des Justizrat und die seiner Frau, von der er nicht einmal wusste, sein Lebensglück bedrohte. So glückselig war ihm zumute gewesen, während er am Eingang zur Damengarderobe auf Mona gewartet hatte! Er hatte sich seines Glücks sicher geglaubt und war auch jetzt weit davon entfernt, es für bedroht zu halten. Wahrscheinlich war Mona nur von einem leichten Unwohlsein befallen, das vielleicht verursacht war durch die Erregung beim letzten Tanz. Er hoffte, wenn sie sich diese Nacht ausgeschlafen hatte, würde sie morgen wieder wohl sein. Sie würde ihn dann abermals mit dem weichen, hingebenden Lächeln ansehen, dass sie heute Abend für ihn gehabt hatte. Es stieg heiß und sehnsüchtig in ihm auf, und er musste wenigstens einmal die Decke berühren, die er um ihre Glieder gebreitet hatte.

„Ist Ihnen auch warm, gnädiges Fräulein? Fühlen Sie sich behaglich?“, fragte er.

„Ich danke, ja“, klang es leise, aber sehr kühl aus ihrem Pelzkragen zurück.

„Das ist kein gutes Wetter für die Heuernte, Fräulein Rasch, hoffentlich hält es nicht an“, wandte er sich zu Änne.

„Oh, es soll sich gründlich abregnen, Herr Doktor, es kann morgen schon gut Wetter sein. Wir sitzen ja gottlob warm und trocken“, erwiderte Änne schon ein bisschen verschlafen.

Sie war ehrlich müde, die fleißige, kleine Landwirtin.

Gleich darauf bemerkte er, dass Änne eingeschlafen war.

Da saß er nun sozusagen allein mit Mona, dicht beieinander, und sein Herz verlangte sehnsüchtig nach ihr. Weit davon entfernt, zu glauben, dass sein Glück ernstlich bedroht war, hätte er doch so gern leise ihre Hand erfasst und sie innig an seine Lippen gedrückt.

Er atmete tief auf und beugte sich vor, um sie besser sehen zu können, aber sie saß noch immer mit geschlossenen Augen da, und es wollte ihm scheinen, dass sie noch immer sehr bleich war. Tief und ehrlich besorgt, wie er war, wusste er nicht, was er tun sollte.

Der Wagen fuhr weiter, zuweilen spritzte es rechts und links hoch, wenn er durch einen Pfütze fuhr. Die Nacht war dunkel, der Himmel von Regenwolken verhängt. Rudolf wurde etwas bange zumute. Wenn Mona nur nicht krank wurde! Sie schien sich ein wenig erkältet zu haben, als sie draußen in der Garderobe den Schaden an ihrem Kleid reparierte. Die Garderoben wurden, wie er festgestellt hatte, nicht geheizt, und es wahr sehr kühl drin gewesen. Der Wonnemonat ließ sich recht ungemütlich an.

Endlich fuhr der Wagen vor der Jungfernburg vor, und Rudolf sprang heraus, um den Damen beim Aussteigen zu helfen, während der Chauffeur die Glocke zog.

Das Portal wurde zu gleicher Zeit geöffnet, denn der Diener hatte seine Herrschaft erwartet. Rudolf verabschiedete sich von Mona und sagte leise:

„Morgen Vormittag um elf Uhr!“

Sie neigte nur leicht den Kopf, legte einen Moment ihre kalten Finger in seine Hand und eilte ins Haus. Er verabschiedete sich nun von Änne.

„Bitte, Fräulein Rasch, sorgen Sie dafür, dass Fräulein von Glützow noch etwas heißen Tee oder besser noch einen Glühwein bekommt, mir scheint, ihr ist kalt geworden. Auch Ihnen wird das nicht schaden.“

Er sah sie dabei bittend an, und sie nickte ihm beruhigend zu.

„Wird alles besorgt, Herr Doktor.“

„Darf ich einen Gruß an Herrn Harland bestellen?“, fragte er.

Sie nickte ihm lächelnd zu, und ihre Augen glänzten.

„Ja, ach bitte, einen recht herzlichen Gruß!“

Dann huschte auch sie in die Halle.

Rudolf versuchte noch einen Blick auf Mona zu werfen, aber sie war bereits verschwunden. Da stieg er wieder in seinen Wagen und fuhr weiter. Er schmiegte sich in die Ecke, wo zuvor Mona gesessen hatte. Die Wärme ihres Körpers war noch zu spüren. Er schloss die Augen und träumte von morgen.

Änne merkte erstaunt, dass Mona sich schon in ihr Zimmer zurückgezogen hatte. Sie klopfte an ihre Tür. „Ich wollte dir noch gute Nacht sagen, Mona!“, rief sie, als sie feststellte, dass die Tür verschlossen war.

Mona öffnete nicht, sie rief nur heraus:

„Gute Nacht, Änne, schlaf gut! Ich bin todmüde.“

Änne stutzte. Wie seltsam klang Monas Stimme, tränenerstickt – anders konnte sie das nicht bezeichnen. Aber sie wusste, wenn eine Frau weinte, wollte sie das in der Regel niemand merken lassen. So rief sie nur zurück:

„Ich habe dir noch einen Glühwein bestellt, Mona, den musst du trinken, es war kalt auf der Fahrt. Ich nehme auch einen, damit wir keinen Schnupfen bekommen.“

„Es ist gut, Änne, ich danke dir.“ Ganz leise drang es an Ännes Ohr.

Langsam und nachdenklich ging sie in ihr Schlafzimmer. Aber dann zuckte sie die Schultern.

„Das wird sich ja morgen alles klären“, sagte sie vor sich hin.

Auch sie ahnte nicht, welche Wunde Mona heute geschlagen worden war.

Als der Diener Mona den Glühwein brachte, ließ sie ihn ins Nebenzimmer stellen. Sie wollte sich dem Diener nicht mit verweinten Augen zeigen. Da ihr aber wirklich sehr kalt war, trank sie das heiße Getränk, ehe sie ihr Lager aufsuchte. Aber sie lag noch lange wach, in ihr Herzeleid versunken, während Änne schon längst dem kommenden Morgen entgegenschlief. Sie hatte ja nicht viel Zeit, sich auszuschlafen. Sobald der Tag graute, musste sie heraus. Und das geschah jetzt schon gegen vier Uhr.

Als am nächsten Morgen Änne von ihrem ersten Ausritt zurückkehrte, um wie gewöhnlich das zweite Frühstück mit Mona einzunehmen, fand sie sie, wie immer, schon im Frühstückszimmer. Aber Änne erschrak über ihr Aussehen.

„Mein Gott, Mona, du wirst dich doch nicht wirklich erkältet haben? Du siehst ja erbarmungswürdig blass aus.“

Mona wandte ihr Gesicht ab.

„Ach nein, was denkst du, ich habe den starken Glühwein noch getrunken. Aber ich habe schlecht geschlafen und staune, dass du auch heute so zeitig hinaus bist. Das wäre doch gewiss nicht nötig gewesen.“

„Doch, meine liebe Mona, es ist immer nötig, dass man seine Pflicht tut. Und ich bin auch ganz frisch und werde nur ein halbes Stündchen Zeit für dich haben, dann muss ich wieder hinaus und werde vor Mittag nicht wieder heimkommen. Du hast heute vermutlich keine Lust, mit auszureiten, obwohl das Wetter herrlich ist. Noch ein bisschen frisch und feucht, aber die Sonne brennt ganz tüchtig, und so hoffe ich, wir werden das schönste Wetter zur Heuernte haben.“

Sie nahmen am Frühstückstisch Platz.

„Das wäre sehr erfreulich, Änne. Zum Ausreiten habe ich wirklich keine Lust, ich bleibe lieber zu Hause.“

Änne ahnte, dass Rudolf Hagmeister kommen würde und auch, warum. Sie nahm auch an, dass Mona davon unterrichtet war. Aber warum sah sie nur so zum Erbarmen blass aus? Was lag in der Luft? Dass irgendetwas nicht in Ordnung war, spürte Änne mit dem sechsten Sinn, den zu besitzen sie sich rühmte. Aber fragen wollte sie nicht. Sie wusste, wenn Mona über eine Sache sprechen wollte oder konnte, tat sie es von selbst. Aber auf eine Frage pflegte sie in solchen Dingen nicht einzugehen.

