Читать книгу Die Wesen der Sonne - Heidi Oehlmann - Страница 3
1. Kapitel
ОглавлениеEdgar schloss die Wohnungstür auf. Er hatte alle Aufgaben, die er für den Tag geplant hatte, erledigt. Am Morgen führte ihn sein erster Weg zur Post. Wie jedes Jahr kurz vor Weihnachten verschickte er seine Weihnachtspost, die lediglich aus einer Postkarte für seine Tochter bestand. Es war ein alljährliches Ritual, ihr zum Fest eine Karte zu schicken. Wenn er schon keinen Kontakt mehr zu ihr hatte, waren seine Festtagswünsche wenigstens eine kleine Geste, um ihr zu zeigen, dass er an sie dachte.
Danach irrte er stundenlang durch Wernigerodes Innenstadt. Er war auf der Suche nach einem Geschenk für Elena. Der Detektiv hatte keinen Schimmer, was seiner Freundin gefallen könnte. Schließlich kannten sie sich noch nicht lange. Außerdem war er etwas aus der Übung, was das Kaufen von Geschenken anging. Seit Jahren war er Single und musste sich um solche Dinge keine Gedanken machen. Doch dieses Mal war es anders. Obwohl er die Adventszeit hasste, nahm er notgedrungen an den Vorbereitungen teil. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten verbrachte er das Fest nicht allein in seiner Wohnung. Er hatte Elena. Sie freute sich schon seit Wochen auf ihr erstes gemeinsames Weihnachten. Elena liebte die Festtage. Sie war, wie viele andere Leute, regelrecht im Weihnachtsrausch. Ihr zuliebe ging Edgar sogar einmal mit auf den Weihnachtsmarkt. Anfangs hatte er sich dagegen gesträubt. Er hatte keine Lust sich Stände mit dem für diese Jahreszeit typischen Kram, wie Kerzen oder Pyramiden anzuschauen. Edgar war nicht der Typ, der auf Kitsch stand. Statt sinnlos durch die Kälte zu spazieren, konnte er sich etwas Besseres vorstellen. Bei seinen Einsätzen vertrödelte er schon genug Zeit mit Warten. Das reichte ihm.
Als das Paar an einem der vielen Glühweinstände haltgemacht und sich jeder eine Tasse des Heißgetränks genehmigt hatte, fand der Detektiv den Bummel über den Markt erträglicher. Der heiße Glühwein spendete nicht nur Wärme, dank des Alkoholgehalts hob er Edgars Laune, sodass ihm der restliche Stadtbummel kaum etwas ausgemacht hatte. Geduldig war er an jedem Stand stehen geblieben, an dem sich Elena die Waren angeschaut hatte. Selbst als sie noch in den einen oder anderen Laden wollte, ging der Detektiv ohne zu murren mit hinein.
Nachdem Edgar an diesem Vormittag erfolglos in unzählig vielen Geschäften gewesen war, kam ihm die Idee zu einem Juwelier zu gehen. Seiner Meinung nach gab es kaum eine Frau, die sich nicht über Schmuck freute. Zuerst wusste er nicht, welche Art von Schmuckstück es sein sollte. Durch die Beratung der freundlichen Verkäuferin entschied sich der Detektiv für eine schlichte Silberkette mit einem kleinen Anhänger in Herzform. Er ließ die Kette weihnachtlich verpacken. Somit hatte er seine Weihnachtseinkäufe glücklicherweise schon erledigt. Auf dem Heimweg begegneten ihm viele gestresste Menschen, die scheinbar noch eine Menge Geschenke besorgen mussten. Edgar war heilfroh, es hinter sich zu haben und sich nicht mehr ins Getümmel stürzen zu müssen. Das war der Vorteil, wenn man nur zu zweit feierte. Der Detektiv wollte sich den Stress, für eine Großfamilie Weihnachtsgeschenke einzukaufen, nicht vorstellen.
