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II. Die „Intellektuellenfrage“ in der Diskussion um 1918 Revolution, Arbeiterbewegung und Intelligenz

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Der Begriff „Intellektuellenfrage“ entstammt der zeitgenössischen Diskussion. Unter diesem Titel hielt am 7. Juli 1924 Clara Zetkin auf dem V. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale ein Referat. Die Auseinandersetzung um das Thema erreichte gerade damals einen Höhepunkt.

Die Ursache dafür war die Beteiligung vieler Intellektueller, Männer und Frauen, an den Revolutionen, schon der russischen, dann vor allem auch der deutschen. Ob sie nun an der Spitze einer Revolution standen, sie gar organisierten, umsichtig anleiteten wie 1917 in Rußland, dann wie am 7./8. November 1918 in München1, ob ihre Namen in jenen Tagen als Symbole für die Revolution, zumindest für eine revolutionäre Strömung gebraucht wurden (Liebknecht, Luxemburg), ob sich Intellektuelle im Politischen Rat geistiger Arbeiter zusammentaten – sicher ist allemal: Sie fielen auf, sie kamen ins Gerede. Und ließen sich gern nun als „geistige Arbeiter“ ansprechen, mit diesem Synonym für „Intellektuelle“.

Kommt als vornehmliches Merkmal des Intellektuellen sein energisch eingreifendes geistiges Handeln in Betracht, dann gilt: Welches Ereignis ermöglicht dies eher als gerade die Revolution, erfordert es sogar? Dabei auch kann sie die rasche, augenblickliche Wandlung eines Theoretikers der Politik zum politisch Handelnden bewirken, wie es in Bayern Erich Otto Volkmann an Eisner wahrnahm: „Der Intellektuelle, der Skeptiker … ist über Nacht zum Tatmenschen geworden.“2 Wie in der Sphäre der Politik, so im Künstlertum. Auch hierin gab es die sichtliche Veränderung, worüber Graf Harry Kessler anläßlich einer Aufführung (1919) von Walter Hasenclevers Drama Der Sohn (1914) reflektierte: „Und eines empfindet man auch bei diesem sehr brüchigen Werke: den Übergang der deutschen Intellektualität von einem fast reinen Kultur-Revolutionarismus, wie ihn Nietzsche und später in den neunziger Jahren unser Kreis in Kunst und Literatur vertrat, zum praktischen, politischen und wirtschaftlichen Radikalismus, dessen Extrem augenblicklich die Spartakusbewegung ist.“3

Dazu fiel die deutsche Revolution von 1918/19 in eine Epoche, worin die Arbeiterbewegung einen Umfang annahm wie nie zuvor. Sie und die Nachkriegs-Revolution bildeten ursprünglich zwei separate politische Projekte, die einander jedoch alsbald durchdrangen. Auf der anderen Seite, in der Konterrevolution, gab es für Intellektuelle längst ebenso viele Offerten mitzumarschieren, offensiv gegen sie beide, die Revolution und die Arbeiterbewegung, und es mag sein, daß die Zahl ‚geistiger Arbeiter‘ in der Gegenrevolution proportional höher lag als in der Revolution. Richard Müller argumentiert, während der Umwälzung hätten Arbeiter und Angestellte sich vor allem einer Aufgabe widmen sollen: der Kontrolle der Produktion. Dafür seien der beste Zeitpunkt und das geeignete Personal vorhanden gewesen: „Ein großer Teil der Intellektuellen, Techniker, Ingenieure, Chemiker, Architekten, Ärzte usw. waren in den ersten Monaten bereit, bei der Sozialisierung der Industrie, der Bergwerke, der Banken usw. mitzuwirken. Unter den Intellektuellen gab es auch solche, die sabotierten, die sich sofort auf die Seite der Gegenrevolution stellten. Auch psychologisch lagen die Verhältnisse außerordentlich günstig. In den Konferenzen, die Richard Müller (der Autor selber – d. Verf.) im Dezember mit den Räten der Intellektuellen abhielt, kam das Verlangen nach einem Mitwirken bei der Neugestaltung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse sehr stark zum Ausdruck. Es gab viele, die bis zur Revolution keine Verbindung mit Arbeitern gehabt hatten, die aber die Revolution als das Werk der Arbeiter ansahen und sichtlich erfreut waren, als eine Annäherung der Hand- und Kopfarbeiter erfolgte, die dankbar waren, als man sie über die Ziele der Arbeiter und über den Zweck der Revolution unterrichtete, die nun ihre schöpferische Kraft ungehemmt von kapitalistischen Profitinteressen dem gesamten Volke dienstbar machen wollten.“4 Dabei ist vorausgesetzt, daß die Kooperationswilligen unter den Intellektuellen nicht Mitglieder in einer der drei Arbeiterparteien werden mußten, um beteiligt zu sein. Müller errechnet, daß der Spartakusbund „über gute intellektuelle Kräfte“ verfügte, doch wegen seiner organisatorischen Schwäche – kaum 1000 Mitglieder – „keinen Einfluß auf die Arbeitermassen der industriellen Betriebe“ auszuüben vermochte. Umgekehrt seine eigene Organisation, die Revolutionären Obleute: sie hatte großen Einfluß, aber in ihrer Reihe nur zwei Intellektuelle (Ernst Däumig, Georg Ledebour).5 Bramke verzeichnet, daß bei den Unabhängigen Sozialdemokraten „nicht wenige hervorragende Intellektuelle“ in ihrem „Führungsstab“ mitwirkten, „während unter ihren Mitgliedern der Arbeiteranteil noch größer als in der MSPD war.“6