Also plauderte Änne anscheinend unbefangen darauf los, berichtete das Blaue vom Himmel herunter über die Vorbereitungen zur Heuernte und gab sich den Anschein, gar nicht zu merken, dass Mona so starr und geistesabwesend vor sich hin blickte. Aber ihrem Versprechen an Rudolf getreu, verabschiedete sie sich zeitiger als sonst, um wieder hinauszureiten, und Mona hielt sie auch nicht zurück. Sie war vielmehr froh, dass sie wieder allein sein konnte. Und auch darüber war sie froh, dass sie in der Lage war, um elf Uhr Doktor Hagmeister allein zu empfangen. Ännes Gegenwart hätte nur gestört.

Aber was … was sollte sie Rudolf auf seine zu erwartende Werbung antworten?

Dieses … oder das? Aber wie sehr sie darüber nachgrübelte, nichts erschien ihr als das Richtige. So beschloss sie denn, sich vom Augenblick leiten zu lassen. Nur das eine stand bei ihr fest: Sie würde ihn unter allen Umständen abweisen! Sie würde sich durch nichts dazu bewegen lassen, ihm die Hand zu reichen. Unruhig und rastlos ging sie durch das Haus, und weil der Spiegel ihr sagte, wie elend und blass sie aussah, ließ sie sich abermals, kurz vor elf Uhr, einen Glühwein servieren, der ihr das Blut in die Wangen treiben sollte.

Sie sah danach auch etwas besser aus, und gleich darauf fuhr der Lengwitzer Wagen vor, und Rudolf wurde ihr gemeldet.

Sie ließ ihn, wie beim ersten Mal, in das offizielle Empfangszimmer führen, während er in letzter Zeit immer in ihrem kleinen Salon oder im Wohnzimmer empfangen worden war.

Hoch aufgerichtet trat sie ihm hier entgegen. Er fasste tief erregt ihre Hand und presste seine Lippen darauf.

„Mona – teure Mona – gottlob, dass ich endlich wieder vor Ihnen stehe, ich habe diese Nacht keinen Schlaf gefunden. Sie werden begreifen, dass ich dieser Unterredung entgegengefiebert habe, in der ich Sie fragen will, ob es mir gelungen ist, Ihre Liebe zu erringen. Ich liebe Sie, Mona! Wollen Sie meine Frau werden?“

Sie fühlte sich unter seinen bewegten Worten, unter seinen sehnsüchtig, flehenden Blicken einen Moment wie gelähmt. Ach, dass sie gestern nicht in der Garderobe gesessen hätte, dass sie an ihn und seine Worte hätte glauben können! Der Schmerz und die Verzweiflung packten sie, aber sie rief all ihren Stolz zu Hilfe, richtete sich hoch empor und sagte, ihn mit einem kühlen, abweisenden Blick streifend, so fest und ruhig, wie es ihr möglich war:

„Ich bedaure, Ihre Werbung nicht annehmen zu können, Herr Doktor. Ich muss Ihnen mit einem Nein antworten.“

Er zuckte zusammen und sah sie erschrocken an, sah in ihre stolzen, abweisenden Augen hinein und zog die Stirn in schmerzlichem Groll zusammen.

„Das sagen Sie mir, nach allem, was gestern Abend zwischen uns geschehen ist, nachdem Sie mir Hoffnung gemacht haben? Mona, das kann doch nicht sein! Zu deutlich habe ich doch in Ihren Augen gelesen, dass sie mich lieben. Mona, Sie treiben einen grausamen Scherz mit mir.“

Sie hätte laut aufschreien mögen. In dieser Minute verlor sie alle Beherrschung. Dass sie ihn fliehen musste, wenn sie nicht schwach werden wollte, erschien ihr gewiss. Sie krampfte die Hände zusammen.

„Nein“, sagte sie mit verhaltener Stimme. „Ich treibe keinen Scherz mit Ihnen, ich kann Ihre Werbung nur mit einem Nein beantworten – obwohl ich Sie liebe. Ja, ich liebe Sie und schäme mich dessen nicht, aber ich müsste mich schämen, wenn ich Ihre Frau würde, weil ich weiß, dass Sie nur um nich anhalten, weil ich die Herrin von Glützow bin. Ich vergebe meine Hand nur an einen Mann, der mich liebt, wie ich geliebt sein möchte. Sie werden verstehen, dass ich Sie also abweisen muss – ich – ich weiß alles!“

Weil sie fühlte, dass sie in Tränen ausbrechen würde, neigte sie hastig den Kopf und verließ schnell das Zimmer. Draußen gab sie dem Diener Weisung, den Herrn Doktor zum Wagen zu geleiten.

Rudolf stand wie gelähmt da, fassungslos und ratlos. Was war geschehen? Weshalb wies Mona ihn ab, wenn sie ihn liebte? Weshalb war sie so außer sich, so erregt?

„Ich weiß alles!“, hatte sie ihm zugerufen. Was meinte sie damit? Was wusste sie? Was hatte sie veranlasst, so zu reden? Sie liebte ihn! Mein Gott, dachte er, das ist doch die Hauptsache, alles andere kann nur ein Irrtum, ein Missverständnis sein. Ich kann doch nicht fortgehen mit diesem Bescheid, denn ich liebe sie und fühle, dass sie irgendwelche Schmerzen leidet. Was ist nur geschehen? Schon gestern Abend – ja, weshalb war sie so seltsam verändert, als sie aus der Garderobe zurückkam?

Er stand noch ganz erstarrt, als der Diener eintrat und wartend an der Tür stehen blieb. Mit blassem Gesicht wandte sich Rolf ihm zu.

„Wo ist das gnädige Fräulein?“

„Sie hat sich in ihr Zimmer zurückgezogen, ich soll den Herrn Doktor zum Wagen geleiten.“

Da musste Rolf gehen, um keinen Eklat zu verursachen. Er nahm seinen Hut und seinen Mantel und stieg in sein Auto. Aber er tat es langsam, zögernd, als müsse ihm noch ein Ausweg einfallen.

Aber er musste mit der ungelösten Frage nach Hause zurückkehren. Und Mona lag in ihrem Zimmer auf dem Diwan, außer sich, bedrückt, beschämt und gedemütigt, weil sie sich im Überschwang der Gefühle hatte hinreißen lassen, Rudolf Hagmeister ihre Liebe zu verraten. Warum, ach, warum hatte sie das getan, weshalb hatte sie ihn nicht einfach kurz und bündig abgewiesen? Was ging es ihn an, dass sie ihn liebte? Aber freilich, sollte sie sich den Vorwurf von ihm gefallen lassen, dass sie einen grausamen Scherz mit ihm getrieben hatte? Sie musste sich doch rechtfertigen! Und schließlich – hatte sie sich zu schämen, weil sie ihn liebte? Nach dem gestrigen Abend hätte sie es doch nicht ableugnen können. Warum sich verkriechen mit ihrem ehrlichen Gefühl? Sie hatte sich dessen gewiss nicht zu schämen. Und er wusste nun wenigstens, wie die Dinge lagen, dass er sie hätte gewinnen können, wenn er ein ehrliches Spiel gespielt hätte. Er wusste nun, dass sie von allem unterrichtet war und dass sie sich nicht verschachern ließ wie ein Stück Ware; just darum, weil sie ihn liebte.

Nach und nach wurde sie ruhiger, so ruhig, wie sie es mit ihrem wehen Herzen sein konnte. Und sie wusste nur eins, sie durfte Rudolf jetzt nicht wieder begegnen, sie musste fort aus seiner Nähe, wollte auf Reisen gehen. Änne würde hier alles weiterführen, darum brauchte sie sich nicht zu sorgen. Und Änne sollte auch wissen, warum sie ging, vor ihr brauchte sie sich nicht zu schämen.

Aber dann warf sie sich doch wieder in aufwallendem Schmerz auf den Diwan und barg das zuckende Gesicht in den Händen. Aller Stolz war zerbrochen, sie wusste, dass sie diesen Schlag nie verschmerzen würde, denn das war das schlimmste sie liebte ihn noch immer, trotz allem, was er ihr angetan hatte.

Ruhelos lief sie hin und her, rief dann ihr Mädchen und gebot ihm, ihre Koffer herbeizuholen. Das Mädchen eilte zunächst hinunter ins Domestikenzimmer, wo der Diener bereits gemeldet hatte, dass die Herrin den Doktor durch ihn sozusagen hätte hinausweisen lassen. Da müsse etwas geschehen sein. Und nun hörte man, dass die Herrin plötzlich auf Reisen gehen wollte. Also da schien es nichts mit einer Verlobung und Hochzeit zu werden, das sah gar nicht danach aus.