Es war noch ein Tag bis Heiligabend. Die Hälfte der Wernigeröder waren noch unterwegs, um ihre Weihnachtseinkäufe zu erledigen. Der Privatdetektiv war beruhigt, sich vor den Feiertagen nicht mehr ins Getümmel stürzen zu müssen.
Auf Edgars Verlangen hatten er und Elena bereits am Vortag die Lebensmitteleinkäufe erledigt. Sie kauften genug zum Essen und zum Trinken ein, der Vorrat müsste mindestens bis Silvester reichen.
Edgar nahm einen betörenden Duft aus der Küche wahr. Es roch nach frischgebackenen Keksen. Sein Magen knurrte lautstark. An diesem Tag hatte er noch nicht viel gegessen. Die letzte Mahlzeit war sein Frühstück, das aus einer Kanne Kaffee und einer Scheibe Brot dick mit Leberwurst bestrichen, bestanden hatte.
Schnurstracks ging er in die Küche, in der Elena gerade eine Ladung Plätzchen in den Ofen schob. Auf dem Tisch stand eine Dose, die schon randvoll mit verzierten Keksen gefüllt war. Bei dem Anblick lief Edgar das Wasser im Mund zusammen.
»Mhm, das riecht aber lecker.«
»Hallo Schatz, wo warst du denn so lange?« Elena ging zur Türschwelle, in der Edgar ausharrte, und gab ihm einen Kuss. Anschließend widmete sie sich dem restlichen Teig, der noch auf der Arbeitsfläche lag.
»In der Stadt. Ich sage dir, dort ist die Hölle los. Ich bin so froh, dass ich nun alles erledigt habe und erst nach Weihnachten wieder vor die Tür muss.«
»Warum? Ich dachte, wir machen vor den Feiertagen noch einen kleinen Stadtbummel.«
»Ohne mich! Sei mir nicht böse, aber wenn du unbedingt in die Stadt willst, musst du alleine gehen!«
»Schade.«
»Jetzt brauche ich erst mal einen Kaffee und dazu würde ich gerne ein paar von deinen leckeren Keksen probieren.«
»Dann mach es dir im Wohnzimmer bequem. Ich bringe dir gleich was.«
Edgar ging ins Wohnzimmer und setzte sich auf die Couch. Er hatte noch seine Jacke an, in der Elenas Geschenk verborgen war. Er brauchte schleunigst ein Versteck für das kleine Päckchen. Es war nicht so einfach, einen passenden Platz zu finden. Schließlich wohnte Elena auch in der Wohnung und hatte auf jeden Schrank Zugriff. Bevor sie in den Raum kam, wollte Wolf die Kette gut versteckt wissen. Also holte er das kleine Präsent aus seiner Jackeninnentasche und verstaute es in der mittleren Schreibtischschublade unter einem Stapel Papieren. Mit hastigen Bewegungen zog er sich die Jacke aus und brachte sie in den Flur zur Garderobe.
Als er wieder auf der Couch Platz genommen hatte, atmete er tief durch. Kurz darauf betrat Elena mit einem Tablett in der Hand das Wohnzimmer. Sie schien nichts von Edgars Geheimnis bemerkt zu haben. Das beruhigte den Detektiv ein wenig.
Elena stellte das Tablett auf den Tisch und Edgar griff zunächst nach der Tasse Kaffee, nahm einen großen Schluck und stopfte sich anschließend hintereinander alle Plätzchen in den Mund, die auf dem Teller lagen.
Obwohl er nicht so auf Süßkram stand - er aß höchstens den einen oder anderen Schokoriegel, wenn er wegen eines Auftrages Stunden in seinem Wagen mit Warten verbrachte, um seine Langeweile zu vertreiben - schmeckten ihm die Kekse vorzüglich. Der Privatermittler konnte sich nicht erinnern, ob er jemals so leckere Plätzchen gegessen hatte, geschweige denn, wann er überhaupt das letzte Mal Weihnachtsgebäck zu sich genommen hatte.
Edgars Hungergefühl hatte sich in Luft aufgelöst. Er war zufrieden. Nun konnte Weihnachten kommen.