Читать книгу Mörderischer Rollback - Heide-Marie Lauterer - Страница 8

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Joey

Wenn ich Joey nicht kennengelernt hätte, hätte ich nicht gewusst, was tun.

Als er das erste Mal bei uns auftauchte, zauberte Maxi gerade ihre Lieblingsspaghetti mit selbstgemachter Tomatensoße und Basilikum. Sie wusste nicht, dass ich mit Joey über den Verkauf von AP reden wollte, und lud ihn kurzerhand zum Essen ein. Er schaute in den Kochtopf und sagte: „Das nächste Mal bringe ich ein Pfund Hackfleisch mit.“ Das hätte ins Auge gehen können, doch Maxi schien seine Bemerkung überhört zu haben. Oder war es deshalb, weil sie mit Käpt’n Nemo flirtete, der schwanzwedelnd zu ihr aufsah? Der grau-braune Rüde mit dem treuem Boxerblick und den lustigen Fledermausohren kam mit Joey im Doppelpack. Der eine war ohne den anderen nicht zu haben.

„Netter Kerl“, sagte Maxi später beim Geschirrspülen. „Obwohl er Fleisch isst! Leichenteile von toten Tieren! Aber seinem American Staffordshire gibt er nur Gemüse! Wie cool ist das denn!“

„Was?“ Ich konnte es nicht glauben. „Bist du sicher? Der sanft blickende Nemo soll ein bissiger Kampfhund sein?“ Erst gestern hatte ich in der Zeitung gelesen. dass so ein Hund ein Kind schwer verletzt hatte.

„Es kommt auf die Erziehung an“, sagte Maxi altklug. „Wenn du Kampfmaschinen aus ihnen machst, dann beißen sogar die liebsten Boxer. Nemo ist da ganz anders erzogen!“

Keine Ahnung, woher sie das so genau wusste, doch ich hütete mich, ein falsches Wort zu sagen und konzentrierte mich aufs Abtrocknen.

„Sag mal Vera, wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt? Du und Joey? Irgendwie passt er doch gar nicht zu dir?“

„Wieso? Er ist Reitlehrer und vermittelt Pferde. Er hat vielleicht eine Käuferin für AP gefunden.“ Jetzt war es heraus, eigentlich hatte ich es ihr schonender beibringen wollen, und ich bereute meine Unachtsamkeit sofort, als ich ihren Gesichtsausdruck sah.

„Ach, ist er nur deshalb gekommen?“, sagte sie. Ich sah ihr die Enttäuschung an der Nasenspitze an, doch ich konnte ihr nicht helfen, es war die Wahrheit.

„Heißt er wirklich Joey?“

„Ich glaube schon.“

„Ob es nicht vielleicht ein Cowboy-Pseudonym ist?“, hakte Maxi nach. „Es gibt doch diese Clubs, wo sich die Leute anziehen wie im Wilden Westen und sich andere Namen geben.“

Mir gefiel ‚Joey‘, der Name erinnerte mich an eine Fernsehserie in meiner Kindheit. Vielleicht hatte ich deshalb nicht nachgefragt. Es hätte mich stark mitgenommen, wenn er Klaus Dieter oder Otto geheißen hätte.

„Soll ich dir erzählen, wie wir uns kennengelernt haben?“, sagte ich.

Sie tauchte einen Teller ins Wasser und sagte: „Fang an!“

„Also gut, pass auf.“ Ich griff in meine Hosentasche und zog einen kleinen silbernen Anhänger heraus. Eine winzige Kröte, wie man sie auf Indianermärkten in den USA bekam. „Das hat er mir geschenkt.“ Sie nahm sie mir aus der Hand und sagte: „Wow! Ein Krafttier!“

„Ja und?“

„Warte mal“, sagte sie, verschwand und kam mit einem Heftordner zurück. Sie schlug die erste Seite auf: „Hier steht es: ‚Die Kröte hat ihren ganz eigenen Zugang zu Schätzen, Weisheiten und Wesenheiten, die mit der Erde in Verbindung stehen. Das Krafttier Kröte macht auf Magie und Naturverbundenheit aufmerksam‘.“ Sie schlug das Heft zu und sagte stolz: „Meine neue Schule! Sowas kommt bei uns jetzt in Geographie und Englisch dran. Macht richtig Spaß!“

Maxi beeindruckte mich. „Warum meinst du, hat er sie mir geschenkt?“

„Die Kröte soll dir helfen. Aber nur, wenn du sie wirklich brauchst, man darf sie nicht ausnutzen, das nimmt sie übel. Erzähl jetzt endlich von Joey!“

„Aller guten Dinge sind drei“, sagte ich.