Es gab allerlei Vermutungen, nur auf die Wahrheit kam niemand.

Die Koffer wurden herbeigeschafft und in Monas Zimmer bereitgestellt, aber mit dem Einpacken wollte Mona erst nach Ännes Rückkehr beginnen.

***

Änne war auch heute zunächst am Strand entlang geritten, um sich zu den entlegenen Feldern und Wiesen zu begeben. Dieser Weg war freilich eine Kleinigkeit länger als der andere, aber – sie hoffte, ohne sich das freilich einzugestehen, hier dem Lengwitzer Verwalter zu begegnen. Sie war überzeugt, dass zwischen Mona und Doktor Hagmeister heute eine Entscheidung herbeigeführt werden würde, und da sie ein kluges Mädchen war und als solches längst gemerkt hatte, wie es um ihre junge Herrin und den Doktor stand, zweifelte sie nicht daran, dass eine Verlobung zustande kommen würde.

Sie war der festen Überzeugung, dass Doktor Hagmeister seinen Verwalter heute nicht begleiten würde. Dann aber – wenn überhaupt – würde sie auf ihn allein stoßen. Und sie hätte gar nichts einzuwenden gehabt gegen ein kurzes Beisammensein unter vier Augen.

Ihr Herz begann rebellisch zu schlagen, als sie ihn tatsächlich über die Dünen herankommen und schnell auf sie zureiten sah.

„Guten Morgen, Fräulein Rasch! Also auch heute schon auf dem Pferderücken?“

Sie wurde rot, lachte ihn aber in ehrlicher Freude an.

„Jawohl, schon zur zweiten Tour! Das erste Mal bin ich, wie jetzt immer, schon um vier Uhr ausgeritten. Jetzt komme ich vom Frühstück mit Fräulein von Glützow.“

Seine Augen strahlten sie bewundernd an.

„Fabelhaft! Vor Ihnen muss man wirklich Hochachtung haben. Sie beschämen uns Männer gründlich. Wie haben Sie sich gestern Abend amüsiert?“

„Mäßig“, sagte sie lächelnd.

Er ritt nahe an sie heran.

„Ich war in Gedanken mit Ihnen, Fräulein Rasch – bis ich eingeschlafen bin. Und ich habe die Herren, die mit Ihnen tanzen durften, glühend beneidet.“

Sie lachte ein wenig verlegen unter seinem Blick.

„Ach, die waren gar nicht besonders beneidenswert, ich war müde und habe wahrscheinlich wie ein Plumpsack getanzt“, scherzte sie. Seine Augen brannten in die ihren, und plötzlich sagte er mit verhaltener Stimme:

„Ich war brennend eifersüchtig auf jeden, der Sie im Arm halten durfte, das müssen Sie wissen, Änne.“

Ihr Gesicht war wie in Glut getaucht, aber sie hielt tapfer seinen sehnsüchtigen Blick aus.

„Ja- ich weiß es – ich – ja – ich habe ja auch nur immer an Sie gedacht!“

Er griff ihrem Pferd in die Zügel, so hielten sie dicht beieinander.

„Änne, liebe, süße Änne, weißt du, dass ich das Leben ohne dich nicht mehr erträglich finde, dass ich mich sehne nach dir mit aller Inbrunst meines Herzens? Weißt du das, Änne?“

Sie nickte ihm mit einem reizenden Lächeln zu.

„Ja, Günter, das weiß ich.“

„Und du – du, Änne?“

Sie lachte leise, ganz weich und zaghaft.

„Ich sehne mich auch, Günter genau so sehr, das weißt du doch längst, nicht wahr?“

Er zog sie dicht an sich, die beiden Pferde mit der Linken fest am Zügel haltend. Und ihre Lippen fanden sich im ersten heißen Liebeskuss. So hielten sie eine lange Zeit, Mund auf Mund oder Auge in Auge. Dann machte sie sich erschrocken los.

„Ach, Günter, wir befinden uns hier auf dem Präsentierteller – jeder, der über die Düne guckt, kann uns sehen.“

Er lachte übermütig.

„Dann hat er eine Augenweide, meine süße Änne.“

„Ach, Günter, aber was soll denn nun werden?“

„Hochzeit“, sagte er lakonisch.

Sie musste lachen und sah innig in seine Augen hinein.

„Wie soll denn das gehen?“

„Wunderschön, Änne! Ich habe bereits Auftrag gegeben, dass das Verwalterhaus in Lengwitz renoviert wird, mit Zustimmung Doktor Hagmeisters. Sieben Zimmer, Änne, vier große und drei kleine, eine hübsche Küche und eine Speisekammer, sogar nach Norden gelegen. Genügt dir das?“

Sie seufzte glückselig auf.

„Ach, das ist mehr als genug! Aber ich bin doch in Stellung?“

„Die längste Zeit gewesen. Den Sommer müssen wir noch aushalten, Änne, bis alles bereit ist. Aber im September, da halten wir Hochzeit.“

„So bald schon?“

„Na, ich finde es reichlich lange, aber ich habe dem Doktor versprochen, bis dahin zu warten.“

„Weiß er denn?“

„Selbstverständlich, es ist alles mit ihm besprochen. Zulage bekomme ich auch.“

„Aber ich kann Mona doch nicht im Stich lassen!“

„Die weiß schon, was ihr droht, und wird, wie sie gesagt hat, deinem Glück nicht im Weg stehen. Deinem Glück, Änne – ist es dein Glück?“

Sie mussten das erst noch einmal besiegeln. Aber dann sagte Änne:

„Erst muss Mona aber Ersatz für mich haben.“

„Ja doch! Ein Verwalter wird engagiert, es gibt genug, die auf eine Stelle warten. Die weibliche Konkurrenz muss ich aus dem Weg schaffen“, neckte er.

„Am Ende willst du mich nur deshalb heiraten?“

Seine Auge blitzten sie an.

„Nur deshalb, du dumme Änne, nur deshalb!“

Und er riss sie in seine Arme und küsste sie wie ein Verdurstender. Der Hut flog ihr vom Kopf, und das braune, lockige Haar flog im Wind. Sie mussten beide lachen, er sprang aus dem Sattel und hob den Hut auf. Und als er ihn ihr lachend wieder reichte, zog er sie vom Pferd in seine Arme. Er ließ die Zügel ganz locker, und so standen sie nun, durch die beiden Pferdeleiber gegen die Düne gedeckt, und küssten sich, sie wussten selbst nicht, wie lange.

„Jetzt muss ich aber weiter, Günter“, sagte sie atemlos.

Schnell küsste er sie noch einmal, dann hob er sie auf ihr Pferd und gab ihr die Zügel in die Hand.

„So, Änne, du kommst schon noch zeitig genug auf die Felder. Warte einen Moment, ich begleite dich noch ein Stück!“

Er sprang wieder in den Sattel, und nun ritten sie nebeneinander hin und sagten sich in aller Eile noch so viel Liebes und Zärtliches, wie sie in dieser kurzen Zeit zusammendrängen konnten. Und dann lachte Änne plötzlich auf.

„Du, Günter, da wird wohl nun eine Doppelverlobung gefeiert werden müssen!“

Er sah sie fragend an.

„Du meinst – Doktor Hagmeister und Fräulein von Glützow?“

Sie nickte.

„Ja.“

„Und gerade heute, wie wir?“

„Er hat mich wenigstens gestern Abend gebeten, ich möchte um elf Uhr in Glützow aus dem Weg sein und möglichst nicht so bald heimkommen. Also wundere dich nicht, wenn du heute allein zu Mittag essen musst!“

Er lachte.

„Ah so, deshalb wollte er mich heute nicht begleiten. Nun, wir können damit zufrieden sein, Änne, dann kommen wir zu einer prächtigen Verlobungsfeier.“

„Hoffentlich! Ach, Günter, das ist ja alles viel zu schön, um wahr zu sein!“

„Was denn? Dass unsere Herrschaft sich verloben wird?“

„Oh, ich bin Egoist, Günter!“

„Ich auch! In dieser Beziehung mehr als in jeder anderen. Schnell noch einen Kuss, Herzensänne!“

Sie küssten sich noch einmal zum Abschied, und dann sagte er bittend:

„Wir müssen uns jetzt täglich wenigstens eine Stunde allein sehen, Änne. Überlege dir mal, wie wir das einrichten können. Und dann schreibst du mir ein Briefchen – aber ein liebes, hörst du?“

„Fang du nur an!“, sagte sie lachend.