Müllers Angabe im 1. Satz des Langzitats erfordert besondere Aufmerksamkeit: „in den ersten Monaten“. Zu unterscheiden sind demnach die größere Gruppe intellektueller Unterstützer, die dies zeitweilig sind, und die kleinere der dauerhaften. Unter den dauerhaft der Revolution verpflichteten Intellektuellen wiederum unterschieden sich diejenigen bürgerlicher Herkunft von denen aus der Arbeiterklasse. Erich Mühsam, 1921 wegen seiner Beteiligung an der Bayerischen Räterepublik in Haft, urteilte damals in seinem Essay Die Intellektuellen, daß nicht wenige Arbeiter mittlerweile eine Voreingenommenheit abzubauen gelernt hätten. Sei die „Voreingenommenheit für oder gegen die ‚Intellektuellen‘ bei der Arbeiterschaft“ im Schwinden, erkläre sich das „aus den unterschiedlichen Erfahrungen“, „die sie sowohl mit den Flüchtlingen aus der Bourgeoisie als auch mit den ‚Führern‘ aus dem Proletariat selbst gemacht habe. Es kann schlechterdings keinem Proletarier einfallen, die ‚Literaten und Akademiker‘ Lenin, Trotzki, Lunatscharski, Bucharin, Sinowjew, Liebknecht, Luxemburg, Mehring, Landauer und so weiter als nicht zugehörig zu betrachten.“ Nicht zu leugnen sei außerdem die Existenz solcher, die, trotz Herkunft aus dem Proletariat, zur Bourgeoisie überwechselten.7 In seiner Biographie Dr. Rudolf Franz (1882–1956) verwies Gerhard Engel darauf, daß einem Studierten gegenüber in Bremen anfänglich die „marxistische Zuverlässigkeit des aus dem Bürgertum herkommenden Intellektuellen noch beargwöhnt worden“ war. Selber setzte Franz seine Gelehrsamkeit zugunsten der Arbeiterklasse ein: „Er blieb ein intellektueller Revolutionär, der mit der Feder, mit den Mitteln der Bildung und der Kultur focht.“8