„Wieder so ein Spruch, Vera, erzähl schon!“

„Das erste Mal habe ich ihn bei Aldi getroffen. Ich wollte mir eine Flasche Prosecco leisten, weil ich für meine Bachelorarbeit eine eins bekommen hatte – naja, nicht ich, sondern die alleinerziehende Studentin, für die ich die Arbeit geschrieben hatte. Hinter mir stand dieser Typ mit seinen schulterlangen Haaren und einer türkisblauen Halskette; die Verkäuferin scannte die Flasche ein und sagte: 5,45 €. Ich hatte aber nur 5,40 € in der Tasche, mehr nicht. Wollte die Flasche schon wieder zurückstellen, da zog er 5 Cent aus der Hosentasche und gab sie mir.“

„Fünf Cent! Echt toll!“, sagte Maxi mit gespielter Bewunderung. „Und wie ging’s dann weiter?“

„Auch wieder so ähnlich – ich war unterwegs zu einem kleinen Schnüffeljob, Hausaufgabe für den VHS Kurs, du weißt schon: ‚Undercover für Anfänger‘, plötzlich merke ich, wie mein Volvo so verdächtig hoppelt. Ich fahre rechts ran, komme gerade noch bis zu einer Hofeinfahrt, halte an, steige aus und sehe: Der Reifen ist platt.“

„Halt, stopp“, rief Maxi. „Lass mich mal! Da hält ein verstaubter Pickup, der so aussieht, als ob er gerade den Grand Canyon durchquert hätte, es steigt ein Typ aus – schulterlanges Haar, diesmal zum Pferdeschwanz gebunden und ein nicht angeleinter moppeliger Amstaff, ein Kampfhund, der nur vegane Kekse anrührt.“

„Und der Typ hat megalange Sporen an den Cowboystiefeln“, nahm ich ihr das Wort aus dem Mund. „Und eine türkisblaue Halskette. ‚Darf ich dir den Reifen wechseln‘, sagte er.“

„Hat er wirklich ‚darf‘ gesagt?“

„Hm, festlegen will ich mich da nicht.“

„Und wie geht’s weiter?“

„Im Selbstverteidigungskurs in der VHS ist er als Trainer eingesprungen und hat mich zwei Mal aufs Kreuz gelegt. Beim dritten Mal hat mein Körper reagiert, quasi ohne mein Zutun. Angezogenes Knie, ein Tritt ins Zentrum wie ein Pfeil, alles in einer einzigen fließenden Bewegung. Und ich bin aufrecht stehengeblieben ohne zu zittern. Das hat ihm gefallen und mir noch mehr. Ich habe ihn zum Bier eingeladen.“

Maxi sah mich ungläubig an.

„Naja, oder so ähnlich“, gab ich zu. „Er trinkt keinen Alkohol.“

„Und er heißt wirklich Joey?“, fragte sie das dritte Mal.

„Ich glaube schon, wie in ‚Fury‘. Der Junge und sein Pferd – die beiden gingen miteinander durch dick und dünn.“ Sie waren Freunde fürs Leben, dachte ich und für einen Augenblick wurde mir ganz sentimental ums Herz, ein Freund wie Fury, das war es, was mir gerade am meisten fehlte.

„Die Kröte hat er dir dann nach dem Bier gegeben?“

Ich grinste ohne zu antworten. Aber genauso war es.

Am Wochenende sahen wir Joey beim Reitunterricht auf der Go-West-Ranch zu. So nannte er den kleinen Bauernhof am Ende des Tals, wo er der Künstlerin Lydia Krall Reitunterricht auf seinem alten Paintwallach Cloud gab. Er half ihr beim Satteln und zeigte ihr mit Eselsgeduld, wie sie den langen ledernen Sattelgurt dreimal durch die Öse schlingen musste, ohne ihn zu verknoten, wie sie die Steigbügel in die richtige Länge bringen konnte, ohne die komplizierte Riemenkonstruktion auseinanderfallen zu lassen und wie sie dem Wallach die martialisch aussehende Kandare hinter seine drei übriggebliebenen Zähne schieben sollte. Während des Leichttrabens gab er eine lustige Geschichte nach der anderen zum Besten, lobte seine Reitschülerin überschwänglich, wenn es ihr nach drei vergeblichen Versuchen gelungen war, Cloud nach Galopp zu fragen. „Nice!“, sagte Joey nach jeder Schrittpause in einem Ton, der keinen Zweifel zuließ; aber Maxi sagte, er sei nicht nur ein guter Reitlehrer, sondern auch ein richtiger Mann und Lydia habe sich in ihn verguckt. Was Maxi unter einem ‚richtigen Mann‘ verstand, wusste ich nicht, aber ganz falsch lag sie nicht damit. Er war ganz anders als die schnieken Dressurreiter in ihren blankgewichsten Lederstiefeln, die ich kennengelernt hatte: Er lief meistens in Arbeitsschuhen mit den Metallkappen herum, die er zum Reiten mit seinen staubigen Cowboystiefeln vertauschte, an denen dicke Rädchensporen prangten. Er war nicht viel größer als ich, aber muskulös und kräftig, konnte seinen früheren Job als Bodybuilder nicht verleugnen. Joey machte auf jedem Pferd eine gute Figur, geschmeidig und stark zugleich. Für das Turnier – ich sagte immer noch Turnier, konnte mich an ‚die Show‘ einfach nicht gewöhnen –, wienerte er seine guten, spitzen Cowboystiefel, bis sie glänzten, zwängte sich in seine schwarzen Jeans, die beim Waschen immer ein bisschen mehr eingingen und legte den breiten Gürtel mit der silbernen Gürtelschnalle an, die so groß war, dass sie seinen leichten Bauchansatz vorteilhaft verbarg. Er setzte seinen Stetson auf und machte das verwegenste Gesicht, das er zur Verfügung hatte. So gewann er die meisten Prüfungen.