Er nickte.

„Gut, also ich zuerst. Morgen Früh erhältst du Nachricht. Wo reitest du denn jetzt hin?“

„Nach den Kleefeldern und dann hinüber nach dem See, da werden auf den Feldern Rüben gehackt.“

„Richtig! Vielleicht begegnen wir uns noch einmal, will sehen, was ich tun kann, werde so um Mittag am See sein.“

„O fein! Wiedersehen, Günter – lieber Günter!“

„Wiedersehen, meine Änne! Denk an mich!“

„Immer.“

Er presste ihre Hand an seine Lippen, und dann ritt sie davon.

Er sah ihr mit leuchtenden Augen nach. Ehe sie hinter den Dünen verschwand, winkte sie noch einmal zurück.

Dann jagte auch Günter davon, seinen Pflichten nach.

Er stand gerade bei den großen Heuschobern, als das Auto mit seinem Herrn vorüberkam.

***

Rudolf hatte sich auf der Heimfahrt den Kopf zergrübelt, was Mona bewogen haben konnte, ihn abzuweisen, obwohl sie ihn liebte, wie sie ihm ja versichert hatte. Was war nur geschehen? Es musste ihr etwas begegnet sein, während sie gestern Abend in die Garderobe gegangen war, um ihr Kleid zu reparieren. Nach ihrer Rückkehr in den Festsaal erschien sie ihm völlig verändert.

„Sie werden verstehen, dass ich Sie abweisen muss – ich weiß alles!“ So hatte sie ihm zugerufen, mit blassem, in Schmerz erstarrtem Gesicht. Das quälte ihn am meisten, dass er wusste, dass sie litt.

Was sollte es nur heißen, dass sie ihm sagte: „Ich weiß alles?“

Was wusste sie? Was hatte sie so sehr verändert, was quälte sie? Und wie sollte er es in Erfahrung bringen, wenn sie ihn nicht selbst aufklärte? Sie würde ihn nicht wieder vorlassen, wenn er kam, um sich Aufklärung zu holen. Sie nahm zweifelsohne an, er wisse, was sie mit den Worten meinte: Ich weiß alles!

Ob er ihr schrieb, sie brieflich um Aufklärung bat? Aber wenn sie sich weigerte? Was sollte er nur tun, sich Klarheit zu verschaffen? Alles konnte doch nur ein verhängnisvoller Irrtum sein!

Verzweifelt grübelte er darüber nach, und zuweilen wallte es dennoch wie eine heiße Glückswoge über ihn hin, wenn er daran dachte, dass sie ihn liebte. Das ließ ihn auch nicht ganz verzagen. Wenn sie ihn nur liebte, dann musste ja alles gut werden! Nur musste er ergründen, was plötzlich trennend zwischen ihnen lag, was sie zu wissen glaubte …

Und plötzlich dachte er an Änne Rasch. Sie musste helfen, und sie würde es tun, falls er sie darum bat, würde aus Mona herausbringen, was geschehen war, was als Hindernis plötzlich zwischen ihnen aufragte. Ja, Änne Rasch musste helfen, die kleine, kluge, warmherzige Verwalterin!

Aber wo sie jetzt finden? Er wusste, fühlte, dass es galt schnell zu handeln, denn Mona litt – und sie sollte nicht leiden, sie sollte mit ihm glücklich sein.

Als er sie seinem Gedankengang so weit gekommen war, sah er seinen Verwalter an den Heuschobern stehen. Er ließ den Wagen halten und rief ihn herbei. Günter folgte dem Ruf sofort und sah erschrocken in das fahle Gesicht seines junges Herrn.

„Was ist geschehen, Herr Doktor?“

Es zuckte bitter um Rudolfs Mund. Sah man ihm den abgewiesenen Freier an? Er gab sich einen Ruck.

„Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie zufällig wissen, wo ich Fräulein Rasch jetzt finden kann.“

„Fräulein Rasch?“ Günter sah nach der Uhr. „In einer halben Stunde wird sie unten am See auf den Rübenfeldern sein, Herr Doktor. Zufällig habe ich sie getroffen, und sie sagte mir, dass sie um zwölf Uhr auf den Rübenfeldern sein würde.“

„Danke. Ich muss Fräulein Rasch etwas sagen.“

Und ohne auf Günters besorgtes Gesicht zu achten, gab er dem Chauffeur Weisung, nach dem See zu fahren. Er kam allerdings schon vor zwölf Uhr dort an. Gut, so würde er warten, bis Änne Rasch kam.

So fuhr er davon, und Günter sah ihm unruhig nach. Das sah nicht nach einer Verlobungsfeier aus. Was mochte wohl geschehen sein? Sollte sich sein Herr Doktor einen Korb geholt haben? Das konnte doch nicht sein, man hatte doch Augen im Kopf!

Langsam kehrte er zu seinen Geschäften zurück und machte sich bereits darauf gefasst, Änne nicht mehr am See zu finden, würde er um zwölf Uhr dorthin kommen. Sicherlich hatte der Herr Doktor einen Auftrag für sie.

Als Rudolf auf den Rübenfeldern am See ankam, sah er Änne gerade vom Wald herüberreiten. Er schnitt ihr den Weg ab, und als er sie erreicht hatte, ließ er den Wagen halten und sprang heraus. Er ging ihr entgegen, und sie sah ihn ein wenig erschrocken an.

„Herr Doktor! Sie sind nicht in Glützow?“

„Ich war dort, Fräulein Rasch, aber – ach bitte, steigen Sie ab und gehen Sie mit mir eine Weile auf und ab, ich habe Ihnen etwas zu sagen.“

Sie sprang mit seiner Unterstützung sogleich aus dem Sattel und stand nun erwartungsvoll neben ihm.

„Was ist geschehen?“, fragte sie besorgt.

Er atmete tief auf. „Unbegreifliches ist geschehen, Fräulein Rasch. Sie ahnten sicherlich, weshalb ich heute mit Fräulein Glützow allein sein wollte?“

„Ja, Herr Doktor“, sagte sie einfach, während sie neben ihm herging.

„Nun gut! Sie sind ein zuverlässiges und verständnisvolles Geschöpf, und – ich brauche Ihre Hilfe jetzt; kein Mensch als Sie kann mir helfen. Ich bin in einem Zustand der Verzweiflung. Alles muss ich Ihnen anvertrauen, was geschehen ist. Sie sind Monas Freundin, und ich weiß, sie leidet, aber ich weiß nicht, warum und wie ich ihr helfen kann“, stieß er heiser hervor.

Mitleidig sah sie in sein erregtes Gesicht.

„Soll und kann ich Ihnen helfen, dann, ja, dann müssen Sie mir reinen Wein einschenken. Ich weiß, dass Mona ihr seelisches Gleichgewicht verloren hat, aber nicht warum. Als wir gestern Abend nach Hause kamen, eilte sie gleich nach ihrem Zimmer und schloss sich darin ein. Ich klopfte später an ihre Tür, um ihr gute Nacht zu sagen, erhielt aber kaum Antwort. Ich erkannte jedoch, dass sie sehr erregt sein musste, wollte mich aber nicht in ihr Vertrauen drängen. Heute Morgen war sie sehr niedergedrückt, und ich nahm wahr, dass sie geweint hatte.“

„Mein Gott, das ertrage ich nicht! Was ist ihr nur widerfahren?“

„Haben Sie sich nicht mit ihr ausgesprochen?“

Er zögerte einen Moment, dann sagte er aufatmend:

„Sie haben Recht. Wenn Sie mir helfen sollen, müssen Sie alles wissen.“

Er erzählte ihr nun genau, wie lieb und herzlich Mona gestern Abend zu ihm gewesen sei und dass er sie bei ihrem Vornamen genannt und sie gebeten habe, heute zu ihr kommen zu dürfen, um ihr eine Frage vorzulegen, von deren Beantwortung sein ganzes Lebensglück abhinge. Mona – sei dann in die Garderobe gegangen, um einen Schaden an ihrem Kleid auszubessern, und als sie nach etwa einer halben Stunde zurückgekommen sei, habe sie sehr blass ausgesehen und sich wieder so kalt und abweisend gezeigt wie früher. Trotzdem habe er nur an eine Übermüdung geglaubt. Er erinnerte sie dann an Monas seltsames Verhalten während der Fahrt. Dann berichtete er ihr ausführlich, ohne jeden Rückhalt, von seiner Werbung und von Monas ihm unverständlicher Antwort.