Ob die Intellektuellen zu ihrer Zeit aus ‚guter Familie‘ kamen, aus der Bourgeoisie oder – nicht ganz selten auch – aus dem Adel, ob aus der Klasse der Arbeiter oder vielleicht aus bäuerlicher Familie vom Lande, unbestreitbar war der Ausbildungsweg fast aller schwierig. Wie etwa kämpfte sich eine Frau, die dem Bürgertum entstammte, über viele Hindernisse hinweg zum Status einer Intellektuellen durch? Als Beispiel hier in Stichworten die Vita einer Sozialistin, Toni (eigentlich: Sidonie) Sender (1888–1964). Ursprünglich arbeitete sie als Angestellte, dann als Büroleiterin. Als junge Frau trat sie 1906 der Sozialdemokratie bei, opponierte im Weltkrieg gegen den Krieg und nahm 1917 am Gründungskongreß der USPD teil. Sie betätigte sich führend in der Revolution in Frankfurt am Main, wurde 1919 dort Stadtverordnete, übernahm 1920 die Redaktionsleitung der „Betriebsräte-Zeitung“ der Metallarbeitergewerkschaft und war vom selben Jahr an Reichstagsabgeordnete der USPD, seit 1922 der SPD (bis 1933). Als knapp Vierzigjährige (1927) nahm sie ein Hochschulstudium auf; sollte sie von da an eine Intellektuelle gewesen sein – vorher aber nicht?

Aufstrebenden aus Arbeiterfamilie blieb es oftmals überlassen, die Gymnasial- und Hochschulbildung, die ihnen fehlte, durch autodidaktische Bemühungen zu ersetzen. So teilt der Herausgeber der unvollendeten Lebenserinnerungen von Paul Frölich (1884–1953) Im radikalen Lager, die erst 2007 aufgefunden werden konnten, über Pauls Vater mit: „Was ihn und die ganze Familie auszeichnete, war das autodidaktische Streben nach Bildung.“9 Dem Sohn diente die Lektüre der „Leipziger Volkszeitung“ – zu dieser Zeit redigiert von Bruno Schoenlank (1859–1901) – „zur ersten politischen Schule“.10 Wie viele Linke, führte auch den jungen Paul sein Weg über den Journalismus; 1914 beschäftigte ihn die „Bremer Bürgerzeitung“ – trotz ihrem Namen ein linkssozialistisches Blatt, u.a. mit Pannekoek und Lenin als Mitarbeitern – als Lokalredakteur. Der Bremer Wilhelm Eildermann (1897–198811) trat nach seinem Abschluß in der Volksschule 1912 sofort in die Organisation der Arbeiterjugend „Junge Garde“ ein. Für diese gab es im Parteihaus zwei große Räume als Jugendheim. „Ich nahm an Kursen teil, die der Parteischriftsteller und Lehrer Anton Pannekoek über das Erfurter Programm und hauptsächlich über politökonomische Themen abhielt, während Johann Knief, Redakteur der ‚Bremer Bürger-Zeitung‘, in der Jugend einen Kursus über Fragen der deutschen Geschichte durchführte.“12 Auch sein Weg führte ihn über den Journalismus; er wurde Volontär bei derselben Zeitung, 1918/19 Redakteur der Tageszeitung „Der Kommunist“ in Bremen. Der in Hamburg-Eppendorf geborene Wilhelm Kaisen (1887–1979), der nach dem 2. Weltkrieg als Bremer Bürgermeister (Senatspräsident) bekannt gewordene Sozialdemokrat, schreibt: „Es war eine Zeit des geistigen Aufbruchs der Arbeiterschaft. … Auch an mich trat die Frage heran, wie ein solides und überzeugungskräftiges Gedankengebäude zu finden war. … Dazu bot der Arbeiterbildungsverein mit etlichen Kursen die erwünschte Gelegenheit.“13 Später besuchte er die Parteischule der SPD – sie bestand von 1906–1914 in Berlin –, die „in sechsmonatigen Internatslehrgängen Lehrstoffe aus der Geschichte, der Nationalökonomie, der Soziologie und der Gewerkschafts- und Genossenschaftsarbeit behandelte.“ Eine Hauptabsicht der Parteischule bestand darin, „bei den Kursusteilnehmern das Verlangen nach einer selbständigen Weiterbildung zu wecken …“14 Arbeiterbildungsverein und Parteischule waren immerhin renommierte Anstalten, die ihren Namen Ehre machten. Außerdem gab es bescheidenere Bildungsinstitute, wie sie Maxim Gorki in seiner autobiographischen Darstellung Meine Universitäten schilderte, das Leben im Alltag, auf der Straße und auf Flüssen. Gleichfalls von einer ungewöhnlichen Hochschule, an der sein Held Michael studiert, erzählt Leonhard Frank (1882–1961): das Münchener Café Stephanie wurde „seine Universität“.15 Durch eine unkonventionelle Art Privatunterricht erlangt Charlotte Kornfeld (1896–1974) ihre Bildung – vermöge ihrer brieflichen Korrespondenz mit Johann Knief im Jahre 1918, als beide sich getrennt in verschiedenen Haftanstalten in Berlin befinden. Er, ein examinierter und in der Praxis bewährter Volksschullehrer außer Dienst, deutet ihr in seinen Schreiben in eindringlichen Exkursen wichtige Abschnitte der Geschichte und Dichtungsgeschichte. Zu ihrer Lektüre gehört z.B. das Werk des zeitgenössischen Historikers Guglielmo Ferrero (1871–1942): Größe und Niedergang Roms (6 Bände, 1908/10).16 Es gibt unter den Zeitgenossen der Novemberrevolution den einen oder anderen, der sich redlich autodidaktisch zum ‚Gebildeten‘ hoch arbeitete, von dem man sich doch nur mit Anstrengung vorstellen kann, daß er zu den „Intellektuellen“ gehöre. Ein Beispiel wäre etwa Oskar Maria Graf (1894–1967), der sich aus den trübseligsten Anfängen heraus allmählich zu einem beachtlichen Schriftsteller zu entwickeln vermochte. Ebenso die Anfänge von Max Hoelz (1889–1933), und dennoch, seine Autobiographie erweist ihn als Autor von hoher Intelligenz.

