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4. Kapitel

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Edgar betrat die Kneipe, nachdem er eine halbe Stunde auf den Einlass warten musste. Er ahnte nicht, dass erst um elf Uhr geöffnet wurde. Die Wartezeit verbrachte er in seinem Wagen. Warten war er dank seines Jobs schließlich gewohnt. Die dreißig Minuten vergingen wie im Fluge. Edgar dachte die ganze Zeit an den gestrigen Abend und machte sich Gedanken, wie er Lena aus der Schusslinie dieser Sekte bekommen könnte. Noch hatte er keine Idee. Vielleicht würde sich bei dem Treffen mit seiner Ex-Frau eine Lösung für dieses Problem ergeben.

Er setzte sich an einen Tisch in der hintersten Ecke. Wenn Lucy solche Angst hatte, wollte er nicht unbedingt im Sichtfeld jeder hereinkommenden Person sitzen. Auch auf einen Platz am Fenster verzichtete er. Nachdem, was seine Tochter ihm erzählt hatte, war mit den Wesen der Sonne nicht gut Kirschen essen.

Als der Detektiv die Kellnerin sah, winkte er ihr zu. Sie kam sofort an seinen Tisch und nahm die Bestellung auf. Edgar bestellte ein Kännchen seines koffeinhaltigen Lieblingsgetränks und wartete ungeduldig, bis er es bekam. An diesem Morgen hatte er erst zwei Tassen Kaffee intus. Das war viel weniger als er es gewöhnt war. Normalerweise verputzte er schon in der Früh eine Kanne des duftenden Getränks.

Nachdem die Kellnerin dem Detektiv den Kaffee gebracht hatte, goss er sich eine Tasse ein und nahm einen großen Schluck.

Es dauerte nicht lange, bis die Kanne leer war und Edgar auf dem Trockenen saß. Also bestellte er sich ein neues Kännchen, was er wesentlich langsamer als das erste leerte.

Alle paar Sekunden schaute der Detektiv auf seine Armbanduhr. Inzwischen war es schon Viertel vor zwölf. Lucy wollte bereits vor fünfzehn Minuten hier sein. Von ihr gab es weit und breit keine Spur. Edgar fragte sich, ob sie noch kommen würde oder ihr etwas dazwischen gekommen war.

Wenn dann kann sie nur von ihrem Typen aufgehalten worden sein. Vielleicht hat er was bemerkt.

Edgar mochte sich nicht ausmalen, was passierte, wenn Lucys Freund seinen Besuch mitbekommen hatte. Nach den Erzählungen von Lena musste es für Lucy schlimme Konsequenzen haben. Wolf konnte nicht ausschließen, dass der Typ sie körperlich züchtigte.

Edgar trank den letzten Schluck seines Kaffees aus und wollte gerade die Kellnerin zum Bezahlen zu sich winken, als Lucy außer Atem in der Kneipe eintraf. Zunächst sah sie ihn nicht. Sie schaute sich im gesamten Gastraum um, bevor sie ihren Ex-Mann entdeckte und auf ihn zu gelaufen kam.

»Ich weiß, ich bin zu spät. Entschuldige, Edgar!«

»Ich dachte schon, du kommst nicht mehr.«

»Ich konnte leider nicht eher, weil ich warten musste, bis Theo weg ist.«

»Aha, wer ist Theo?«

»Mein Freund. Er sieht es nicht so gern, wenn ich mich mit anderen Männern treffe.«

»So, so. Hat er mitbekommen, dass ich vorhin da war?«

»Nein, zum Glück nicht.«

»Dann ist ja gut.«

»Was gibt es denn so Dringendes?«

»Du musst mir erst versprechen, nicht sauer zu werden!«

»Okay. Also was ist los?«

»Unsere Tochter war gestern bei mir.«

»Ja, ich weiß. Sie hat es mir heute Morgen heimlich erzählt, als Theo noch geschlafen hat.«

»Du weißt es?«

»Ja, natürlich. Wir hatten ein längeres Gespräch. Du bist wegen der Wesen der Sonne da, stimmts?«

»Ja, ich mache mir Sorgen um euch. Lena meinte, dass sie da auch mitmachen soll?«

»Ach quatsch, das habe ich doch nur wegen Theo gesagt, weil ich wusste, wie sie reagieren wird. Ich will Lena auf keinen Fall zu den Wesen der Sonne holen!«

»Gut. Dann sind wir uns in dem Punkt schon mal einig. Ich will, dass es unserer Tochter gut geht! Und das scheint im Moment nicht so zu sein!«

»Ach Edgar, ich bin da in so eine dumme Sache hineingeraten. Am Anfang schien zwischen mir und Theo alles normal zu sein, aber dann hat er sich plötzlich verändert und mich in die Sekte hineingedrängt. Und nun komme ich da nicht mehr raus.«

»Dann trenne dich doch von ihm und der Sekte.«

»Ich habe es mehr als einmal versucht. Theo hat mir daraufhin immer gedroht, mir oder Lena könnte plötzlich etwas Schlimmes zustoßen. Also spiele ich das Spiel mit und tue so, als ob ich dabei sein will.«

»Was?«

»Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll. So wie ich Theo kenne, wird er seiner Drohung Taten folgen lassen, wenn es nicht so läuft, wie er es will. Verstehst du? Ich habe höllische Angst um unsere Tochter.«

»Ich verstehe. Ich habe geahnt, es würde nicht allzu leicht sein, aber dass es so schlimm ist, war mir nicht bewusst. Wie kann man sich der Sekte nähern? Kann dort jeder einfach so eintreten?«

»Na ja, eigentlich braucht man dafür eine Empfehlung.«

»Kannst du mir die nicht geben?«

»Das ist schwierig. Wie soll ich das Theo erklären? Er weiß dann, dass ich Kontakt mit dir habe.«