„Ein Reiter eben“, sagte Maxi, „und garantiert nicht schwul.“

Woher sie das so genau wisse, fragte ich, und sie antwortete: „Na, so wie der dich so anguckt …“ Ich war mir da nicht so sicher. Was Maxi nicht sah: Er war auch ein gewiefter Geschäftsmanns und wusste genau, was Frauen wünschten, Reiterinnen zumindest. „Aber reiten kann sie wirklich nicht“, sagte Maxi. Sie meinte Lydia, und in diesem Punkt musste ich ihr zustimmen.

In der Reithalle war es drückend schwül, kein Lüftchen regte sich. Doch an der Schwüle lag es nicht, dass ich mich auf einmal unbehaglich fühlte. Mir war, als ob mich jemand von hinten mit Blicken durchbohrte, und ich fühlte eine Gänsehaut auf meinen Oberarmen. Ich drehte mich um. Der schwarzhaarige Typ hinter mir musste uns schon eine Weile beobachtet haben. Oder nur Maxi? Denn jetzt sagte er zu ihr: „Hey, hast du dein Pferd hier stehen?“

Ich spähte angestrengt in die Halle, während ich meine Ohren nach rückwärts spitzte.

„Nö, ich hab keins“, sagte Maxi. In diesem Augenblick kam Lydia mit Cloud an der Hand aus der Halle.

„Wartet ihr auf Joey? Der braucht bestimmt noch ein Weilchen.“ Sie zeigte mit dem Kopf in die Halle, wo Joey gerade einem jungen Pferd das Angaloppieren beibrachte. Bei seiner Reiterin hatte es sich ein Spiel daraus gemacht, immer wieder in den falschen Galopp zu fallen, doch bei Joey war der Spaß vorbei. Nach ein zwei Versuchen war der Bann gebrochen und er ließ die Reiterin wieder aufsteigen.

„Willst du abäppeln, oder hältst du ihn lieber mal?“ Weil ich sie verblüfft ansah, drückte sie mir wie selbstverständlich die Zügel in die Hand, schnappte sich den Äppelboy und machte sich ans Aufsammeln.

Während ich auf Lydia wartete, redete der Mann mit Maxi weiter. Es gefiel mir nicht, wie er sie ansah, wie er sie umschmeichelte, eifrig bemüht, locker und jugendlich zu wirken. Ein Abenteuertyp, einer der viel herumgekommen war. Fremdenlegionär vielleicht, auf der Suche nach Gelegenheitsjobs für den Sommer, diese Typen machten alles, auch Stallarbeiten. Ein Sprüchemacher, Reitställe zogen solche Leute an.

Unterdessen kam Joey aus der Halle, nahm mir die Zügel aus der Hand und sagte: „Lydia will sich dein Pferd wirklich ansehen. Alles Paletti wäre ideal für sie, er hat ein ruhiges Temperament und ist in den Grundgangarten ausgebildet.“

„Aber sie kann doch gar nicht richtig reiten!“, sagte ich entsetzt, froh, dass Maxi immer noch mit dem Typen plauderte und nichts gehört hatte.

„Das lernt sie von mir“, sagte Joey. „Sie hat auch schon eine Box für ihn hier auf der Ranch in Aussicht.“

Eine Box für AP, das klang gut. Die Go-West-Ranch gefiel mir. Sie lag am Ende eines kleinen Tals im Odenwald, ohne Durchgangsverkehr, von Wiesen umgeben, auf denen Pferde grasten. Ein altes Fachwerkhaus mit Scheune und Stallungen, einer Reithalle, einem Roundpen und einem kleinen Außenplatz. Das Anwesen gehörte einem alten Bauern, Robert Eilers, der selbst drei Pferde auf der Koppel stehen hatte. Drei Boxen hatte er an Joey für seine Schulpferde verpachtet, die übrigen vier an Pferdebesitzerinnen aus der Umgebung. Heu und Stroh kam von den Wiesen und Feldern, die zum Hof gehörten, Hafer und Pellets wurden geliefert. Roberts Frau Else bewirtschaftete den Gemüsegarten. Der Hof war kleiner als der Leierhof und machte einen gepflegten und freundlichen Eindruck.