„Also, Fräulein Rasch: Mona gab unumwunden zu, dass sie mich liebe, sagte dann aber, dass sie meine Werbung trotzdem zurückweisen müsse. Und zum Schluss rief sie mir zu: ‚Ich weiß alles!‘ Damit verließ sie mich, wie ich bemerkte, mit Tränen kämpfend. Ich weiß nun, dass sie mich liebt, wie ich sie liebe, weiß, dass es ihr weh getan hat, mich abweisen zu müssen, aber sie stand mir nicht weiter Rede, sondern ließ mich durch den Diener, den sie mir hereinschickte, zum Wagen bringen, und so musste ich in einer fürchterlichen Stimmung davonfahren. Jetzt wissen Sie alles. Nun helfen Sie mir! Sie müssen Mona bewegen, Ihnen zu offenbaren, was sie mit dem rätselvollen: Ich weiß alles! sagen wollte. Ich nehme an, sie wird mir nicht Rede stehen wollen, wird mich wahrscheinlich nicht wieder vorlassen. Aber ich bin auch überzeugt, dass nur irgendein verhängnisvoller Irrtum, irgendetwas mir Unverständliches zwischen uns steht. Sie liebt mich und ich – mein Gott – ich bete sie an, und ihr Glück ist mir wichtiger als mein eigenes. Aber ich bin dazu verurteilt, mich ohne Gnade von ihr verbannen zu lassen. Wie kann ich da Klarheit schaffen? Deshalb komme ich zu Ihnen. Ich bin überzeugt, wenn irgendein Mensch Licht in dieses Dunkel bringen kann, sind Sie es. Wollen Sie mir helfen?“

Sie reichte ihm mit einem warmen Lächeln die Hand.

„Die einzigen Menschen, denen ich Dankbarkeit schuldig bin, sind Sie und Mona. Ich weiß, dass Sie Mona lieben und von ihr geliebt werden, weiß nun auch, dass irgendetwas Unerklärliches plötzlich zwischen ihnen steht. Dieses Hindernis muss fortgeräumt werden, das steht fest. Und was ich dabei tun kann, soll gewiss geschehen. Mona vertraut mir sonst alles an, aber nie hat sie zu mir davon gesprochen, dass ihre Liebe Ihnen gehöre. In dieser Beziehung ist sie eine Mimose, das weiß ich, und deshalb habe ich nie daran gerührt, obwohl ich ahnte, fühlte, dass Sie ihr teuer geworden waren. Hier gilt es aber ihr Glück, und wenn es nicht anders geht, werde ich einmal unzart sein und versuchen, sie zum Sprechen zu bringen. Erst will ich abwarten, ob sie mir nicht selbst etwas mitteilt, wodurch ich einen Fingerzeig erhalte. Bitte, verlieren Sie nur nicht den Mut! Es kann ja nur ein Missverständnis sein oder sonst irgendetwas, das nur der Aufklärung harrt. Fahren Sie jetzt ruhig wieder heim, Herr Doktor! Sobald ich etwas in Erfahrung gebracht habe, sollen Sie es erfahren.“

„Auch wenn sie Ihnen verbieten sollte, mir etwas davon zu sagen?“

„Auch dann, Herr Doktor. Es ist ganz sonderbar, wir Frauen sind oft sehr töricht, so dass wir zu unserem Glück direkt gezwungen werden müssen. Ich habe Mona so lieb, dass ich auch gegen ihren Willen versuchen würde, ihr zu ihrem Glück zu verhelfen.“

Er drückte ihr so heftig die Hand, dass sie das Gesicht schmerzhaft verziehen musste.

„Ich danke Ihnen, oh, ich danke Ihnen vielmals, Fräulein Rasch!“

Sie lächelte ihm tröstend zu.

„Nun, einmal werden wir ja hoffentlich auf gleich kommen, Herr Doktor; vorläufig bin ich noch in Ihrer Dankesschuld. Ich muss jetzt die Arbeiten auf den Rübenfeldern kontrollieren, dann reite ich heim und will sehen, was ich für Sie tun kann.“

Damit verabschiedete sie sich von Rudolf, der, etwas beruhigter, wieder in seinen Wagen stieg.

Änne sah ihm nach.

„Du törichte Mona, was hast du nur im Sinn? Dieser Mann liebt dich doch mit aller Inbrunst! Was willst du denn noch?“

So fragte sie sich, als sie zu den Leuten hinüberritt.

Sie sah nach dem Rechten, gab ihre Befehle und fasste sich so kurz wie möglich. Dabei sah sie immer wieder erwartungsvoll umher.

Würde Günter sein Versprechen halten und um die Mittagszeit hier herkommen? Sie hätte ihn gar zu gern noch einmal gesehen.

Sie war noch nicht ganz fertig mit ihren Anordnungen, als sie ihn drüben am Waldrand auftauchen sah. Er hielt unter den Bäumen an.

Änne erledigte schnell alles noch Notwendige und ritt dann zu dem Geliebten hinüber.

Mit lebhaft geröteten Wangen kam sie bei ihm an. Er hatte sich weiter unter die Bäume zurückgezogen, damit er sie ungestört küssen konnte. Dann fragte er:

„War der Doktor hier bei dir?“

„Ja, Günter, es war leider nichts mit der Verlobung; es ist irgendetwas dazwischengekommen, was ich aufklären soll. Ich habe jetzt keine Zeit, dir alles zu erklären, jedenfalls hat die Sache eine kritische Wendung genommen. Vielleicht erfährst du auch einiges von dem Doktor selber. Jetzt mag mir nur der liebe Gott helfen, damit ich Licht in die etwas verworrene Angelegenheit bringen kann, sonst bin ich sehr betrübt. Ich kann mich nicht recht freuen, wenn diese beiden Menschen, denen ich so viel zu verdanken habe, nicht auch glücklich werden. Also, leb wohl, mein Günter! Wenn ich dir anders keine Nachricht schicken kann, schreibe ich dir. Aber bitte, verrate dem Doktor heute noch nichts von unserer Verlobung, es ist heute ein schlechter Tag für ihn.“

„Ach, Änne, ich bin viel egoistischer als du und kann nur an unser Glück denken.“

„Dafür bist du ein Mann!“, rief sie ihm schelmisch zu und jagte davon.

***

Unterwegs hatte sich Änne einen Plan zurechtgelegt, was sie jetzt zu tun habe. Bei ihrer Ankunft in Glützow hörte sie, dass das gnädige Fräulein sich in ihre Zimmer zurückgezogen habe und anscheinend nicht ganz wohl sei. Änne überlegte einen Moment. Dann begab sie sich in ihr Zimmer, kleidete sich schnell um für die Mittagstafel und ging dann zu Mona hinüber und klopfte bei ihr an. Erst nach einer Weile fragte eine verhaltene Stimme:

„Wer ist da?“

„Ich bin’s, Mona! Darf ich eintreten?“

Da wurde drinnen der Schlüssel umgedreht, und Mona ließ sie ein. Änne erschrak über ihr Aussehen und nicht minder über die bereitstehenden Koffer.

„Mona, du siehst leider noch immer recht leidend aus. Ist dir noch nicht besser? Und – da stehen deine Koffer, du willst doch nicht verreisen?“

„Doch, Änne; morgen will ich fort – für lange Zeit.“

Änne erschrak und legte den Arm um Mona.

„Mona, ich bin sehr besorgt um dich, will mich aber nicht in dein Vertrauen drängen.“

Mona zog sie mit sich auf den Diwan und sagte mit matter Stimme: „Ich sehe ein, Änne, dir muss ich alles sagen. Einem Menschen muss ich mich anvertrauen. Ich habe seit gestern Abend sehr viel erlebt und erlitten, Änne. Mein Stolz müsste mir eigentlich gebieten, alles in mir zu verschließen, aber du sollst nicht glauben, dass ich plötzlich von Sinnen gekommen bin oder Launen habe. Genug – ich muss fort, so weit wie möglich und so lange wie möglich.“

Änne streichelte ihr die Hände, die eiskalt waren und zitterten.