»Mm.«

»Am liebsten wäre mir, wenn ich Lena in Sicherheit bringen könnte. Kann sie nicht erst mal bei dir unterkommen? Immerhin bist du ihr Vater.«

»Bei mir? Ich habe mir auch schon Gedanken darüber gemacht, Lena aus der Schusslinie zu bringen. Sie vorübergehend zu mir zu nehmen, kam mir noch nicht in den Sinn. Klar, warum eigentlich nicht. Wir haben zwar nicht so viel Platz, aber für eine Weile geht es bestimmt. Damit ist dir aber auch nicht wirklich geholfen.«

»Was heißt wir? Hast du endlich wieder eine neue Beziehung?«

»Ja. Ich habe seit Kurzem eine Freundin. Lena hat Elena gestern schon kennengelernt.«

»Aha. Davon hat sie mir nichts erzählt.«

»Nicht? Ist Lena heute bei ihrer Freundin?«

»Ja. Sie kommt erst morgen Abend wieder.«

»Das ist gut.«

»Ich weiß. Lena meinte, dass du jetzt Privatermittler bist?«

»Ja, das ist richtig. Nach der Sache mit Max konnte ich nicht mehr bei der Polizei bleiben.«

»Das verstehe ich.«

»Worum geht es in der Sekte?«

»In erster Linie ist es eine Gemeinschaft, in der es um Gehorsam geht. Die Ansichten der Gruppe sind relativ skurril und streng.«

»Was heißt das?«

»Zum Beispiel sind Alkohol, Zigaretten, Ehebruch und solche Dinge verboten. Kinder und Frauen werden durch körperliche Gewalt gezüchtigt. Deshalb habe ich auch solche Angst um unsere Tochter. Bisher ist glücklicherweise nichts passiert, aber ich möchte das Glück nicht überstrapazieren. Im Grunde muss alles gemacht werden, was der Sektenführer sagt.«

»Wer ist der Oberguru?«

»Theo.«

»Theo? Der Mann, mit dem du zusammen bist? Mm, vielleicht lässt sich daraus was machen.«

»Und was?«

»Schlägt er dich?«

»Nein, bis jetzt glücklicherweise nicht.«

»Ich habe eine Idee!«

»Was denn für eine?«

»Dieser Theo ist doch jetzt sicherlich bei seiner Sekte, oder?«

»Ja.«

»Also weiß er nicht, dass du das Haus verlassen hast.«

»Hoffentlich nicht. Wenn er das rausfindet, bekomme ich mit Sicherheit großen Ärger.«

»Was hältst du davon, wenn ich bei euch auftauche, wenn er zu Hause ist? Wir tun so, als hätten wir uns seit Jahren nicht gesehen. Ich erzähle dann irgendwelchen Quatsch von wegen, ich will Ordnung in mein Leben bringen oder irgendwie so was in die Richtung. Mit viel Glück nimmt er mich auf. Was meinst du?«

»Ich kann es schwer einschätzen, wie Theo darauf reagiert. Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.«

»Gut. Wann wollen wir es machen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wann ist Theo wieder zurück?«

»Ich denke am späten Abend. Am besten ist, wenn du es vormittags probierst. Dann ist er meistens zu Hause.«

»Okay. Dann komme ich in den nächsten Tagen vorbei.«

»Schön. Ich hoffe, es klappt. Was ist nun mit Lena? Kann sie zu dir?«

»Ja, klar. Wir müssen uns nur Gedanken darüber machen, was du Theo erzählst, wo Lena ist. Du kannst ihm schlecht sagen, dass Lena jetzt bei mir wohnt, wenn wir uns angeblich so lange nicht gesehen haben.«

»Stimmt. Da muss ich mir noch was überlegen.«

»Das wäre schon besser.«

»Wie kann ich dich erreichen?«

»Gute Frage. Ich habe zwar seit gestern ein Handy, aber die Nummer nicht im Kopf. Am besten nimmst du die Festnetznummer.«

»Ist das immer noch deine alte Nummer?«

»Ja. Meine Handynummer gebe ich dir bei Gelegenheit.«

»Gut, abgemacht. Sei mir nicht böse, aber ich muss langsam los. Die Wesen der Sonne warten sicherlich schon auf mich.«

»Oh Gott, du musst dort heute noch hin?«

»Ja, ich habe Theo erzählt, dass ich Kopfschmerzen habe, mich deshalb eine Stunde hinlege und dann nachkomme.«

»Dann mach dich lieber schnell auf den Weg, damit du nicht auffliegst! Du meldest dich, wenn du eine Idee wegen Lena hast! Ganz unabhängig davon komme ich trotzdem in den nächsten Tagen vorbei. Vielleicht ergibt sich auch aus dem Besuch eine Begründung, dass Lena vorübergehend bei mir wohnen kann.«

»Ja. Danke Edgar. Machs gut!«

»Du auch und pass auf dich auf!«

»Mache ich. Bis bald!«

»Ja, bis bald!«

Lucy verließ die Kneipe mit großen Schritten. Edgar blieb noch eine Weile sitzen. Er wollte keinesfalls mit seiner Ex-Frau zusammen auf der Straße gesehen werden. Es musste nur ein Sektenmitglied unterwegs sein und die Aktion wäre gefährdet. Das konnte Edgar nicht riskieren.

Zehn Minuten später machte sich der Detektiv auf dem Heimweg. Dabei überlegte er, wie er Elena von dem Plan überzeugen könnte. So wie er sie einschätzte, würde sie mit Sicherheit gegen seine Einschleusung in die Sekte sein.

Die Wesen der Sonne

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