Gangolf Hübinger setzte in seiner „Intellektuellengeschichte“ die „Erfolgsperiode der Intellektuellen“ in dem Halbjahrhundert zwischen 1880 und 1930 an. Sie decke „sich nicht zufällig mit der Zeit der erschütterten Gewißheiten in den Wissenschaften …“ Seine Übersicht beginnt mit Georg Gottfried Gervinus (1805–1871).17 Die Novemberrevolution würde also der „Erfolgsperiode“ angehören. Ein erster Höhepunkt wurde die Erscheinung der Intellektuellen schon etwa um 1900, – „Erscheinung“ in dem Doppelsinn: ‚Heraufkunft‘ der Gruppe wie ‚das Phänomen, der Typus“ –. Damals drang der Begriff des „Intellektuellen“ von Frankreich aus auch in Deutschland durch, hier allerdings sehr zögerlich. Hübinger kennt jedenfalls einen „Idealtypus“: des „Gelehrten-Intellektuellen“. Insofern dieser sich von der Orthodoxie abgrenzt, befindet er sich in steter Opposition: „Ihre Leistung für die Ideenzirkulation einer Epoche erbringen Intellektuelle in prägender und multiplizierender Form. … Jede soziale Klasse findet in spezifischen Situationen ihre typischen intellektuellen Sprecher, etwa den Arbeiterintellektuellen …“18 Als Beispiel für den von ihm favorisierten „Gelehrten-Intellektuellen“ dient ihm u.a. Max Weber (1864–1920): „Er kämpfte im Stil eines ‚spezifischen Intellektuellen‘, der die Arbeitsteilung zwischen Wissenschaft, Journalismus und Politik als Merkmal demokratisierter Gesellschaften wünschte, in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie für die Innovation und Institutionalisierung sozialwissenschaftlicher Forschung. Schließlich verzahnte er Theorie und Praxis im Votum für eine plebiszitäre Demokratie zur Erneuerung des politischen Systems in der Kriegsniederlage von 1918.“19 Einige der von Hübinger eingebrachten Stichwörter wie „Ideenzirkulation“ lenken wiederum zu dem Verhältnis „Intellektuelle und Revolution“ hin. Peter Nettl suchte es am Beispiel der Frau zu veranschaulichen, die für ihn die repräsentative Intellektuelle war, Rosa Luxemburg: „… sie vertritt den Anspruch der Intellektuellen auf Mitwirkung an der Umgestaltung der Gesellschaft. Als Hüter der Kultur, als Artikulatoren der Ideologie, vor allem als Beschreiber des Ziels, für das gekämpft und das erreicht werden soll, sind Intellektuelle wesentliche Mitgestalter der Revolution …“20

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