„Meine arme Mona, was ist dir nur geschehen?“

„Ach, Änne, wie glücklich kannst du sein, weil du arm bist, weil du, wenn dich ein Mann zum Weib begehrt, genau wissen wirst, dass er dich liebt und nur dich will und nicht das, was dir gehört.“

Änne schüttelte verständnislos den Kopf.

„Aber Mona, schätzest du dich so niedrig ein, dass du meinst, dein Besitz sei wertvoller als deine Person?“

„Zwischen gestern und heute habe ich das erkennen müssen, Änne. Höre zu, und was ich dir sagte, muss zwischen uns beiden Geheimnis bleiben.“

Und in fieberhafter Erregung berichtete Mona ihr von ihrer Liebe zu Rudolf, von der Seligkeit des gestrigen Abends, solange sie an seine Liebe geglaubt hatte, und wie dann ihr ganzes Glück in Trümmern gegangen sei, als sie die beiden Herren in der Garderobe wider Willen hatte belauschen müssen.

„Du kannst dir denken, Änne, wie mir zumute war. Ich war verhandelt worden wie ein Stück Ware, der Justizrat hatte mich Doktor Hagmeister als glänzende Partie angeboten. Es passte ja herrlich! Lengwitz und Glützow liegen ja so lächerlich günstig nebeneinander. Doktor Hagmeister hat sich nicht gewehrt, diesen Handel abzuschließen, sonst hätte die Justizrätin nicht im Voraus von unserer bevorstehenden Verlobung sprechen können. Mir war, als gehe alles um mich her in Trümmer, ich hätte am liebsten sterben mögen, um nur nichts mehr zu hören von diesem geschmacklosen Schacher. Du kannst dir wohl denken, wie mir zumute war, als der Mann, den ich liebte, vor mir stand, mir von seiner Liebe sprach und um meine Hand bat. Ach, Änne, wie konnte er mir nur das antun?“

Weinend fiel Mona der Freundin um den Hals.

Änne war somit sehr schnell in Besitz dieses Geheimnisses gekommen und wusste nunmehr, warum Doktor Hagmeister einen Korb bekommen hatte. Aber nicht einen Moment zweifelte sie, dass dies alles nur ein Irrtum sei. Wenn Doktor Hagmeister, den sie vorhin so elend und verzweifelt gesehen hatte, Mona nicht liebte, hätte sie auch an ihres Günters Liebe zweifeln müssen. Sie überlegte aber erst, was sie jetzt zu tun und zu sagen hatte, um ja nichts zu verderben.

Leise strich sie über Monas Köpfchen, und als sie sich etwas beruhigt hatte, fragte sie freundlich:

„Und das hast du von Doktor Hagmeister geglaubt, Mona?“

„Geglaubt? Aber Änne, ich habe dir doch erzählt, was diese Herren sagten! Das können sie doch nicht aus der Luft gegriffen haben!“

„Aber, meine liebe Mona, du kennst doch die gute Justizrätin. Unter uns gesagt, sie ist die größte Klatschbase von ganz Stralsund. Nicht einmal eine bösartige, aber eine von denen, die immer und überall das Neueste herumtratschen müssen, gleichviel, ob es wahr oder unwahr ist. Ich muss dir sagen, deine Liebe zu Rudolf Hagmeister kann nicht sehr groß sein.“

Mona wurde dunkelrot.

„Änne, du weißt doch, wenn ich einmal liebe, dann sitzt es tief.“

„Dann begreife ich nicht, wie du dich durch ein derartiges Geschwätz so irritieren lassen kannst. Wir haben Doktor Hagmeister doch recht gut kennen gelernt und wissen, dass er ein anständiger Mensch, dass er ein Mann von vornehmer Gesinnung ist. Hältst du ihn dessen fähig, einen derartig, undelikaten Handel abzuschließen? Ich nicht, das sage ich dir und – ich liebe ihn doch nicht einmal. Du aber glaubst ohne weiteres, dass alles wahr ist, was die beiden Herren zusammenschwatzten?“

Mona sah sie betreten an.

„Aber Änne, sie sprachen doch so bestimmt davon!“

„Nun, wenn ich einen Mann liebe, schenke ich ihm auch mein Vertrauen, und das lasse ich mir nicht so leicht erschüttern.“

Mona sah ganz verzagt zu der Freundin hinüber.

„Mein Gott, Änne, wie konnte ich denn anders?“

Änne strich ihr über das Haar. Mit Absicht war sie so schroff gewesen; sie wusste, das würde bei Mona mehr wirken, als wenn sie ihr gut zuredete.

„Nun ja, Mona, wenn wir Frauen lieben, dann haben wir immer so etwas wie einen Minderwertigkeitskomplex. Du hieltest es nach dem Gehörten in deiner Verzweiflung für möglich, dass Doktor Hagmeister dich nur wegen deines Besitzes zur Frau begehrte. Ihr armen reichen Mädchen seid ja überhaupt so schnell bereit, anzunehmen, ein Mann könne sich in euer Vermögen verlieben. Ich aber weiß bestimmt, dass Rudolf Hagmeister dich unsagbar liebt und dass er jetzt wahrscheinlich sehr niedergeschlagen ist, denn wie ich dich kenne, hast du ihn stolz und kalt abgewiesen.“

Mona drückte die Hände aufs Herz.

„O nein, Änne, nicht so! Ach, all mein Stolz war mir abhanden gekommen. Ich wies ihn freilich ab, bekannte ihm jedoch, dass ich ihn zwar liebe, dass ich aber seine Werbung nicht annehmen könne. Ich sagte ihm: Ich weiß alles! Und dann musste ich davonlaufen, weil mir dir Tränen kamen und ich mich schämte, um einen Mann zu weinen, dem ich nichts gelte. Ich lief davon und ließ ihn durch den Diener hinausbegleiten.“

Als sei ihr dies etwas Neues, schlug Änne die Hände zusammen.

„Aber Mona! Wie konntest du ihm nur so weh tun? Was soll er nur mit diesem ‚Ich weiß alles‘ anfangen? Ich bin überzeugt, er hat keine Ahnung, was du eigentlich zu wissen glaubst. Wenn mir alles so sicher wäre wie das, dass er dich liebt, dann wäre alles gut. Ich weiß doch, wie er dich immer angesehen hat, wie er selig war, wenn du ihm ein freundliches Wort gönntest. Weißt du, was ich an deiner Stelle getan hätte?“

„Nun?“, fragte Mona ganz verschüchtert.

„Ich hätte ihm einfach gesagt: So und so, dies und das habe ich gestern Abend in der Garderobe gehört. Was haben Sie mir daraufhin zu sagen?“

„Wie denkst du dir das, Änne! Ich hätte bei dieser Frage in sein Gesicht sehen, hätte darin Scham über sein Verhalten aufsteigen sehen müssen nein, das hätte ich nicht gekonnt.“

„So? Aber du weist einen Mann, den du liebst und der dich liebt, einfach mit einem ‚Ich weiß alles‘ ab und gibst ihm nicht einmal Gelegenheit, dich fragen zu können, was du eigentlich weißt, damit er sich hätte verteidigen können?“

Mona wurde immer kleinlauter, immer verzagter.

„Oh, nun sage nur noch, dass ich mir selbst mein Glück verscherzt habe! Du bist gar nicht lieb zu mir.“

Änne nahm sie in ihre Arme und schaukelte sie hin und her wie eine Mutter ihr Kind.

„Weil ich außer mir bin, dass du so gegen dich selbst gewütet hast. Aber das sage ich dir, ich sehe nicht tatenlos zu, wie du dich unglücklich machst! Da stehen alle die Koffer, die lassen wir schnell wieder auf den Speicher schaffen, jetzt wird es schön in Glützow, da reisen wir nicht in der Welt umher mit einem wehen, vereinsamten Herzen.“

Mona liefen die Tränen über die Wangen.