Joey wohnte den Sommer über in einer Holzhütte, die hinter Holunderbüschen und Forsythien versteckt auf einer kleinen Anhöhe neben der Reithalle stand. Brombeerranken wucherten über das Verandageländer, ein alter Schaukelstuhl stand in der Ecke, auf der Wiese vor der Hütte blühten alte Apfel-und Pflaumenbäume. Cowboy’s Place nannte er sein Refugium. Joey verstand sich gut mit dem Ehepaar und spielte mit dem Gedanken, die Ranch zu übernehmen, wenn Robert sich einmal aufs Altenteil zurückziehen würde. Doch daran dachte der noch lange nicht; er war fit wie ein Turnschuh und quicklebendig wie ein Fohlen; jeden Morgen um halb sieben ritt er allein auf seiner alten Stute in den Wald. „Immer querfeldein, im Jagdgalopp über die Wiese, er kennt sich aus, er hat angefangen zu reiten, noch bevor er richtig laufen gelernt hat“, sagte Joey. Ohne Helm, nur eine verbeulte Schildkappe gegen die Sonne auf dem Kopf.

Wehmütig dachte ich daran, dass ich mit AP auch gerne mal über die Wiesen galoppiert wäre; ob ich ihn mir einmal würde ausleihen können? Doch ich wischte den Gedanken schnell wieder weg. Mit AP ausreiten um ihn nach dem Absitzen Lydia an die Hand zu geben, das war mir unerträglich. Immerhin, was die Ranch anging: Alles Paletti würde sich hier wohl fühlen, das war im Augenblick das wichtigste. Doch ob er sich an Lydia gewöhnen würde, stand in den Sternen.

Über sie konnte ich einiges in Erfahrung bringen. Sie war Künstlerin, lud regelmäßig zu Vernissagen ein und präsentierte Skulpturen in ihrem Atelier am See. Auf ihrer Facebookseite zeigte sie sich in immer in anderen Outfits – mal im Kimono, dann in einem engen, langen Glitzerkleid oder in einem kurzen Kleid aus silberner Folie, wie Helene Fischer, dann als Cowgirl in Stiefeln und Stetson, abwechselnd mit einem blauen T-Shirt mit der Aufschrift: ‚Even Cowgirls get the Blues‘ und einem roten mit: ‚Safe the horse, ride the cowboy‘. Na ja, mein Geschmack war das nicht gerade. „Warte nicht zu lange“, sagte Joey. „Wenn sie was will, dann muss es gleich sein und keine Sekunde später.“

„Und ihre langen Fingernägel?“, fragte ich zögernd.

„Stören mich nicht“, sagte er. Und die weiße Seidenbluse, deren zwei oberste Knöpfe immer offenstanden, bestimmt auch nicht, dachte ich.

„Wir stellen AP einfach zwei oder drei Tage auf die Go-West-Ranch, dann kann sie ihn probereiten. Ich passe auf. Und die Ankaufsuntersuchung kann sie dann auch gleich machen lassen.“

Es klang alles sehr vernünftig und praktisch. AP war kerngesund und fit, die kleine Gesundheitsprüfung vor der Übergabe würde er sicher bestehen, doch mir war nicht wohl bei der Sache.

„Einfach? Ich habe keinen Hänger“, sagte ich, obwohl ich wusste, dass ich mit dieser Ausflucht nicht durchkam.

„Kein Problem“, sagte Joey und deutete auf den Parkplatz, wo sein Pickup und sein alter Hänger standen. „Ich fahr euch. An deiner Stelle würde ich ja sagen – so eine Chance kommt nicht jeden Tag.“

Ich wusste nur zu gut, dass er recht hatte. Ein Pferd privat zu verkaufen, war nicht einfach. Es gab zu viele Pferde auf dem Markt, zu viele Besitzerinnen, die mit ihren Pferden nicht zurechtkamen. Auf dem Leierhof hatte ich Frauen kennengelernt, die sich jedes Jahr ein neues Pferd kauften, weil sie mit dem vorjährigen wieder einmal an eine Grenze gestoßen waren.

Ich quälte mich durch eine schlaflose Nacht und noch eine zweite, dann gab ich Joey grünes Licht. „Also gut: morgen früh?“

„Übermorgen“, sagte er. „Der Hänger muss erst noch zum TÜV.“

Mörderischer Rollback

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