„Gute Änne, ich muss ja fort, ich kann Rudolf Hagmeister unmöglich wiedersehen.“

„Warum denn nicht? Willst du denn darauf beharren, ihm unrecht getan zu haben?“

„Aber Änne, glaubst du wirklich, dass alles nicht wahr ist?“

„Das glaube ich ganz bestimmt, denn ich bin vor Liebe nicht blind wie eine gewisse Mona von Glützow.“

„Was kann, was soll, was muss ich tun? Du hast mich ganz unsicher gemacht.“

„Willst du es mir überlassen, alles in Ordnung zu bringen und dir Gewissheit zu verschaffen?“

„Ja, Änne – hilf mir – hilf mir doch – ich – ich habe ihn so lieb, auch jetzt noch, und ohne ihn ist mein Leben traurig und öde.“

„Nun wohl, ich weiß, dass du ganz klar sehen musst; ein Charakter wie der deine kann keine Kompromisse schließen und keine Halbheiten ertragen. Ich rufe jetzt Doktor Hagmeister an und bitte ihn, noch einmal nach Glützow zu kommen. Dann, wenn er kommt, werde ich ihm in deiner Gegenwart alles mitteilen, was dich so verändert hat, und dazu soll er dann Stellung nehmen.“

„Aber – wenn er nun nicht kommen wird?“

„Das lass nur meine Sorge sein! Er wird kommen – weil er dich liebt und sicherlich um dich in großer Sorge ist.“

Mona presste die Handflächen zusammen.

„Kann es denn möglich sein, dass er unschuldig ist?“

„Es ist ganz gewiss so.“

„Aber – dann könnte er mir doch nie verzeihen.“

Änne lächelte.

„Wenn er dich so unglücklich und verzagt sieht – ach, Mona, ich müsste ihn schlecht kennen, wenn er dir nicht mit Freuden verzeihen wollte. Also, ich rufe ihn an; sogleich!“

Änne ließ sich gar nicht halten. Sie gebot Mona, sich inzwischen ein wenig hübsch zu machen, sie werde ihr dann Bescheid geben, was Doktor Hagmeister ihr geantwortet habe. Und Änne ging hinunter ins Arbeitszimmer, das Mona und sie gemeinsam benutzten. Sie rief in Lengwitz an und ließ Rudolf an den Apparat rufen. Erstaunlich schnell war er am Apparat.

„Herr Doktor!“

„Fräulein Rasch?“

„Ja, ich bin es. Bitte kommen Sie so schnell wie möglich nach Glützow! Ich habe mit Mona gesprochen, sie ist ganz aufgelöst vor Weh, aber es ist alles nur ein dummes Missverständnis. Kommen Sie schnell, um sie zu erlösen und ihre Ruhe wiederzugeben, Sie können es mit einigen wenigen Worten, sobald Sie alles wissen. Aber – sie weiß nichts davon, dass wir uns heute Vormittag schon gesprochen haben, und darf auch nichts davon erfahren.“

„Gut! Ich danke Ihnen tausendmal, liebes, kluges Fräulein Rasch. Ich komme sofort!“

Lächelnd hängte Änne den Hörer hin. Sie war fest davon überzeugt, dass Rudolf Hagmeister keine Schuld traf, dass er niemals einen so unfeinen Handel geschlossen haben konnte.

Beruhigt ging sie zu Mona zurück. „Er kommt sofort, Mona. Oh, und wie erlöst hat seine Stimme geklungen, als ich ihm sagte, du wolltest ihn sehen und mit ihm sprechen!“

Mona warf sich in ihre Arme.

„Ach, Änne, ich habe so große Angst. Kann er sich rechtfertigen, dann habe ich vieles gutzumachen, und wenn nicht …“

„Still! Es gibt kein ‚Wenn‘! Und nun sei so gut und glaube endlich an den Mann, den du liebst. Ja, gutzumachen wirst du vieles haben, du törichte Mona, aber das wird dir schon gelingen, deswegen bin ich nicht in Sorge.“

Änne zupfte und ordnete an Mona herum wie eine zärtliche Mutter an ihrer Tochter, wenn sie das erste Mal zum Ball geht.

Es dauerte nicht lange, da fuhr Rudolfs Auto wieder vor.

„Lass mich nur nicht mit ihm allein, ich habe solche Angst“, flehte Mona, Änne ängstlich umklammernd.

„So? Das ist feige, Fräulein Simona von Glützow! Aber ich verspreche dir, erst dann zu verschwinden, wenn ich merke, dass ich überflüssig bin. Also nun Mut und keine Angst! Dieser Mann wird dir gewiss nichts zuleide tun.“

Änne schob ihre Hand unter Monas Arm und zog sie mit sich fort. Unten im Empfangszimmer stand Rudolf, blass, mit gespannten Zügen und mit erwartungsvollen Augen.

„Mein gnädiges Fräulein, Sie haben mich rufen lassen?“, fragte er Mona.

Sie wurde erst glühend rot und dann leichenblass; es war nicht schwer zu erkennen, wie sehr sie litt. Das ließ die Härte aus seinen Augen weichen.

Sie sah scheu zu ihm auf.

„Herr Doktor, ich – ich glaube, ich habe Ihnen in meiner Aufregung heute Morgen unrecht getan – ich fürchte, ich kann Ihnen das alles nicht richtig erklären und habe meine Freundin Änne daher gebeten, es an meiner Stelle zu tun.“

Mona sank, unfähig, sich aufrecht zu halten, in einen Sessel und blieb mit gesenkten Augen sitzen. Änne warf Rudolf einen ermutigenden Blick zu und sagte mit leiser Schelmerei:

„Bitte, nehmen Sie Platz, Herr Doktor! Es wird vielleicht ein wenig lange dauern, bis wir zu Ende sind. Meine Freundin hat mir gebeichtet, was gestern Abend und heute Vormittag zwischen Ihnen geschehen ist. Ich bin also vollkommen unterrichtet. Ich weiß aber auch, was Mona seit gestern Abend so sehr bedrückt und gequält hat. Das will ich Ihnen nunmehr erzählen, und dann sollen Sie meiner Freundin sagen, was daran wahr ist und was erfunden.“

Und sie begann ruhig und sachlich, fast Wort für Wort, zu berichten, was Mona in der Garderobe gehört hatte. Als sie zu Ende war, sagte sie lächelnd:

„Und da wir Frauen, wenn wir lieben, alle Minderwertigkeitskomplexe haben, hat Mona in der Bestürzung an diese Worte geglaubt, hat angenommen, dieser Klatsch – für mehr halte ich es nicht – sei Wahrheit, und deshalb hat Mona Sie abgewiesen, da sie wohl mit Recht verlangen kann, aus Liebe, und nur aus Liebe erwählt zu werden.“

Rudolf hatte mit allen Anzeichen heftiger Erregung zugehört. Nun fuhr er auf, sah Mona mit brennendem Blick an und fragte heiser vor Erregung:

„Und einer solchen Handlungsweise hielten Sie mich für fähig?“

Sie hob die Augen, las in seinem Gesicht, dass sie ihm unrecht getan hatte und sagte leise:

„Ich war so unglücklich, so erregt! Bitte, verzeihen Sie mir!“

Er atmete tief auf. Sie sah unbeschreiblich lieb und rührend aus, und er hätte sie gern in seine Arme genommen und sie getröstet. Aber erst musste alles klar werden zwischen ihnen.

„Gottlob, dass ich nun wenigstens weiß, weshalb Sie mir Ihre Gunst entzogen. Vielleicht werden Sie auch nochmals an mir irre, wenn ich Ihnen berichte, wie aus einer Mücke ein Elefant gemacht wurde.“

Das klang sehr bitter, er schien ernstlich verletzt zu sein. Er ließ sich nun wieder in den Sessel zurückfallen und sagte ruhig und bestimmt:

„Als ich seinerzeit meine Antrittsbesuche in Stralsund machte, war ich zuerst bei Justizrat Zausch und seiner Gattin. Sie fragte mich, offen gesagt, ein wenig zudringlich, ob Sie, mein gnädiges Fräulein, nicht großen Eindruck auf mich gemacht hätten. Ich erwiderte, dass Sie eine sehr vornehme und liebenswürdige Dame seien. Wohl liebte ich Sie damals schon, aber – ich fühlte mich nicht verpflichtet, das der Frau Justizrat einzugestehen. Aber da schlug mich der Justizrat scherzend auf den Arm und meinte: ‚Na, mein lieber Herr Doktor, Sie sollten sich nicht lange besinnen‘, und er sagte etwas von einer Vereinigung von Lengwitz und Glützow. Mir war das furchtbar peinlich, und ich fand den Justizrat zum ersten Mal taktlos. Sehr steif und zurückweisend erwiderte ich: ‚Sie vergessen, dass ich Fräulein von Glützow eben erst kennen gelernt habe, und weder sie noch ich sind dazu geschaffen, materielle Gründe bei einer Eheschließung zu berücksichtigen.‘ Der Justizrat wurde sehr verlegen und entschuldigte sich ausdrücklich wegen der taktlosen Bemerkung, die ihm nur so entschlüpft sei. Inzwischen hatte sich die Frau Justizrätin entfernt. Möglich, dass sie angenommen hat, dass wir noch weiter über diese Sache gesprochen haben. Das kam für mich jedoch nicht in Frage, es ist auch nie wieder ein Wort über diese mir sehr peinliche Angelegenheit gefallen. Gerade weil ich Sie liebte, war mir diese Anspielung außerordentlich peinlich, und ich konnte tagelang die Verstimmung darüber nicht loswerden. So, mein gnädiges Fräulein, das ist alles, was ich in dieser Angelegenheit zu sagen habe. Aber ich muss Sie nun dringend bitten, sofort Herrn Justizrat Zausch hier herzurufen, damit er, ehe ich noch ein Wort mit ihm zu wechseln vermag, seinerseits den Vorgang von damals schildern kann. Sie können dann vergleichen, ob ich bei der Wahrheit geblieben bin.“

Mona hatte die Hände gefaltet und war ganz ich sich zusammengesunken.

„Wie kann Ich nur wieder gutmachen, was ich Ihnen angetan habe?“

Änne hatte sich leise erhoben und wollte still das Zimmer verlassen. Aber Rudolf rief ihr noch zu:

„Bitte, Fräulein Rasch, rufen Sie bei Justizrat Zausch an, ich lasse ihn bitten, sogleich nach Glützow zu kommen.“

Ehe Mona sie hindern konnte, war Änne hinaus. Mona sprang auf und wollte sie halten.

„Lassen Sie das, ach bitte, lassen Sie das nur, Herr Doktor! Ich glaube Ihnen, es bedarf keiner Bestätigung.“

Er sah auf sie herab.

„Ich muss darauf bestehen, dass Sie den Justizrat anhören, ich könnte es nicht ertragen, dass Sie jemals wieder an mir zweifelten.“

Sie hob bittend die Hände zu ihm auf und sah ihn flehend an. „Verzeihen Sie mir doch – bitte verzeihen Sie mir! Ich – ich war so unglücklich, so fassungslos und habe die ganze Nacht nicht geschlafen.“

Das war zu viel für ihn, dieses stolze Geschöpf so demütig, so hilflos und flehend vor sich zu sehen. Er fasste ihre Hände und zog sie an sich heran.

„Mona, willst du nie mehr an mir zweifeln?“

„Nie, ach nie, es hat so weh getan!“

Da nahm er sie in seine Arme. Sie war so reizend, so rührend in ihrer Bußfertigkeit. Und es war nach der ersten schweren Enttäuschung eine doppelte Seligkeit, dass er nun ihre Lippen küssen durfte, so viel er wollte. Sie wehrte sich nicht, lag ganz still in seinen Armen und umschlang seinen Nacken. All ihre Zweifel und Ängste waren geschwunden, sie sah ihn mit feuchten Augen an.

„Wie konnte ich nur zweifeln an dir, mein Rudolf!“

„Und ich glaubte, du hättest ein grausames Spiel mit mir getrieben.“ Sie richtete sich auf.

„Oh, so habe ich dir auch etwas zu verzeihen! Damit hast du mir unrecht getan.“

„Wie sollte ich dir dein Verhalten erklären, Mona?“

Sie schmiegte sich an ihn.

„Lass uns nicht mehr daran denken, nie mehr davon sprechen! Es liegt wie ein böser, quälender Traum hinter mir.“

„Aber den Justizrat musst du noch anhören, damit du nie wieder rückfällig wirst.“

„Nie, nie wieder!“, sagte sie leise. Und wieder versanken sie in der Seligkeit ihrer jungen Liebe und küssten sich alle Ängste und Schmerzen fort.

Es dauerte sehr lange, bis sie Änne wieder riefen, die inzwischen einige Geschäftsbriefe geschrieben hatte. Sie fing Mona lachend in ihren Armen auf.

„Ist nun alles licht und klar, Mona?“

„Ja, und das danke ich nur dir, Änne.“

Änne sah zu Rudolf hinüber. Er blickte sie fragend an.

„War es ein schweres Stück Arbeit, Fräulein Rasch?“

Sie lachte und schilderte nun Mona, wie Rudolf in seiner Verzweiflung zu ihr auf die Rübenfelder gekommen sei und sie angefleht hätte, doch zu ergründen, weshalb Mona ihn abgewiesen und was es sei, das zu dem Ausspruch: „Ich weiß alles!“, veranlasst habe.

Mona sah die beiden Verschwörer lächelnd an.

„Oh, du warst mit Rudolf im Komplott?“

„Ja, und ich hätte dir dein Geheimnis mit List und Tücke entrissen, wenn du es mir nicht so schnell freiwillig offenbart hättest. Ich konnte doch den armen, verzweifelten Doktor nicht unnötig in Unruhe lassen. Und er hat mir einmal einen so großen Dienst erwiesen, dass ich schon lange darauf gehofft habe, ihm einen Gegendienst erweisen zu können.“

„Nun bin aber ich wieder in Ihrer Schuld, Fräulein Rasch!“

„Nein, jetzt sind wir quitt! Im Übrigen erlaube ich mir, Ihnen mitzuteilen, dass wir, Günter Harland und ich, uns heute Morgen verlobt haben. Ich weiß, dass Sie uns das Verwalterhaus richten lassen wollen, und dort soll ich eine Heimat finden. Du musst dich nach einem neuen Verwalter umsehen, Mona. Günter hat mir gesagt, er heirate mich nur, um die weibliche Konkurrenz in seinem Fach auszuschalten.“

Sie mussten alle drei lachen. Und dann sagte Änne: „Nun muss ich aber schon sagen, dass ich Hunger habe.“

Mona sah sie betroffen an.

„Ach, wir haben ja noch gar nicht zu Mittag gegessen. Wirst du uns Gesellschaft leisten, Rudolf?“

„Ich habe dir ja gesagt, Mona, ich weiche keinen Schritt aus Glützow, bevor der Justizrat mich nicht rehabilitiert hat.“

So gingen sie zu dritt zu Tisch, und der Diener meldete im Domestikenzimmer, dass nun alles „in Butter“ sei und dass man nun doch Verlobung feiern würde.

Nach Tisch erschien der Justizrat und musste möglichst genau wiederholen, was damals gesprochen worden war. Er hörte dann mit Entsetzen, was seine Gattin angerichtet hatte. Er war außer sich, dass ein ihm entschlüpftes unbedachtes Wort so böse Folgen gehabt hatte, und er nahm sich vor, diese Angelegenheit in Ordnung zu bringen.

Am Abend feierten die beiden jungen Paare ihre Verlobung, und es wurde beschlossen, dass Rudolf und Mona Ende August Hochzeit halten sollten. Mona sollte nach ihrer Hochzeit nach Lengwitz übersiedeln, Günter Harland und Änne aber, wenn sie Ende September heiraten würden, in Glützow ihre Zelte aufschlagen. Mona stellte ihnen die ganze erste Etage ihres Hauses zur Verfügung, da sie es ja doch nicht mehr benutzen würde. Günter Harland sollte die Verwaltung beider Güter übernehmen, Änne könne ihm ja noch ein wenig zur Hand gehen. Wenn es notwendig sein würde, sollte dann noch ein junger Inspektor eingestellt werden.

Und so, wie es an diesem Abend geplant wurde, erfüllte sich alles.

Als Rudolf mit seiner jungen Gattin von der Hochzeitsreise zurückkam, hielten Änne und Günter Harland Hochzeit. Es war nicht festzustellen, welches der jungen Paare am glücklichsten war. Sie hielten für immer gute Freundschaft, denn Rudolf und Günter Harland wurden Freunde in des Wortes besten Sinn.

In wunderbarer Harmonie lebten die beiden Ehepaare miteinander. Ihr gegenseitiges Verhältnis konnte nicht idealer sein.

Die Jungfernburg aber behielt nach wie vor ihren Namen.

Herz-Sammelband: Hedwig Courths-Mahler Liebesromane (Teil II)

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